Nach dem Mord an Regierungspräsidenten Lübcke in Kassel: Rechte geifern und predigen Hass

Dossier

"Wir fordern Aufklärung!" Kein Bock auf Nazis zum Prozess um den Mord an Walter Lübcke Die Todesumstände des CDU-Politikers Walter Lübcke sind unklar. Was man bisher weiß, ist, dass der Regierungspräsident von Kassel mit einem Kopfschuss getötet wurde. Ebenfalls weiß man, dass Lübcke im Fadenkreuz von AfD-Fans und artverwandten Idioten stand – und das bereits seit 2015, als er sich für die Aufnahme von Flüchtlingen in der nordhessischen Provinz stark gemacht hatte. Schon damals erhielt er Morddrohungen. Nicht wenige Beobachter vermuten nun das extrem rechte Milieu hinter der Bluttat. Die Trauer um den ehemaligen Abgeordneten des Hessischen Landtages in Wolfhagen, wo Lübcke zu Hause war, ist groß. Das hält jedoch die Rechten nicht davon ab, grinsend das Mobiltelefon zur Hand zu nehmen und ihrer Freude über den Tod des Lokalpolitikers im World Wide Web freien Lauf zu lassen…“ – aus dem Kommentar „AfD ist mittendrin statt nur dabei“ von Christian Klemm am 04. Juni 2019 in neues deutschland online externer Link über die Haßtiraden, die die verschiedenen rechten Strömungen vereinigen. Siehe dazu auch weitere aktuelle Beiträge und die aktuelle Entwicklung (dass die CDU schweigt, ist nicht unser Thema):

  • Nordhessen als Neonazi-Hochburg: „Es gab kein Jahr ohne rechte Gewalt“. Über den Radikalisierungsweg von Stephan Ernst, Mörder von Walter Lübcke New
    Im Interview von Matthias Lohr vom 31. Mai 2024 bei HNA online externer Link skizziert der Politikwissenschaftler Sascha Schmidt den Radikalisierungsweg von Stephan Ernst, des Neonazis und Mörders von Walter Lübcke: „… Rechter Terror zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Bundeslands. Es gab kein Jahr ohne rechte Gewalttaten, man kann dabei drei Hochphasen ausmachen. Die erste war Ende der Siebzigerjahre. Damals verübten kleine Gruppierungen Anschläge, das Rhein-Main-Gebiet war bundesweit ein Knotenpunkt des Rechtsterrorismus. Die zweite Hochphase waren in den frühen Neunzigerjahren die sogenannten Baseballschlägerjahre. Wir bezeichnen sie in Hessen als Brandanschlagsjahre. Allein von 1991 bis 1994 gab es in Hessen 115 Brandanschläge. Die Aufklärungsquote lag bei lediglich 20 bis 25 Prozent. Die dritte Hochphase beginnt 2014 mit rassistisch motivierten Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte und Unterstützende. Sie mündete in rechtsterroristische Morde und hält bis heute an. (…) Über den gesamten Zeitraum betrachtet ist Hessen nicht der zentrale Hotspot für rechte Gewalt. In den vergangenen Jahren stellen wir aber eine Verdichtung fest, von der Ermordung von Walter Lübcke über das Attentat von Hanau bis zu jüngeren Anschlagsplänen. Wahrscheinlich hätten viele dieser Taten auch anderswo stattfinden können. (…) In [Hessen] gibt es eine hohe personenbezogene Kontinuität. Über Jahre existierten hier militante Gruppen, in die auch Stephan Ernst sehr gut eingebunden war. Eine Rolle spielen die zentrale Lage und die überregionale Vernetzung zu Neonazis in Thüringen und Niedersachsen. Das wurde auch in dem aktuellen Verfahren um die Neonazi-Gruppe „Knockout 51“ aus Eisenach deutlich. (…) Maßgeblich war für Stephan Ernst neben der Versammlung in Lohfelden seine Teilnahme an dem von Höcke angeführten Trauermarsch 2018 in Chemnitz nach dem Tod eines Mannes auf dem Stadtfest. Er sagte sich: „Jetzt muss etwas passieren.“ Danach begann er mit konkreten Planungen. Alte Strukturen waren für ihn weitgehend irrelevant geworden. Aber die AfD, der Kasseler Pegida-Ableger Kagida und die Identitäre Bewegung gaben ihm das Gefühl, nicht mehr alleine zu sein. (…) Ein Negativbeispiel ist der Umgang mit Neonazi-Angriffen 2018 in Chemnitz auf eine Gruppe aus Marburg. Das Verfahren wurde im Januar eingestellt, es gab keine wirkungsvollen Verurteilungen. Die Männer konnten jahrelang weiter agieren und bekamen bis heute im juristischen Sinn kein Stoppschild zu sehen. Allerdings muss man auch festhalten, dass sich Stephan Ernst im Gefängnis zur Jahrtausendwende weiter radikalisiert hat und trotzdem wegen einer positiven Sozialprognose früher entlassen wurde…“

    • Hinweis: Sascha Schmidt veröffentlicht zusammen mit Yvonne Weyrauch 2023 beim Wochenschau-Verlag “ Rechter Terror in Hessen – Geschichte, Akteure, Orte“, 400 Seiten, 29,90 Euro.
  • BGH verwirft Revisionen: Mordverurteilung und Freisprüche im Lübcke-Prozess bestätigt
    „… Der Bundesgerichtshof (BGH) verwarf am Donnerstag sämtliche Revisionen – unter anderem von den Hinterbliebenen des früheren Kasseler Regierungspräsidenten, den Angeklagten und der Generalbundesanwaltschaft (Urt. v. 25.08.2022, Az. 3 StR 359/21). Der Vorsitzende Richter des dritten Strafsenats, Jürgen Schäfer, sprach von einer „fehlerfreien Beweiswürdigung“ des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt am Main – sowohl mit Blick auf die Schuldsprüche als auch auf die Freisprüche. (…) Aus seiner Sicht hat das OLG die Tat von Ernst richtig gewürdigt, insbesondere die Mordmerkmale Heimtücke und niedrige Beweggründe. Lübcke sei an jenem Abend arg- und wehrlos gewesen, er habe keine Chance gehabt. „Das Mittel der politischen Auseinandersetzung ist das Wort, nicht die Gewalt“, sagte Richter Schäfer während der rund 45-minütigen Urteilsbegründung.(…) Den Mitangeklagten Markus H., einen Freund von Ernst aus der rechten Szene, hatte das OLG zu einer anderthalbjährigen Bewährungsstrafe wegen eines Waffendelikts verurteilt – aber nicht wie angeklagt wegen Beihilfe zum Mord an Lübcke. Er kam im Oktober 2020 frei. Die Beweiswürdigung des OLG weise auch in diesem Punkt keinen durchgreifenden Rechtsfehler auf, sagte BGH-Richter Schäfer. Unter anderem seien am Tatort keine Spuren des Angeklagten gefunden worden. Das OLG habe zudem keinen Rechtsfehler gemacht, indem es der ersten Aussage von Ernst nur teilweise Glauben schenkte, die dortigen Anschuldigungen gegenüber Markus H. aber nicht als bewiesen ansah. (…) Die Familie des CDU-Politikers und die Bundesanwaltschaft hatten vor allem den Teilfreispruch für Markus H. moniert. Aus ihrer Sicht spielte der heute 46-Jährige eine wesentlich zentralere Rolle. Er habe mit Ernst schießen geübt und ihn in seinem Willen zur Tat bestärkt. Die Hinterbliebenen halten ihn sogar für einen direkten Mittäter. (…) Neben dem Fall Lübcke ging es in dem Verfahren noch um einen Angriff auf einen irakischen Asylbewerber. Jemand hatte den Mann Anfang 2016 attackiert und ihm ein Messer in den Rücken gestochen. Die Bundesanwaltschaft hält Ernst für den Täter, konnte die Gerichte aber nicht überzeugen. Das Opfer trat ebenfalls als Nebenkläger auf. Indiz für die Bundesanwaltschaft war unter anderem ein bei Ernst sichergestelltes Messer, an dem DNA-Mischspuren des Tatopfers gefunden wurden. Doch weil Ernst eine Quittung für das Messer vorweisen konnte mit Kaufdatum nach dem Anschlag auf I., kam das OLG zu dem Schluss, dass das Messer nicht das Tatmesser sei. Umstände, dass sich die Quittung auf ein anderes Messer bezogen hätte, seien nicht zu Tage getreten. Der BGH monierte diese Beweiswürdigung nicht. Das OLG sei mit nachvollziehbaren Gründen davon ausgegangen, dass das Messer erst nach der Tat gekauft wurde.“ Meldung vom 25. August 2022 von bei Legal Tribune Online externer Link mit Link zum Youtube-Phönix-Beitrag externer Link mit der ausführlichen Urteilsbegründung
  • Ignorierte Indizien: Bundesgerichtshof prüft Revision im Mordfall Lübcke 
    „Eigentlich sind Revisionsverhandlungen am Bundesgerichtshof (BGH) allein ein Wettstreit der Juristen. Nüchtern, paragrafengespickt. Doch als es am Donnerstag um den rechtsextrem motivierten Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ging, wurde es für einige Momente emotional. Da ergriff Irmgard Braun-Lübcke, die Witwe des ermordeten CDU-Politikers, das Wort. Und machte deutlich, warum sie und ihre Söhne den weiten Weg nach Karlsruhe auf sich genommen haben. »Mit seinem Mord ist nicht nur sein Leben zerstört worden, sondern auch unseres«, sagte sie mit zitternder Stimme. »Wir müssen damit umgehen, und das gelingt uns mal weniger, mal mehr.« Noch immer hofft die Familie zu erfahren, wie die letzten Minuten und Sekunden von Walter Lübcke wirklich abgelaufen sind. Ob er hinterrücks erschossen wurde oder ob es einen Wortwechsel gab. Ob der Mörder allein handelte oder einen Mittäter hatte. »All das wäre so wichtig.« Das Urteil des Oberlandesgerichts in Frankfurt, das jetzt am BGH auf dem Prüfstand steht, lasse zu viele dieser Fragen offen. (…) Der Staatsschutzsenat war überzeugt, dass Stephan Ernst als Einzeltäter handelte, als er den Regierungspräsidenten am späten Abend des 1. Juni 2019 aus Hass auf dessen liberale Haltung in der Geflüchtetenpolitik erschoss. Sein wegen Beihilfe mitangeklagter Gesinnungsgenosse Markus H. dagegen wurde freigesprochen. Gegen dieses Urteil hat nicht nur die Familie Lübcke Revision eingelegt, sondern auch die Bundesanwaltschaft. (…) Ebenso aufgehoben werden soll nach Ansicht der Bundesanwaltschaft ein Teilfreispruch von Stephan Ernst. Dem einschlägig vorbestraften Neonazi war auch der versuchte Mord an einem irakischen Geflüchteten vorgeworfen worden. Ahmed I., der damals erst kurze Zeit in Deutschland lebte, war im Januar 2016 auf offener Straße von einem Fahrradfahrer niedergestochen worden. Bei Ernst wurde später ein Messer mit DNA-Spuren gefunden, die zum Opfer passen könnten. Doch dem Oberlandesgericht reichte für einen Freispruch, dass er den Kaufbeleg für ein solches Messer vorlegen konnte, ausgestellt mehr als drei Wochen nach der Tat. Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann, der den jungen Iraker vertritt, sprach von einem möglichen »Legendierungskauf«. Wie die Bundesanwaltschaft ist er der Meinung, dass die bloße Existenz der Quittung noch kein Unschuldsbeweis ist. Bevor Hoffmann zu seinem Plädoyer ausholte, wandte er sich jedoch an Irmgard Braun-Lübcke und ihre Söhne. »Ich bedanke mich ganz ausdrücklich bei Ihnen dafür, dass sie auch jetzt dranbleiben und kämpfen«, sagte der Anwalt. »Ohne Menschen wie Ihren Mann und Ihren Vater, die klare Kante zeigen, hätten es Menschen wie mein Mandant noch schwerer.« Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs wird in vier Wochen erwartet.“ Artikel von Joachim F. Tornau vom 28. Juli 2022 in neues Deutschland online externer Link
  • Lübcke-Ausschuss: Sein Name ist Temme, er weiß von nichts – Neonazis nicht mehr im Fokus
    • Lübcke-Ausschuss: Sein Name ist Temme, er weiß von nichts
      Der ehemalige hessische Verfassungsschützer Andreas Temme sagt im Lübcke-Untersuchungsausschuss aus. Viel hat der Mann, der eine schillernde Rolle im NSU-Komplex spielt, nicht zu sagen.
      Dafür, mit wie viel Spannung sein Auftritt erwartet wird, wirkt der Zeuge erstaunlich entspannt. Der Untersuchungsausschuss zum Mordfall Walter Lübcke hat schon zwei intensive Zeugenbefragungen hinter sich, als Andreas Temme am Mittwochnachmittag im Plenarsaal des hessischen Landtags Platz nimmt. Der 55-jährige Beamte aus Hofgeismar kommt im weißen Hemd und ist spürbar weniger nervös als bei seiner letzten Aussage vor einem hessischen Untersuchungsausschuss. Und das ist auch nicht verwunderlich: Andreas Temme, der wohl schillerndste ehemalige Mitarbeiter des hessischen Landesamts für Verfassungsschutz (LfV), war eine zentrale Figur im Untersuchungsausschuss zum Mord an Halit Yozgat, der am 6. April 2006 von den Rechtsterroristen vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU) in seinem Kasseler Internetcafé ermordet worden war. (…) Und nun soll Temme, der seit 2007 für das Regierungspräsidium Kassel arbeitet, also zur Aufklärung möglicher Behördenfehler vor und nach dem Mord an Walter Lübcke beitragen, der als Regierungspräsident auch sein Vorgesetzter war. Temme als Zeuge zu laden, liegt durchaus nahe, schließlich war er vor 2006 für das LfV in Kassel tätig und hat dort auch Benjamin G. als Quelle geführt, den berüchtigten V-Mann „Gemüse“, der eng in der militanten Naziszene vernetzt war, aus der auch der Lübcke-Mörder Stephan Ernst kam. Doch wie einige Beobachter:innen schon vermutet hatten, kann oder will Temme sehr wenig Konkretes sagen...“ Artikel von Hanning Voigts vom 21.07.2022 in der FR online externer Link
    • Lübcke-Ausschuss: Neonazis nicht mehr im Fokus
      Im Lübcke-Ausschuss des hessischen Landtages kommen erneut Versäumnisse beim Verfassungsschutz ans Tageslicht. Hunderte Neonazis wurden dort ohne ordentliche Prüfung nicht weiter beobachtet. Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat im Jahr 2015 Hunderte Rechtsextreme ohne ernsthafte Prüfung aus der aktiven Beobachtung genommen und dabei bewusst riskiert, dass auch gewaltbereite Neonazis vom Radar verschwinden. Dies betraf auch den Neonazi Stephan Ernst, der ab 2015 nicht mehr auf dem Schirm des hessischen Geheimdienstes gewesen war und im Juni 2019 den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erschossen hatte. Diese Entscheidung sei damals „nur mit großem Bauchweh“ getroffen worden, man habe aber wegen großer Arbeitsüberlastung keine andere Wahl gehabt, sagte eine LfV-Mitarbeiterin am Mittwoch im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtages zum Mord an Walter Lübcke…“ Artikel von Hanning Voigts vom 20.07.2022 in der FR online externer Link
  • „Totalversagen des MAD“: Neonazi Wenzel noch im Januar im Bundeswehreinsatz 
    „… Vor wenigen Tagen war bekannt geworden, dass der bekannte nordhessische Neonazi Christian Wenzel auf der AfD-Kandidatenliste für die Kommunalwahl im Kreis Kassel steht. Die Partei reagierte schließlich und warf den Kandidaten aus der Partei. hr-Recherchen zeigen nun, dass Wenzel auch bei der Bundeswehr bis vor Kurzem noch im Einsatz war. Demnach half er noch im Januar 2021 als Reservist seines Panzergrenadierbataillon bei der Corona-Kontaktnachverfolgung im Gesundheitsamt Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern aus. Beim Militärischen Abschirmdienst der Bundeswehr (MAD) fiel Wenzel augenscheinlich durchs Raster. Erst die Berichterstattung über seine AfD-Kandidatur änderte das. Aus Bundeswehrkreisen heißt es, Wenzel habe nach den Berichten seinen Dienstrang als Oberstabsgefreiter verloren und sei aus dem Dienst entfernt worden, weil er eine Gefahr für die militärische Ordnung und Sicherheit der Truppe darstelle. (…) Christian Wenzel engagierte sich zur Jahrtausendwende nicht nur für das mittlerweile verbotene rechtsextreme Netzwerk „Blood and Honour“, sondern gründete Ende der neunziger Jahre auch die „Kameradschaft Kassel“ und pflegte Kontakte zur thüringischen Neonazi-Szene. Das alles ist im Bericht der Linken-Fraktion zum NSU-Untersuchungsausschuss im Landtag nachzulesen, vor dem Wenzel als Zeuge aussagte. Dort bestätigte er auch, dass er nach wie vor einer rechten Ideologie anhänge. 2015 teilte Wenzel auf Facebook ein Bild mit Ursula Haverbeck, das „Freiheit“ für die Holocaust-Leugnerin forderte, daneben finden sich weitere antisemitische Inhalte. Mit Stephan Ernst, dem Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, ist Christian Wenzel seit vielen Jahren bekannt. Wenzel schrieb während der Untersuchungshaft einen Brief an ihn, in dem er sich mit dem beschuldigten Freund solidarisierte. In einem weiteren Posting auf Facebook zeigt sich Wenzel von der Unschuld von Ernst überzeugt und beklagte seine Inhaftierung: „Weich kochen wollen Sie ihn, damit er was gesteht, was er nicht war.“ (…) Rechtsextreme Soldaten in der Bundeswehr hatten, wie im Fall des nun angeklagten ehemaligen Oberleutnants Franco A., immer wieder Schlagzeilen gemacht…“ Beitrag von Till Möller und Carsten Meyer vom 10. Februar 2021 bei hessenschau.de externer Link
  • Mordfall Lübcke: Ausschuss untersucht Rolle des Verfassungsschutzes, gelöschte Akten und Verbindungen zum NSU 
    „… Der Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags zum Mordfall Walter Lübcke will möglichen Versäumnissen der Sicherheitsbehörden nachgehen. Der Prozess gegen Stephan E. und Markus H. vor dem Oberlandesgericht Frankfurt habe sich nur auf die Aufklärung der Tat der Angeklagten konzentriert, sagte der Mitinitiator und stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses, Hermann Schaus (Linke), dem „Evangelischen Pressedienst“. Der im vergangenen Jahr konstituierte Untersuchungsausschuss wolle hingegen das Umfeld der rechtsradikalen Szene in Nordhessen und ein mögliches Versagen des Verfassungsschutzes überprüfen. Die Vertreter der Linken im NSU-Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags von 2014 bis 2018 seien schon 2015 auf Stephan E. und Markus H. aufmerksam geworden, sagte Schaus. Sie hätten beide als besonders gefährlich eingeschätzt. „Warum sind E. und H. uns schon damals als gefährlich aufgefallen, dem Verfassungsschutz aber nicht?“, fragte er. (…) Die Personenakten von E. und H. seien „im System nicht mehr verzeichnet“. „Wir kämpften um jedes Blatt Papier“, sagte Schaus über das Ringen des NSU-Untersuchungsausschusses mit den hessischen Sicherheitsbehörden. Im Nachhinein sei auf beharrliche Fragen des Ausschusses herausgekommen, dass der Verfassungsschutz die Akten von E. und H. genau im Juni 2015 intern löschte und die beiden Rechtsradikalen als „abgekühlt“ einstufte. Das zeitliche Zusammenfallen mit dem Auskunftsbegehren des Untersuchungsausschusses sei auffällig, sagte Schaus. Der neue Lübcke-Untersuchungsausschuss wolle nun erfahren, ob der Verfassungsschutz die Personenakten direkt vor oder nach dem Antrag des Ausschusses unzugänglich machte und warum. Eine rechtliche Notwendigkeit dazu habe nicht bestanden. (…) Außerdem stelle sich die Frage, warum der Verfassungsschutz die Personenakten von E. und H. nicht schon von sich aus dem NSU-Untersuchungsausschuss zur Verfügung gestellt hat. „Warum hat der Verfassungsschutz den Ausschuss am ausgestreckten Arm verhungern lassen?“, fragte Schaus. Die Linke gehe davon aus, dass die NSU-Mörder von Halit Yozgat 2006 in Kassel einen Unterstützerkreis von lokalen Rechtsradikalen hatten. Es stelle sich die Frage, ob bei mehr Transparenz des Verfassungsschutzes der Mord an Lübcke hätte verhindert werden können…“ Beitrag von Jens Bayer-Gimm vom 1. Februar 2021 beim MiGAZIN externer Link

