Ewig Geheim: Informationsfreiheitsgesetz gewährt Geheimdiensten eine „Bereichsausnahme“, jetzt soll die Geheimhaltung durch interne Anweisungen für alle Ewigkeit zementiert werden

Informationsfreiheitsgesetz. Graftik der Otto Brenner Stiftung„Deutschland hat nur ein armseliges Informations-Freiheitsgesetz (IFG), verabschiedet im September 2005 von der rot-grünen Koalition. Armselig, weil es keineswegs die Verwaltung zur Transparenz zwingt, sondern zahlreiche Ausnahmen auflistet. So gewährt es den Geheimdiensten eine „Bereichsausnahme“ und befreit sie damit von der Auskunftspflicht. Zwei Monate nach der Verabschiedung des IFG zog Angela Merkel in das Kanzleramt ein, und seitdem ging es mit der Transparenz noch weiter bergab. Jetzt will sie sogar Geheimhaltung bis auf den Sankt-Nimmerleins-Tag zementieren, durch interne Anweisungen, im Hinterzimmer fabriziert. Laut Gesetz sind in Deutschland nach 30 Jahren amtliche Unterlagen grundsätzlich offen. In einigen begründeten Ausnahmefällen kann diese Frist um weitere 30 Jahre verlängert werden. Damit werden jetzt die Akten frei, die den Kalten Krieg und die „Entführung“ des Nazi-Kriegsverbrechers Adolf Eichmann aus Argentinien im Mai 1960 betreffen. Die Eichmann-Akten des BND hatte ich bereits 2008 über eine Klage vor dem Bundesverwaltungsgericht herausgeklagt, damals das erste Verfahren dieser Art. Doch ich hatte diese Bände geschwärzt erhalten. Das Amt Merkel wollte die maximale Sperrfrist von 60 Jahren ausnutzen. Die sind jetzt vorbei, und im Juni beantragte ich die kompletten Akten des BND. Die Registriernummern besitze ich ja. Der BND weiß, dass ich den Rechtsweg nicht scheue und schickte mir vier Bände mit einigen 2010 noch geschwärzten Dokumenten. Ansonsten hält man an der Geheimhaltung fest. Eine Veröffentlichung schade dem Wohl des Bundes und verrate die Methoden des Dienstes, heißt es pauschal auf den sog. „Entnahmeblättern“. (…) Das Kanzleramt hat die von mir beantragten Unterlagen aus den 1950er Jahren an das Bundesarchiv geschickt, aber die wurden mir in Koblenz nicht komplett vorgelegt. Es geht darin über die Rolle der neu gegründeten Bundeswehr in der NATO und die Abrüstungsvorschläge aus der Sowjetunion. In den Akten fand ich stattdessen Entnahme-Blätter, die die Geheimhaltung über die 60-Jahres-Frist verfügen. 2042 wolle man erneut prüfen. Also noch mal mindestens 84 Jahre nach Erstellung des Dokuments. Es bleibt abzuwarten, was die Gerichte dazu sagen werden. Ich werde sowohl gegen den BND als auch gegen das Kanzleramt einen Prozess anstrengen. Beim Bundesverwaltungsgericht kennt man den Fall ja schon. Sowohl die Prozesse als auch der Film wurden über Spenden finanziert.“ Beitrag von Gaby Weber vom 13. September 2020 bei Telepolis externer Link und neu dazu:

