[Schützt Menschen in psychischen Ausnahmesituationen vor der Polizei!] 8 tödliche Polizeischüsse auf Lamin Toray aus Gambia in Nienburg/Nds
Dossier
„Am Ostersamstag erschoss die Polizei einen 46-jährigen Gambier. Die Schilderungen mehrerer Augenzeug*innen und ein Video werfen Fragen auf. Eine Gruppe Polizist*innen steht hinter einem Gartenzaun in der Friedrichstraße, nahe dem Nienburger Bahnhof. Ein Hund bellt. Auf einmal taumelt ein Mann nach vorn und wedelt mit einem Messer, das im Video nur als ein Haufen Pixel zu erkennen ist. Zwei Schüsse fallen. Der Mann kauert sich zusammen, steht und blickt sich um. Das Bild schwankt. Dann sind weitere fünf Schüsse zu hören und der Mann kollabiert. Nach einer kurzen Pause fällt ein weiterer, zeitlich abgesetzter Schuss. Diese Szene zeigt ein Handyvideo , das auf Social Media viral gegangen ist und der taz im Original vorliegt. Es sind die letzten Sekunden im Leben des 46-Jährigen Gambiers Lamin Touray, der vor Ort an den Schusswunden starb…“ Artikel von Michael Trammer vom 3. April 2024 in der taz online („Bei Notruf Todesschuss“) und mehr daraus wie dazu:
- Alle acht Polizeischüsse auf Lamin Touray sollen gerechtfertigt gewesen sein – Staatsanwalt stellt Verfahren ein, Rassismus-Verdacht bleibt
- Nach tödlichen Schüssen auf Lamin Touray: Keine Verfahren gegen Polizisten
„Die Staatsanwaltschaft Verden stellt die Ermittlungen gegen alle 14 Polizist*innen ein – auch die gegen den suspendierten rassistischen Beamten.
Ein gutes halbes Jahr nach den tödlichen Schüssen auf den 46-jährigen Gambier Lamin Touray hat die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen 14 Polizist*innen eingestellt. Die 14 Einsatzkräfte seien in Lebensgefahr gewesen und hätten die Waffen als letztes Mittel eingesetzt, so die Begründung der Behörde. Die Schüsse seien gerechtfertigt gewesen, weil durch zwei Messerstiche in Richtung der Beamt*innen unmittelbare Lebensgefahr bestanden habe. „Um es milde zu sagen, finde ich das Vorgehen der Staatsanwaltschaft ungewöhnlich“, sagt Thomas Bliwier der taz dazu am Telefon. Der Anwalt vertritt Angehörige von Lamin Touray. (…) Wie umfangreich jedoch ermittelt, Zeug*innen gehört und Beweise gewürdigt wurden, kann Thomas Bliwier nicht sagen, weil er die Akte des Falls erst mit der Einstellung des Verfahrens am vergangenen Freitag erhalten habe. Das sei bedenklich, denn so habe er vorab keine Möglichkeit gehabt, Anregungen einzubringen. Bliwier legte Beschwerde gegen die Einstellung des Verfahrens gegen die Polizist*innen ein. Schon allein, um Zeit zu haben, sich mit der Akte gründlich beschäftigen zu können, sagt er. Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob die Ermittlungen wieder aufgenommen werden müssen. (…) Vor allem die Schilderungen von Tourays Freundin gegenüber der taz sowie die eines Augenzeugen, der angab, die Polizei habe nicht deeskalierend gewirkt, sondern die Stimmung erst zum Kippen gebracht, haben Fragen aufgeworfen. Eine ist, wieso es 14 Polizist*innen in einem mehrere Stunden andauernden Einsatz nicht gelungen ist, den offenbar verwirrten Touray zu beruhigen und sich dabei selbst nicht in Gefahr zu bringen…“
Artikel von Michael Trammer vom 30.9.2024 in der taz online – siehe auch: - Rassismus-Verdacht bleibt. Staatsanwalt: Alle acht Polizeischüsse waren gerechtfertigt – Verfahren eingestellt