  • Ein Urteil, das nicht zufriedenstellen kann – VVN-BdA Kassel zum Lübcke-Mord-Prozess und weitere erste Kommentare 
    • VVN-BdA Kassel zum Lübcke-Mord-Prozess: Ein Urteil, das nicht zufriedenstellen kann
      Am 28. Januar 2021 wurde der nordhessische Neofaschist Stephan Ernst wegen des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Juni 2019 vom OLG Frankfurter zu lebenslanger Haft verurteilt. Jedoch können dieser Prozess und das Urteil nicht zufriedenstellen. Dafür gibt es mehrere Gründe: In diesem Verfahren wurden die politischen Hintergründe, die mit dem Mord verbunden neofaschistischen Netzwerke in Nordhessen und darüber hinaus sowie die Eingebundenheit des Täters in AfD bis „Sturm 18“ systematisch ausgeblendet. Ein weiterer rassistischer Mordversuch an dem Iraker Ahmed I. im Jahre 2016 wurde seitens des Gerichts mit einer solchen Ignoranz behandelt, dass Stephan Ernst von diesem Anklagepunkt freigesprochen wurde. Ein weiterer Skandal ist jedoch der Freispruch des militanten Neonazis Markus Hartmann, der über viele Jahre gemeinsam mit Stephan Ernst in der gewalttätigen Neonaziszene aktiv war und durch die Veröffentlichung eines Videos Dr. Lübcke zum Ziel neofaschistischer Gewalt gemacht hat, sowie mit Ernst verschiedene Aktionen vorbereitet und umgesetzt hat, vom Vorwurf der „Beihilfe zum Mord“. Das Gericht verurteilte ihn lediglich wegen illegalem Waffenbesitz zu einer banalen Strafe – auf Bewährung. Hartmann verlässt damit das Gericht als freier Mann und kann seine neofaschistische Karriere „unbelastet“ fortsetzen. Die VVN-BdA sieht nach diesem Urteil und seiner Begründung noch erheblichen Klärungsbedarf, was auch die Rolle der hessischen Sicherheitsorgane betrifft. Der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags muss hierzu klare Erkenntnis vorlegen, wenn die Aufarbeitung des neofaschistischen Mordes an Dr. Walter Lübcke nicht ins Leere laufen soll.“ PM vom 28.1.2021 der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten Kreisvereinigung Kassel (per e-mail), siehe auch:
    • ebd. den Redebeitrag von Ulrich Schneider externer Link zu Kundgebungen antifaschistischer Organisationen in Frankfurt/M. und Kassel Anlässlich der Urteilsverkündung
    • sowie den Thread der VVN-BdA vom 28.1.2021 externer Link : „Das Urteil im Prozess um den Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke vor dem Oberlandesgericht in Frankfurt lässt einige Fragen offen: Warum wurde der Mitangeklagte Markus H. freigesprochen, obwohl er nach Stephans E. Aussagen am Tatort gewesen war 1/5…“
    • „… Erst eine Intervention der Beratungsstelle @ResponseHessen, die Ahmed I. glaubte, stellte die Verbindung zum #Lübcke-Komplex her. Nun hat das Gericht seine Hoffnung zerstört, die Aufklärung & Ahndung des versuchten Mordes sei doch noch möglich…“ Aus dem Thread von NSU-Komplex auflösen vom 28.1.21 externer Link
    • Siehe auch: Der Mord an Walter Lübcke und der NSU 2.0: Sind Mitarbeiter*innen deutscher Sicherheitsbehörden Teil eines Naziterror-Netzwerkes? externer Link bei EntnazifizierungJETZT
    • Rechter Terror: lnterview zum Lübcke-Urteil mit Caro Keller, NSU-Watch vom 28.1.21 beim Dlf externer Link Audio Datei
    • AfD stellt Neonazi & Gefährten des Lübcke-Mörders als Kandidaten zur Kommunalwahl auf
      Im März 2021 finden in Kassel Kommunalwahlen statt. Um gewählt werden zu können, müssen Parteien und Wähler:innengemeinschaften im Vorfeld mit genügend zeitlichem Vorlauf Kandidat:innen aufstellen und wählen und ggf. – sofern sie noch nicht im Stadtrat vertreten sind – Unterstützungsunterschriften sammeln. Auch die Alternative für Deutschland im Landkreis Kassel (AfD Kassel) hielt im Januar 2021 eine sogenannte Aufstellungsversammlung ab. Und nominierte dort für Listenplatz 15 das AfD-Mitglied Christian Wenzel. Die Aufstellung wurde am 22.01.2021 öffentlich bekannt gegeben. Zumindest zu dem Zeitpunkt war er noch Mitglied der AfD. Denn er hatte nicht angegeben, dass er Mitglied des rechtsextremen Netzwerks „Blood & Honour“ war (bis zum Zeitpunkt des Verbots des Netzwerks). (…) Wer ist nun aber Christian Wenzel genau? Neben seiner Zugehörigkeit zum rechtsextremen Netzwerk „Blood & Honour“ (bis zum Verbotszeitpunkt 2000) gilt Wenzel nach Recherchen des Journalisten Joachim Tornau und der Recherchearbeit des „task“-Kollektivs Kassel zu einem engen Weggefährten von Stephan E. (Presseerklärung Kollektiv task). Stephan E. ist der Mörder von Walter Lübcke. Dem ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten, der auf der Terrasse seines Hauses aus nächster Nähe durch Kopfschuss ermordet wurde. Stephan E. bekannte sich ebenfalls zum rechtsextremen Spektrum und gestand die Tat. Zudem hat er die AfD in vergangenen Wahlkämpfen unterstützt und nahm auch an wöchentlichen Stammtischen teil. Christian Wenzel beließ es nicht bei seiner Mitgliedschaft im rechtsextremen “Blood & Honour”-Netzwerk, er gründete nach einem Bericht der hessenschau auch die rechtsextreme „Kameradschaft Kassel“ und pflegte Kontakte zur thüringischen Neonazi-Szene. Vor dem NSU-Untersuchungsausschuss im dortigen Landtag sagte er zudem als Zeuge aus…“ Bericht von Gordana Rammert vom 28. Januar 2021 bei den Volksverpetzern externer Link
  • „Nichts aus dem NSU gelernt!“ – Morgen fällt das Urteil im Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I.
    Nach sieben Monaten fällt morgen, am 28. Januar 2021, das Urteil im Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Mordversuch an Ahmed I. Im Rückblick auf den Prozess in Frankfurt sagt Caro Keller von der unabhängigen Beobachtungsstelle NSU-Watch: „Weder die Anklage noch der Senat hatten ein Interesse daran, die Taten vollständig aufzuklären. Das Milieu, das die Taten unterstützte, bleibt unaufgedeckt und damit gefährlich. Hier passieren die gleichen Fehler wie im NSU-Prozess.“ Die Aufklärungsarbeit in den Monaten nach dem Mord an Walter Lübcke zeigte, dass dieser Mord hätte verhindert werden können: „Hätten die Ermittelnden Ahmed I. nach dem Mordversuch gegen ihn geglaubt hätten sie richtig ermittelt und nicht vor allem im Umfeld des Betroffenen – Stephan Ernst hätte am 1. Juni 2019 wohl in Haft gesessen. Bei der Aufklärung rechter Taten geht es immer auch darum, dass dadurch weitere Taten verhindert werden müssen.“ Das Urteil im Prozess zum Mord an Walter Lübcke und zum Angriff auf Ahmed I. morgen darf und wird kein Schlussstrich unter die Aufklärung sein. Antifaschist*innen und Antirassist*innen haben in den letzten Jahren gezeigt, dass es möglich ist, Lehren aus dem NSU-Komplex und aus der Kontinuität rechten Terrors zu ziehen, anstatt einfach weiter zu machen wie bisher: „Wir klären auf und stehen solidarisch zusammen gegen rechte Gewalt.“…“ Statement vom 27. Januar 2021 von und bei NSU Watch externer Link
  • Lübcke-Prozess: Rechte Polemik statt eines Plädoyers
    Am letzten Prozesstag vor dem Urteil plädierten die Verteidiger des Mitangeklagten Markus H. Beide taten, was man von rechten Szeneanwälten erwarten darf…“ Bericht von Danijel Majić vom 26.01.21 im Blog von hessenschau.de externer Link
  • Kundgebung am 28.01.2021 in Kassel: Solidarität mit Ahmed I. und der Familie Lübcke
    Am kommenden Donnerstag, den 28.01.2021, wird das Urteil im Prozess wegen des Mordes an Walter Lübcke und des Mordversuchs an Ahmed I. verkündet. In Solidarität mit allen Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt wird es um 15h an den Rathaustreppen in Kassel eine Kundgebung geben. Kommt dort hin und zeigt unter den aktuellen Hygienevorschriften eure Solidarität! Besonders bitter an diesem Tag ist, dass Ernst vorraussichtlich nicht wegen des Anschlags auf Ahmed I. verurteilt wird. Die Beweislage ist vor allem dünn, weil die Polizei schlecht ermittelte und das Gericht Ahmeds Aussagen nicht ernst nahm. Wir können uns bei der Aufklärung rechter und rassistischer Taten nicht auf den Staat verlassen. Das wissen wir schon lang…“ Aufruf vom 25. Januar 2021 bei der Initiative 6. April externer Link
  • Lübcke-Mord: Kontakte zu NSU-Umfeld weitreichender als bisher angenommen 
    „Der geständige Mörder des Kasseler CDU-Politikers Walter Lübcke ist nicht nur ein langjähriger Gewalttäter und Rechtsextremist, er hatte auch persönliche Bekanntschaften im NSU-Umfeld. Zudem gab es auffällige Verbindungen zu Personen rund um den NSU-Mord in Kassel, wie interne Dokumente zeigen. (…) Martina Renner, stellvertretende Vorsitzende der Linken und ehemalige Obfrau in NSU-Untersuchungsausschüssen, stellt regelmäßig Anfragen an die Bundesregierung zu Straf- und Gewalttaten mit NSU-Bezug. Die Bundestagsabgeordnete kommt zu dem Ergebnis, dass der NSU auch heute noch ein „wichtiger ideologischer Bezugspunkt“ für die extreme Rechte ist. „Man bezieht sich bei konkreten Straftaten und Gewalttaten als Referenz auf den NSU“, sagt sie. Der hessische Verfassungsschutz hat eine eindeutige Position. Das Amt konnte bisher auch mit einer eigens eingerichteten sogenannten Sonderauswertungsgruppe „keine NSU-Bezüge der Angeklagten“ feststellen, wie der Verfassungsschutz bereits 2019 bekannt gegeben hatte. (…) CORRECTIV-Recherchen ergeben jetzt ein anderes Bild. CORRECTIV sichtete dutzende, teils geheime Dokumente und Vernehmungsprotokolle sowie Fotos und Recherchen anderer Medien. Sie zeigen in der Zusammenschau: Ernst und auch H. bewegten sich offenbar näher als bisher angenommen im Umfeld der terroristischen Vereinigung. Das beginnt bei den persönlichen Bekanntschaften von Ernst mit vier Rechtsextremisten, die von der Bundesanwaltschaft als wichtigste Personen in den Ermittlungen zum NSU-Komplex eingestuft wurden. Sie alle stehen auf einer entsprechenden Liste der Bundesanwaltschaft, die CORRECTIV vorliegt und neben dem NSU-Kerntrio insgesamt 35 Personen umfasst, darunter die engsten und teils später verurteilten Unterstützer des Trios. (…) Während der NSU in den 2000er-Jahren Anschlagsziele auskundschaftet, Sprengstoffanschläge verübt und mordet, sammelt auch Stephan Ernst Informationen über seine verhassten Feinde und notiert sie als „potenzielle Anschlagsziele“, wie die Bundesanwaltschaft in der Anklageschrift, die CORRECTIV vorliegt, festhält.  Beim NSU tauchte unter den potenziellen Anschlagszielen auch der Name Walter Lübckes auf, den Ernst Jahre später ermordet. Die NSU-Terroristen notierten sich aber für Kassel neben weiteren Adressen auch die der lokalen Jüdischen Gemeinde. Genau zu dieser Adresse besaß auch Stephan Ernst Notizen, die auf das Ausspähen der Synagoge der Gemeinde hindeuten. Ermittler fanden die Notizen, neben Informationen zu rund 60 weiteren Namen und Institutionen, auf einem verschlüsselten USB-Stick, der bei Ernst sichergestellt wurde…“ Beitrag von Nathan Niedermeier vom 14. Januar 2021 bei CORRECTIV externer Link
  • Korrektur als Zeichen der Stärke: Die Nebenklage im Lübcke-Prozess geht von Mittäterschaft von Markus H. aus 
    „Er spricht sie direkt an: die Richterinnen und Richter, den Oberstaatsanwalt, den Hauptangeklagten. Allein über Markus H., der fast ununterbrochen »grinst«, den Mitangeklagten im Mordfall Walter Lübcke, spricht Holger Matt, Vertreter der Familie des Toten, in der dritten Person. Es ist der erste Verhandlungstermin im neuen Jahr. Er beginnt mit den Plädoyers der Nebenklage. (…) Matt will das Gericht von H.s Mittäterschaft überzeugen. Wichtig ist dafür, das Gericht auch von Stephan Ernsts Glaubwürdigkeit zu überzeugen. Nachdem dieser drei verschiedene Geständnisse abgelegt hatte – erst war er alleine Täter, dann sollte Markus H. Lübcke ermordet haben, schließlich war es doch Ernst, aber H. war nun mit vor Ort -, gab es Zweifel am Wahrheitsgehalt irgendwelcher Aussagen. Doch für Matt war offensichtlich: Auch wenn Ernst vor Beginn des Prozesses, teils unter Einfluss früherer Anwälte, falsche Aussagen gemacht hatte – im Gericht sagte er »nach bestem Wissen und Gewissen« die Wahrheit. Deswegen sagte er auch in seinem dritten Geständnis die Wahrheit, als er H. beschuldigte, mit ihm am Wohnort von Lübcke gewesen zu sein. Diese Zeugenaussage sei »untechnisch gesprochen« ein Beweis, dass es sich so zugetragen habe, sagt Matt. Dies werde von vielen Indizien bestätigt. Insgesamt 30 zählt Matt in seinem Plädoyer auf. Das wichtigste sei die am Hemd von Lübcke gefundene DNA von Ernst. Dass Ernst sein Opfer angefasst habe, sei nur dadurch zu erklären, dass es einen zweiten Täter vor Ort gab. Ernst hatte ausgesagt, dass H. Lübcke angesprochen hatte, dieser sich daraufhin aus dem Stuhl erheben wollte, woraufhin Ernst ihn zurückdrückte. Ein weiteres Indiz sei das Einschussloch. Lübcke schaute weg von Ernst, möglicherweise in Richtung von H., als Ernst ihn »von der Seite heimtückisch ermordete«, so Matt. Er wies noch auf die Position von Tisch und Stühlen hin. Ernst habe später ausgesagt, den Tisch, aber keinen zweiten Stuhl wahrgenommen zu haben. Das erkläre sich so, dass Ernst – anders als in der Alleintäterthese des Gerichts angenommen – über den Tisch hinweg geschossen habe, der Stuhl aber nicht in seinem Blickwinkel war. Beides erkenne man, verabschiede man sich von der These, nur ein Täter sei vor Ort gewesen. Matt kritisierte, dass weder Tisch noch Stühle auf Schmauchspuren untersucht worden seien. Schließlich forderte er eine lebenslange Freiheitsstrafe und die Anerkennung einer besonderen Schwere der Schuld beider Angeklagten. (…) Der Prozess wird am 14. Januar mit dem Plädoyer der Verteidigung von Ernst fortgesetzt. Am 26. Januar wird das Urteil erwartet.“ Artikel von Johanna Treblin vom 12. Januar 2021 bei neues Deutschland online externer Link
  • Lübcke-Prozess: Ein Täter oder zwei oder mehr? 
    „… Der Angeklagte Stephan Ernst hat am 3. Dezember im Prozess zum Mord an Walter Lübcke erneut ausgesagt und dabei sich sowie den Mitangeklagten Markus H. mit neuen Details schwer belastet. Das Gericht erklärte in der Folge, dass sich nun ein ganzer Katalog von weiteren Fragen stelle, die es zu klären gelte. Und während Markus H. vor kurzem aus der Untersuchungshaft entlassen wurde, weil das Gericht Zweifel hat, ob er überhaupt von der bevorstehenden Tat wusste, geschweige denn dabei war, rückt nun die Aussage eines Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof (BGH) den zweiten Angeklagten wieder in den Fokus. Hat es noch weitere Täter gegeben? Vor wenigen Wochen war sich das Gericht sicher, noch im Dezember sein Urteil verkünden zu können. Nach den jüngsten Entwicklungen wird der Prozess bis in Jahr 2021 hinein andauern. Damit verzögert sich auch die Arbeitsaufnahme des Untersuchungsausschusses im hessischen Landtag zum Mordfall Lübcke und den Verflechtungen mit dem NSU-Komplex. Denn erst nach Ende des Prozesses bekommt das Parlament die Akten zu dem Fall. (…) Niemand im Saal konnte ahnen, dass die Frage, ob es mehr als zwei Täter gab, kurz danach erneut aufkam, wenn auch aus anderer Richtung. Sie kam vom 48-jährigen Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof (BGH), Marc Wenske, der als Zeuge geladen war. Wenske hatte am 27. Juni 2019 den Haftbefehl gegen Markus H. und Elmar J. verkündet und darüber hinaus am 8. Januar 2020 die richterliche Vernehmung mit Stephan Ernst durchgeführt. Der Haftantrag der Bundesanwaltschaft für H. lautete „Verdacht auf Beihilfe zum Mord“. Als der BGH-Richter diesen Beschluss dem Beschuldigte verkündete, habe der nachgefragt: „Nur Beihilfe zum Mord?“ Und als Wenske das bestätigte, habe H. weitergefragt: „Was ist mit Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung?“ Das verneinte Wenske. Der Richter fand die Nachfrage aber derart auffällig, dass er später für sich einen Vermerk anfertigte. Für eine terroristische Vereinigung muss es mindestens drei Mitglieder geben. H. werde das gewusst haben. Gibt es also einen Hintergrund für dessen Nachfrage? Im Haftbefehl waren zunächst tatsächlich drei Beschuldigte aufgeführt: Stephan Ernst, Markus H. und der Waffenhändler Elmar J. Über J. soll H. die Tatwaffe erhalten haben, die der dann an Ernst weitergegeben haben soll. Der Haftbefehl gegen J. wurde am 15. Januar 2020 durch den BGH wieder aufgehoben und das Verfahren abgetrennt. J. wird gesondert verfolgt. Damit fehlt aber die für eine terroristische Vereinigung notwendige Mindestanzahl an Mitgliedern. Für den Ermittlungsrichter, der, wie er selber sagte, Erfahrungen mit der Verkündung von Haftbefehlen und den Reaktionen von Beschuldigten hat, war das Verhalten von Markus H. an jenem 27. Juni 2019 ungewöhnlich. Das setzte sich im weiteren Verlauf der Amtshandlung fort. Weil der Haftbefehl unter anderem mit Fluchtgefahr begründet wurde, habe ihn H. an der Stelle unterbrochen und gesagt: Das würde doch gar keinen Sinn machen. Wenn er so gefährlich sei, warum sei dann erst vor wenigen Monaten sein Waffenschein verlängert worden. Er sei dabei vom Verfassungsschutz befragt worden und da habe es keine Einwände gegeben. Außerdem arbeite er ja in einem Rüstungsbetrieb und sei überprüft. Als Richter Wenske nachgefragt habe, woher er wisse, dass der Verfassungsschutz in der Sache Waffenschein involviert gewesen sei, habe H. entgegnet: Das sei doch immer so. Eine derartige Abgeklärtheit, mit der H. ihm gegenübergetreten sei, habe er noch nicht erlebt, so Marc Wenske, der Beschuldigte sei voll fokussiert gewesen. Vor allem die eine Frage ließ den BGH-Richter nicht los: Wie ist H. auf den Gedanken der terroristischen Vereinigung gekommen? Welches Wissen hat er? Gab es möglicherweise mehr als zwei Beteiligte? Doch wenn dem so wäre: Hieße das, dass der Angeklagte Ernst hier die Unwahrheit sagt, wenn er nur sich und H. als Täter benennt – oder kann es sein, dass er den vollständigen Hintergrund selber gar nicht kennt?…“ Beitrag von Thomas Moser vom 8. Dezember 2020 bei Telepolis externer Link
  • Der Mordfall Lübcke und die ungeklärte Rolle des Angeklagten Markus H. 
    Im Staatsschutzverfahren vor dem Oberlandesgericht Frankfurt/M. fällt eine Ungleichgewichtung zwischen den beiden Angeklagten auf – Urteil am 1. Dezember 2020? Im Prozess um die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke kam Ende Oktober ein Asservat zur Sprache, das Fragen aufwirft und das für den ungeklärten Hintergrund des Falles stehen könnte. Eine Fotografie, aufgenommen am 18. Juni 2011 bei einer Sonnwendfeier von Neonazis vor einer Burgruine in Thüringen. Auf dem Bild ist der Angeklagte Stephan Ernst (46 Jahre alt) zu sehen. Das Foto ist jedoch Teil der Akte zum zweiten Angeklagten Markus H. (44). Er kann unter den Teilnehmern allerdings nicht verifiziert werden. Agierte er etwa aus dem Off, sprich: hinter der Kamera? Das Foto wurde dem Landeskriminalamt (LKA) Hessen vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen zur Verfügung gestellt. Von dort stamme auch die Information über das Datum der Veranstaltung. Mehr konnte und durfte der befragte Zeuge, ein Kriminalbeamter des hessischen LKA, zu dem Asservat nicht sagen – es ist Verschlusssache. (…) Zum wiederholten Mal führen Verfassungsschutz-Spuren zu Markus H. Auffällig ist, dass der eine etwas andere Behandlung erfährt als der Hauptangeklagte Stephan Ernst. Und das obwohl Ernst den Angeklagten H. schwer belastet. Ernst hat gestanden, Walter Lübcke in der Nacht von 1. auf 2. Juni 2019 auf dessen Terrasse mit einem Schuss in den Kopf getötet zu haben. Zugleich sagte er aus, H. sei bei der Tat dabei gewesen, habe das Zeichen zum Angriff gegeben und das Opfer im entscheidenden Moment abgelenkt. (…) Wenn stimmt, was er sagt, wäre Markus H. ein Mittäter. Angeklagt ist er allerdings nur der geringer schwereren Beihilfe. Nach Ansicht der Anklagebehörde Bundesanwaltschaft war H. weder bei der Tat dabei noch am Tatort, noch sei er in den Anschlagsplan eingeweiht gewesen. Er habe Ernst lediglich in seinem Tatentschluss bestärkt. Der Unterschied zwischen beiden Angeklagten ist nicht nur das Geständnis von Ernst, sondern eine DNA-Spur, die der am Mordopfer hinterlassen hat. Die Familie Lübcke glaubt den Angaben des Angeklagten Ernst. Doch während man erwartete, dass die Anklage für Markus H. auf „Mittäterschaft“ erweitert wird, geschah das genaue Gegenteil. Am 1. Oktober 2020 erklärte der Staatsschutzsenat, er sehe selbst für „Beihilfe“ keinen dringenden Tatverdacht mehr und hob den Haftbefehl gegen H. auf. Die Richter bezweifeln die Richtigkeit und Glaubhaftigkeit von Ernsts Angaben zu H. (…)Sprecher und Anwalt der Familie Lübcke erklärten, die Haftentlassung von H. sei für die Familie „schwer erträglich“. Sie gingen davon aus, dass beide Angeklagte die Tat „gemeinsam geplant und gemeinsam ausgeführt“ haben. Und während die Nebenklage die Verhandlungsführung des Gerichtes trotzdem als „fair und professionell“ bezeichnet, konnte man im Prozess Intoleranzen des Vorsitzenden Richters gegenüber dem Anwalt der Familie Lübcke beobachten. So forderte Thomas Sagebiel Holger Matt auf, mit seinen Fragen doch „zügig zu Ende“ zu kommen, was der zurückwies. (…)Was das Gericht nicht aufklären kann oder will, so das politische Umfeld des Mordes und seine Hintergründe, könnte aber der parlamentarische Untersuchungsausschuss zum Mordfall Lübcke externer Link, der bereits im Juni 2020 vom Landtag in Wiesbaden eingesetzt externer Link wurde. Mit der eigentlichen Arbeit konnte das Gremium aber noch nicht beginnen, denn erst nach Ende der Hauptverhandlung gegen Stephan Ernst und Markus H. will das Gericht die Ermittlungsakten dem Parlament überlassen. Doch auch der Generalbundesanwalt sperre sich, so Hermann Schaus, Obmann der Linksfraktion in dem Gremium, selbst alte NSU-Akten für den Ausschuss herauszugeben…“ Artikel von Thomas Moser vom 04. November 2020 bei telepolis externer Link
  • Mordprozess im Fall Lübcke: Nebenkläger Ahmed I. sagt aus 
    Der mutmaßliche Lübcke-Mörder Stephan Ernst soll einen 27-jährigen Iraker bei einer Messerattacke schwer verletzt haben. Ahmed I. hat den Angriff nur knapp überlebt. Im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke soll Ahmed I. am kommenden Donnerstag, 29. Oktober 2020, aussagen. Denn die Bundesanwaltschaft beschuldigt Ernst, auch für die Messerattacke gegen Ahmed I. verantwortlich zu sein. Mit „Frontal 21“ und „Zeit Online“ spricht er nun erstmals über das Attentat.“ Video (4 min) des Beitrags von Arndt Ginzel aus Frontal 21 vom 27. Oktober 2020 beim ZDF externer Link (Video verfügbar bis 27.10.2021)
  • Plötzliche Amnesie: Im Lübcke-Mordprozess sagte erstmals ein Neonazi-Freund der Angeklagten aus 
    „… Immer wieder Chemnitz. Alexander S., ehemals führender Aktivist der gewalttätigen Freien Kräfte Schwalm-Eder (FKSE), hat am Donnerstag im Gerichtsprozess um den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke als Zeuge ausgesagt. Einsilbig, mit vielen »Kann ich nicht genau sagen«, »Ich erinnere mich nicht« und »Weiß ich nicht mehr« sowie der Beteuerung, seit 2014 nicht mehr in der rechten Szene aktiv zu sein. Sogar seine politische Einstellung will er geändert haben: »Ich kann mit der Ideologie nichts mehr anfangen.« Obwohl er dann doch erklärte, auch danach noch auf AfD-Veranstaltungen gewesen zu sein, unter anderem 2018 in Chemnitz. Es ist der 23. Verhandlungstag gegen Stephan Ernst, der des Mordes, und Markus H., der der psychischen Beihilfe am Mord an Walter Lübcke angeklagt ist. H. wurde vor Kurzem aus der Untersuchungshaft entlassen, auf der Anklagebank sitzt er weiterhin. Das Oberlandesgericht geht einer Pressemitteilung zufolge von einem Ende des Prozesses im Dezember aus – die wichtigsten geladenen Zeugen sind gehört, kürzlich hat sich der Senat verstärkt der zweiten Anklage zugewandt: Ernst soll 2016 einem irakischen Flüchtling ein Messer in den Rücken gerammt haben. Ahmad I. leidet noch heute unter den Verletzungen. Er sitzt als Nebenkläger im Prozess und soll am 29. Oktober in den Zeugenstand treten. Der Wahrheit viel näher ist man nicht: Ernst hat zwei Geständnisse widerrufen, ein drittes abgelegt, und nicht nur er hat sich damit unglaubwürdig gemacht, auch mehrere Zeugen widersprachen sich selbst oder ließen sich bei Lügen ertappen. (…) Der Prozess wird am 27. Oktober fortgesetzt. Es ist ein Polizeibeamter geladen. Am 29. Oktober soll Ahmad I. aussagen. Die Initiative 6. April ruft zu solidarischer Prozessbeobachtung und mittags zu einer Kundgebung vor der Generalbundesanwaltschaft auf.“ Beitrag von Johanna Treblin bei neues Deutschland vom 24. Oktober 2020 externer Link
  • Lübcke-Prozess: „Es ging in die Richtung Prepperszene und Uniter“ 
    „… Im Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt/M. hat Stephan Ernst, der geständige mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, am jüngsten Verhandlungstag die Fragen der Familie des Ermordeten beantwortet. Dabei machte er deutlich, dass die Tat aus seinem rechtsradikalen Hintergrund heraus geschah. Zugleich beschuldigte er erneut den Mitangeklagten Markus H., er sei dabei gewesen. H. bestreitet das. Seine Rolle ist nach wie vor unklar. Das bezieht auch den Verfassungsschutz mit ein. Das hessische Landesamt (LfV) soll in der Vergangenheit mindestens zwei Mal versucht haben, H. als Informanten anzuwerben. Der soll genauso oft abgelehnt haben. Die Bundesanwaltschaft hat H. nicht der Mittäterschaft angeklagt, sondern nur der geringeren Beihilfe. (…) Während Ernst den Mitangeklagten H. belastet, hält die Bundesanwaltschaft dessen Beitrag klein. Für sie war Markus H. weder an der Tat beteiligt noch am Tatort noch in den Anschlagsplan eingeweiht. Er habe Ernst lediglich in seinem Beschluss bestärkt. Das wird gerne „psychische Beihilfe“ genannt. Außer der Bezichtigung H.s durch Ernst gibt es bisher keine festen Sachbeweise für dessen Mittäterschaft. Zugleich grenzt die Anklagebehörde den gesamten Anschlagskomplex auf die beiden Männer ein. Helfer oder Mitwisser werden bisher keine genannt. (…) Markus H. schweigt bisher. Es kann aber auch vorkommen, dass er sich plötzlich ungefragt und ohne Absprache mit seinen beiden Anwälten selber zu Wort meldet. Beispielsweise als eine Kriminalbeamtin des Landeskriminalamtes (LKA) Hessen, die mit der Auswertung von H.s Asservaten (Telefon, Tablets, Computer) befasst war, als Zeugin erwähnt, dass sich unter den gelöschten Dateien eine Pdf-Datei von Hitlers Buch „Mein Kampf“ befand. (…) Die LKA-Beamtin hatte in ihrem Auswertebericht unter anderem auch festgehalten, H. habe sich mit dem Verfassungsschutz in Hessen beschäftigt. Wie und warum, konnte sie nicht sagen. Auf Nachfragen des Gerichtes bestätigte sie dann, es habe sich dabei um den hessischen Verfassungsschutzbericht von 2011 gehandelt.“ Beitrag von Thomas Moser vom 22. August 2020 bei Telepolis externer Link mit ausführlicher und wörtlicher Wiedergabe der Befragung durch die Nebenkläger, bei der Stephan Ernst auch seine Motive für den Mord darlegt
  • Das Netzwerk: Walter Lübcke ist tot – viele Finger waren am Abzug 
    „Wie umfassend ist das Neonazi-Netzwerk von Stephan Ernst und Markus H., und wie weit war es in den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke involviert? Diese Frage treibt seit dem Tod des CDU-Politikers im Juni 2019 viele um. Die Bundesanwaltschaft will bis heute bei mutmaßlichen Tätern keine Terrorvereinigung erkennen. Diese müsste aus mindestens drei Personen bestehen – angeklagt sind aber nur Ernst als Haupttäter sowie H. als Unterstützer. Während sich die Sicherheitsbehörden zu möglichen weiteren Involvierten verhalten äußern, weisen Antifaschisten schon seit Langem auf die engen Verbindungen der Angeklagten zur militanten hessischen Neonaziszene hin – wie auch zu zahlreichen Verbindungen in den NSU-Komplex. Nur scheibchenweise werden seit dem Mord neue Informationen bekannt, oftmals durch investigative Recherchen und meist gegen die Informationsblockade der Sicherheitsbehörden. »nd« fasst im Folgenden die aktuellen Erkenntnisse zu den wichtigsten Personen aus dem Netzwerk von Ernst und H. zusammen. Die Fakten stammen unter anderem aus eigenen nd-Aufzeichnungen aus der Gerichtsverhandlung um den Mord an Walter Lübcke, von Erkenntnissen anderer investigativer Journalisten, den akribischen Recherchen der Gruppe Exif und anderer Antifaschisten, von der hessischen Linksfraktion sowie aus den diversen Untersuchungsausschüssen zum NSU in Bund und Ländern…“ Beitrag von Johanna Treblin und Sebastian Bähr bei neues Deutschland vom 15. August 2020 externer Link
  • [Materialsammlung zum Prozessbeginn] Da waren es nur noch Zwei: Der Unterschied im „historischen Prozess“ um den Mord an Walter Lübcke zum „historischen Prozess“ gegen die NSU-Bande 
    Dass der Prozess um den Mord an Walter Lübcke ein historischer Prozess sei – das ist in den Tagen rund um seine Eröffnung am 16. Juni 2020 sehr oft zu lesen gewesen, ungefähr so oft wie damals, als der NSU-Prozess begann. Der wesentliche Unterschied ist natürlich, dass mit dem Mord an Walter Lübcke dem einen oder der anderen, die Ämter innehaben, deutlich wurde, dass Nazi-Terror in der BRD auch sie treffen könnte, ein weiterer Grund für die Aufrüstung der Polizei. Kein Unterschied ist es, dass die Frage der Zusammenhänge, Umfelder und Beförderung der Tat außen vor bleiben sollen: „Es waren drei“ war der Kurs bei NSU, „es sind zwei“ ist es jetzt. Und auch ansonsten gibt es wesentliche Gemeinsamkeiten: Eine Vereinigung, die sofort aufgelöst werden sollte, hat einmal mehr ihre nicht nur schmutzigen Finger im Spiel. Die keinesfalls gewagte Prognose ist, dass einmal mehr die nicht dubiose, sondern eindeutige Rolle des Verfassungsschutzes kein Thema sein wird – so wenig, wie bei NSU die Aktivitäten ihrer V-Leute zum Thema werden sollten, so wenig wird jetzt ihre Unterschlagung der Akten über die mutmaßlichen Täter zum Thema werden, die denen die Bewaffnung ermöglichte.  Nicht zufällig beginnt daher unsere kleine aktuelle Materialsammlung zum Prozessbeginn vom 18. Juni 2020 mit der Erklärung, dass es eben keine „zwei Einzeltäter“ waren…

