(Angedrohte) Strafanzeige Horst Seehofers gegen taz-Journalistin Hengameh Yaghoobifarah – Pressefreiheit statt Polizeigewalt!
Dossier
„… am 21. Juni 2020 kündigte Bundesinnenminister Horst Seehofer an, eine Strafanzeige gegen taz- Autor_in Hengameh Yaghoobifarah wegen einer satirischen Kolumne zu stellen. Das ist ein massiver Angriff gegen die Presse- und Meinungsfreiheit. Wir als Kulturproduzent_innen, Autor_innen, Journalist_innen, als Bürger_innen einer offenen demokratischen Gesellschaft, sind erschüttert über diesen Vorgang. Die Bundesregierung sollte nämlich aktiv für den Schutz dieser Freiheiten stehen. Öffentliche Statements von Bundesinnenminister Horst Seehofer knüpfen dagegen einen erfundenen Zusammenhang zwischen dieser satirischen Zeitungskolumne und den Randalen gegen die Polizei in Stuttgart am 20. Juni 2020. (…) Die gefährliche Instrumentalisierung dieser Debatte durch den Innenminister spaltet die Gesellschaft, sie führt auch dazu, dass Autor_innen wie Hengameh Yaghoobifarah von anderen Rechtspopulisten und Rechtsextremen massiv angefeindet, angegriffen und bedroht werden. (…) Das eigentliche Thema worüber nämlich gerade weltweit gesprochen wird und worüber wir auch in Deutschland sprechen müssen, heißt rassistische Polizeigewalt. Der Bundesinnenminister möchte sich diesem Gespräch nicht stellen und profiliert sich mit seiner angedrohten Strafanzeige auf dem Rücken einer freien Autor_in, die selbst von Rassismus, Queerfeindlichkeit und den täglichen Angriffen gegen Journalist_innen betroffen ist. Diese Strafanzeige ist eine Einschüchterungstaktik gegen all jene, die sich öffentlich für die Chancengleichheit aller Bürger_innen in diesem Land positionieren. Das können wir nicht zulassen…“ Petition „Pressefreiheit statt Polizeigewalt!“ von friendsofhengameh bei change.org an die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland – siehe die ErstunterzeichnerInnen auf der Aktionsseite friendsofhengameh und hier weitere Stellungnahmen:
- taz-Kolumne „All cops are berufsunfähig“: Presserat sieht keinen Verstoß gegen Pressekodex
„Anders als Horst Seehofer und die Polizeigewerkschaften sieht der Presserat die Kolumne „Abschaffung der Polizei: All cops are berufsunfähig“ als von der Meinungsfreiheit gedeckt an. Die Berliner Staatsanwaltschaft eventuell ebenfalls. (…) Die Mitglieder des Presserates begründeten ihre Entscheidung am Dienstag damit, dass die Kolumne eine Satire darstelle, die sich auf die gesellschaftliche Debatte über strukturelle Probleme bei der Polizei wie Rechtsradikalismus, Gewalt und Rassismus beziehe. Die Wortwahl „Mülldeponie“ als einziger Ort für die Polizei sei eine Geschmacksfrage. Es sei nicht zwingend, dort eine Gleichstellung der Polizei mit Müll hineinzuinterpretieren. Es sei zwar ein drastisches Gedankenspiel, das allerdings Raum für andere Interpretationen gebe. Der Text stelle außerdem keinen Verstoß gegen die Menschenwürde von Polizistinnen und Polizisten (Ziff. 1 des Pressekodexes) dar, da es sich um eine Kritik der Berufsgruppe handele und nicht einer Einzelperson. Abgesehen davon sei die Polizei eine gesellschaftlich anerkannte Berufsgruppe, die nicht unter den Diskriminierungsschutz nach Ziffer 12 des Pressekodexes falle…“ Mitteilung vom 8. September 2020 bei Legal Tribune Online zur PM des Presserats - Rote Hilfe zur taz-Debatte: Frontalangriff auf die Pressefreiheit