  • [Transparenz im Umgang mit historischen Akten] Verschlusssache Wiederbewaffnung New
    „Ampel-Regierung verspricht mehr Transparenz im Umgang mit historischen Akten. Nimmt man die neuen Koalitionäre beim Wort, stößt man schnell an alte Grenzen (…) Ich führe zurzeit etliche Verfahren auf Freigabe von historischen Akten des Kanzleramtes, doch leider folgen die Verwaltungsgerichte fast immer der Argumentation des Kanzleramtes, dass die Freigabe das „Wohl der Bundesrepublik gefährden würde“. Vor einigen Monaten wurde die CDU aus dem Kanzleramt gewählt und die neue Regierung behauptet, „mehr Fortschritt wagen zu wollen“. Daher bat ich Frau Roth, von ihrem Weisungsgebot Gebrauch zu machen und das zu tun, was im Koalitionsvertrag angekündigt ist: Akten, die älter als 30 Jahre sind, freizugeben. Doch Frau Roth hält es mit Adenauer – „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern?“ – und will nun plötzlich die Sperrfrist auf den Sankt Nimmerleinstag verlängern. (…) Konkret geht es um die Akten des Kanzleramtes aus dem Jahr 1957, die ich im Bundesarchiv in Koblenz einsehen wollte. Die Bundeswehr war gerade gegründet und die Bundesrepublik in die Nato aufgenommen worden. Die nukleare Abschreckung stand auf der Tagesordnung. Konrad Adenauer fürchtete, von sowjetischen Panzern überrollt zu werden und militarisierte, ein Jahrzehnt nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, die bundesdeutsche Gesellschaft. Leider fand ich in den Akten etliche „Entnahmeblätter“, die belegen, dass an dieser Stelle Dokumente aus dem Jahr 1957 entnommen und weiterhin geheim gehalten werden. Auf Nachfrage meinte das Bundesarchiv meinem Rechtsanwalt Raphael Thomas gegenüber, dass das Kanzleramt in Berlin weiterhin an der VS-Einstufung festhalte. VS steht für Verschlusssache. (…) Seit 1988 haben wir ein Bundesarchivgesetz, seit 2006 ein Informationsfreiheitsgesetz. Danach war stets klar, dass Akten bis zu 30 Jahren geheim gehalten werden dürfen, in besonderen Einzelfällen bis zu 60 Jahren. Damit wären nun die Akten des Kalten Krieges für die Öffentlichkeit offen. Um dies zu verhindern, novellierte die Große Koalition 2017 das Bundesarchivgesetz. Die neue Regelung verwässert die klare Aussage, dass nach 60 Jahren endgültig Schluss ist mit Geheimhaltung, indem sie die Verschluss-Sache-Anweisung (VSA) vom Jahr 2006 erwähnt.(…) Und die neue VS-Anweisung von 2018 erlaubt an keiner Stelle die unbefristete Geheimhaltung. Sie erwähnt allerdings keine maximale Schutzfrist mehr und spricht nur von einem allgemeinen „Schutzbedarf“. Der gesetzliche Anspruch wurde damit nicht geregelt, sondern verwässert und damit der Verwaltung die Entscheidung überlassen…“ Beitrag von Gaby Weber vom 17. Januar 2022 bei Telepolis externer Link

  • [Video] Ewig geheim. Wie der Staat seine Akten vor den Bürgern versteckt 
    Für eine Demokratie ist Transparenz und die Möglichkeit, staatliche Institutionen durch den Bürger oder durch die Medien zu kontrollieren, essentiell. Was zunächst selbstverständlich klingt, stößt in der Praxis auf Widerstand. Die Mächtigen lassen sich ungerne in die Karten schauen und versuchen mit Taschenspielertricks, ihre Akten dem Zugriff der Öffentlichkeit zu entziehen. Ohne die zeitliche Begrenzung von maximal 60 Jahren, wie es im Gesetz steht. Für alle Ewigkeit. Dokumente aus den fünfziger Jahren werden bis mindestens 2042 für streng geheim erklärt und auch diese Frist kann nach Bedarf verlängert werden. Gaby Weber, Journalistin und Publizistin, spricht mit weltnetz darüber, wie der Staat seine Akten vor den Bürgern bis auf alle Ewigkeiten verstecken will.“ Video von Gaby Weber bei weltnetz.tv externer Link (00:29:55) vom 13.10.2020
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=178226
nach oben