„Bei einem Polizeieinsatz in Nienburg geben Beamte mehrere Schüsse ab, mindestens acht Kugeln treffen das Opfer. Ein Gambier stirbt. Nun wurden das Verfahren eingestellt. Viele Fragen bleiben offen. Der Flüchtlingsrat übt Kritik. Gegen einen beteiligten Polizisten läuft ein Rassismus-Verfahren…“ Meldung vom 29.09.2024 im Migazin - Tödliche Polizeischüsse auf Gambier: Ermittlungen eingestellt
„Staatsanwaltschaft erklärt, alle »milderen Mittel der Deeskalation« seien von am Einsatz beteiligten Beamten ausgeschöpft worden…“ Artikel von Reimar Paul vom 27.09.2024 in ND online
- Nach tödlichen Schüssen auf Lamin Touray: Keine Verfahren gegen Polizisten
- Wegen rechter Posts außer Dienst: Ermittlung gegen einen Diensthundeführer der Polizei, der am tödlichen Einsatz in Nienburg beteiligt war, aufgenommen
„Die Polizeidirektion Göttingen hat einem Beamten aus Nienburg das Führen der Dienstgeschäfte vorläufig untersagt. Der Diensthundeführer war an dem tödlichen Polizeieinsatz vom Karsamstag in Nienburg beteiligt, bei dem der 46-Jährige Gambier Lamin Touray von acht Schüssen getroffen und getötet wurde. Eine Polizistin wurde dabei ebenfalls von Polizeikugeln getroffen und schwer verletzt. Recherchen der taz hatten enthüllt, dass der Hundeführer unverhohlen rechte und verschwörungsideologische Inhalte in sozialen Netzwerken teilte und kommentierte. Am Donnerstagabend gab die Polizeidirektion Göttingen nun bekannt, deshalb dienstrechtliche Ermittlungen aufgenommen zu haben. (…) Fest steht: Es gelang der Polizei nicht, die Lage zu deeskalieren. Anwesende Zeugen, die Touray nahe standen, kritisierten später, man habe das auch nicht ernsthaft versucht, und zum Beispiel die Freundin nicht mit ihm sprechen lassen. Die zunächst relativ statische Lage eskalierte als Touray nach einem der Hunde stach, unklar ist, ob dieser zuvor auf ihn gehetzt wurde. Es kam zu einer massiven, unkoordinierten Schussabgabe durch mehrere Beamte, bei der auch die Polizistin verletzt wurde. Den genauen Hergang und ob dabei Fehler gemacht wurden, muss nun das Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft klären, bei dem auch die Bodycam-Aufnahmen der eingesetzten Beamten ausgewertet werden.“ Artikel von Nadine Conti vom 26. April 2024 in der taz online - Tötung von Lamin T. durch die Polizei in Nienburg: Diensthundeführer zeigt rechte Gesinnung – Verdacht auf Rassismus lässt sich nicht mehr von der Hand weisen
- Tödliche Polizeischüsse in Nienburg: Diensthundeführer zeigt rechte Gesinnung
„Bodycam-Aufnahmen zeigen, dass die Schüsse in Nienburg nach dem Einsatz eines Diensthundes fielen. Hundeführer postet im Netz extrem rechte Inhalte.
Einer der Polizisten, gegen die wegen des tödlichen Polizeieinsatzes in Nienburg ermittelt wird, steht rechtsextremen Positionen nahe. Unter anderem verbreitet der Diensthundeführer im Internet rechtsextreme Inhalte und Verschwörungstheorien. Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft zeigen Bodycam-Aufnahmen der Polizisten, dass die tödlichen Schüsse auf den Gambier Lamin Touray im Zusammenhang mit dem Hundeeinsatz fielen. (…) Unter den Beschuldigten ist auch ein Diensthundeführer, der neben Hundebildern auf seinen beiden Facebook-Profilen allerlei extrem rechte Inhalte und Verschwörungsideologien verbreitet. Er postet Bilder, die eine härtere Gangart gegen Geflüchtete fordern, wünscht sich mehr Abschiebungen, hat Angst vor Clankriminalität und kommentiert eifrig bei verschwörungsideologischen Blogs. Außerdem teilt er Inhalte der Gruppe „Polizisten für Aufklärung“, die rund um den ehemaligen Coronaleugner-Polizisten und extrem rechten Verschwörer Michael Fritsch angesiedelt ist. Einige der Inhalte, die der langjährige Diensthundeführer verbreitet, dürften verfassungsfeindlich sein. Kurz nach dem Tod von Lamin Touray postete er etwa ein Video, in dem es gleich zu Beginn von einem Redner heißt: „Man flutet unser Land mit kulturfremden Menschen.“