„… „Wir erklären uns solidarisch mit Hengameh Yaghoobifarah“, sagt Anja Sommerfeld vom Bundesvorstand der Roten Hilfe. Der Verein stellt sich stets auf die Seite Linken, die aufgrund ihrer politischen Arbeit und ihrer Systemkritik staatlicher Repression ausgesetzt sind. „Es verwundert uns nicht, dass der Innenminister ein Exempel statuieren wollte“, sagt Anja Sommerfeld – wohl habe er gehofft, dass eine breite Solidarisierung mit der Person und dem Text ausbleibt. Dem ist jedoch nicht so. (…) Im weltweiten Presseindex, den die Organisation Reporter ohne Grenzen jährlich veröffentlicht, steht die BRD auf Rang elf – noch hinter Costa Rica und Jamaica. (https://www.reporter-ohne-grenzen.de/fileadmin/Redaktion/Downloads/Ranglisten/Rangliste_2020/Rangliste_der_Pressefreiheit_2020_-_RSF.pdf ) Als gegenwärtige Hindernisse journalistischer Arbeit betrachtet die Organisation neben der Sammelwut des Bundesnachrichtendienstes, Hasskriminalität im Netz etc. auch die Tatsache, dass Journalist*innen zunehmend auch von der Polizei an ihrer Arbeit gehindert werden (der komplette Bericht findet sich unter https://www.reporter-ohne-grenzen.de/nahaufnahme/2020/ ) Anstatt dagegen vorzugehen, bekräftigte Horst Seehofer diese Tendenz und versuchte selbst, eine Journalist*in zum Schweigen zu bringen – wohl, um von Missbrauchs-, Gewalt-, Veruntreuungs- und Skandalen im rechtsextremen Spektrum in den Reihen der Polizei abzulenken, deren oberster Dienstherr Seehofer als Bundesinnenminister ist. „Dass hat er die Anzeige schlussendlich nicht gestellt hat, können wir nur begrüßen.“, sagt Anja Sommerfeld. „Weitere staatliche Angriffe auf die Pressefreiheit sind damit aber nicht auszuschließen. Wir zeigen uns solidarisch mit den Betroffenen und hoffen, dass auch der Fall der TAZ das Thema in der Öffentlichkeit nochmals verdeutlicht.““ Erklärung des Bundesvorstands der Roten Hilfe vom 27.06.20 - „Seehofer verzichtet auf Strafanzeige gegen Hengameh Yaghoobifarah“ – Stattdessen bittet er die Chefredaktion der „taz“ zum Gespräch
„Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) verzichtet darauf, wegen einer polizeikritischen Kolumne in der taz Strafanzeige zu stellen. Er werde stattdessen die Chefredaktion der Zeitung in sein Ministerium einladen, „um mit ihr den Artikel und seine Wirkung zu besprechen“, teilte Seehofer mit. Außerdem werde er sich an den Deutschen Presserat wenden, weil die Kolumne „in meinen Augen einen schweren Verstoß gegen den Pressekodex darstellt“. Die stellvertretende Chefredakteurin der taz begrüßte den Verzicht Seehofers auf eine Anzeige gegen die Kolumnistin ihrer Zeitung. Der Deutsche Presserat teilte mit, dass er Verfahren gegen die Zeitung wegen der umstrittenen Kolumne eingeleitet habe. Grundlage dafür seien bislang 340 vorliegende Beschwerden gewesen. Seehofer erneuerte seine Kritik an dem satirischen Beitrag. (…)Seehofer reagierte auch auf Kritik, wonach er mit der angedrohten Strafanzeige die Pressefreiheit bedrohe. „Mir geht es bei der von mir angestoßenen Diskussion nicht um Strafverfolgung einer Person und schon gar nicht um einen Eingriff in die Pressefreiheit“, sagte er. Er ergänzte: „Mir geht es im Gegenteil darum, dass wir dringend eine gesellschaftliche Diskussion darüber führen müssen, wie wir in dieser Gesellschaft miteinander umgehen und wo die Grenzen einer Auseinandersetzung sind.“…“ Agenturmeldung vom 25. Juni 2020 in der Zeit online - Seehofer kontra Journalistin: Fehl-Anzeige / Die Polizei, dein Feind und Hater
- Seehofer kontra Journalistin: Fehl-Anzeige
„Innenminister Seehofer wollte Anzeige gegen eine „taz“-Autorin erstatten. Doch nun ist er abgetaucht, nicht einmal die eigenen Leute stehen hinter ihm. Macht der CSU-Politiker mal wieder einen Rückzieher? Den ganzen Tag hatte sich Horst Seehofer freigenommen. Alle Termine: abgesagt. In aller Ruhe wollte er entscheiden, ob er, der Bundesinnenminister, tatsächlich eine Journalistin anzeigen will: Hengameh Yaghoobifarah, die in einer Kolumne in der „taz“ über die Entsorgung von Polizisten auf der Müllhalde sinniert hatte. Doch bis zum späten Dienstagabend konnte er sich immer noch nicht durchringen, ob er den wohl beispiellosen Schritt geht. Oder doch lieber dem Rat der Kanzlerin folgen soll und einen Rückzieher macht...“ Artikel von Florian Gathmann und Wolf Wiedmann-Schmidt vom 24.06.2020 beim Spiegel online - Die Polizei, dein Feind und Hater