    • „Keine Einzeltäter“ am 16. Juni 2020 beim Tribunal NSU-Komplex-Auflösen externer Link (Facebook) ist eine Erklärung zum Prozessauftakt, in der hervor gehoben wird: „… Das milde Urteil im NSU-Prozess in München wurde von den Neonazis in ganz Deutschland als Ermutigung verstanden, weiter zu morden: Lübcke, Halle, Hanau folgten. Fanale des Rassismus und Antisemitismus. Das Morden wird erst aufhören, wenn der strukturell in die Institutionen eingelassene Rassismus aufgelöst wird: in Polizeibehörden, in Gerichten, in Amtsstuben und der Politik. Tribunal-Pressesprecher Tim Klodzko erklärt dazu: „Die Diskussion um institutionellen Rassismus in den USA muss ebenso für Deutschland geführt werden. Würde der Verfassungsschutz nicht seine schützende Hand über Neonazis halten, würden Gerichte diese V-Leute nicht straffrei davonkommen lassen und würde die Polizei und Bundeswehr sich allein ihrer offenkundigen Rassist*innen entledigen, dann könnten viele Menschen heute noch leben. Rassistische Gewalt ist tödlich und sie hat eine institutionelle Vorgeschichte. Was wir jetzt benötigen, ist eine Entnazifizierung auf allen Ebenen.“ Kleiner Tipp für eine beginnende Aufarbeitung: aus einer Frankfurter Polizeiwache wurde im Namen eines „NSU 2.0“ Drohbriefe u.a. gegen die Opferanwältin Seda Başay-Yıldız verschickt: eine einzige Suspendierung in der Folge scheint ein Bauernopfer statt echter Aufklärung. Weder Hartmann noch Ernst noch der mutmaßliche Waffenlieferant Elmar Johannwerner waren Unbekannte oder Einzeltäter. Im Gegenteil waren sie eingebettet in ein neonazistisches Umfeld (erfahrt mehr dazu in unserem Hintergrundpapier „Der Mordfall Lübcke und der NSU-Komplex“), das vom Verfassungsschutz beschützt wird. In der letzten Woche wurde bekannt, dass der hessische Verfassungsschutz die rechtsextreme Vergangenheit von Hartmann der zuständigen Waffenbehörde nicht meldete: der Nazi konnte folglich legal eine Waffe besitzen. Wer da noch von einer Panne spricht, der verharmlost die Verstrickung des Geheimdienstes mit der neonazistischen Szene. Auch die Liste bekannter Straftaten von Ernst und Hartmann ist so lang, wie das Gedächtnis der Staatsanwaltschaften kurz ist. Nur ein Beispiel: Ernst wird in diesem Prozess auch wegen eines Messerangriffes auf den Refugee Ahmad E. 2016 in Lohfelden angeklagt. Er wohnte seit kurzem in der sogenannten Erstaufnahmestelle in Lohfelden und war aus dem Irak geflüchtet, zu dem Zeitpunkt war er 22 Jahre alt. Auf der Intensivstation behandelt, überlebte Ahmad die Verletzungen und behielt schlimme Schäden. Nach dem Mord an Lübcke fanden Ermittler ein Klappmesser bei Stephan Ernst mit den DNA-Spuren von Ahmad E…“
    • „HINTERGRUNDPAPIER: Der Mordfall Lübcke und der NSU-Komplex“ im Juni 2020 ebenfalls beim Tribunal NSU-Komplex-Auflösen externer Link hält einleitende Parallelen fest: „… Der Mord an Lübcke im Juni 2019 wurde in der Tatbegehung im Modus Operandi des NSU begangen: Die Mörder schlichen sich an das arglose Opfer an, und der Kopfschuss wurde ohne Interaktion mit ihm aus nächster Nähe abgegeben. Es gab keine formale Bekennung zur Tat. Der Mord wurde sofort von der rechten Szene verstanden und im Netz sowie auf PEGIDA-Veranstaltungen gefeiert. Auf einer unmittelbar nach dem Mord anberaumten Pressekonferenz wurde von den Sicherheitsbehörden, namentlich von Generalstaatsanwalt Horst Streiff und LKA-Chefin Sabine Thurau Fragen von Journalisten über mögliche Zusammenhänge zu der seit 2015 laufenden Hetzkampagne von Rechten gegen Lübcke mit Aussagen wie: „Das kann ich nicht bestätigen (…) kein Motiv im Zusammenhang mit Flüchtlingskrise (…) kein Bezug zur jetzigen Tat“ abgewehrt. Erst durch den Abgleich mit DNA-Spuren vom Tatort konnten kurze Zeit später die seit Jahrzehnten bis in die jüngste Gegenwart in der Nazi-Szene hervorragend vernetzten Stephan Ernst (Jg. 1973) und Markus Hartmann (Jg.1976) sowie Elmar Johannwerner (Jg. 1955) als Waffenlieferant, als mutmaßliche Täter ermittelt werden. Hartmann war schon nach dem Mord an Halit Yozgat am 6. April 2006 2006 im Internet-CafeKassel von der Polizei vernommen worden, weil er die Webseite, auf welcher das BKA über die Mordserie informierte, häufig besucht. Das Internetcafe war zuvor von Corryna Goertz ausgekundschaftet worden, die schon in den 1990er Jahren auf einer Liste des LKA Thüringen neben Beate Zschäpe aufgetaucht war, in der vor „besonders gefährlichen“ Nazis in Thüringen gewarnt wurde. Obwohl Hartmann in seiner Vernehmung angibt, das Opfer zukennen, wird er zu seinem Engagement in der Naziszene nicht befragt. Auch nachdem sich der NSU im November 2011 selbst enttarnt, bleibt er von Ermittlungen verschont. (Exif v. 1.3.2020) Ernst ist tief in der Kasseler Naziszene verankert. Bei NPD-Wahlkämpfen arbeitete er mit Mike Sawallich (Jg. 1981) zusammen und bei Schlägereien tritt er dem späteren führenden Combat-18 Aktivisten Stanley Röske (Jg. 1976), auf, so zum Beispiel beim Angriff am Rande der Wehrmachtsausstellung 2003 in Neumünster und schließlich zusammen mit 400 weiteren Neonazis bei dem Angriff auf die 1. Mai-Kundgebung des DGB 2009 in Dortmund. In einem politischen Sinne nimmt der wenigstens von Ernst und Hartmann verübte Mord an Lübcke direkten Bezug sowohl zu der seit 2015 von Hartmann und Ernst gestarteten Hetzkampagne gegen den Flüchtlingshelfer Lübcke als auch zu der mündlichen Urteilsverkündung des OLG München im Juli 2018...“
    • „Ein Prozess mit historischer Dimension“ von Marius Buhl und Frank Jansen am 16. Juli 2020 im Tagesspiegel online externer Link steht hier als Beispiel für die zahlreichen Beiträge in vielen Medien, die diesen Prozess als historisch bewerteten.
    • „Mord an Walter Lübcke: Das sind die Handelnden beim Mammut-Prozess“ von Florian Hagemann und Matthias Lohr am 15. Juni 2020 in der FR online externer Link zu den Personalien unter anderem: „… Der Vorsitzende Richter: Thomas Sagebiel war schon für mehrere große Prozesse verantwortlich. 2011 leitete der Südhesse die Verhandlung gegen den islamistischen Attentäter, der ein Jahr zuvor auf dem Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten getötet hatte. Zudem war er federführend im Verfahren wegen Völkermords gegen einen ehemaligen Bürgermeister aus Ruanda. (…) Bundesanwaltschaft: Für die Bundesanwaltschaft nimmt laut „Bild am Sonntag“ Dieter Killmer am Prozess teil. Als Präsidiumsmitglied des Bundesgerichtshofs ist er für Staatsschutz- und Terrorismusstrafrecht zuständig. Vermutlich wird es noch einen zweiten Vertreter der Bundesanwaltschaft geben. (…)  Familie Lübcke: Mit der Nebenklage unterstützen Walter Lübckes Frau Irmgard Braun-Lübcke und die Söhne Christoph und Jan-Hendrik Lübcke die Klage. Das ist keine Pflicht, die Familie Lübcke hat sich aber bewusst dafür entschieden, Teil des Prozesses zu sein. In einer Mitteilung machte sie klar, dass sie sich den christlich, sozialen und demokratischen Werten, für die Walter Lübcke eingetreten sei, verpflichtet fühle. In seinem Sinn „wollen wir dafür eintreten, dass Hass und Gewalt keinen Platz in unserer Gesellschaft haben“. Zum Auftakt werden Irmgard Braun-Lübcke und die Söhne auf alle Fälle anwesend sein. Vertreten wird die Familie vom Frankfurter Rechtsanwalt Holger Matt, der in unserer Zeitung bereits angekündigt hatte, alles dafür zu tun, die Ziele der Nebenklage zu erreichen: „vollständige Aufklärung der Tat, Verurteilung der Schuldigen“…“
    • „Blockieren und schweigen“ von Claudia Wangerin am 17. Juni 2020 in der jungen welt externer Link zu Auftakt – und weiterem „handelnden Personal“: „… Ernst hatte im Juni 2019 den Mord an Lübcke gestanden, seine Aussage aber kurz darauf widerrufen und behauptet, Hartmann habe die Pistole in der Hand gehabt, als sich der tödliche Schuss auf der Terrasse des CDU-Politikers gelöst habe. Vor Gericht will Ernst zunächst schweigen. Die Bundesanwaltschaft hält ihn weiter für den Haupttäter – Hartmann wird Beihilfe zum Mord vorgeworfen. Ernsts Anwälte beantragten am Dienstag sowohl die Abberufung des Vorsitzenden Richters Thomas Sage­biel als auch die Entpflichtung von Hartmanns Koverteidigerin Nicole Schneiders, die aus ihrer Sicht einen gefährlichen Wissensvorsprung hat. Die Ex-NPD-Funktionärin, die im Münchner NSU-Prozess Ralf Wohlleben verteidigt hatte, vertritt nun in einem weiteren Verfahren Ernsts früheren Anwalt Dirk Waldschmidt, der Ernst zum Geständnis geraten haben soll. Nach Ernsts Strategiewechsel meinten seine neuen Rechtsbeistände Frank Hannig und Mustafa Kaplan, Richter Sagebiel dürfe Schneiders nicht dem Mitangeklagten Hartmann als Anwältin beiordnen, da sie durch Waldschmidt an sensibles Verteidigerwissen über Ernst kommen könne. Mit ihrer Beiordnung gebe der Richter Anlass zur Besorgnis der Befangenheit, argumentierte Kaplan nach Berichten des Hessischen Rundfunks (HR), der einen der 19 Journalistenplätze im Gerichtssaal besetzen konnte. Der Zugang war wegen der Coronapandemie eingeschränkt, nur 40 von mehr als 200 akkreditierten Reportern konnten in einem weiteren Saal einer Tonübertragung folgen – was Hannig zum Anlass nahm, die Aussetzung des Verfahrens zu beantragen. Weder sei der Gesundheitsschutz gewährleistet noch eine angemessene Öffentlichkeit, erklärte er…“
    • „Verfassungsschutzpanne im Fall Lübcke“ von Julian Feldmann, Nino Seidel und Robert Bongen am 11. Juni 2020 in tagesschau.de externer Link wiederum ist leider ebenfalls ein Beitrag, der hier nur als Beispiel steht: Dafür, wie schon wieder das Agieren des VS als „Panne“ schön geredet wird. Der gefährliche Verein heißt zwar noch nicht Pannen-VS, es wird ihm aber gut geschrieben: „… Die Waffenbehörde der Stadt Kassel hatte dem Neonazi Markus H. zunächst eine Waffenbesitzkarte mit Hinweis auf seine rechtsextremistischen Aktivitäten verweigert. H. klagte vor dem Verwaltungsgericht Kassel dagegen und bekam 2015 Recht. Das Gericht sah keine Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit. Hintergrund ist eine Regelung im Waffenrecht, nach der jemand nur als „unzuverlässig“ gilt, wenn er innerhalb der letzten fünf Jahre verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt hat. Dem Verwaltungsgericht Kassel lagen keine Hinweise auf eine verfassungsfeindliche Betätigung von Markus H. nach 2009 vor, sagt Gerichtssprecherin Christine Lohmann. „In den letzten fünf Jahren, in dem maßgeblichen Zeitraum, waren keine Vorfälle zu verzeichnen, und es gab keine Anhaltspunkte dafür, dass er sich irgendwie in dem rechtsextremistischen Milieu bewegt hätte“, so Lohmann. In der Verfassungsschutz-Akte von Markus H. fand sich nach Recherchen des NDR jedoch auch noch ein Eintrag aus 2011. Damals hatten die Verfassungsschützer einen rechtsextremistischen YouTube-Kanal analysiert, den sie H. zurechneten. Dort registrierten die Staatsschützer antisemitische Videos und notierten, unter H.s Freunden seien „zahlreiche Profile, die der rechtsextremistischen Szene zugeordnet werden können“. (…) Der Waffenbehörde gemeldet hatte der Verfassungsschutz nur Erkenntnisse über H. bis 2009, darunter Teilnahmen an Demonstrationen und Einträge in rechtsextremistischen Foren im Internet. Dem Gericht lagen daher keine Hinweise zum fraglichen Zeitraum zwischen 2010 und 2015 vor, sodass die Richterin dem Rechtsextremisten Markus H. das Recht auf eine Waffenbesitzkarte zuerkennen musste...“
    • „Quellenschutz ist Täterschutz“ von Sebastian Bähr am 11. Juni 2020 in neues deutschland online externer Link schreibt zwar ebenfalls von einem Versagen des VS merkt aber immerhin noch an: „… Nicht erst seit der Auseinandersetzung mit dem NSU-Komplex und der Causa Maaßen müsste klar sein, dass der Verfassungsschutz nicht nur bis ganz oben von rechtem Gedankengut durchdrungen ist, sondern auch seine Quellen über alles andere stellt. In der Konsequenz wird gelogen, vertuscht und weggeschaut, um V-Männer zu schützen. Diese sind dabei nicht selten zentrale Kader der Neonaziszene und Täter. Eine Aufklärung ihrer Rolle wird dennoch konsequent verhindert, auch wenn dadurch Ermittlungen torpediert werden. Extrem rechte Strukturen gehen daraus gestärkt hervor...“
    • „Der Lübcke-Prozess in Frankfurt“ von Wolf Wetzel am 14. Juni 2020 bei telepolis externer Link unterstreicht unter anderem zu den Verteidigungslinien für die Waffenbeschaffungs-Beschützer und gegenseitiger Hilfe: „… Der im Prozess angeklagte mutmaßliche Mörder Stephan Ernst sei, so Stephan J. Kramer, Präsident des Amts für Verfassungsschutz in Thüringen, dem Inlandsheimdienst ab dem Jahr 2009 „vom Schirm gerutscht“. Seitdem habe dieser best ausgestattete Geheimdienst keinen blassen Schimmer. Vorher kannte derselbe Verfassungsschutz (VS) den Neonazi Stephan Ernst als Kader, als „gewaltbereiten“ Neonazi, gut und fest in der Kasseler Neonaziszene verankert. Er war „polizeibekannt“, hatte eine „schwere Straftat“ begangen und hat ein „langes Vorstrafenregister“. Eine Größe in der Neonaziszene in Kassel und beim Geheimdienst, der dort unter anderem mehrere V-Leute „geführt“ hatte. Nach dem ominösen Jahr 2009 habe sich Stephan Ernst ins Private zurückgezogen und sei politisch nicht mehr in Erscheinung getreten. Wie in allen anderen Fälle auch dauerte es lange, bis diese haarsträubende Erkenntnislage des Verfassungsschutzes Risse bekam. So erfuhr man zum Beispiel, dass Stephan Ernst bereits bei dem Mord an dem Internetcafébesitzer Halit Yozgat in Kassel 2006 eine Rolle gespielt hatte. Dann durchbrach die Nachricht das geheimdienstliche Verschweigen, dass auch der V-Mann-Führer Andreas Temme mehrmals mit Stephan Ernst „befasst“ war. Jener V-Mann-Führer war nicht nur beim Mord an Halit Yozgat 2006 in Kassel anwesend. Er „führte“ auch einen Neonazi als V-Mann (Deckname Gemüse), der beste Kontakte zur Kasseler Neonazis-Szene hatte und zum NSU-Netzwerk zählt(e). Ein weiteres Foto zerstört die VS-Legende vom zurückgezogenen Familienvater… (…) Im Juni 2019 kratzten Bilder von einem konspirativen Treffen im sächsischen Mücka gewaltig am VS-getunten Bild vom Familienvater Stephan Ernst. Im März 2019 trafen sich in Mücka Neonazis, die mit dem „Rassenkrieg“ und dem „führerlosen Widerstand“ sehr viel anfangen können. Mitglieder von „Combat 18“, „Blood & Honour“, „Brigade 8“ bis „Oidoxie“ waren dort anwesend. Ein sehr exklusiver Kreis, dem nur angehört, wer sich als „Kamerad“ so richtig verdient gemacht hat. Auf einem Foto ist Stephan Ernst zu erkennen. Das bestätigte auch ein zu Rate gezogener Gutachter gegenüber dem Politmagazin Monitor. Wieder schweigt der Verfassungsschutz zu diesen Umständen. Mehr noch: Anstatt seinen Erkenntnisstand zu diesem Combat 18 Treffen öffentlich zu machen, überlässt man Neonazis die nun fällige „Entlastungsarbeit“: Neonazis, die auf diesem konspirativen Treffen anwesend waren, wollen bezeugen, dass es sich bei der abgebildeten Person nicht um Stephan Ernst handele. Man könnte auch sagen, dass Neonazis dem Verfassungsschutz aus der Patsche geholfen haben, indem sie die Familienvater-These zu retten versuchten. Aber diese Neonazis legten sich noch mehr für den Verfassungsschutz ins Zeug – was schon eine besondere Art der Paarung ist...“
    • „Neonazis im Dienst des Staates Die Verstrickung des Inlandsgeheimdienstes in rechtsextreme Szenen und Parteien sowie das Umfeld des NSU“ von Rolf Gössner in der Ausgabe 4/2019 der Zeitschrift INDES externer Link ist eine ausführliche, detaillierte und konkrete Analyse des Wirkens des VS, die unter anderem so vorgestellt wird: „… Die »Verfassungsschutz«-Behörden des Bundes und der Länder … sind Institutionen, die offen oder verdeckt Informationen u. a. über Bestrebungen gegen die »freiheitliche demokratische Grundordnung« sammeln und auswerten. Als »Frühwarnsysteme« sollen sie Regierungen und Parlamente über verfassungsfeindliche Bestrebungen frühzeitig informieren, in gewissem Maße auch Polizei und Öffentlichkeit. Das hört sich zunächst ganz sinnvoll an – doch streng genommen trägt der »Verfassungsschutz« (VS) einen irreführenden Tarnnamen, hinter dem skandalgeneigte Inlands- und Regierungsgeheimdienste des Bundes und der Länder stecken, ausgestattet mit geheimen Mitteln, Methoden und Strukturen, die gemeinhin als »anrüchig« gelten: Der VS hat die gesetzliche Befugnis, geheime Informanten, V-Leute und verdeckte Ermittler einzusetzen sowie technische Hilfsmittel für Observationen, Lausch- und Spähangriffe…“
    • „Fall Lübcke: So rief der mutmaßliche Mordhelfer andere Neonazis zu Gewalt auf“ von Joachim F. Tornau am 16. Juni 2020 bei Vice externer Link zum anderen der beiden einzigen Angeklagten VS-Schützlinge mit einigen Tatsachen, die dem VS ebenfalls „keine Erwähnung wert“ waren, und dies nicht aus Unfähigkeit: „… Anders als Stephan E., der in zwei gegensätzlichen Geständnissen erst sich zum kaltblütigen Alleintäter und dann seinen Mitangeklagten zum Todesschützen „aus Versehen“ erklärte, hat Markus H. zu den Vorwürfen bisher geschwiegen. Und viel spricht dafür, dass er das auch vor Gericht tun wird. Doch bei anderer Gelegenheit, früher, war er weitaus redseliger. Am 12. Dezember 2003 meldete sich der Neonazi im Forum der Website freier-widerstand.net an – einer Plattform, auf der sich fast 5.000 Rechtsextreme aus dem deutschsprachigen Raum tummelten. Bis die Internetseite im Jahr 2005 von antifaschistischen Hackern geknackt und alle Daten vorübergehend im Netz veröffentlicht wurden, postete Markus H. unter seinem Pseudonym „Stadtreiniger“ mehr als 300 Beiträge. Sein eingangs zitiertes Bekenntnis zur Gewalt war einer davon...“
    • „Zum Prozessbeginn gegen Stephan Ernst und Markus H. am 16.06. in Oberlandesgericht, Frankfurt: Hessen muss Entnazifiziert werden!“ am 16. Juni 2020 bei der Initiative 6. April externer Link („Die Initiative 6.April setzt für das Gedenken an Halit Yozgat ein, der am 06.April 2006 durch den sogenannten NSU in Kassel ermordet wurde“) macht eine nahe liegende Forderung deutlich: „… Der Fall zeigt viele Parallelen zum NSU-Komplex. Die Ermittler*innen ermittelten zwar auch, aber eher unambitioniert, gegen Nazis, darunter auch Ernst, viel engagierter jedoch gegen Ahmed und sein Umfeld. Die Ermittler*innen haben damals leider nicht den Analysen des jungen Mannes zugehört und nahmen seinen Hinweis, dass es ein Nazi sein muss, nicht ernst genug. Wie wichtig es ist den Betroffenen zuzuhören und zu glauben, ist eine der zentralen Lehren aus dem NSU-Komplex wie auch dem versuchten Mordanschlag auf Ahmed: Die Betroffenen wissen genau, wenn es Nazis waren! Wir wissen heute mehr darüber, dass die hessische Landesbehörde für Verfassungsschutz schon damals über die Täter wusste und halten daher fest: diese Taten und auch der Mord an Walter Lübcke hätten verhindert werden können, wenn das Netzwerk – bestehend aus lokalen Helfer*innen und Unterstützer*innen – des NSU-Trios vollständig aufgeklärt und verurteilt worden wäre. Markus H. war 2006 von der Polizei zum Mord an Halit vernommen worden und nach vier kurzen Fragen und Antworten für „nicht weiter relevant“ befunden worden, obwohl dieser als Neonazi polizeilich bekannt war. Zudem braucht es nur eine Person um den Mord an Halit Yozgat und den Mord an Walter Lübcke zu verknüpfen. Der ehemalige Verfassungsschützer Andreas Temme, der zur Tatzeit am Tatort war als Halit erschossen wurde und dienstlich mit Stephan Ernst verfasst war. Andreas Temme arbeitet seit seiner Versetzung für das Kasseler Regierungspräsidium dessen Präsident Walter Lübcke war. Die Landesbehörde für Verfassungsschutz musste zugeben, dass der Name „Ernst“ elfmal in einem Verfassungsschutzbericht vorkommt. Dieser Bericht sollte 120 Jahre geheim bleiben. Erst nach dem Mord an Walter Lübcke wurde der öffentliche Druck so groß, dass die Akten nur noch „30 Jahre“ unter Verschluss bleiben. Wir fordern eine sofortige Freigabe dieses Berichts, weil dieser Bericht die Täter*innen und ihre Netzwerke deckt!...“
  • Ein Jahr nach dem Nazi-Mord an Walter Lübcke werden (ein paar) Wohnungen von Hetzern durchsucht 
    „… Die Schmähungen waren martialisch. „Hängt diese Volksverräter“, kommentierte ein Nutzer einen Auftritt von Walter Lübcke auf einer Bürgerversammlung 2015, auf welcher der Kassel Regierungspräsident für die Aufnahme von Geflüchteten plädiert hatte. Ein anderer nannte Politiker wie Lübcke „lauter geistig minderbemittelte Kreaturen“. Als Lübcke im Juni 2019 erschossen wurde, schrieb ein anderer: „Mal den Richtigen erwischt.“ Wegen dieser und weiterer Onlinekommentare gingen ErmittlerInnen am Donnerstag in einer konzertierten Aktion gegen 40 Beschuldigte in zwölf Bundesländern vor und führten Hausdurchsuchungen und Vernehmungen durch. Schwerpunkte waren Bayern mit sieben Beschuldigten, sowie Hessen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen mit jeweils sechs Beschuldigten. Koordiniert wurde die Aktion von der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main, die seit September 2019 zu den Kommentaren ermittelt hatte...“ – aus dem Beitrag „Razzien wegen Hetze gegen Lübcke“ von Konrad Litschko am 04. Juni 2020 in der taz online externer Link – in dem auch noch seltsame Verteidiger des „Rechtsstaates“ zu Wort kommen…
  • Ein Jahr nach dem Mord an Walter Lübcke. Wie viele Monate nach den Morden von Halle?  Wie viele Tage nach den Morden von Hanau? Wie viele Stunden nach der letzten rassistischen Attacke? 
    „… Am 16. Juni soll am Oberlandesgericht in Frankfurt am Main der Prozess wegen des Mordes am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) beginnen. Neue Erkenntnisse legen nahe, dass hinter dem mutmaßlichen Täter Stephan E. möglicherweise ein größeres Netzwerk stand. Die These, wonach der E. ein Einzeltäter war und lediglich Hilfe vom Mitangeklagten Markus H. bei der Beschaffung der Tatwaffe hatte, könnte sich als falsch erweisen. Mehrere Indizien deuten auf weitere Unterstützung hin. So ließ E. beispielsweise nach den tödlichen Schüssen auf Lübcke weder die Tatwaffe noch die leeren Hülsen verschwinden, sondern reinigte die Waffe und fettete sie sorgfältig ein. Nach eigener Aussage versteckte er den Revolver danach während einer Nachtschicht mit einem Arbeitskollegen – eingewickelt in einem blauen Müllsack in einem Erddepot, zusammen mit weiteren Schusswaffen. Die Ermittlungsbeamten bezeichneten das Verhalten als sehr professionell. Es lässt zugleich darauf schließen, dass weitere Taten geplant waren…“ – aus dem Beitrag „Revolver, Rohrbomben und Erddepots“ von Ralf Fischer am 28. Mai 2020 in der jungle world externer Link (Ausgabe 22/2020). Siehe dazu auch einen weiteren aktuellen Beitrag:

    • „Ein Jahr und viele Fragen“ von Markus Bernhardt am 02. Juni 2020 in der jungen welt externer Link erinnert auch an Aktionen am Jahrestag: „… Nach bisheriger Planung ist davon auszugehen, dass der Prozess gegen Ernst und seinen Mitangeklagten Markus H. im August vor dem Oberlandesgericht Frankfurt am Main eröffnet wird. Dass der Fall dann lückenlos aufgeklärt werden wird, darf aber bezweifelt werden. Beispielhaft erwähnt sei an dieser Stelle etwa, dass der ehemalige Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme, der 2006 beim vom faschistischen Terrornetzwerk »Nationalsozialistischer Untergrund« (NSU) begangenen Mord an Halit Yozgat am Tatort im Kasseler Internetcafé zugegen war, dienstlich auch mit dem mutmaßlichen Lübcke-Mörder Ernst befasst war. Zur Erinnerung: Mit der Erschießung Yozgats endete nach bisherige Erkenntnissen die NSU-Mordserie an Bürgern mit Migrationshintergrund. Die Rolle, die Temme dabei spielte, gilt bis heute als nicht aufgeklärt. Mancherorts wird er gar als Mörder Yozgats gehandelt. Temme wechselte vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz als Sachbearbeiter ins Regierungspräsidium Kassel, welches bis zu seiner Ermordung von Walter Lübcke geführt wurde. Während Politikerinnen und Politiker aller großen Parteien den Jahrestag der Ermordung des CDU-Mannes für politische Allgemeinplätze nutzten, benannte das Internationale Auschwitz-Komitee am Pfingstmontag die Berliner Sigismundstraße in Walter-Lübcke-Straße um. »Wir erinnern damit auch an den rechts­extremen Hass, dem Walter Lübcke zum Opfer gefallen ist und der nicht nur in Deutschland immer offener zutage tritt«, erläuterte der Zusammenschluss die Aktion in einer Stellungnahme. Unter dem Motto »Walter Lübcke ist nicht vergessen! – Den rechten Terror stoppen!« rufen antifaschistische Organisationen für den heutigen Dienstag zu einer Kundgebung vor der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung (17 Uhr, Unter den Linden 21, Berlin) auf, die von Erika Steinbach geleitet wird...“
  • Am Jahrestag des Nazi-Mordes an Walter Lübcke: Wer an der Stimmungsmache gegen den konservativen Politiker beteiligt war 
    „… Das Video einer Rede, die Lübcke während einer Informationsveranstaltung zu den geplanten Unterkünften hielt, wurde von einem Anhänger der lokalen PEGIDA ins Internet gestellt. Daraufhin begann eine über das halbe Internet verstreute Allianz von CDU-Mitgliedern, »Neurechten« und offenen Neonazis ihn zu attackieren, zu beleidigen und zu bedrohen. Seine Adresse wurde veröffentlicht mit der Aufforderung dort »vorbeizuschauen«. Während des ersten Jubiläums der rassistischen PEGIDA- Aufmärsche im Oktober 2015, forderte der Autor Akif Pirinçci in Dresden, vor 200.000 Anhänger*innen, Walter Lübcke aus dem Land zu werfen, »wenn er gefälligst nicht pariert.« Und weiter: »Es gäbe natürlich auch andere Alternativen. Aber die KZ sind ja leider derzeit außer Betrieb.« Dreieinhalb Jahre lang war Lübcke immer wieder das Ziel von Anfeindungen unterschiedlichster Art. Den letzten größeren Shitstorm im Februar 2019 löste die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete, und Vorsitzende der AFD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, Erika Steinbach aus. Drei Monate später fiel der Schuss. Nach Walter Lübckes Tod ist Steinbach sich keiner Mitverantwortung bewusst und schweigt sich aus. Max Otte, Mitglied der »WerteUnion« und Kuratoriumsvorsitzender der Desiderius-Erasmus-Stiftung, bezeichnete Lübckes Mörder als minderbemittelten Einzeltäter, kritisierte dass die Berichterstattung gegen die „rechte Szene hetze“ und stellte deren Existenz in Frage. Die Begründung für die Mitleidslosigkeit gegenüber dem ermordeten CDU-Politiker formulierte der ehemalige CDUler und heutige AfD-Bundestagsabgeordnete Martin Hohmann treffend; die CDU, so Hohmann, trage eine Mitschuld am Mord an Walter Lübcke. Hätte Angela Merkel keine Geflüchteten ins Land gelassen, so »würde Walter Lübcke noch leben«…“ – aus dem Aufruf „2. Juni – Todestag von Walter Lübcke // AfD, Steinbach, Pirinçci und »WerteUnion« haben mitgeschossen!“ der Kampagne Rechten Terror stoppen externer Link, hier am 28. Mai 2020 bei de.indymedia – worin es auch Informationen und Materialien zu den Aktionstagen gibt, sowie einen Demonstrationsaufruf für Berlin am 02. Juni 2020 um 17.00 Uhr vor der Desiderius-Erasmus-Stiftung, Unter den Linden 21
  • Es fehlen Akten über den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke? Eine weitere „Erfolgsgeschichte“ des Verfassungsschutzes 
    „… Ein Sprecher der Bundesanwaltschaft sagte am Sonntag, die Ermittlungen dauerten an. Zu dem Bericht der Zeitung äußerte er sich nicht. Die „Welt am Sonntag“ berichtete unter Berufung auf die Staatsanwaltschaft Kassel, dass die Akten und das sichergestellte Projektil zehn Jahre nach Ende der ergebnislosen Ermittlungen vernichtet worden seien. Die Bundesanwaltschaft will Ernst wegen des Mordes an Lübcke und einer Messerattacke auf einen irakischen Asylbewerber im Jahr 2016 anklagen. Der 46-Jährige soll den hessischen CDU-Politiker Lübcke Anfang Juni 2019 auf dessen Terrasse erschossen haben, weil dieser für die Aufnahme von Flüchtlingen eintrat. Seit September ermittelt die Bundesanwaltschaft auch zu einem ungeklärten Angriff auf einen jungen Iraker in der Nähe. Ein Unbekannter hatte dem Mann am 6. Januar 2016 in Lohfelden bei Kassel von hinten ein Messer in den Rücken gestochen...“ – aus der Meldung „Akten aus Verfahren gegen mutmaßlichen Lübcke-Mörder sind weg“ am 05. April 2020 in der hessenschau online externer Link, wie eine zu vermutende mindestens 16-jährige Terrorgeschichte systematisch verschwiegen und nun gezwungenermaßen scheibchenweise aufgetischt wird. Woraus sich nur die Frage ergibt: Welche Akten wurden noch geschreddert?
  • Ein Nazi war  – ein ehemaliger. Für die hessischen „Sicherheitsbehörden“ – bis er in Verdacht geriet, Hilfe beim Lübcke-Mord geleistet zu haben 
    „… Aus heutiger Sicht erscheint es verwunderlich, dass Markus H. im Zuge der Prüfung nicht umgehend zum Sicherheitsrisiko erklärt wurde. Die Behörden jedoch waren damals offenbar der Ansicht, H. habe sich von der rechtsextremen Szene gelöst. Das hessische Innenministerium machte nach dem Mord geltend, dass das Landesamt für Verfassungsschutz zu H. von 2011 an keine „speicherrelevanten Aktivitäten“ mehr registriert hat. Seine Akte bei dem Geheimdienst des Landes wurde 2016 geschlossen und gesperrt. Er galt somit als „abgekühlt“ – genau so war es auch bei dem mutmaßlichen Mörder Stephan E. ein Jahr zuvor gelaufen. Inzwischen überprüft eine eigene Arbeitsgruppe des hessischen Verfassungsschutzes solche bereits gesperrten Akten noch einmal. Die Arbeitsgruppe heißt BIAREX – Bearbeitung integrierter bzw. abgekühlter Rechtsextremisten. Und gut integrierte beziehungsweise vermeintlich abgekühlte Rechtsextremisten gibt es offenbar einige: Bislang wurden 1.300 Datensätze laut Innenministerium untersucht, bei 200 sah man weiteren Aufklärungsbedarf. Bereits 20 Akten wurden bis Januar wieder entsperrt, weil sich Hinweise ergaben, dass die Rechtsradikalen doch weiter aktiv sind. Allein fünfzehn dieser Personen haben oder hatten Bezüge zur Szene in Nordhessen, aus der auch Stephan E. und Markus H. stammen. Die Prüfungen dauern an…“ – aus dem Beitrag „Warnung vor Rechtsextremisten blieb folgenlos“ von Julian Feldmann, Christian Fuchs, Astrid Geisler, Nino Seidel und Martín Steinhagen am 31. März 2020 bei der Zeit online externer Link über den nächsten nicht weiter beobachteten Verbrecher. Siehe dazu drei weitere aktuelle Beiträge:

    • „Sicherheitsüberprüfung bestanden“ am 01. April 2020 in der jungen welt externer Link meldet darüber hinaus unter anderem: „… Im Rahmen der Überprüfung habe das Polizeipräsidium Nordhessen in Kassel dem Verfassungsschutz mitgeteilt, zu Hartmann lägen »keine aktuellen staatsschutzpolizeilichen Erkenntnisse« vor. Die Antwort der Polizei erfolgte dem Bericht zufolge fünf Tage nach dem tödlichen Attentat auf Lübcke. Zu diesem Zeitpunkt wurde noch nicht gegen Hartmann wegen Beihilfe ermittelt. Inzwischen hat der Hauptverdächtige Stephan Ernst ihn sogar als eigentlichen Todesschützen bezichtigt. (…) Warum die Polizei angeblich keine Erkenntnisse über Hartmann hatte, bleibt unklar. Er ist seit vielen Jahren Teil der Neonaziszene und 2006 von Ermittlern zum NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel befragt worden, nachdem er auffällig oft eine speziell eingerichtete Internetseite des Bundeskriminalamts (BKA) aufgerufen hatte. Das gehe aus Ermittlungsakten der damaligen Kasseler Mordkommission hervor, berichtete der Spiegel wenige Wochen nach dem Mord an Lübcke im Juni 2019…“
    • „Noch nach Lübcke-Mord als unbedenklich eingestuft“ von Jana Frielinghaus am 31. März 2020 in neues deutschland online externer Link hebt hervor: „… Vieles spricht für eine sehr aktive Rolle des Neofaschisten Markus H. bei der Vorbereitung des Mordes an Walter Lübcke am 2. Juni 2019. Der am 15. Juni verhaftete Hauptverdächtige Stephan E. hatte in einem zweiten Geständnis ausgesagt, H. sei mit ihm zusammen zu Lübckes Wohnhaus gefahren, der Schuss habe sich »versehentlich« aus dessen Waffe gelöst. In einem ersten Geständnis hatte sich E. noch als alleinigen Täter dargestellt. H., der seit Ende Juni 2019 in Untersuchungshaft sitzt, hat sich gegenüber Ermittlern bislang nicht zu seiner Rolle geäußert. Fest steht aber, dass E. und H. in den Jahren vor dem Anschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten wiederholt gemeinsam Schießtrainings absolviert hatten und dass H. legal zahlreiche Waffen besaß. Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz will E. und H. vier Jahre vor dem Terrorakt als »abgekühlt«, also als nicht mehr aktive »Rechtsextremisten« eingestuft und daher nicht mehr beobachtet haben. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) interessierte sich dagegen offenbar noch 2019 für Markus H. – der bis zu seiner Verhaftung in einem Rüstungsunternehmen arbeitete…“
    • „Warnung vor Gefahr durch Neonazi in Hessen versandete“ von Pitt v. Bebenburg am 31. März 2020 in der FR online externer Link über erste Reaktionen: „… Die hessische Opposition zeigte sich alarmiert. Es spreche für einen „besorgniserregenden Mangel an Aufmerksamkeit im Umgang mit der rechtsterroristischen Gefahr in unserem Land“, dass „die überdeutlichen Aussagen der ehemaligen Lebensgefährtin zur Gesinnung und der Gefährlichkeit von Markus H. ignoriert“ worden seien, urteilte der hessische SPD-Innenpolitiker Günter Rudolph. Er forderte Aufklärung von Innenminister Peter Beuth und Justizministerin Eva Kühne-Hörmann (beide CDU). Auch der hessische Linken-Innenpolitiker Hermann Schaus wittert ein „Versagen“ der Behörden. „Es ist zu klären, ob die Ex-Freundin das so konkret angegeben hat und was damit passiert ist“, sagte er der FR. Voraussichtlich werde sich ein Untersuchungsausschuss damit beschäftigen müssen. (…) Der NDR und „Zeit Online“ berichteten auch, dass die nordhessische Polizei noch fünf Tage nach dem Mord an Lübcke behauptet habe, ihr lägen „keine aktuellen staatsschutzpolizeilichen Erkenntnisse“ über Markus H. vor. Die Information sei im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung an den Verfassungsschutz gegeben worden – zu einem Zeitpunkt, als H. noch nicht im Zusammenhang mit dem Lübcke-Mord verdächtigt wurde…“
  • „… was zusammen gehört“: Während die AFD das Anti-Lübcke-Hetzvideo des mutmaßlichen Täters verbreitete, klebte dieser für sie Plakate 
     „… Der Rechtsextremist Stephan Ernst hat zumindest im Jahr 2018 die AfD in seiner Heimatstadt Kassel tatkräftig unterstützt. So soll Ernst unter anderem Wahlplakate aufgehängt und mehrere Treffen der Partei in Nordhessen besucht haben. Das haben AfD-Mitglieder gegenüber der Polizei angegeben, wie NDR-Recherchen ergaben. Bisher waren lediglich eine Spende an die Partei sowie die Teilnahme an einer AfD-Demonstration in Chemnitz 2018 bekannt. Nachdem Mitte Juni vergangenen Jahres bekannt geworden war, dass Ernst für den Mord an Walter Lübcke verantwortlich sein soll, meldete sich der ehemalige Kreisvorsitzende der Kasseler AfD bei der Polizei. Er schilderte den Beamten, dass Ernst im Wahlkampf zur Landtagswahl 2018 beim Plakatieren geholfen habe. Das geht aus Unterlagen hervor, die der NDR einsehen konnte. (…) Nach Recherchen des NDR haben weitere Zeugen bei der Polizei ausgesagt, sie hätten den Mordverdächtigen bei AfD-Treffen gesehen. Ein AfD-Anhänger aus Kassel sagte den Ermittlern, er habe Ernst Ende 2018 bei einem Vortrag bei der AfD kennen gelernt. Man habe sich auch mehrmals privat getroffen, aber nie über Politik gesprochen…“ – aus der Meldung „Mutmaßlicher Lübcke-Mörder war für AfD aktiv“ am 21. Januar 2020 in der Hessenschau online externer Link – worin noch darauf hingewiesen wird, dass dies keine Parteimitgliedschaft bedeuten müsse… Siehe dazu drei weitere aktuelle Beiträge zum Zusammenwirken von Nazibanden und AFD:

    • „Lübcke-Video führt zu Verdächtigen und zur AfD“ von Lars Wienand am 20. Januar 2020 bei T-Online externer Link berichtet zum Anti-Lübcke-Video der mutmaßlichen Täter und dessen Verbreitung durch die AFD uter anderem: „… Recherchen von t-online.de zeigen, dass von den Hauptverdächtigen im Mordfall Lübcke mehr Spuren zur AfD führen als bisher bekannt. Mitglieder der Partei hatten ein Video verbreitet, um Stimmung gegen den Regierungspräsidenten Walter Lübcke und die Regierung zu machen. Es zeigt einen kurzen Ausschnitt einer Bürgerversammlung mit dem später ermordeten CDU-Politiker. Recherchen von t-online.de ergeben nun, dass Stephan E. und Markus H. das Video offenbar selbst ins Netz gestellt haben. Die Aufnahmen, um die es geht, und die Einordnung sehen Sie oben im Video. (…) Der im Geständnis geäußerte Plan ging aber auf, mit dem Video Stimmung zu machen: Keine 24 Stunden später hatten es unter anderem die heutige AfD-Europaabgeordnete Christine Anderson* und der heutige Schatzmeister der WerteUnion, Udo Kellmann, auf Facebook geteilt. Der „Moriatti“-Kanal hatte zu diesem Zeitpunkt gerade einmal 18 Abonnenten, kann auf YouTube folglich also kaum aufgefallen sein. Der Hauptaccount der Bundes-AfD selbst postete den Link zu dem Video anderthalb Tage nach der Einwohnerversammlung mit dem Text „Noch ist es unser Land, Herr Lübcke“ auf Facebook. Lübcke erhielt in der Folge des Videos Hunderte Drohungen. Das Video oder Texte dazu wurden anlasslos immer wieder verbreitet, so etwa im Februar 2019 von Erika Steinbach. Das Posting der AfD verschwand in der zweiten Junihälfte nach dem Mord an Walter Lübcke am 2. Juni 2019…“
    • „Mord an Walter Lübcke: Tatverdächtiger für AfD aktiv“ am 22. Januar 2020 im Migazin externer Link meldet über solche Tendenzen: „… Bei der Durchsuchung des Wohnhauses des mutmaßlichen Lübcke-Mörders Stephan E. fanden die Ermittler nach NDR-Recherchen Unterschriftenlisten mit den Namen von AfD-Kandidaten. Gegenüber dem Hessischen Landeskriminalamt hat eine Zeugin zudem ausgesagt, Stephan E. habe zusammen mit dem mutmaßlichen Mordhelfer Markus H. 2016 und 2017 an AfD-Demonstrationen in Erfurt teilgenommen. Nach Einschätzung des Kasseler Politikwissenschaftlers Prof. Wolfgang Schroeder könne die AfD zwar nichts dafür, wenn sich Rechtsextremisten wie Stephan E. für sie einsetzen. Man müsse sich aber fragen, warum er gerade zur AfD gegangen sei. Die AfD habe sich im Laufe der Zeit radikalisiert, sagt Prof. Schroeder im Interview mit dem NDR Magazin „Panorama 3“. So sei die Partei auch für Rechtsextremisten interessant geworden…“
    • „Die Gewalt der AfD Münster: Unser Redebeitrag auf der Kundgebung gegen den AfD-Kreisparteitag am am 11.01.2020 in Münster“ am 19. Januar 2020 bei der Antifaschistischen Linken Münster externer Link zur Analyse dieses Zusammenwachsens unter anderem: „… Das ist brandgefährlich: Denn auch wenn die Begriffe andere sein mögen: Es macht keinen Unterschied, ob ein Richard Mol von der AfD Münster oder ein x-beliebiger Neonazi in sozialen Netzwerke gegen antifaschistisch engagierte Lokalpolitiker*innen hetzt. Am Ende beider Ketten stehen Ausgrenzung, Bedrohung und Gewalt. Dennoch sitzt die AfD weiter in Talkshows und auf Podien und wird von Teilen der CDU mittlerweile ganz offen als möglicher Koalitionspartner gehandelt. Ganz offensichtlich schafft es die AfD also einerseits die klassischen Inhalte und Feindbilder der extremen Rechten aufzugreifen, während sie gleichzeitig ein Alleinstellungsmerkmal innerhalb der extrem rechten Parteienfamilie hat, dass sie vor klassischen Skandalisierungsstrategien a la „Nazis raus“ schützt. Stellt sich die Frage, was das für ein Alleinstellungsmerkmal sein könnte. Würde man der AfD diese Frage stellen, wäre Teil der Antwort auf jeden Fall die Betonung der eigenen Bürgerlichkeit und Gewaltfreiheit. Wo für Neonazis Gewalt wesentlicher Bestandteil von Ideologie und Politik ist, stellt sich die AfD selbst gerne als die friedfertige Partei dar, die ihre Ziele gewaltfrei erreichen möchte. Denn da, wo eine Partei inhaltlich nah an der klassischen extremen Rechten ist und trotzdem erfolgreich sein möchte, ist eine Abgrenzung zu neonazistischer Gewalt Grundlage jedweder Kommunikation der Partei.(…) Bereits während des Bundestagswahlkampfs 2014 engagierte die AfD einen Schlägertrupp, der sowohl einen Journalisten, als auch protestierende Antifaschist*innen massiv anging und zu vertreiben versuchte. 2016 wurde der Ratsherr Rüdiger Sagel als Teilnehmer einer Menschenkette vor einem AfD-Infostand getreten, ein anderer Teilnehmer gewürgt. Ein Jahr später griff ein eigener, uniformierter “Sicherheitsdienst” der AfD am Wahlkampfstand mitten in der Fußgängerzone Demonstrant*innen mit Pfefferspray an…“
  • Neue Aussagen zum Lübcke-Mord machen vor allen Dingen klar: Da muss „mehr“ gewesen sein…
    „… Ernst hatte am Mittwoch in einer erneuten Befragung eine neue Tatversion des Lübcke-Mordes präsentiert. Nicht er, sondern der Mitbeschuldigte Markus H. habe den Kasseler Regierungspräsidenten in der Nacht zum 2. Juni 2019 vor dessen Haus erschossen. Gemeinsam sei man damals zu Lübckes Anwesen gefahren, um dem CDU-Mann eine „Abreibung“ zu verpassen. Als Lübcke nach einem Streit auf der Terrasse Hilfe holen wollte, habe sich „versehentlich“ ein Schuss aus dem mitgebrachten Revolver gelöst. Geschossen habe aber nicht Ernst, sondern Markus H. So schilderte es Ernsts Anwalt Frank Hannig am Mittwochabend auf einer Pressekonferenz. (…) Markus H. ist, genau wie Elmar J., seit Ende Juni in Haft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihnen wegen der Vermittlung der Tatwaffe Beihilfe zum Mord vor. Die neue Ernst-Aussage wird dort nicht kommentiert. Die Ermittler prüften aber schon früh, ob weitere Täter am Tatort waren. Nach taz-Informationen fanden sich dafür bisher keine Hinweise oder DNA-Spuren…“ – aus dem Bericht „„Weiß nicht, wie er dazu kommt““ von Konrad Litschko am 09. Januar 2020 in der taz online externer Link über eine neue Aussage, die zutreffen mag oder auch nicht – in jedem Falle aber deutlich macht, dass einmal mehr eine „Einzeltäter“-These gescheitert ist… Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beiträge zu den naheliegenden Folgerungen dieser neuen Aussage – unabhängig von ihrem Wahrheitsgehalt…

    • „Frage nach Hintermännern“ von Kristian Stemmler am 10. Januar 2020 in der jungen Welt externer Link zu möglichen Folgerungen: „… FDP-Innenpolitiker Benjamin Strasser bezeichnete Ernsts Angaben über einen zweiten Täter gegenüber der Deutschen Presseagentur (dpa) als »hochbrisant«. Der Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung stehe im Raum, so der Bundestagsabgeordnete. Zum anderen habe es bereits bei der NSU-Mordserie Hinweise auf Helfer und Mitwisser aus der Kasseler Neonaziszene gegeben. Der Generalbundesanwalt müsse nun alle NSU-Akten »auf links drehen«. Martina Renner, Abgeordnete der Linksfraktion, erklärte, der Generalbundesanwalt müsse aufklären, wer beim Lübcke-Mord Täter, Mittäter und Unterstützer war. Niemand solle sich von Szeneanwalt Frank Hannig, Verteidiger von Stephan Ernst, und seinem Mandanten in dieser Diskussion »Takt und Richtung vorgeben lassen«. Sollte Ernst tatsächlich Schutz und Geld angeboten worden sein, könnte dies ein Hinweis auf einen größeren Unterstützerkreis sein, sagte Renner. Die Innenexpertin der Grünen-Fraktion, Irene Mihalic, forderte ebenfalls Klarheit über mögliche Hintermänner. Der Tathergang und auch die mutmaßliche Beteiligung weiterer Tatverdächtiger müssten »unabhängig von der Glaubhaftigkeit der Einlassungen von Stephan Ernst« aufgeklärt werden, sagte Mihalic dem Redaktionsnetzwerk Deutschland...“
  • Die geschlossene Verfassungsschutz-Akte des Täters: Die Ausrede „nicht mehr aktiv“ ist geplatzt 
    „… Wie konnte der Verfassungsschutz den Rechtsextremen Stephan E., den mutmaßlichen Mörder von Walter Lübcke, jemals aus den Augen verlieren? Schließlich schienen die Verfassungsschützer lange überzeugt, dass von ihm eine Gefahr ausgehen könnte. Noch Ende 2009 galt E. im Verfassungsschutz Hessen als „brandgefährlich“. Das belegt eine handschriftliche Anmerkung, die sich in roter Farbe auf einem 15-seitigen internen Vermerk über Neonazis aus Nordhessen vom Oktober 2009 findet. E. war bereits in den Neunzigerjahren mit einschlägigen Gewalttaten aufgefallen, darunter ein versuchter Sprengstoffanschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft. Vom hessischen Innenministerium hatte es bislang dazu stets geheißen, dass nach dem Jahr 2009 keine neuen Erkenntnisse über Stephan E. vorgelegen hätten. Daher sei seine Personenakte beim Verfassungsschutz fünf Jahre später gesperrt worden. Das ist verwunderlich, da die nun bekannt gewordene Notiz nahelegt, dass der Verfassungsschutz ihn zumindest Ende 2009 noch als sehr gefährlich einstufte und ihm wohl Gewalttaten zutraute…“ – aus dem Beitrag „Verfassungsschutz hielt Stephan E. noch 2009 für „brandgefährlich““ von Martin Steinhagen am 26. Oktober 2019 bei der Zeit online externer Link zum Thema, warum der VS niemand die Akte zeigen wollte…
  • Der Mord in Kassel und die Morde des NSU: Der Verfassungsschutz versagt nie. Sondern erfüllt die Aufgabe, für die ihn Altnazis nach ihrer Niederlage gegründet haben: Nazis fördern 
    „… Im Innenausschuss des Landtags hat am Donnerstag eine neue Information über den Hauptverdächtigen im Mordfall Lübcke, Stephan Ernst, für Aufregung gesorgt. Laut Innenminister Peter Beuth (CDU) war der ehemalige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes, Andreas Temme, mit Stephan Ernst vor 2006 „dienstlich befasst“. In welcher Form, sagte Beuth nicht. Temme spielt eine wichtige Rolle im NSU-Untersuchungsausschuss des Landtags. Er wurde mehrmals als Zeuge geladen, weil er sich während der Ermordung des NSU-Opfers Halit Yozgat am Tatort in einem Kasseler Internetcafe aufhielt. Yozgat wurde im April 2006 durch zwei gezielte Schüsse getötet. Laut SPD stellt sich die Frage, ob es damit eine Verbindung zum NSU-Mord in Kassel gibt. Die FDP teilte nach der Innenausschusssitzung mit, man sei „schockiert“: „Es ist erstaunlich, dass diese Information erst durch intensive Befragung des Innenministers ans Licht kommt“, schreibt der innenpolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Stefan Müller. Es bestehe die Frage, ob Temme an der Entscheidung beteiligt gewesen sei, dass Ernst als „abgekühlt“, also nicht mehr aktiv in der rechten Szene, eingestuft wurde. Die Informationspolitik des Ministers soll nach dem Willen der FDP Folgen haben: „Der Innenminister bettelt um einen Untersuchungsausschuss“, so Müller. Der innenpolitische Sprecher der Linken, Hermann Schaus, sagte: „Ich frage mich langsam, ob die Vorgänge im Landesamt für Verfassungsschutz eher ein Fall für die Justiz oder für einen neuen Untersuchungsausschuss sind.“ Das Verhalten von Minister Beuth sei „katastrophal“...“ – aus dem Bericht „Andreas Temme war „dienstlich befasst“ mit Stephan Ernst“ von Nicolas Buschschlüter und Sonja Süß am 17. Oktober 2019 in der hessenschau externer Link über eine Zentralfigur der NSU-Vertuschung mit Verbindungen zum jüngsten Nazimord in Hessen. Siehe dazu auch eine weitere Meldung über diesen jüngst entdeckten „Zufall“:

  • Tatwaffe im Lübcke-Mord: Vom Combat 18 Pinneberg? 
    „… Eine neue Spur im Mordfall Walter Lübcke führt nach Schleswig-Holstein. Die Bundesanwaltschaft prüft, ob die Tatwaffe, ein Revolver der Marke Rossi, von der rechtsextremen Terrorgruppe „Combat 18 Pinneberg“ stammen könnte. Zwar ist der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten, Stephan E., gefasst, die Hintergründe des Anschlags sind aber noch nicht ausermittelt. Die Bundesanwaltschaft bat die schleswig-holsteinischen Behörden um die Akten zu einer aufgelösten Gruppe mit dem programmatischen Namen „Kampfverbund Adolf Hitler“. Nach Informationen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND) will sie klären, ob die brasilianische Waffe des Kalibers 38 Spezial, mit der Lübcke ermordet wurde, zu jenen gehört, die der damalige schleswig-holsteinische NPD-Landesvorsitzende Peter Borchert für Combat 18 Pinneberg besorgt haben soll...“ – aus dem Beitrag „Spur der Waffe führt in den Norden“ von Andreas speit am 15. Oktober 2019 in der taz online externer Link über Verbindungen, die niemand überraschen können…
  • Eine weitere Lüge des Verfassungsschutzes fliegt auf: Kasseler Hauptverdächtiger war bei den Nazis daueraktiv
    Dass die beiden einen Aufmarsch der AfD besuchten, ist naheliegend. Schon 2016 spendete Stephan Ernst Geld an die AfD Thüringen. Eine Vermischung der organisierten Neonaziszene mit der sich bürgerlich-konservativ gebenden Rechten, um Parteien wie die AfD, ist kein neues Phänomen. Die extrem rechte Gruppierung «Pro Chemnitz» meldete am 1. September 2018 in zeitlicher und örtlicher Nähe eine Kundgebung an, um sich später mit dem AfD-Aufmarsch zu vereinigen. So schlossen sich viele bekannte Neonazis dem AfD-Aufmarsch an – von ehemaligen HDJ-Funktionären und NPD-Mitgliedern, über rechte Hooligans bis hin zu Holocaustleugnern und Rechtsterroristen. Zur Erinnerung: Auch zentrale Personen der rechtsterroristischen Gruppe «Revolution Chemnitz» nahmen an dem Aufmarsch teil – auf der Straße vereint mit Björn Höcke und AfD-Vordenker Götz Kubitschek, die diesen sogenannten „Trauermarsch“ anführten. Der rassistische Mob griff an diesem Tag mehrfach und massiv Presse, Geflüchtete und Polizei an. In Folge der Eskalation wurde der Aufmarsch aufgelöst. An diesem 1. September zeigte sich eindringlich der Schulterschluss der AfD mit der extremen Rechten, die diese schon längst als ihren parlamentarischen Arm angenommen hat. Durch ihre völkische und rassistische Agitation bestätigt die Partei Rechtsterroristen wie Stephan Ernst in ihrem Handeln und gibt ihnen politische Legitimation. Bisher gaben Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang und Innenminister Horst Seehofer auf einer Pressekonferenz im Juni 2019 an, dass Stephan Ernst lediglich bis 2009 als Neonazi in Erscheinung getreten war und danach von ihrem Radar verschwunden sei. Haldenwang dachte laut darüber nach, ob man den Täter als „Schläfer“ kategorisieren sollte…“ – aus dem Beitrag „Lübcke-Mord: Stephan Ernst und Markus Hartmann auf AfD-Demo 2018 in Chemnitz“ am 26. September 2019 bei Exif-Recherche externer Link woraus deutlich wird, dass die Forderung nach Auflösung des Vereins unabhängig davon richtig ist, wie weit rechts der jeweilige Oberboss gerade steht…
  • Ein Mordverdächtiger mit langer Verbrechens-Karriere, oder: Was der Verfassungsschutz wieder einmal verheimlichen wollte 
    Im Fall des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermittelt die Bundesanwaltschaft nun auch wegen einer weiteren Bluttat gegen den Hauptverdächtigen. Der in Untersuchungshaft sitzende Stephan E. stehe im Verdacht, am 6. Januar 2016 in Lohfelden im Kreis Kassel versucht zu haben, einen irakischen Asylbewerber zu töten, teilte die Bundesanwaltschaft am Donnerstag in Karlsruhe mit. Er soll dem Mann von hinten mit einem Messer in den Rücken gestochen und ihn dabei schwer verletzt haben. Grund für die Tat soll die rechtsextremistische Weltanschauung von Stephan E. gewesen sein, was die Übernahme der Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft ermögliche. Der Iraker war nahe der damaligen Erstaufnahmestelle in Lohfelden niedergestochen und an der Schulter verletzt worden. Der Täter entkam unerkannt auf einem Fahrrad, die Staatsanwaltschaft Kassel ermittelte seither wegen versuchter Tötung. Zunächst war fraglich gewesen, ob sich nach mehr als drei Jahren noch Utensilien bei Stephan E. finden, die einen klaren Bezug zu der Straftat ergeben...“  – aus der Meldung „Ermittlungen gegen Verdächtigen im Fall Lübcke ausgeweitet“ am 22. September 2019 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link über die Aktivitäten eines Mannes, der zu jener Zeit vom Verfassungsschutz einen Freifahrschein hatte („unverdächtig“ befand die aufzulösende Behörde). Siehe dazu einen weiteren aktuellen Beitrag über das Wirken des Verfassungsschutzes auch in diesem Fall – was nicht gelang, zu verheimlichen und „ins Muster“ passt:

    • „Elf Rätsel und ein Mord“ von Ronen Steinke ebenfalls am 22. September 2019 in der SZ online externer Link zu den Informationen, die der Verfassungsschutz eigentlich verheimlichen wollte unter anderem: „… Der mutmaßliche Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke taucht elf Mal in einem geheimen Bericht des hessischen Verfassungsschutzes über die rechtsradikale Szene von 2014 auf. Dies hat nun der Verfassungsschutz offengelegt, nachdem die Zeitung Die Welt ihn erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht Wiesbaden verklagt hatte. Damit gerät die Behauptung des Verfassungsschutzes in Zweifel, man habe den mutmaßlichen Mörder schon lange nicht mehr auf dem Schirm gehabt und deshalb auch nicht mitbekommen können, wie er sich von 2014 an neu radikalisierte und sich mithilfe eines alten Neonazi-Kameraden über Jahre hinweg illegal Waffen besorgte. Auf fast 260 Seiten werden in dem geheimen Verfassungsschutz-Papier („Abschlussbericht zur Aktenprüfung“) Hinweise zu militanten Rechtsradikalen zusammengetragen, die einen Bezug zur Mordbande NSU aufweisen könnten. Das Papier war 2012 von dem damaligen hessischen Innenminister Boris Rhein (CDU) in Auftrag gegeben worden. Die Stadt Kassel steht darin im Mittelpunkt. Kassel gilt als Hochburg der rechtsradikalen Szene, dort hatte der NSU im Jahr 2006 den 21-jährigen Halil Yozgat hinter dem Tresen seines Internetcafés umgebracht, in dem Café war damals auch ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes. Und dort lebte auch der Mann, der nun des Mordes an Walter Lübcke beschuldigt wird, Stephan E...“
  • Ein allseits vernetzter „Einzeltäter“… 
    Beim rechtsextremistischen Mordanschlag auf den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke soll der Mitbeschuldigte Markus H. eine größere Rolle gespielt haben als bislang bekannt. Das geht aus dem jetzt bekannt gewordenen Beschluss hervor, mit dem der Bundesgerichtshof (BGH) eine Beschwerde des 43-Jährigen gegen seine Untersuchungshaft abwies. Nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen, so schreiben die Bundesrichter in ihrem Beschluss vom 22. August, habe es Markus H. „spätestens ab Juli 2016“ nicht nur für möglich gehalten, dass der mit ihm eng befreundete Hauptverdächtige Stephan E. einen politischen Entscheidungsträger töten werde, „um diesen für seine liberale Linie in der Flüchtlingspolitik abzustrafen“. Er habe auch dessen Ziele und Motive geteilt und ihn „im Willen zur Tatbegehung bestärkt“. Markus H., der wie E. seit vielen Jahren in der rechtsextremistischen Szene in Kassel aktiv ist, war ursprünglich festgenommen worden, weil er den Erwerb der späteren Tatwaffe bei einem illegalen Waffenhändler vermittelt haben soll. Damit lässt sich nach Ansicht des BGH der Vorwurf der Beihilfe zum Mord allerdings nicht mehr begründen. Denn die Kontaktanbahnung sei schon deutlich vor jener Bürgerversammlung im Oktober 2015 in Lohfelden erfolgt, die E.’s mörderischen Lübcke-Hass erst begründet haben soll…“ – aus der am 17. September 2019 aktualisierten Meldung „Mordfall Lübcke: Welche Rolle spielte der zweite Verdächtige Markus H. wirklich?“ bei der FR online externer Link über eine weitere Erkenntnis zu mehr als einem Einzeltäter. Dass das Täter-Netzwerk noch viel weiter reichen könnte, macht eine weitere Meldung aus dieser Woche deutlich – und der hessische Innenminister bekommt damit Probleme:

    • „Weitere Drohschreiben an Frankfurter Anwältin aufgetaucht“ von Frank Angermund am 16. September 2019 beim Hessischen Rundfunk externer Link meldet: „… 5. Juni 2019: In den Wohnzimmern läuft Aktenzeichen XY – ungelöst. Die Polizei sucht mit Hilfe der ZDF-Fernsehsendung Zeugen und Hinweise im Fall des ermordeten Kasseler Ex-Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Drei Tage sind seit dem Anschlag auf den CDU-Politiker vergangen. Es soll noch elf Tage dauern, bis der Rechtsextremist Stephan Ernst als Tatverdächtiger festgenommen wird.  Aber an diesem 5. Juni erhielt die Frankfurter Anwältin Seda Basay-Yildiz nach hr-Informationen ein Droh-Fax. Sie hatte zuvor schon mehrere Schreiben dieser Art erhalten. Dieses Fax wurde erneut mit NSU 2.0 unterschrieben. Der oder die Verfasser drohten sinngemäß: Wir haben Walter Lübcke getötet. Bald bist Du dran!..
    • „Wenn er so weitermacht…“ – Beuth nach Drohfax von „NSU 2.0“ unter Druck“ von Pitt v. Bebenburg am 17. September 2019 in der FR online externer Link zu den Problemen, die sich ein Innenminister beschert: „…  Innenminister Peter Beuth (CDU) gerät wegen seiner Informationspolitik im Fall der Drohfaxe gegen die Frankfurter Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz weiter unter Druck. „Wenn er so weitermacht, läuft er in einen Untersuchungsausschuss“, sagte SPD-Fraktionschefin Nancy Faeser der Frankfurter Rundschau am Montag. Beuth habe das Parlament und die innenpolitischen Sprecher der Fraktionen nicht über eine wichtige neue Entwicklung in dem Fall informiert, beklagte die Sozialdemokratin. Zuvor war bekanntgeworden, dass Basay-Yildiz weitere Drohungen erhalten haben soll – darunter eine, die einen Bezug zum Mord an Regierungspräsident Walter Lübcke (CDU) hergestellt haben soll. (…) Der Linken-Innenpolitiker Hermann Schaus äußerte die Sorge, es müsse „von einem nach wie vor aktiven, rechtsterroristischen Netzwerk ausgegangen werden, das sich in Kontinuität zum NSU“ sehe. Dies wäre nach Einschätzung des Linken-Abgeordneten der Fall, „sollten die Drohbriefschreiber gewusst haben, dass der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten eine NSU-Nachfolgetat gewesen“ sei...“
  • Deutsche Behörden glauben an das Gute im Menschen – er muss nur rechts genug sein. Beispielsweise verdächtig im Mordfall Lübcke 
    „… Wie die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion mitteilt, wurden bei den bisher ermittelten Verdächtigen insgesamt 46 Schusswaffen gefunden. Außerdem seien Chinaböller, Sportbögen und Messer sichergestellt worden, heißt es in der Antwort der Bundesregierung die »nd« am Mittwoch vorlag. (…) Die LINKE-Bundestagsabgeordnete Martina Renner, die die Anfrage initiiert hatte, erklärte am Mittwoch gegenüber »nd«, die Tatsache, dass die Razzien in fünf Bundesländern stattgefunden haben, deute darauf hin, dass die Festgenommenen im Rahmen eines Netzwerks agieren. »Erfahrungsgemäß gibt es keine rechten Einzeltäter«, sagte Renner. »Umfang und Aktionsradius des Netzwerkes des mutmaßlichen Täters Stephan E.« müssten aufgeklärt werden, forderte die Politikerin. Der 45-Jährige hatte die Tat zunächst gestanden, sein Geständnis später aber widerrufen. Unterdessen berichtete der Rechercheverbund von »Süddeutscher Zeitung«, WDR und NDR am Mittwoch, einer der als Helfer Beschuldigten, Markus H., habe ganz legal Waffen besessen. Das Verwaltungsgericht Kassel habe 2015 entschieden, dass er eine Waffenbesitzkarte mit Munitionsberechtigung haben darf, obwohl er als Neonazi bekannt war. H. habe in dem Schützenverein, in dem auch Stephan E. Mitglied war, mit eigenen scharfen Waffen geschossen, bestätigte der Vorsitzende des Clubs…“ – aus dem Artikel „Verdächtige sind Waffensammler“ von Jana Frielinghaus am 21. August 2019 in neues deutschland online externer Link über die inzwischen gefundenen (mindestens) 45 Waffen (wofür es früher den Begriff „Arsenal“ gab).  Siehe dazu auch noch einen weiteren Beitrag mit Auszügen zur Rolle des Verfassungsschutzes bei der Waffenbeschaffung:

    • „»Unbedenklicher« Neonazi“ von Marc Bebenroth am 22. August 2019 in der jungen welt externer Link zur Beteiligung einer aufzulösenden Vereinigung an der „Waffenübergabe“: „… Der zweite Versuch, an eine Waffenbesitzerlaubnis zu kommen, glückte H. im Jahr 2015. Gegen die erneute Weigerung der Stadt Kassel klagte er erfolgreich beim Verwaltungsgericht. Die Richterin begründete dem ARD-Bericht zufolge die Entscheidung damit, dass die vom hessischen Landesamt für Verfassungsschutz vorgelegten Informationen zu dessen »rechtsextremen Umtrieben« älter gewesen seien als fünf Jahre. Eine »Unbedenklichkeitsbescheinigung« für den Besitz von Sprengstoff soll die Stadtverwaltung H. bereits 2011 ausgestellt haben. Zuvor war am Mittwoch bekanntgeworden, dass im Rahmen der Mordermittlungen bei Durchsuchungen wesentlich mehr Waffen gefunden wurden, als bisher bekannt war. Die Ermittler beschlagnahmten insgesamt 46 Schusswaffen…“
  • Die Untersuchungen im Kasseler Nazimord weiten sich immer mehr aus – die NSU Akten bleiben trotzdem weiter  „Geheim!“ 
    „… Den Mord an Lübcke habe er schließlich wortlos durchgeführt – und bereue diesen heute. Niemand müsse für seine Worte sterben, soll Ernst den Ermittlern gesagt haben. Inzwischen zog er sein Geständnis zurück. Zuvor aber hatte er noch Markus H. belastet: Dieser sei es gewesen, der ihn zurück in die rechte Szene gelotst habe. Mindestens bis 2009 hatte Ernst dort selbst aktiv mitgewirkt, auch schwere Gewalttaten verübt. Dann habe er sich gelöst, habe sich auf seine Familie und seinen Job fokussieren wollen, soll Ernst im Geständnis gesagt haben. Bis er wieder auf seinen alten Bekannten Markus H. traf. Auch Markus H. hat eine lange Szenevergangenheit. Fotos zeigen einen bulligen Mann mit kurzgeschorenen Haaren. Schon in den neunziger Jahren soll er sich in Kreisen der rechtsextremen Kleinpartei FAP bewegt haben. Später war er Teil der Kasseler Kameradschaftsszene – und traf dort auf offenbar auf Stephan Ernst. Beide beteiligten sich nach taz-Informationen noch 2009 an einem Angriff von Rechtsextremen auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund. Vor gut fünf Jahren will Ernst dann zufällig wieder Markus H. getroffen haben: bei seinem Kasseler Arbeitgeber, einem Hersteller von Mobilitätstechnik. Der bestätigte am Montag, dass H. dort vor Jahren für kurze Zeit als Leiharbeiter beschäftigt war. Laut Ernst nahm Markus H. ihn 2015 auch mit zu der Bürgerversammlung von Lübcke. Ob die Aussage so stimmt, ist unklar. Denn Ernst und H. waren auch gemeinsam Mitglieder eines Kasseler Schützenvereins – und zwar seit gut zehn Jahren, wie deren Vorsitzender Reiner Weidemann am Montag der taz sagte. Dennoch verloren sich die beiden aus den Augen?…“ – aus dem Beitrag „Stephan Ernsts rechtsextremer Helfer“ von Konrad Litschko am 08. Juli 2019 in der taz online externer Link über einen weiteren Baustein des allmählich zutage tretenden Netzes rund auch um diesen Mord… Siehe dazu auch einen weiteren aktuellen Beitrag, in dem auch die weiterhin gesperrten NSU-Akten Thema sind:

    • „Psycho-Framing im Fall Lübcke“ von Claudia Wangerin am 09. Juli 2019 in der jungen Welt externer Link, worin unterstrichen wird: „… Der hessische Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Die Linke) warnte derweil davor, Stephan Ernst als psychisch labilen Einzeltäter abzutun. »Das machen sie gern«, sagte Schaus, der Ernsts Namen aus dem Untersuchungsausschuss zum »Nationalsozialistischen Untergrund« (NSU) kennt, am Montag im Gespräch mit junge Welt. Seine Fraktion fordert nach wie vor die Freigabe der hessischen Verfassungsschutzakten mit NSU-Bezug, die nun aufgrund des öffentlichen Drucks »nur« noch bis 2044 gesperrt sind. Im Jahr 2014 waren die Akten zunächst für 120 Jahre gesperrt worden. Im Koalitionsvertrag der 2018 bestätigten »schwarz-grünen« Landesregierung war aber eine Überprüfung der Einstufungspraxis vereinbart worden. Zwei weitere Festnahmen infolge des Geständnisses von Ernst waren nicht mit einem Verdacht auf Mittäterschaft bei dem Mord begründet worden, sondern mit mutmaßlichen illegalen Waffengeschäften…“
  • Geständnis hin, Geständnis her: Die Schlussfolgerung der Bundesregierung aus dem Mord heißt immer aufrüsten 
    „… Ernst habe seine Aussagen komplett zurückgezogen, bestätigte dessen neuer Anwalt Frank Hannig der taz. Zu den Gründen, warum dies geschah, wollte er sich nicht äußern. Hannig wurde nach eigener Auskunft erst am Dienstag als neuer Verteidiger von Ernst beigeordnet. Zuvor wurde dieser durch den hessischen Anwalt und NPD-Politiker Dirk Waldschmidt vertreten. (…) Am jetzigen Dienstag wurde der 45-Jährige nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof geflogen, um seinen Haftbefehl zu erneuern. Der bisherige lief noch über das Amtsgericht Kassel. Bei der Anhörung widerrief Ernst sein Geständnis. Der Bundesgerichtshof ließ sich davon nicht beeindrucken: Er verhängte danach dennoch einen neuen Haftbefehl gegen Ernst – wegen eines weiter bestehenden „dringenden Tatverdachts des Mordes“…“ – aus dem Bericht „Verdächtiger widerruft Geständnis“ von Konrad Litschko am 02. Juli 2019 bei der taz online externer Link zur veränderten Taktik des Mordwaffenbesitzers. Siehe dazu auch einen Beitrag zur keineswegs widerrufenen Konsequenz der Bundesregierung:

    • „Freibrief nach dem Schuss“ von Michael März am 03. Juli 2019 in der jungen Welt externer Link zur Haltung der Bundesregierung unter anderem: „… Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) nutzt den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, um sein seit längerer Zeit erklärtes Projekt, dem Verfassungsschutz mehr Befugnisse und Personal zu überantworten, voranzutreiben. Bereits im Mai, vor dem Tod Lübckes in der Nacht zum 2. Juni, waren Details aus dem Entwurf für ein »Gesetz zur Harmonisierung des Verfassungsschutzrechts« öffentlich geworden. Dieser sah unter anderem die digitale Überwachung von Kindern, aber auch Journalisten, die zu den Berufsgeheimnisträgern gehören, ohne Richterbeschluss vor. Die Pläne stießen unter anderem im Justizministerium auf Widerstand und sollen nun überarbeitet werden. Seinen Vorstoß untermauerte Seehofer am Dienstag mit dem erstmaligen Besuch des »Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums« (GETZ) im Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz. Das GETZ ging aus dem »Gemeinsamen Abwehrzentrum Rechtsextremismus« (GAR) hervor, dass nach dem Auffliegen des »NSU« gegründet wurde. Sein Tätigkeitsfeld wurde 2012 unter anderem auf »Linksextremismus« erweitert. Erwartungsgemäß forderte Seehofer am Dienstag mehr Personal und Befugnisse für den Inlandsgeheimdienst, insbesondere im Internet, und vergaß auch nicht, den Anlass seiner Visite zu betonen: »Wir sind nicht auf dem rechten Auge blind«, sagte er laut AFP…“
  • Ein Geständnis als Verteidigungslinie für ein Nazi-Netzwerk. In Kassel. Und in Dortmund. Und wo noch? 
    „… Stephan E., 45 Jahre alt, zweifacher Familienvater, schwieg eisern. Alle Versuche der Ermittler, ihn zu vernehmen, blieben zunächst erfolglos. Er gab nichts zu, er stritt nichts ab. Nur Schweigen. Bis zum Dienstag dieser Woche. Da erklärte Stephan E., der in der Justizvollzugsanstalt in Kassel inhaftiert ist, ganz plötzlich, er wolle mit der Polizei reden. Was dann in einer acht Stunden währenden Vernehmung folgte, war ein Geständnis: Stephan E. gab zu, den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni erschossen zu haben – auf dessen Terrasse in dem kleinen Ort Wolfhagen-Istha. Der CDU-Politiker saß in seinem Gartenstuhl und rauchte eine Zigarette, als ihn die Kugel in den Kopf traf. Kurz oberhalb des rechten Ohrs. (…) Fast vier Jahre sollten allerdings noch bis zu der Tat vergehen, und warum dies so ist, wann Stephan E. genau den Tatplan fasste, ob er ihn mit anderen besprach und sogar ausführte, gehört zu den noch offenen Fragen des Verfahrens. Stephan E. sagte aus, bereits seit langer Zeit über eine Tat gegen Lübcke nachgedacht und sich damit beschäftigt zu haben. Es sei kein spontaner Beschluss gewesen. Für ihn habe die Bürgerversammlung eine große Rolle gespielt. Dort habe Lübcke nicht etwa erklärt, als Regierungspräsident müsse er Flüchtlinge aufnehmen und versorgen. Er habe das ausdrücklich gutgeheißen…“ – aus dem Beitrag „Ein vorbestrafter Gewalttäter und viele Fragen“ von Florian Flade, Georg Mascolo und Ronen Steinke am 26. Juni 2019 in der Süddeutschen Zeitung online externer Link über das überraschende Geständnis des braunen Mörders. Siehe dazu und zu verschiedenen Netzwerken vier weitere aktuelle Beiträge:

    • „Hinweise auf NSU-nahes Terrornetzwerk in Kassel“ von Markus Decker, Jan Sternberg und Jörg Köpke am 27. Juni 2019 in der FR online externer Link zu den bereits jetzt weiteren Festgenommenen und den eingeübten – und wohl nicht wirklich unbeobachteten – Strukturen: „… Je mehr über den Mörder von Walter Lübcke und sein Umfeld bekannt wird, desto schlimmer wird der Alptraum. Die neuesten Erkenntnisse legen nahe, dass sich der Täter Stephan E. in einem Unterstützerumfeld bewegt hat, das in Kassel seit der Zeit des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) besteht. Er hat bei der Planung seines Mordes von Neonazistrukturen profitiert, die auch nach dem Ende der rechtsterroristischen Mordserie weiter bestanden. So hat Stephan E. sich Waffen beschafft, versteckt und teilweise mit ihnen gehandelt. E. gestand den Ermittlern, dass er neben der Tatwaffe auch zahlreiche andere Schusswaffen besitze – darunter eine Pumpgun und eine Maschinenpistole vom israelischen Typ Uzi. E. offenbarte auch die Verstecke – er hatte die Waffen auf dem Gelände seines Arbeitgebers vergraben. Die Tatwaffe vom Kaliber 9 Millimeter war nicht darunter. Bereits 2014 soll er angefangen haben, sich Waffen zu beschaffen, die Tatwaffe kaufte er 2016, drei Jahre, bevor er den tödlichen Schuss auf Walter Lübcke abfeuerte. Zwei Männer wurden wegen des Verdachts der Beihilfe zum Mord festgenommen, der Vermittler und der Verkäufer der Tatwaffe. Der 64-jährige Elmar J. aus dem Landkreis Höxter hat die Pistole verkauft – über ihn weiß man nicht viel. Er gilt als Einzelgänger, lebt im Anbau einer leeren Gaststätte mitten im Örtchen Natzungen im Landkreis Höxter, 50 Kilometer von Kassel entfernt. Über den Vermittler weiß man mehr. So viel, dass sich hinter dem Mord an Walter Lübcke ein Abgrund auftut – und in diesem Abgrund sind die verdrängten Strukturen des NSU zu sehen. Der 43-jährige Markus H. soll den Kontakt zwischen dem kaufwilligen E. und dem Verkäufer im Gaststättenanbau hergestellt haben. Hermann Schaus kennt den Namen Markus H. nur allzu gut. In den Akten des NSU-Untersuchungsausschusses des hessischen Landtags hat der Linken-Obmann ihn immer gelesen. Nachdem der NSU am 6. April 2006 in Kassel Halit Yozgat in seinem Internetcafé erschossen hatte, wurde auch H. vom BKA befragt. Er soll das Mordopfer gekannt haben. Nach seinem rechtsextremen Hintergrund fragten die Ermittler damals nicht…“
    • „Fall Lübcke: Mutmaßlicher Mörder mit Verbindungen in Dortmunds Naziszene“ bereits am 17. Juni 2019 bei der Autonomen Antifa 170 externer Link über ein Netzwerk nicht nur in Kassel, sondern auch in Dortmund: „… Wie die Tagesschau und andere Medien berichten, soll der Neonazi Stephan E. den Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke begangen haben. Der Täter ist kein Unbekannter: Bereits vor 10 Jahren wurde er beim Überfall mehrerer hundert Nazis auf die Demo des Dortmunder DGB zum 1. Mai festgenommen. 400 Neonazis zogen damals – organisiert vom „Nationalen Widerstand Dortmund“ (NWDO) – ohne Anmeldung durch die Dortmunder Innenstadt und griffen Teilnehmende der DGB-Demo an. Der NWDO wurde schließlich im August 2012 verboten, nachdem seine Mitglieder in den Folgejahren zahlreiche weitere schwere Gewalttaten begangen hatten. Verschwunden sind die Neonazis in Dortmund deswegen jedoch nicht. Unter neuem Namen machen dieselben Kader in der Partei „Die Rechte“ bis heute regelmäßig wegen Übergriffen auf Menschen, die nicht in ihre Ideologie passen, Schlagzeilen. Wesentlich brisanter sind die Verbindungen zur rechten Terrorgruppe „Combat 18“, über die E. verfügen soll. Combat 18 (auch: C18) versteht sich als bewaffneter Arm der verbotenen Rechtsrock-Vereinigung „Blood and Honour“ und verfolgt die Strategie des „führerlosen Widerstands“. Sie propagieren Mordanschläge auf politische Gegner*innen – der Mord an Walter Lübcke würde durchaus in dieses Konzept passen. Dortmund hat sich in den letzten Jahren zu einem Hotspot im Netzwerk der Rechtsterrorist*innen entwickelt. Mehrere Mitglieder von C18 wohnen in Dortmund und sind hier politisch aktiv. Robin Schmiemann, der länger inhaftiert war, weil er bei einem Überfall auf einen Supermarkt auf einen Kunden schoss und ihn schwer verletzte, lebt in Dortmund. Schmiemann war Teil einer C18-Zelle, die Mitte der 2000er Jahre in Dortmund aktiv war, und bekennt sich bis heute mit T-Shirts und Tattoos zu der Gruppierung. Er nimmt regelmäßig an den Demonstrationen der Partei „Die Rechte“ teil – die Leute, mit denen zusammen E. die Dortmunder DGB-Demo angriff. Beim letzten Dortmunder Aufmarsch am 25. Mai hatte er die zweifelhafte „Ehre“, vor Beginn des Marsches eine EU-Fahne auf der Straße auszubreiten, über die die Teilnehmer*innen dann hinüberliefen. Schmiemann wurde überregional als Brieffreund des NSU-Mitglieds Beate Zschäpe bekannt…
    • „International aktives braunes Netzwerk“ von Horst Freire am 27. Juni 2019 beim Blick nach Rechts externer Link zu denselben Netzwerken nicht nur in Kassel oder Dortmund, sondern auch in Kanada: „… Vor dem Verbot der deutschen B&H-Sektion im Jahr 2000 knüpfte und pflegte der Sänger, Gitarrist und Dudelsackspieler David Allen Surette mit dem Szene-Namen „Griffin“ Kontakte zu internationalen B&H-Gefolgsleuten, speziell auch in Deutschland. Seither gilt der frühere Kopf der kanadischen Band „Stonehammer“ (Toronto) als bestens vernetzt in der Rechtsrock-Szene. Seit etlichen Jahren hat er sich in Berlin und Brandenburg niedergelassen, verdingt sich zum Teil als Tätowierer. Erst vor wenigen Tagen trat er als Opener beim „Schild- und Schwert-Festival“ von Thorsten Heise im sächsischen Ostritz auf, konnte die spärliche Besucherzahl vor der Bühne Beobachtungen zufolge aber nicht von den Sitzen reißen. Als derzeit wohl umtriebigste Rechtsrock-Band aus Kanada ist „Legitime Violence“ aus Quebec anzusehen. Bei einer Europa-Tournee 2015 durch Frankreich, Spanien, Italien und Großbritannien kam die 2008 gegründete Combo in Kontakt mit rechtsextremen deutschen Bands und B&H-Aktivisten, auch wenn offiziell andere Veranstalter wie zum Beispiel „CasaPound“ aus Italien oder die Kampfsportmarke „Pride“ aus Frankreich als Veranstalter agierten…“
    • „Todeslisten“, Leichensäcke, Ätzkalk: Nazi-Gruppe bereitete weitere Angriffe vor“ von Jörg Köpke (RND) am 28. Juni 2019 in den Kieler Nachrichten online externer Link über die Pläne dieser – und anderer – Netzwerke unter anderem: „… Nach RND-Informationen stammt die dreiseitige, handgeschriebene Aufstellung von Mitgliedern der rechtsextremistischen Vereinigung „Nordkreuz“. Die Bundesanwaltschaft ermittelt seit August 2017 gegen Mitglieder dieses Netzwerkes wegen des Verdachts der Vorbereitung einer terroristischen Straftat.  „Nordkreuz“ gehören mehr als 30 sogenannte Prepper an, die über den Messenger-Dienst Telegram miteinander verbunden sind und sich auf den „Tag X“ vorbereiten – den Zusammenbruch der staatlichen Ordnung durch eine Flüchtlingswelle oder islamistische Anschläge und die anschließende Liquidierung politischer Gegner. Die meisten Personen der Chat-Gruppe stammen aus dem Umfeld von Bundeswehr und Polizei, darunter sind mehrere ehemalige sowie ein aktives Mitglied des Spezialeinsatzkommandos (SEK) des Landeskriminalamtes (LKA) Mecklenburg-Vorpommern. Alle Mitglieder von „Nordkreuz“ haben Zugang zu Waffen, verfügen über Zehntausende Schuss Munition und sind geübte Schützen. Gegen drei der Männer ermittelt parallel die Staatsanwaltschaft Schwerin. Ihnen wird vorgeworfen, seit April 2012 illegal rund 10.000 Schuss Munition sowie eine Maschinenpistole aus Beständen des LKA abgezweigt zu haben.  Die Beschuldigten bestreiten, „Todeslisten“ angelegt und Ermordungen geplant zu haben. In Sicherheitskreisen heißt es dagegen, die Vorbereitungen auf den „Tag X“ seien mit „enormer Intensität“ betrieben worden. Die „Prepper“ hätten unter Zuhilfenahme von Dienstcomputern der Polizei knapp 25.000 Namen und Adressen zusammengetragen.  Dabei handele es sich in den allermeisten Fällen um Personen aus dem regionalen Umfeld der „Prepper“, bevorzugt Lokalpolitiker von SPD, Grünen, Linken und CDU, die sich als „Flüchtlingsfreunde“ zu erkennen gegeben und Flüchtlingsarbeit geleistet hätten…“
  • Auf ewig unvollendet: Die Abgrenzung der CDU – nach Rechts 
    „… Denn in Ordnung war hier auch vor der AfD, vor Pegida, vor den ganzen Bernds und Björns gar nichts. Damals, als noch steif und fest behauptet wurde, dieses Land habe kein handfestes Problem mit rechtem Gedankengut. Der Unterschied zu damals ist: Die Rechten sind heute klar sichtbar – und das stört. Die breite liberale (meist weiße) Öffentlichkeit wäre wohl schon zufrieden, würde die AfD einfach wieder unsichtbar. Verständlich. Aber was ist mit jenen Bürger_innen, die sich auch dann täglich mit strukturellem Rassismus, mit Rechtsextremen, mit Diskriminierung aufgrund von Hautfarbe, vermeintlicher Herkunft oder Religion herumschlagen müssen? Selbst wenn es keine Partei mehr geben sollte, die rechts von der Union steht, wird es immer noch Wähler_innen geben, die rechts von der Union stehen. Wenn die Union sich wirklich gegen Rechtsextremismus abgrenzen will, dann muss sie es nicht nur da tun, wo es endet – bei einem Mord an einem Politiker aus den eigenen Reihen –, sondern auch da, wo es anfängt: bei der Vorstellung, dass es Menschen gibt, die mehr wert sind als andere. Und diese Vorstellung findet sich eben nicht nur in der AfD. Sondern auch in der CDU…“ – aus dem Kommentar „Die CDU ist Teil des Problems“ von Saskia Hödl am 24. Juni 2019 in der taz online externer Link zur sehr späten Abgrenzung der CDU-Vorsitzenden nach dem Lübcke-Mord. Siehe dazu auch weiteren Beitrag

    • „Eine Parteichefin in der Klemme“ von Daniela Vates am 25. Juni 2019 in der FR online externer Link zur Abgrenzungsübung – und auch Afdler zitierend, die über die reale Zusammenarbeit vor Ort sprechen: „… Der CDU-Politiker Werner Lübcke ist auf der Terrasse seines Wohnhauses erschossen worden, unter Verdacht steht ein Rechtsextremer. Der CDU-Vorstand legt eine Gedenkminute ein. Dann wird über politische Konsequenzen diskutiert. Das Wort Penzlin fällt nicht, aber es geht um die Zusammenarbeit mit der AfD. Dazu hat die Partei eigentlich eine klare Beschlusslage. Die CDU lehnt Koalitionen „oder ähnliche Formen der Zusammenarbeit“ mit der AfD ab, hat der Bundesparteitag im Dezember beschlossen. Aber am Montag scheint es angeraten, das noch mal schriftlich zu bekräftigen. Kramp-Karrenbauer hat schon reagiert in der vergangenen Woche, mit etwas Verzögerung, aber dann deutlich. Die AfD trage dazu bei, dass Hemmschwellen so sinken, „dass sie augenscheinlich in pure Gewalt umschlagen“, hat sie gesagt. Es könne also „keine Form der Zusammenarbeit mit der AfD geben“. Es scheinen nicht alle zu hören. In Sachsen-Anhalt, wo in zwei Jahren gewählt wird, schreiben zwei Vize-Fraktionschefs der Landtagsfraktion ein Papier, in dem sie fordern, „das Soziale mit dem Nationalen zu versöhnen“. Eine Kooperation mit der AfD müsse möglich sein, finden sie. Das ist eine Umdrehung mehr als in Sachsen, wo Ministerpräsident Michael Kretschmer, der eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen hat, sich von einem Politik-Professor beraten lässt, der für Kommunikationsbereitschaft plädiert. Wie viel Kraft also hat Kramp-Karrenbauer, wie entschlossen ist Kretschmer?…“
  • Demonstration in Kassel – und die Frage nach der lauten stille in den Reihen der CDU 
    „… Der Protest war kurzfristig organisiert, da finde ich 2.500 Menschen in Kassel ein gutes Zeichen. Aber im Grunde hätten es noch viel Menschen sein müssen, die auf die Straße gehen, und zwar überall in diesem Land. Ich finde es viel zu still gerade. [Was heißt das?] Auch Kassel wirkte anfangs wie gelähmt. Ich kann das auf der einen Seite verstehen, auf der anderen aber nicht. Gerade die CDU verstehe ich nicht. Viele der Christdemokraten haben geschwiegen, als Herr Lübcke sich in den letzten Jahren für Geflüchtete einsetzte und dafür von Rechten angefeindet wurde. Nun wurde Lübcke – einer von ihnen – erschossen, und sie schweigen wieder. (…) Es braucht jetzt ein hartes Vorgehen der Behörden gegen rechtsextreme Strukturen. Hier wurde ja genau versagt nach dem NSU-Terror. Trotz vieler Versuche der Anwälte von Halits Familie und den anderen Betroffenen wurden die Unterstützer des Trios bis heute nicht aufklärt, obwohl klar ist, dass sich das Trio in einem Netzwerk von rund 40 V-Leuten und Nazis bewegte. Nach dem NSU-Urteil konnten Angeklagte, bekennende Nazis, frei aus dem Gericht spazieren. Und hessische Verfassungsschutzakten wurden für 120 Jahre weggeschlossen. Darüber haben sie in der Nazi-Szene doch gelacht! Auch der Tatverdächtige im Fall Lübcke, Stefan E., ist kein Einzeltäter, da bin ich überzeugt. Deshalb müssen nun die rechten Strukturen wirklich aufgeklärt werden, auch nochmal der Mord an Halit. Und die gesperrten Akten müssen offengelegt werden…“ das sind Antworten von Ayse Gülenc auf die Fragen von Konrad Litschko in dem Gespräch „„Darüber lachen die doch““ am 23. Juni 2019 in der taz online externer Link über die bisherigen Reaktionen auf den Mord in Kassel
  • Ob mit oder ohne die geschredderten oder gesperrten Akten des Verfassungsschutzes: Jeder wusste, dass der Verdächtige im Mordfall Lübcke aktiver Nazi war 
    Die Kasseler Kneipe „Stadt Stockholm“ war jahrelang Treffpunkt der Neonazi-Szene. Auch Stephen E., der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, verkehrte hier – zum Ärger der Gastwirte. Das 17 Jahre alte Foto ihrer Gaststätte, das gerade deutschlandweit die Runde macht, würde Claudia Hauck am liebsten löschen lassen. Es zeigt ein Dutzend Rechtsextremer vor der Kneipe „Stadt Stockholm“ am Entenanger in der Kasseler Innenstadt. Gut zu erkennen auf dem Foto ist Stephan E., der am Samstag festgenommen wurde, weil er den Regierungspräsidenten Walter Lübcke ermordet haben soll. Das Foto dokumentiert, wie sich Neonazis am 30. August 2002 für eine Auseinandersetzung mit linken Gegendemonstranten wappnen. Anlass war eine Wahlkampfveranstaltung der NPD. Dabei hält Stephan E. einen Stuhl als Wurfgeschoss in der Hand. Die anderen Rechtsextremisten haben sich mit Stöcken und Steinen bewaffnet. Hauck kann sich noch gut an Stephan E. erinnern, denn der Neonazi war nicht nur an diesem Tag mit seinen Kumpels im „Stadt Stockholm“ zu Gast. Die Gaststätte, die ihren Namen dem schwedischen König verdankt, der hier im 18. Jahrhundert übernachtet haben soll, galt jahrelang als Treffpunkt der rechten Szene. (…) Oft mittendrin: Stephan E., der auch in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt war. Trotzdem war Hauck erstaunt, als sie am Montag erfuhr, dass der 45-Jährige verdächtigt wird, Walter Lübcke erschossen zu haben. Über die Tat wird auch an ihrer Theke geredet. „Wir haben noch einige Gäste, die den Stephan von früher kennen. Die sagen alle: Der war das nicht, zumindest nicht allein.“ Für Hauck ist Stephan E. nicht der Typ, der etwas organisieren kann: „Aufs Gymnasium hätte der nicht gehen können. Das war immer nur ein Mitläufer.“ Die Ansagen seien damals vor allem von Mike S. gekommen, der als einer der Köpfe der Kasseler Neonazi-Szene gilt…“ – aus dem Bericht „In dieser Kasseler Kneipe trafen sich Stephan E. und die Neonazis“ von Florian Hagemann, Ulrike Pflüger-Scherb und Matthias Lohr am 20. Juni 2019 in HNA online externer Link über Stadtgespräche in Kassel… Siehe weitere Aktualisierungen zum Fall:

    • „Die braunen Schläfer erwachen“ von Sascha Lobo am 19. Juni 2019 bei Spiegel online externer Link unterstreicht: „… In der niederländischen Studie steht, es komme auf „das breitere, radikale Milieu“ an. Die im Raum stehende These möchte ich erweitern: Nicht nur das Milieu, sondern auch größere gesellschaftliche Stimmungen können auf rechtsextreme Attentäter ermutigend wirken. Die Manifeste des norwegischen Massenmörders von 2011 und des australischen Massenmörders von Christchurch 2019 deuten darauf hin.  In beiden Fällen wurde zunächst ein gesellschaftlicher Handlungsdruck imaginiert, der sich in einen persönlichen Handlungsdrang verwandelte, bevor der Entschluss zur Tat gefasst wurde. Bei beiden haben soziale Medien eine entscheidende Rolle gespielt. Der Norweger hat Passagen aus bekannten, rechtsextremen Blogs in sein Manifest eingebaut. Das ist die wahrscheinliche Verbindung zwischen der rechten Hetze in sozialen Medien und der Aktivierung von braunen Schläfern, der Tag der Abrechnung sei gekommen oder müsse mit einer aufrüttelnden Tat herbeigeführt werden: der Tag X. Der Massenmörder von Christchurch wollte ausdrücklich an diesem Tag provozieren. Genau in dieser Weise haben auch die kürzlich aufgedeckten, rechtsextremen Netzwerke in Bundeswehr und Polizei gearbeitet, die zehntausend Schuss Munition sammelten. Weil sie auf den einen Tag warteten, der die Geschichte Deutschlands verändern soll…“
    • „Schredder laufen wieder“ von Claudia Wangerin am 20. Juni 2019 in der jungen welt externer Link zur üblichen Verwaltungsarbeit beim VS unter anderem: „…Das hessische Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hat schon während der Mordserie des »Nationalsozialistischen Untergrunds« (NSU) eine obskure Rolle gespielt und einen Teil seiner Akten dazu für 120 Jahre sperren lassen – am Mittwoch äußerten Oppositionspolitiker auch im Mordfall Walter Lübcke einen Vertuschungsverdacht gegen das Amt. Angeblich gibt es im LfV keine Personalakte mehr über den mutmaßlichen Mörder des Kasseler Regierungspräsidenten – dies berichtete am Mittwoch der Hessische Rundfunk. Der Landtagsabgeordnete Hermann Schaus (Die Linke) erinnert sich aber, dass dem NSU-Untersuchungsausschuss im Jahr 2015 Akten vorlagen, in denen sich »ein geheim eingestuftes Dokument mit relevanten Informationen« zu dem heute dringend tatverdächtigen Neonazi Stephan Ernst befand. Der Geheimdienst lasse medial verbreiten, dass Akten beim LfV fünf Jahre nach der letzten aktenkundigen Tätigkeit des Betroffenen aus Datenschutzgründen gelöscht werden müssten, so Schaus – das sei aber im Fall Ernst nicht korrekt. Schaus verwies auf das wegen der NSU-Ermittlungen 2012 erlassene Löschmoratorium für Akten, die die rechte Szene betreffen – und bekanntlich habe sich Ernst 2009 am Überfall auf eine DGB-Kundgebung in Dortmund beteiligt. Der heute 45jährige Ernst, dessen DNA an der Kleidung des Anfang Juni erschossenen Walter Lübcke gefunden wurde, war bereits 1993 wegen eines versuchten Rohrbombenanschlags auf eine Flüchtlingsunterkunft verurteilt worden…
    • „Aufgaben der Zivilgesellschaft“ von Sebastian Bähr am 20. Juni 2019 in neues deutschland online externer Link kommentiert: „… Daraus ergeben sich Aufgaben: Die Zivilgesellschaft muss den Behörden im Fall Lübcke auf die Finger schauen und die Ermittlungen kritisch begleiten. Dies bedeutet, eine Versteifung der Ermittler auf eine Einzeltäter-These zu verhindern, für die Offenlegung der NSU-Akten einzutreten, Recherchen von Journalisten und Antifaschisten zu berücksichtigen. Es bedeutet auch, Bedrohte zu informieren, zu schützen und ihnen zuzuhören. Abseits der Ermittlungen ist ein gesellschaftliches Umdenken notwendig. Viele Bürger nehmen rechten Terror nicht ernst, weil sie bisher nicht zu seinen Opfern gehörten. Andere denken immer noch, dass es trotz rechter Anschläge legitim ist, auf Rechtsaußen mit Dialog- und Bündnisangeboten zuzugehen. Gerade aus dieser vermeintlichen Akzeptanz ziehen dabei militante Neonazis ihre Zuversicht…“
  • Die Täter von Kassel: Das nächste mörderische Netzwerk wurde übersehen – oder gefördert? 
    „… Auffallend ist, dass selbst dem Untersuchungsausschuss, der jahrelang die gewalttätige Kasseler Neonazi-Szene durchleuchtete, keine Informationen über den Anschlag in Hohenstein-Steckenrodt zur Verfügung gestellt worden waren, der von einem Neonazi begangen wurde, der spätestens seit Anfang der 2000er Jahre in Kassel wohnte. Die vergangenen Jahre soll Ernst in Süddeutschland gelebt haben. Erst vor kurzem sei er, so heißt es, wieder nach Kassel gezogen. Es deutet derzeit einiges darauf hin, dass Ernst zum Netzwerk «Combat 18» mindestens Kontakte unterhielt. Möglicherweise war er dort tiefer eingebunden. Eine zentrale Person des deutschen «Combat 18»-Ablegers ist der ehemalige Kasseler Stanley Röske, mit dem Ernst spätestens seit den frühen 2000er Jahren bekannt ist. Exif hat erst im Jahr 2018 seine Recherchen über dieses terroristisch ambitionierte neonazistische Netzwerk offen gelegt. Es ist offensichtlich, dass dieses Netzwerk von Spitzeln verschiedener Behörden und Geheimdienste durchsetzt ist und deswegen seit Jahren von den Behörden, allen voran vom Verfassungsschutz, klein geredet und „an der langen Leine“ laufen gelassen wird…“ – aus dem (laufend ergänzten) Beitrag „Tatverdächtiger im Fall Lübcke ist bekannter Neonazi“ am 17. Juni 2019 bei Exif-Recherche externer Link zum nächsten Einzeltäter… Siehe dazu eine kleine aktuelle Beitragssammlung:

    • „Mordfall Lübcke: Polizei liegen angeblich Hinweise auf weitere Täter vor“ von Ulrich Weih und Melanie Bäder am 18. Juni 2019 in der FR online externer Link meldete unter anderem: „… Bereits im Haftbefehl gegen Stephan E., den eine Richterin des Amtsgerichts Kassel am Samstag ausgestellt hatte, hieß es, es gebe „Hinweise auf Mittäter oder Mitwisser“. Bei der Durchsuchung der Wohnung von Stephan E. entdeckten die Ermittler demnach einen weiteren Autoschlüssel, der im CD-Fach eines Radios im Gäste-WC versteckt war. Dieser gehört zu einem Fahrzeug der Marke Skoda, das Stephan E. kurz vor der Tatnacht von einem Familienmitglied übernommen haben soll. Er habe das Auto für den Verwandten verkaufen sollen. Nach Angaben der Ehefrau von Stephan E. ist dies zwischen dem 2. und 4. Juni auch geschehen. Bis jetzt konnte dieses Auto nicht gefunden werden…“
    • „Erweiterte Toleranz für Rechtsterrorismus?“ von Tomasz Konicz am 18. Juni 2019 bei telepolis externer Link zu Herren wie Gauck in der aktuellen Entwicklung: „… Ganz viel, so wörtlich, „erweiterte Toleranz“ gegenüber der Neuen deutschen Rechten forderte jüngst auch der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck. Man könne doch nicht eine ganze Partei zum „Feind erklären“, klagte das ehemalige Staatsoberhaupt der Bundesrepublik mit tolerantem Blick auf die AfD. Damit würde man nur die Anhängerschaft der Neuen Rechten „noch weiter in eine Trotzreaktion“ treiben, so Gauck. Die aufschäumende rechte Gewalt geht somit einher mit Bemühungen, die Neue Rechte als eine neue Normalität des deutschen politischen Spektrums zu etablieren. Insbesondere am breiten rechten Rand der CDU, der sich seit 2017 in der sogenannten „Werteunion“ formiert, scheinen diese Bemühungen forciert zu werden. Ziel scheint letztendlich die Normalisierung einer schwarz-Braunen Koalition zu sein. Dies hat ein unumstrittener Experte für die Normalisierung rechter Gewalt, der ehemalige Verfassungsschutzchef Maaßen, jüngst explizit öffentlich formuliert. In einem Interview wollte das prominente Mitglied der Werteunion eine Koalition der CDU mit der AfD nicht mehr ausschließen. (…) Im Licht dieser Auseinandersetzungen innerhalb der CDU, wo offensichtlich die Bereitschaft zu Schwarz-Braun zunimmt, scheinen die wütenden Angriffe der AfD auf Lübcke nicht nur ideologisch motiviert zu sein, da dieser „christliche Werte“ über den völkischen Wahn der Neuen rechten stellte, sondern auch machtpolitisch. CDU-Politiker, die – im Gegensatz zu einem Herrn Gauck – ihre christlichen Werte ernst nehmen, stellen schlicht ein politisches Hindernis bei der von der AfD-Führung anvisierten Koalition mit der CDU dar. Dieses politische Kalkül, die Schwächung des gemäßigten Flügels des deutschen Konservatismus, motiviert die verbalen Attacken von AfD und Pegida auf die „Volksverräter“ in der CDU – die nun von militanten Nazis buchstäblich exekutiert worden sind. Letztendlich handelte es sich bei dem Mord an Lübcke um einen rechten Terrorakt, der all jene Kräfte im deutschen Konservatismus einschüchtern soll, die Schwarz-Braun im Weg stehen. Lübcke war ein Hindernis auf dem Weg zu Schwarz-Braun, die Angst, die dieser Terrorakt in sein politisches Milieu hineinträgt, soll dazu beitragen, es zu paralysieren…“
    • „„Wir schießen den Weg frei“ – bereitet die AfD-Sprache den Boden für rechten Terror mit?“ von Katja Thoorwarth am 19. Juni 2019 in der FR online externer Link zu Zusammenwirken: „… Die Liste lässt sich beliebig lang fortsetzen, Youtube hat es bislang nicht für nötig befunden, hier moderierend einzugreifen. Auch die hessische AfD-nahe Politikerin Erika Steinbach hatte den Hass auf Lübcke neu angeheizt. „Zunächst sollten die Asylkritiker die CDU verlassen, bevor sie ihre Heimat aufgeben!“, tweetete sie im Februar dieses Jahres. Zahlreiche Reaktionen bezogen sich auf Walter Lübcke – „ Landesverrat. An die Wand mit dem. Hat ja direkt die Antwort bekommen…“ war neben einem Galgen eine der Reaktionen, die sich laut „t-online.de“ im Juni noch unkommentiert auf Facebook und Twitter fanden.  Weiteres prominentes Beispiel ist Akif Pirincci. Der türkische Autor, bekannt für seine rechten Hetztiraden, hatte 2015, kurz nach Lübckes Rede, von Politikern im Kontext der Flüchtlingspolitik als den „Gauleitern des eigenen Volkes“ gesprochen. Beispielhaft war für ihn Walter Lübcke: „Offenkundig scheint man bei der Macht die Angst und den Respekt vor dem Volk so restlos abgelegt zu haben, dass man ihm schulterzuckend die Ausreise empfehlen kann“, wird er aus einer „Pegida“-Rede zitiert.  Systematisch wurde in den letzten Jahren gegen einen Mann gehetzt, der aufgrund seiner humanitären Haltung nun wohl Opfer eines Neonazis wurde. Umso erstaunlicher, dass ein Kommentator der „Dresdner Neusten Nachrichten“ sich an „kaltblütige Anschläge der RAF“ erinnert fühlte.  Mittlerweile wurde die Überschrift um die NSU ergänzt, jedoch sei an dieser Stelle auf eine Statistik des Terrorismusexperten Daniel Köhler verwiesen, den der „Deutschlandfunk“ im März 2018 veröffentlichte: Seit 1971 geschahen in Deutschland 229 rechtsterroristische Morde, 123 Sprengstoffanschläge, 2173 Brandanschläge, 12 Entführungen und 174 bewaffnete Überfälle durch 92 rechtsterroristische Gruppen und Einzelpersonen…“
    • „Trauern um Walter Lübcke“ von Jagoda Marinic am 17. Juni 2019 in der taz online externer Link kommentiert: „… Man kann bei einem politischen Mord (und allem Anschein nach war es ein politischer Mord) nicht zwei Wochen für die öffentliche Trauer auf Stand by schalten, nur um keine falschen Debatten auszulösen. Vor allem wenn die Ursache für die falschen Debatten schon an sich untragbar ist: Drohungen, die Menschen über sich ergehen lassen müssen, wenn sie sich in diesem Land für Nächstenliebe und die Umsetzung des geltenden Asylrechts starkmachen. Die „Schonfrist“ für die öffentliche Aufarbeitung gilt meist insbesondere dann, wenn rechtsextreme Milieus nicht vorschnell beschuldigt werden sollen. Angeblich um die Spaltung der Gesellschaft nicht voranzutreiben. Demokratie kann sich Geduld dieser Art nicht leisten. Jeder politische Mord erfordert umgehend Parteinahme und Schutz, ganz gleich welche Motive noch zu ergründen sind. Als am 16. Juni 2016 die britische Politikerin Jo Cox ermordet wurde, gestattete sich Großbritannien zu trauern, auch wenn die Hintergründe noch offen waren. Ihr Mörder galt zunächst lediglich als psychisch gestört. Im Nachhinein wurden Verbindungen in die Neonaziszene bekannt…“
    • „»Direkte Linie« zum Mord“ von Claudia Wangerin am 19. Juni 2019 in der jungen Welt externer Link über einige Beweggründe der extrem seltsamen Haltung der CDU zum Mord an ihrem Mitglied: „… In der CDU sorgten die Erkenntnisse zum Mord an ihrem Parteimitglied Lübcke Anfang der Woche für fundamental unterschiedliche Reaktionen. Michael Brand, Mitglied im Innenausschuss des Bundestags, sagte am Dienstag im Deutschlandfunk, er sehe »eine direkte Linie von der grenzenlosen Hetze« von AfD-Politikern wie Björn Höcke »zu Gewalt und jetzt auch zu Mord«. Max Otte, Mitglied des rechtskonservativen CDU-Flügels »Werteunion« und Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung, hatte zunächst getwittert, der »Mainstream« habe jetzt »eine neue NSU-Affäre und kann hetzen. Es sieht so aus, dass der Mörder ein minderbemittelter Einzeltäter war, aber die Medien hetzen schon jetzt gegen die ›rechte Szene‹, was immer das ist«. Später löschte er den Eintrag und bezeichnete ihn als Fehler…
    • „Wie Lübcke zum Ziel rechter Hetze wurde“ von Zita Zengerling am 17. Juni 2019 in der SZ online externer Link zur Vorgeschichte des Mordes: „… Der getötete Kasseler Regierungspräsident Walter Lübcke war seit Jahren Opfer von Hetze und Drohungen. Der Hass gegen ihn ging vor allem von einer Aussage aus, die eigentlich ein Appell an christliche Werte sein sollte. Auf einer Bürgerversammlung im hessischen Lohfelden hatte Lübcke im Oktober 2015 über eine Erstaufnahme-Einrichtung für Geflüchtete gesprochen. Immer wieder war er dabei durch Zwischenrufe unterbrochen worden. Schließlich entgegnete Lübcke den Störern, dass er stolz auf das ehrenamtliche Engagement und das Vertreten christlicher Werte in der Flüchtlingshilfe sei: „Wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen“, sagte der Behördenleiter. Es folgte ein Raunen im Zuschauerraum, Pfiffe und Buhrufe, jemand rief, Lübcke solle verschwinden. Auch wenn es im Bericht der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen (HNA) zu der Veranstaltung hieß, dass die Stimmung nicht kippte und die dem Flüchtlingsthema aufgeschlossenen Besucher in der Überzahl gewesen seien, wurde ein Video mit Lübckes Satz noch am selben Tag auf Youtube hochgeladen. Darunter sammelten sich Kommentare mit Beleidigungen, Rücktrittsforderungen und Todeswünschen: „So eine Drecksau!!“, schrieb ein User, ein anderer kommentierte „Aufhängen!“, und ein User, der sich „kein Nazi“ nennt, schrieb: „Gott sei Dank war ich da nicht mit dabei, denn sonst würde ich jetzt wegen einer Straftat im Knast sitzen!„…“
    • „Der Mord an Walter Lübcke“ am 17. Juni 2019 bei der Antifa Pinneberg externer Link fasst zusammen: „… Seit Jahren wird von Rassit*innen und organisierten Faschis*innen aller Couleur gedroht und gehetzt, von Sarrazin (SPD), Palmer (Grüne), Maaßen (CDU), Erika Steinbach, „Identitätre Bewegung“, „Alternative für Deutschland“, „Pegida“, „NPD“ und“ Dritter Weg“. Ein Teil dieser Szene sieht sich spätestens seit 2015 im Krieg gegen die Regierung und gegen alle anderen Menschen die nicht in ihr Weltbild passen.  Die Antifa Bonn/Rhein-Sieg berichtet treffend nach dem Attentat auf Henriette Reker Oberbürgermeisterin von Köln durch Frank Steffen einem Nazi der in den 90er in der verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) organisiert war.  „Die menschenverachtenden Täter der 90er Jahre wurden juristisch kaum verfolgt und ihre Taten wurden durch die Justiz als Taten von „verrückten Einzeltätern“ verklärt und entpolitisiert. Dass die Nazis der 1990er Jahre zu einem Teil immer noch das gleiche Gedankengut haben bemerken wir zum Beispiel bei dem Waffenhändler Ralf Tegethoff, der Mitorganisator des jährlich stattfindenden Naziaufmarsches in Remagen ist und Ausbilder der inzwischen verboten Kameradschaft Aktionsbüro Mittelrhein war. Der ehemalige Chefnazischläger Norbert Weidner ist heute in der rechtsextremen Burschenschaft der Raczeks zu Bonn aktiv…
  • Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten: Verdächtiger mit Nazi-Aktivitäten… 
    „… Im Fall des Mordes an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke verdichten sich die Hinweise, dass es sich um einen Anschlag mit politischem Hintergrund handeln könnte. Nach Angaben der Polizei wurde am Samstag ein 45 Jahre alter Mann unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Gegen ihn wurde mittlerweile Untersuchungshaft verhängt. Nach F.A.Z.-Informationen handelt es sich um eine Person, die früher in der rechtsextremistischen Szene aktiv war Geprüft wird derzeit, inwieweit der Mann dort jüngst noch aktiv war. Der Verdächtige soll über eine DNA-Spur identifiziert worden sein, die am Tatort gefunden wurde. Offenbar war der Mann einschlägig bekannt. Wie die Staatsanwaltschaft Kassel und das hessische Landeskriminalamt am Sonntag mitteilten, wurde der Verdächtige am frühen Samstagmorgen gegen zwei Uhr festgenommen. Nähere Informationen zu der Person machten sie zunächst nicht. Sie wollen sich an diesem Montag zu den möglichen Hintergründen der Tat äußern…“ – aus dem Artikel „Dringender Tatverdacht gegen Rechtsextremisten im Mordfall Lübcke“ von Katharina Iskandar am 16. Juni 2019 im FAZ.net externer Link, worin auch noch die Möglichkeit einer „längeren Liste“ potenzieller Mordopfer Thema ist.
  • „Walter Lübcke: AfD Kreisverband verhöhnt getöteten Regierungspräsidenten“ von Katja Thorwarth am 04. Juni 2019 in der FR online externer Link hebt dazu hervor: „… Die AfD Kreis Dithmarschen nahm den Tod des Politikers zum Anlass, um zu demonstrieren, wes Geistes Kind sie ist: „Mord???? Er wollte nicht mit dem Fallschirm springen…“ hieß es auf Facebook – mit einem einigermaßen unzweideutigen Verweis auf den Suizid von Jürgen Möllemann 2003. Verantwortlich für die Seite zeichnet laut Impressum Mario Reschke.  Der ruderte Stunden später zurück, ein jeder solle „… Halbsätze selbst zu Ende denken…“ entsprechend sei jeder „auch für seine Gedanken selbst verantwortlich“. Häme oder Spott wies er weit von sich.  Reschke, der seit 1. April 2017 den Vorsitz des AfD-Kreisverbandes stellt, ist in der rechten Szene kein Unbekannter. Er soll der Reichsbürgerbewegung nahe stehen, dass er ein Waffennarr zu sein scheint, legt ein einschlägiges Bild von ihm auf der mittlerweile stillgelegten Facebookseite Ma Reschke nahe. Dort posierte er öffentlich sichtbar mit geschwellter Brust und einer Maschinenpistole. Ebenso archiviert sind antisemitische Posts und Verschwörungstheorien…“
  • „Fall Lübcke: Sanitäter soll Tatort verändert haben“ bis zum 05. Juni 2019 in der FR online externer Link ist eine Chronologie zu dem Mord, in der es unter anderem heißt: „… Im Rahmen der Ermittlungen prüft die Staatsanwaltschaft Kassel auch die Hasskommentare im Netz, in denen Rechtsextreme den getöteten Regierungspräsidenten, der sich mit seiner Haltung gegenüber Flüchtlingen im rechten Lager viele Feinde gemacht hat, verhöhnen. Die Ermittler prüfen jeden einzelnen Kommentar auf „strafrechtliche Relevanz“, so Thöne. Beleidigung, Störung des öffentlichen Friedens und die öffentliche Aufforderung zu Straftaten kämen als Delikte in Betracht. (…) Auch nach Lübckes Tod kommt es noch zu geschmacklosen Kommentaren und Verhöhnungen im Netz von einschlägiger Seite. Rechtsextreme zeigen offene Freude über die Tat. In den sozialen Medien finden sich zahlreiche Grenzüberschreitungen: „Die Drecksau hat den Gnadenschuss bekommen! RESPEKT!“, schreibt etwa ein „Franz Brandwein“ auf YouTube. Auf Facebook kommentiert ein Nutzer „Selbst schuld, kein Mitleid, so wird es Merkel und den anderen auch ergehen„…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=149832
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