AfD-Mitgliedschaft dementiert
Auf einer AfD-internen Liste, die der taz vorliegt, taucht der Diensthundeführer mit der Mitgliedsnummer BU-10619752 und als Spender auf. In einer E-Mail an die taz schreibt er, er teile viele, aber nicht alle Positionen der AfD und sei kein Mitglied oder Spender. Zum Einsatz will er sich nicht äußern. Seine politische Meinung habe aber keinen Einfluss auf seine Polizeiarbeit, schreibt er weiter. Die Staatsanwaltschaft sagt derweil, sie werde zur Identität einzelner eingesetzter Polizeibeamter keine Angaben machen und kommentiert dementsprechend die Online-Aktivitäten des Diensthundeführers nicht. Unter seinen Facebook-Freund*innen befinden sich auch andere Polizist*innen aus Nienburg. (…)
Online läuft seit den Ereignissen eine rechte Hasskampagne. Hunderte freuen sich auf X über den Tod Tourays. Einige wünschen sich mehr erschossene Migrant*innen. Die Lokalzeitung Die Harke, die früh kritische Stimmen der Nachbar*innen abbildete und Fragen stellte, wird mit Leserbriefen überflutet. (…)
Die Hinterbliebenen Tourays wollen, dass der Polizeieinsatz vollständig aufgeklärt wird und lassen sich anwaltlich vertreten. Der Flüchtlingsrat Niedersachsen unterstützt diese Forderung. Auch die gambische Regierung hat sich eingeschaltet und fordert Aufklärung. Tourays Mutter und dessen Schwester führten eine Demonstration am vergangenen Samstag in Nienburg an. (…) Weitere Proteste etwa in Stuttgart und Berlin sind geplant.“ Artikel von Michael Trammer vom 18.4.2024 in der taz online („Zweifel an rechter Gesinnung“) und dazu: - Tötung von Lamin T. durch die Polizei – Verdacht auf Rassismus
„Der Verdacht, dass rassistische oder rechtsextreme Einstellungen das Verhalten der Polizist:innen und den Verlauf des Geschehens beeinflusst haben könnten, lässt sich spätestens jetzt nicht mehr pauschal von der Hand weisen. Der Flüchtlingsrat betont, dass es ihm nicht um eine Vorverurteilung der beteiligten Polizist:innen, sondern um eine umfassende und lückenlose Aufklärung der Umstände geht, die zu den tödlichen acht Schüssen auf Touray geführt haben. Der Flüchtlingsrat kritisiert, dass die Ermittlungen von der Staatsanwaltschaft Verden geführt werden. Da Nienburg im Amtsbezirk der Staatsanwaltschaft Verden liegt, ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen Polizist:innen, auf deren Vertrauen und Zuarbeit sie täglich zwingend angewiesen ist. Um diesen Interessenskonflikt zu vermeiden, plädiert der Flüchtlingsrat dafür, eine andere Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen zu betrauen.“ Pressemitteilung vom 19. April 2024 beim Flüchtlingsrat Niedersachsen
- Tödliche Polizeischüsse in Nienburg: Diensthundeführer zeigt rechte Gesinnung
- #JusticeForLamin – Gerechtigkeit für Lamin Touray! – Justic4Lamin: Gedenkdemonstration in Nienburg am Samstag, 13.04.2024
- Tödlicher Polizeieinsatz gegen Lamin Touray: Das Bündnis Justice4Lamin ruft auf zur Demonstration am Sa., 13.04.2024, 14.00 Uhr in Nienburg (Bahnhof)
„Am Sonnabend, den 30. März wurde der aus Gambia stammende Lamin Touray bei einem Polizeieinsatz durch Schüsse von Polizeibeamt:innen getötet. Mit der Demonstration soll Trauer und Solidarität mit Lamin, seinen Angehörigen und Freund:innen zum Ausdruck gebracht werden.“ Aufruf beim Flüchtlingsrat Niedersachsen samt Infos über gemeinsame Anfahrten zur Demo, siehe auch - Den Aufruf vom Bündnis Justice4Lamin
