Rassistischer Alltag (nicht nur) bei der Polizei: „Zielobjekt“ Sinti und Roma
Dossier
„… Die Berliner Polizei ist nicht die einzige, in deren Veröffentlichung sich Hinweise auf Sinti*ze und Rom*nja finden. (…) 2017 hat der Politikwissenschaftler Markus End vom Berliner Zentrum für Antisemitismusforschung bundesweit Pressemitteilungen der Polizei, aber auch in den Medien zitierte interne Papiere, Publikationen oder öffentliche Aussagen von Funktionsträger*innen untersucht. „Die zusammengetragenen Hinweise legen die Vermutung nahe, dass in Polizei- und Ermittlungsbehörden weiterhin antiziganistische Wissensbestände in Form von polizeilichem ‚Expertenwissen‘ gepflegt werden“, heißt es im Fazit. Ein Muster, das sich auch im Fall Berlin andeutet…“ – aus dem Beitrag „Pauschal gegen Sinti und Roma“ von Dinah Riese am 01. Oktober 2019 in der taz online über polizeilichen Alltagsrassismus von Berlin bis Bayern. Siehe dazu u.a. auch eine Broschüre der Dokumentationsstelle Antiziganismus:
- Zahlen zu Antiziganismus: Mehr Übergriffe auf Sinti und Roma – auch durch die Polizei
„Diskriminierung, Drohungen oder Gewalt: Die registrierte Zahl solcher Vorfälle gegen Sinti und Roma ist stark gestiegen. Das liegt zwar vor allem an besserer Erfassung. Dennoch verschärfen sich Probleme – auch mit der Polizei. Beleidigungen, Drohungen, Vorurteile bei Behörden aber auch überzogene Polizeieinsätze sind Formen des Antiziganismus in Deutschland. Im vergangenen Jahr haben sich die registrierten Fälle verdoppelt, wie aus dem Jahresbericht 2023 hervorgeht. Er listet 1.233 Vorfälle auf, die sich gegen Roma und Sinti richteten. Im Jahr 2022 hatte die Melde- und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) 621 Fälle registriert…“ Meldung vom 17.06.2024 in tagesschau.de („Zahlen zu Antiziganismus: Mehr Übergriffe auf Sinti und Roma“) - Zynismus und Ignoranz: Ein Expert:innenbericht zeichnet ein düsteres Bild der Situation von Sinti:ze und Rom:nja in Deutschland. Auch politisch dürfte sich wenig ändern
„Sinti:ze und Rom:nja sind im deutschen Alltag vielfältigen Diskriminierungen ausgesetzt. Sie werden von Polizist:innen öfter kontrolliert und verdächtigt als weiße Menschen, sind also von Racial Profiling betroffen. Sie werden beim Einkaufsbummel vom Ladendetektiv skeptisch beäugt, der sie als potenzielle Diebe sieht. Sie haben es schwerer in der Arbeitswelt oder bei der Wohnungssuche, und die Liste ließe sich fortführen, bis zu körperlichen Angriffen durch Rechtsextreme. Diese düstere Lage wird von der deutschen Mehrheitsgesellschaft weitestgehend ignoriert. Deshalb ist es gut und verdienstvoll, dass eine Expert:innen-Kommission im Auftrag der Bundesregierung Antiziganismus in Deutschland systematisch untersucht und aufgearbeitet hat. Das Bild, das sie in ihrem 500 Seiten starken Bericht zeichnet, ist deprimierend. Antiziganistische Klischees und Vorurteile sind weit verbreitet, auch die Medien spielen eine ungute Rolle, indem sie jene reproduzieren. Wenn Zeitungen etwa über Kleinkriminalität berichten, wird das Problem oft ethnisiert, also einer bestimmten Volksgruppe zugeschrieben. Soziale Ursachen werden eher vernachlässigt. Um einen Text zu bebildern, muss dann gern die bettelnde Frau im bunten Kleid mit zwei Kindern auf dem Schoß herhalten. Gut und verdienstvoll ist deshalb auch, dass die Expert:innen Ideen liefern, die die Diskriminierung mindern könnten. So wird neben der realistischen Analyse der Situation auch ein Weg aufgezeigt, wie es besser laufen könnte. Was davon umgesetzt wird, ist eine andere Frage. An die Politik geht etwa die Forderung, die Einstufung mehrerer Balkanstaaten als sogenannte sichere Herkunftsländer zurückzunehmen. Diese Asylrechtsverschärfung hat die Große Koalition beschlossen, um Abschiebungen zu erleichtern. Zu erwarten ist also Folgendes: CDU, CSU und SPD werden am Donnerstag im Parlament einem Bericht applaudieren, der sie kritisiert – und ihre Gesetze lassen, wie sie sind. Zum zynischen Umgang der Gesellschaft mit Sinti:ze und Rom:nja passt das ganz gut.“ Kommentar von Ulrich Schulte vom 23. Juni 2021 in der taz online - Studie: Gravierende soziale Benachteiligung von Sinti und Roma