„Rassismus bei der Polizei gibt es. Aber anstatt sich dieser Tatsache zu stellen, arbeiten sich Politiker lieber an einer „taz“-Kolumne ab, die satirisch die Gewalt in deutschen Behörden kritisiert. (…) Man könnte das wissen, wenn man diesen Menschen häufiger zuhören würde. Man könnte das ahnen, wenn man die Nachrichten liest, in denen immer wieder rechte und rechtsextreme Netzwerke in Polizei oder Bundeswehr aufgedeckt werden: Wie vertrauenswürdig sind die, die eigentlich für Sicherheit zuständig wären, wenn man gleichzeitig weiß, dass es WhatsApp-Gruppen gibt, in denen Polizisten einander verfassungsfeindliche Symbole schicken und schreiben: „Wir hassen alle Afrikaner“? Laut einer aktuellen SPIEGEL-Umfrage sieht etwas mehr als die Hälfte der Deutschen kein Problem mit Rassismus bei der Polizei. Vielleicht haben sie vergessen, wie die Polizei bei den NSU-Morden zuerst im Umfeld der Familien der Opfer ermittelte, weil sie dachte, da hätten sich Migranten gegenseitig bekriegt. Vielleicht haben sie vergessen, dass immer noch nicht geklärt ist, wie Oury Jalloh in der Polizeizelle in Dessau sich selbst angezündet haben soll. Vielleicht haben sie nicht mitbekommen, dass in den Ermittlungen zum NSU 2.0 die Spur zu Polizeibeamten führte. Oder dass Polizisten sich in AfD-Chatgruppen rumtreiben und diese womöglich mit Infos versorgen. (…) Vielleicht halten sie das alles für Einzelfälle. Kann man locker wegschmunzeln, so wie die Polizei Hamburg es offenbar mit den Vorwürfen von Rassismus macht. (…) Die Selbstverniedlichung der Polizei in sozialen Medien mit süßen Tierfotos funktioniert immer seltener. Die Polizei will sich als ewiger Freund und Helfer inszenieren, für einige aber ist sie leider Feind und Hater, und das nicht aus einer generellen Abneigung gegen Uniformen, sondern aufgrund eines Misstrauens, das sich immer wieder als begründet erweist. (…) Dass Worte zu Taten werden können, ist natürlich eine weise Erkenntnis von Seehofer, er sollte sie nur auch auf seine eigene Partei anwenden: Noch vor seiner Ankündigung, Yaghoobifarah anzuzeigen, twitterte die CSU ein Zitat des Generalsekretärs Markus Blume, „die hässliche Fratze der hasserfüllten Linken“ zeige sich, es sei „schäbige und niederträchtige Hetze“, dazu Name und Foto von Yaghoobifarah und ein Bild von Randalen: „SIE will Polizisten als Abfall auf Müllhalde entsorgen!“ Der Tweet wurde gelöscht, war aber zu dem Zeitpunkt über 400-mal retweetet und dementsprechend sicherlich viele Tausend Mal gesehen worden. Das ist genau die Form von Hetze – Name, Foto, verfälschtes Zitat -, die es von Rechten auch gegen Walter Lübcke gegeben hatte, der dann erschossen wurde. Sie haben nichts gelernt, wirklich überhaupt nichts. (…) Das Problem ist: Wenn eine Person angegriffen wird, weil sie einen journalistischen Meinungstext geschrieben hat, der meines Erachtens als Satire erkennbar ist – was soll es sonst sein, Politikberatung? – und diese Person daraufhin von der Polizei und einem Innenminister angegriffen wird, wenn sie von Rechten beleidigt und bedroht wird und Fotos von ihr geteilt werden, mit Aufrufen, ihr zu zeigen, was man von ihr hält, dann ist die Zeit der Gedichtanalyse abgelaufen. Natürlich muss man Texte kritisieren können, aber wo die Pressefreiheit so hart angegriffen wird, und zwar von ganz, ganz oben, muss man sagen: Wir sind hier jetzt nicht beim Bachmannpreis. (…) Wer zeigen will, dass er lesen kann, soll bitte nicht nur die Kolumne, sondern die ganze Situation lesen: Die Polizei muss erst Objekt einer Satire werden, in der das Wort „Müll“ vorkommt, damit überhaupt jemand zuhört…“ Kolumne von Margarete Stokowski vom 24.06.2020 beim Spiegel online
- Seehofer kontra Journalistin: Fehl-Anzeige
- dju in ver.di kritisiert Strafanzeige Horst Seehofers gegen taz-Journalistin