- Und weitere Infos auf der Solidaritätsseite https://lamintouray.com/ des Flüchtlingsrats Niedersachsen
- Tödlicher Polizeieinsatz gegen Lamin Touray: Das Bündnis Justice4Lamin ruft auf zur Demonstration am Sa., 13.04.2024, 14.00 Uhr in Nienburg (Bahnhof)
- Polizeigewalt in Nienburg? »Wie ein Tier im Wald erschossen« – GdP wehrt sich gegen den Flüchtlingsrat Niedersachsen
„Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert Aufklärung nach Tötung einen aus Gambia stammenden Mannes durch Polizisten (…) In Niedersachsen wird seither heftig über den Fall gestritten, denn Polizei und Staatsanwaltschaft stellten die Ereignisse völlig anders dar als die Freundin des getöteten Lamin Touray und ein Bekannter des 46-Jährigen. Sie hatten mit einem Notruf eigentlich um medizinische Hilfe für den Mann gebeten. (…) Der Flüchtlingsrat Niedersachsen forderte deshalb bereits am Donnerstag eine umfassende und lückenlose Aufklärung der Todesumstände Tourays. Es bleibe »unbegreiflich, wieso der Polizeieinsatz eskalierte und Lamin sterben musste«, erklärte der Verein. Zugleich fragt der Flüchtlingsrat, warum »immer wieder Schwarze und geflüchtete Menschen und Personen of Color von tödlicher Polizeigewalt betroffen« sind. (…) Auf die Mitteilung des Flüchtlingsrates reagierte die Gewerkschaft der Polizei (GdP) Niedersachsen. Sie verwahrte sich gegen »Vorverurteilungen« der Beamten und »tendenziöse Berichterstattung«. Es gelte zunächst, die Ergebnisse der Ermittlungen abzuwarten, mahnte der stellvertretende GdP-Landesvorsitzende Sebastian Timke am Freitag. Veröffentlichungen, »die einen Zusammenhang zwischen dem Verlauf des Einsatzes und der Herkunft« des Toten herstellten, seien »inakzeptabel«…“ Artikel von Reimar Paul vom 7.04.2024 in ND online („Polizeigewalt in Nienburg? »Wie ein Tier im Wald erschossen«“). Siehe auch: - Kriminologe Feltes über Polizeischüsse nicht nur in Nienburg: „Fehlerhaftes polizeiliches Handeln“
„Der von Polizisten erschossene Lamin Touray war in einer psychischen Krise. Warum greift die Polizei bei psychisch Kranken so schnell zur Waffe?
[taz: Herr Feltes, nach allem, was wir wissen, befand sich Lamin Touray in einem psychischen Krisenzustand, als Polizist*innen ihn am Osterwochenende in Nienburg erschossen. Das trifft auf die meisten in Deutschland von der Polizei getöteten zu. Warum?]
Thomas Feltes: Leider haben wir keine genauen Zahlen. Viele Bundesländer erheben nicht mal, wie viele Menschen durch ihre Landespolizei wie und warum getötet werden. Ich schätze, dass zwei Drittel der Polizeitoten in einer psychischen Krise waren, als sie getötet wurden. Eigentlich ist es bei all diesen Fällen immer der gleiche Ablauf. (…) Die Fehler bei diesen Einsätzen werden am Anfang gemacht. Zum Beispiel, indem Polizei und Rettungssanitäter sich nicht absprechen. Hinterher ist es oft so, dass tatsächlich eine Notwehrlage besteht, dass die Person etwa mit einem Messer auf die Beamten losgeht oder anderweitig Widerstand leistet. Das ist fast immer ein Ergebnis fehlerhaften polizeilichen Handelns. (…) Wenn Rettungssanitäter oder Notärzte zuerst bei dem Betroffenen sind, eskalieren die Einsätze deutlich seltener. Wenn sich aber Polizisten in Uniform nähern, fühlen sich die Menschen bedroht. Wird Pfefferspray eingesetzt, eskaliert es schnell. Der Betroffene versteht nicht, was passiert. Er merkt nur, dass er angegriffen wird.
[Warum kann die Polizei so schlecht auf psychisch Kranke reagieren?]