„Sinti und Roma in Deutschland sind einer jetzt voröffentlichen Studie zufolge auf gravierende Weise sozial benachteiligt. Die Untersuchung belege, wie sehr Angehörige der Minderheit von einem „sozial sehr ungerechten Bildungssystem“ betroffen seien, sagte der Freiburger Soziologe Professor Albert Scherr bei der Präsentation der Studie „Ungleiche Teilhabe. Zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland“ (…) Um Verbesserungen zu erreichen, seien umfassende arbeitsmarkt-, sozial- und bildungspolitische Maßnahmen nötig, sagte Scherr. Diese müssten für mehr Chancengerechtigkeit sorgen und auf die Überwindung von Diskriminierung ausgerichtet sein. Er forderte eine Zehn-Jahres-Strategie mit einer gezielten Minderheitenförderung sowie einer Antidiskriminierungspolitik. (…) Der Verband Deutscher Sinti und Roma verweist auf die Aufforderung der EU-Kommission an die Mitgliedstaaten aus dem Jahre 2011, nationale Strategien zur Verbesserung der Lage der Sinti und Roma einzurichten. Damals habe die Bundesregierung eine Teilnahme mit der Begründung abgelehnt, dass keine Daten zur Lage der Sinti und Roma in Deutschland zur Verfügung stünden…“ Meldung vom 1. März 2021 im MiGAZIN - „Aus der Mitte der Gesellschaft“ von Susanne Memarnia am 01. Oktober 2019 ebenfalls in der taz online ordnet dies in einem Kommentar zur Veröffentlichung einer Broschüre des Amaro Foro (siehe unten) so ein: „Eine serbische Familie, die einen Antrag auf Leistungen nach Sozialgesetzbuch II stellen will, wird von der Sachbearbeiterin am Schalter eines Berliner Jobcenters beleidigt: „Ich will deine Unterlagen nicht sehen. Ich will mit Zigeunern nichts zu tun haben.“ Als die betroffene Frau anfängt zu weinen, wird sie vom Sicherheitspersonal rausgeworfen. So steht es in der Broschüre der Dokumentationsstelle Antiziganismus (Dosta), die der Verein Amaro Foro am Dienstag vorstellte. Die Broschüre ist voll von Beispielen wie diesem. Seit fünf Jahren sammelt die vom Senat finanzierte Dokumentationsstelle Vorfälle und wertet sie aus. Eine der zentralen Erkenntnisse, die Amaro Foro daraus zieht: Antiziganismus, also Rassismus gegen Angehörige der Sinti und Roma beziehungsweise gegen Menschen, die als solche angesehen werden, begegnet den Betroffenen in allen Lebensbereichen. Und er kommt aus der Mitte der Gesellschaft, nicht nur von Rechtsradikalen…“
- „Fünf Jahre DOSTA – Lebensrealitäten von Rom*nja in Berlin – 1. Oktober 2019, 14 Uhr, Bildungsforum gegen Antiziganismus“ war die Einladung des Amaro Foro zur Vorstellung der oben kommentierten Broschüre, die so begann: „„Gehen Sie weg, wir wollen mit solchen Leuten nichts zu tun haben.“ Für die in Berlin lebenden Rom*nja und Sinti*zze (und für dafür gehaltene Menschen) sind solche und ähnliche Äußerungen auch 2019 noch eine alltägliche Erfahrung. Antiziganistische und diskriminierende Vorfälle geschehen in Behörden, am Arbeitsplatz, auf dem Wohnungsmarkt, in Schule und Kindergärten ebenso wie in allen anderen Lebensbereichen. Amaro Foro e. V. dokumentiert seit 2014 antiziganistische Diskriminierungen, die Menschen mit selbst- oder fremdzugeschriebenem Roma-Hintergrund erfahren. Am 1. Oktober stellt die Dokumentationsstelle Antiziganismus (DOSTA) die Fallzahlen für das Jahr 2018 als Teil der Broschüre mit dem Titel „Fünf Jahre Dokumentation antiziganistischer und diskriminierender Vorfälle in Berlin: Ein Rückblick“ vor. Anlässlich des fünfjährigen Bestehens der Dokumentationsstelle wurden die zwischen 2014 und 2018 dokumentierten Diskriminierungsfälle neu ausgewertet. In Artikeln und Interviews zu Kontinuitäten des Antiziganismus in Deutschland werden auch institutionalisierte Formen von Antiziganismus analysiert: im Behördenhandeln, aber auch im Asyl- oder Sozialrecht…“
- Siehe auch #RomaLivesMatter
Siehe auch unser Dossier: Racial Profiling