„Als völlig falschen Weg kritisierte die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union (dju) in ver.di die Strafanzeige, die Bundesinnenminister Horst Seehofer gegen eine Journalistin der „Tageszeitung“ (taz) gestellt hat. „Als Innenminister, der auch die verfassungsrechtlich garantierte Pressefreiheit zu verteidigen hat, hat Seehofer andere Möglichkeiten der politischen Auseinandersetzung als das Schwingen der juristischen Keule“, sagte die Bundesvorsitzende der dju in ver.di Tina Groll. Die am vergangenen Montag in der taz veröffentlichte Kolumne der Autorin Hengameh Yaghoobifarah, die der Strafanzeige zu Grunde liegt, sei gänzlich von der Pressefreiheit gedeckt, so Groll. Inhaltliche und ethische Fragen zur Berichterstattung würden dagegen im Presserat erörtert. „Dies ist eine Kontroverse, die die Zivilgesellschaft führen muss. Jede Arbeit in der Öffentlichkeit muss sich der Kritik auch öffentlich stellen. Das gilt für Polizeiarbeit genauso wie für die Arbeit von Journalistinnen und Journalisten.“ Als inakzeptabel bezeichnete Groll zudem Seehofers Äußerungen zu den Ausschreitungen in Stuttgart, mit denen er seine Entscheidung, Strafanzeige zu stellen, unter anderem begründete. „Es ist absurd, jetzt einen Zusammenhang zwischen der taz-Kolumne und den gewalttätigen Randalen vom Wochenende zu konstruieren. Der Bundesinnenminister täte gut daran, stattdessen den tatsächlichen Ursachen der Krawalle auf den Grund zu gehen“, mahnte Groll.“ dju-Pressemitteilung vom 22.06.2020 - [Anwalt von Hengameh Yaghoobifarah] Verteidigung taz-Kolumne: Wieso soll das verboten sein?
„taz-Anwalt Johannes Eisenberg vertritt die taz-Kolumnist*in Hengameh Yaghoobifarah. Hier schätzt er Horst Seehofers Anzeigeankündigung ein. Bundesinnenminister Seehofer hat ein gestörtes Verhältnis zu Persönlichkeits- und Grundrechten: In Bremen hat er in grober Weise die Rechte der früheren Leiterin der Ortstelle des BAMF verletzt und diese verleumden lassen . Er weiß noch nicht einmal, was er über die AfD auf der Webseite seines Ministeriums veröffentlichen darf. Aber er weiß, und tut dies lautsprecherisch kund, dass sich die taz-Autor*in Yaghoobifarah strafbar gemacht hat mit dem Artikel „All cops are berufsunfähig“ . Der Mann ist Verfassungsminister, er kennt die Verfassung nicht und missachtet das Grundrecht auf Meinungsäußerungsfreiheit. Das Bundesverfassungsgericht hat in einer Vielzahl von Entscheidungen, zuletzt am 19. Juni 2020, auf die erforderlichen Abwägungsprozesse bei der strafrechtlichen Sanktion von Meinungsäußerungen hingewiesen. (…) Seit der grundstürzenden Entscheidung „Soldaten sind Mörder“ des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Oktober 1995 – 1 BvR 1476/91 wissen wir, dass „sich bei herabsetzenden Äußerungen unter einer Sammelbezeichnung die Grenze zwischen einem Angriff auf die persönliche Ehre, die Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG (ge)schützt (ist) und die nach Art. 5 Abs. 2 GG Beschränkungen der Meinungsfreiheit rechtfertigt, und einer Kritik an sozialen Phänomenen, staatlichen oder gesellschaftlichen Einrichtungen oder sozialen Rollen und Rollenerwartungen, für die Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG gerade einen Freiraum gewährleisten will, nicht scharf ziehen“ (lässt) und dass „einer Bestrafung wegen derartiger Äußerungen … deswegen stets die Gefahr überschießender Beschränkungen der Meinungsfreiheit inne(wohnt)“. Verschiedene ausländische Rechtsordnungen, namentlich des angelsächsischen Rechtskreises, kennen daher die Sammelbeleidigung gar nicht und bestrafen nur die ausdrücklich oder erkennbar auf Einzelne bezogene Ehrverletzung (…) Aus Perspektive des Strafverteidigers: Den Schreihälsen aus der CSU will ich einmal mitteilen, was ich von der deutschen Polizei als langjährig tätiger Strafverteidiger halte: Es gibt stetig Mandatsanfragen von Bürgern, die zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort auf Polizeibeamte getroffen sind: Sie sind – aus welchen Gründen auch immer, häufig, weil die „Autorität“ der Polizisten durch aufsässiges, aber nicht beleidigendes oder gewalttätiges Verhalten der späteren Opfer herausgefordert ist – anlasslos oder unverhältnismäßig Opfer von Polizeigewalt geworden. Weil Körperverletzung im Amt ein ernstes Delikt ist, hat es damit sein Bewenden nicht. Die uniformierten Schläger generieren durch abgesprochene und verlogene Aussagen einen rechtfertigenden Anlass für die Misshandlung, nämlich eine Widerstandshandlung des Opfers. Die Justiz verfolgt die Opfer, sie haben ihre liebe Not, das Lügen- und Aussagekomplott zu decouvrieren. Gelingt es, wird es zum bedauerlichen Einzelfall verniedlicht. In den zahllosen Fällen, in denen es nicht gelingt, etwa weil Richter eine Art Fraternisierung mit ihren „Beamtenbrüdern“, den Polizeibeamten praktizieren, bleiben die Zusammengeschlagenen ratlos und mit Kriminalstrafe zurück. Die Seehofers und sonstigen Minister (aller Parteien, wie wir jetzt in Stuttgart erleben) hingegen nehmen die auf der Grundlage falscher Polizeiangaben entstandenen Statistiken über Gewalt gegen Polizeibeamte für bare Münze und als Rechtfertigung, politische Forderungen nach höheren Strafandrohungen durchzusetzen…“ Stellungnahme von Johannes Eisenberg vom 22. 6. 2020 in der taz online - Sie soll schweigen
„Der Innenminister möchte eine „taz“-Journalistin wegen einer Kolumne anzeigen. Hieran wird sich zeigen, welche Vielstimmigkeit deutsche Medien auszuhalten bereit sind. Eine politische Kolumnistin schreibt eine saftige polizeikritische Glosse, und die Deutsche Polizeigewerkschaft setzt eine Kampagne gegen diese Autorin in Gang. Das ist die Hauptgeschichte. So simpel die Methoden und Mittel klingen, so sind sie es nicht. Was sich hier abspielt, ist gefährlich. (…) Am Ende einer vollkommen aus dem Ruder gelaufenen Woche, in der die Autorin von ihrer eigenen Zeitung, der CSU, der Deutschen Polizeigewerkschaft und der Gewerkschaft der Polizei nach Art einer Drückjagd einer rechtsextrem erregten Öffentlichkeit in die Arme getrieben wird, drohte der Innenminister als krönender Abschluss in der Bild-Zeitung mit einer Anzeige gegen die Autorin – nicht gegen die taz wohlgemerkt. Man fragt sich ja immer, was die Demokratie gefährdet. Genau das. Indem jemand sein Mandat missbraucht und anfängt, die Gewaltenteilung zu perforieren…“ Kolumne von Mely Kiyak vom 22. Juni 2020 in der Zeit online – und besonders schön darin: „… Was an dieser Stelle auf keinen Fall passieren wird, ist die Taktik einiger Kolleginnen und Kollegen zu übernehmen, die darin besteht, sich in seltsamen semantischen Verrenkungen vom Text und der Autorin zu distanzieren, um dann schlaff hintan zu fügen, dass das, „was da seit einigen Tagen abgeht“, allerdings auch „nicht ginge“. Nein, diese Bequemlichkeit wird sich die Kolumnistin dieser Kolumne weder selbst noch ihren Lesern gönnen. Denn es geht hier darum, einen Berufsstand gegen den Staat zu verteidigen. Es geht um das Recht auf staats- und polizeikritische Anmerkungen in Form von Kolumnen, Kommentaren, Glossen, Sottisen oder stilistischem Schabernack. (…) Seit der Ankündigung der Deutschen Polizeigewerkschaft, die Autorin wegen Volksverhetzung anzuzeigen, sind einige ihrer Kollegen dazu übergegangen, sie in Debattenbeiträgen zu schwächen – unter dem Vorwand, die Pluralität der Meinungen abzubilden. Das Argument wirkt vor allem deshalb seltsam, da jede Redaktion immer und zu allem plurale Meinungen hat. Zudem ist das, was hier passiert, eine politische Kampagne, und die Zeitung reagiert wie? Mit Texten, die der Kampagne Recht geben…“ - Seehofer erwägt Anzeige gegen „taz“-Autorin: Ein dreister Angriff auf die Pressefreiheit
Kommentar von Stephan Hebel vom 22.6.2020 in der FR online