Für die meisten Beamten liegt die Ausbildung lange zurück. Da wurde das Thema nur kurz in Psychologie und eher am Rande behandelt. Das hat sich zwar mittlerweile verändert, aber es fehlt an praktischen Übungen, auch im Rahmen der Fortbildung. Ein anderer Grund ist, dass die Situationen oft dynamisch sind und die Beamten überfordern. Polizisten wollen ein Problem möglichst schnell und umfassend erledigen. Das ist ein Grundproblem (…)
Der Einsatz des Taser ist ohnehin gefährlich, weil die Menschen andere Krankheiten oder Leiden haben können und ohnehin schon so aufgeregt sind, dass es leicht zum Herzstillstand kommen kann. Beim Taser besteht außerdem das Problem, dass zwei Haken treffen müssen. Das ist gar nicht so leicht, wenn jemand in Bewegung ist. Wenn nur ein Haken trifft, verursacht das zwar starke Schmerzen, aber es bringt die Person nicht zu Fall.
[In Nienburg setzte die Polizei einen Hund ein.]
Polizeihunde machen oft einen aggressiven Eindruck und sind darauf ausgerichtet, Menschen zu attackieren. Das führt zur weiteren Eskalation. Aber ich möchte noch mal betonen: Die Fehler werden am Anfang gemacht. Die Polizei weigert sich fast immer, psychologische oder psychiatrische Hilfe oder Unterstützung durch besonders geschulte Beamte abzuwarten. Die Begründung lautet oft, es sei keine Zeit dafür – was Blödsinn ist. Es ist ja meist die Polizei selbst, die aus einer statischen Lage eine dynamische und damit nicht mehr beherrschbare Situation macht. (…)
Die Beine zu treffen, wenn jemand in Bewegung ist, ist fast unmöglich. Ziel und rechtliche Voraussetzung des Schusswaffeneinsatzes ist es, eine akute Lebensgefahr abzuwenden. Mit anderen Worten: Wenn geschossen wird, muss ein wirksamer Treffer erfolgen, der den Angriff tatsächlich beenden kann. Es ergibt keinen Sinn, die Schusswaffe als nicht tödliche Waffe einzusetzen. Dafür ist sie untauglich.“ Interview von Katharina Schipkowski vom 9.4.2024 in der taz online mit Thomas Feltes, Professor für Kriminologie und Polizeiwissenschaft an der Ruhr Universität Bochum - Gerechtigkeit für Lamin Touray – Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert lückenlose Aufklärung des tödlichen Polizeieinsatzes
„… Der Flüchtlingsrat Niedersachsen fordert, die Todesumstände Lamins umfassend und lückenlos aufzuklären. Für die NGO bleibt es weiterhin unbegreiflich, wieso der Polizeieinsatz eskalierte und Lamin sterben musste. Die Strafverfolgungsbehörden sind unter anderem Antworten auf folgende Fragen schuldig:
Die Polizei wurde von Angehörigen Lamins darüber informiert, dass dieser sich in einem psychischen Ausnahmezustand befand. Wurde dies im Rahmen des Einsatzes von den Polizist:innen berücksichtigt? Falls ja, wie genau?
Lamin habe die Polizei mit einem Messer bedroht, was die Polizist:innen in Gefahr gebracht habe. Weshalb haben die 14 (!) eingesetzten Polizist:innen den Druck auf Lamin erhöht und die Situation weiter eskaliert, anstatt sich zunächst zurückzuziehen und die Situation – unter Hinzuziehung psychologischer Fachkräfte – zu deeskalieren?
Weshalb haben die Polizist:innen es der Freundin Lamins verwehrt, ihn zur Kooperation mit der Polizei zu bewegen?
Weshalb haben die Beamt:innen den Polizeihund entleint und auf Lamin gehetzt? War dies aus Sicht der Polizei geeignet, die Situation zu deeskalieren?
Weshalb sind die ersten beiden Schüsse auf Lamin gefallen? Gab es keine milderen Mittel, mit denen die 14 (!) Polizist:innen die – vermeintliche – Gefahr hätten abwehren können?
Wie rechtfertigen sich die Schüsse drei bis sieben sowie Schuss acht, die jeweils nach einer Feuerpause erfolgten? Weshalb sind die Polizist:innen davon ausgegangen, dass nach den ersten beiden Schüsse, die Lamin getroffen haben, noch insgesamt sechs weitere Schüsse erforderlich waren, um die – vermeintlich – von im ausgehende Gefahr abzuwehren?
Weshalb behaupten die Strafverfolgungsbehörden, Lamin habe seine Freundin mit einem Messer bedroht, obwohl die Freundin dies bestreitet?
Weshalb sind immer wieder Schwarze und geflüchtete Menschen und Personen of Color von tödlicher Polizeigewalt betroffen? Warum werden Einsätze bei Menschen in psychischen Ausnahmesituationen regelmäßig bis hin zum Schusswaffeneinsatz eskaliert? (…)
Mindestens fünf Menschen mit Fluchtgeschichte starben allein in den vergangenen vier Jahren in Niedersachsen im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen: Aman Alizada im August 2019 im Landkreis Stade, Mamadou Alpha Diallo im Juni 2020 im Landkreis Emsland, Qosay K. im März 2021 in Delmenhorst und Kamal I. im Oktober 2021 im Landkreis Stade. Am Neujahrestag 2023 starb ein Schwarzer im Polizeigewahrsam in Braunschweig. Mindestens drei dieser Menschen befanden sich – wie auch Lamin – zum Zeitpunkt ihrer Tötung in einem psychischen Ausnahmezustand – wie die eingesetzten Polizist:innen jeweils wussten. In all diesen drei Fällen haben Menschen die Polizei kontaktiert, um Hilfe für ihre Freunde bzw. Angehörigen zu erhalten. Doch statt der benötigten Hilfe fanden sie den Tod. Auch Lamin Tourays Freundin stellt bitterlich fest, „statt zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen“ und ergänzt: „Ich wünsche mir nichts als Gerechtigkeit!“…“ Pressemitteilung vom 4. April 2024 beim Flüchtlingsrat Niedersachsen - Bei Notruf Todesschuss
Weiter aus dem Artikel von Michael Trammer vom 3. April 2024 in der taz online : „… Wie die „Tagesschau“ berichtet, trafen ihn laut Obduktionsbericht acht Schüsse, zwei davon tödlich. Eine Polizistin wird bei dem Einsatz durch eine Polizeikugel im Bein schwer verletzt. Drei Tage nach den Ereignissen sind viele Fragen offen. (…) Gegen die 14 eingesetzten Beamt*innen wird wegen Totschlags und gefährlicher Körperverletzung ermittelt. (…) Einer, der etwas Licht ins Dunkel bringen kann, ist Omar T., ein Freund des Getöteten, der ebenfalls aus Gambia stammt. Omar T. wurde Augenzeuge des tödlichen Einsatzes. Mit ernster Miene blickt er über den Ort des Geschehens. An der Straße haben Anwohner*innen eine kleine Gedenkstätte eingerichtet. Im Zaun sind Einschusslöcher zu sehen. „Bis jetzt kann ich nicht glauben, was geschehen ist“, sagt Omar T. Er und die Freundin des Getöteten, die anonym bleiben will, deren Personalien der taz aber bekannt sind, hätten die Polizei eigentlich gerufen, weil sich Touray in einem psychischen Ausnahmezustand befunden habe, erinnert sich T. „Wir wollten ihm helfen“, sagt Tourays Freundin, die nicht in Nienburg lebt, am Telefon. (…) Zahlreiche Medien übernahmen die Darstellung der Polizei. Sie habe verzweifelt erneut den Notruf gewählt und um Hilfe gebeten, berichtet die Freundin. Statt eines Krankenwagens kamen mehrere Polizist*innen. Als die eintrafen, zückte der Gambier das Messer. Sie habe ihre Hilfe angeboten und gesagt, sie könne ihn zur Aufgabe bewegen, erinnert sich die Frau. Das habe die Polizei nicht zugelassen und angekündigt, einen Polizeihund einzusetzen. Danach habe sie die Schüsse gehört, sagt sie und bricht in Tränen aus. „Statt zu helfen, haben sie ihn wie ein Tier im Wald erschossen“, so Tourays Freundin. Anschließend habe man sie wie eine Verbrecherin behandelt, sie mit auf das Polizeirevier genommen und nicht einmal allein auf die Toilette gelassen. (…) Immer wieder erschießen Polizist*innen Menschen in psychischen Ausnahmezuständen. Der „Tagesschau“ sagte der Polizeiwissenschaftler Thomas Feltes, drei Viertel der durch Polizeikugeln Getöteten der vergangenen Jahre seien psychisch krank gewesen. Oft landen die Ermittlungen bei den Akten und es heißt, es habe keine andere Möglichkeit als zu schießen gegeben. Die Staatsanwaltschaft Verden erklärte, die Ermittlungen dauerten an. Ob Rechtfertigungsgründe für den Schusswaffeneinsatz vorlägen, könne erst nach Abschluss eingeschätzt werden.“ - „DEUTSCHLAND Was Sie in diesem vagen Video sehen, ist die ungerechte Tötung eines schwarzen Mannes durch die Polizei. Lamin Touray, 37, aus Gambia, lebte mit seiner Freundin in Nienburg, Hannover. Am 29. März 2024 soll Lamin seine Freundin bedroht haben, die daraufhin die Polizei rief.
Als die Polizei eintraf, behauptete sie, Lamin sei mit einem weißen Messer bewaffnet und habe sich nicht gefügt. Sie schossen 2 Mal auf ihn und entfernten sich ein wenig, dann folgten weitere 6 Schüsse, die Lamin sofort töteten.
#EndPoliceBrutality“ engl. Tweet von Refugees In Libya vom 1. Apr. 2024 mit dem oben erwähnten Video
und deren nachträgliche Korrekturen: „1- Lamin war 46 Jahre alt, nicht 37, wie seine Freunde sagten, die sehr traumatisiert waren, als sie uns die Information weitergaben. 2- Nach Angaben des Polizeisprechers ereignete sich der Vorfall am 30. und nicht am 29.“ - Neue Beweise widersprechen dem ursprünglichen Polizeibericht zum Mord an Lamin Touray und werfen Fragen zur Gewaltanwendung auf
„Entgegen dem ursprünglichen deutschen Polizeibericht sind im Fall von Lamin Touray, einem 46-jährigen Gambier, der von der deutschen Polizei während einer Auseinandersetzung in Niedersachsen erschossen wurde, neue Beweise aufgetaucht. Im ursprünglichen Bericht hieß es, er habe seine Freundin mit einem Messer bedroht, bevor er die Polizeibeamten angriff. Neuere Informationen deuten jedoch darauf hin, dass dies möglicherweise nicht der Fall war.
Yahya Sonko, ein führender gambischer Migrationsaktivist in Deutschland, äußerte sich bestürzt über den irreführenden Bericht und erklärte: „Wir weisen die falsche Darstellung der Polizei kategorisch zurück und fordern eine gründliche und unparteiische Untersuchung von Lams Tod. Sonko betonte, dass die Polizei zur Rechenschaft gezogen werden müsse, und forderte die Medien und die Öffentlichkeit auf, sie bei der Suche nach Gerechtigkeit für Touray und seine trauernde Familie zu unterstützen.
„Ich habe persönlich mit Lamins Mutter und seiner Frau gesprochen, die beide die Darstellung der Polizei vehement bestreiten. Ihnen zufolge rief Lamins Frau tatsächlich die Polizei an und bat um Hilfe, um ihn ins Krankenhaus zu bringen, da sie sich Sorgen um seine geistige Gesundheit machte, da er sich unwohl fühlte und ein Messer in seiner Tasche trug.
Tragischerweise eskalierte die Polizei die Situation, anstatt die notwendige Unterstützung und Hilfe zu leisten, was zu Lamins ungerechtem und vorzeitigem Tod führte. Lamins Frau teilte der Polizei ausdrücklich mit, dass er keine Bedrohung für sie darstellte und lediglich medizinische Hilfe benötigte. Dennoch reagierten die Beamten mit tödlicher Gewalt und behandelten Lamin wie ein Tier im Wald und nicht wie einen Menschen in Not“, erklärte Sonko, der mit der Familie des verstorbenen Lamin sprach, gegenüber der Alkmba Times von seinem Standort in Deutschland aus. (…)
Als Reaktion auf den Aufschrei gab die gambische Regierung am Montag eine Erklärung ab, in der sie ihre tiefe Besorgnis über die Schießerei zum Ausdruck brachte und der Öffentlichkeit versicherte, dass eine Untersuchung im Gange sei. In der Erklärung hieß es: „Das Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, internationale Zusammenarbeit und Gambier im Ausland untersucht derzeit die Umstände dieses tragischen Vorfalls und wird zu gegebener Zeit alle Einzelheiten bekannt geben.
Die Ermittlungen werden fortgesetzt, während die internationalen Rufe nach Rechenschaftspflicht lauter werden; viele haben die Regierung von Präsident Adama Barrow aufgefordert, umgehend Maßnahmen zu ergreifen, um Gerechtigkeit für den getöteten gambischen Migranten herzustellen…“ engl. Artikel von Alieu Ceesay vom 2.4.24 in Alkamba Times (maschinenübersetzt)