Polizeigewalt: Jetzt schon ein Thema selbst bei Mainstream-Medien
„Der Vorwurf, Polizeigewalt in Deutschland werde nur unzureichend geahndet, ist nicht neu – aber nun wird er durch Zahlen gestützt. Wie Recherchen des Kriminologen und Juristen Tobias Singelnstein von der Ruhr-Uni Bochum und des ARD-Politmagazins Report Mainz ergeben, gab es 2016 insgesamt 2383 Ermittlungsverfahren gegen Polizeibeamte wegen rechtswidriger Gewaltausübung. In 90 Prozent der Fälle allerdings wurden die Verfahren eingestellt, in nur 2,34 Prozent der Fälle wurde Anklage erhoben oder ein Strafbefehl erlassen. (…) Ähnlich sah es laut Report Mainz für den Zeitraum von 2010 bis 2015 aus. Gestützt werden diese Zahlen nach Angaben des Politmagazins auch durch Aussagen von Polizisten. So habe ein hochrangiger Polizeibeamter die Ergebnisse bestätigt. Den Grund für die geringe Aufklärungsquote sieht Kriminologe Singelnstein vor allem in der institutionellen Nähe der ermittelnden Behörden zu den beschuldigten Beamten. Notwendig sei daher die Einrichtung unabhängiger Ermittlungsstellen – wie es in vielen anderen Ländern üblich ist“ – aus „Polizeigewalt meist ohne Konsequenzen“ am 24. Juli 2018 bei der tagesschau – einem Begleittext zu einer Sendung von Report Mainz zum Thema. Siehe dazu zwei weitere aktuelle Beiträge und eine alljährliche Bemerkung von ai:
- „Polizei-Übergriffe nehmen zu, Opfer sind vor allem IT-Projekte“ von Ralf Hutter am 26. Juli 2018 bei telepolis in Zusammenhang mit der polizeilichen Offensive gegen demokratische IT-Projekte: „Eine ähnlich seltsame Polizeiaktion gab es am 4. Juli in Dortmund. Dort ging es um einen Server des kleinen Anbieters Free, der im Projekthaus „Langer August“ im Büro des „Wissenschaftsladen Dortmund“ steht. Laut dem Wissenschaftsladen Dortmund, gegen den sich die Durchsuchung richtete, brach die mit Maschinenpistolen bewaffnete Polizei mit Hilfe der Feuerwehr fünf Türen auf, von denen nur drei zum Wissenschaftsladen gehören, und nahm statt eines Servers vier mit. Menschen in anderen, eigentlich nicht betroffenen Büros seien festgehalten worden, ohne nach außen kommunizieren zu dürfen. Zudem sei die zuständige Anwältin zunächst nicht ins Gebäude gelassen worden…“
- „Weder Freund noch Helfer“ von Markus Bernhardt am 30. Juli 2018 in der jungen welt , der angesichts jüngster Erfahrungen und Veröffentlichungen zusammenfasst: „Zunehmend kommt es in der Bundesrepublik zu Debatten über Polizeigewalt und die Frage, wie damit umzugehen ist. Opfer von Übergriffen durch die sogenannten Ordnungshüter haben im Nachgang kaum eine realistische Chance, sich juristisch zur Wehr zu setzen. Vor allem der bei der Polizei zu beobachtende Korpsgeist verhindert die Aufklärung rechtswidriger Angriffe. Zu beobachten ist außerdem, dass diejenigen, die Strafanzeige gegen ihre Peiniger stellen, in der Mehrzahl der Fälle mit Gegenanzeigen, etwa wegen »Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte«, überhäuft werden. Besonders eindrücklich zeigt sich das bei der Aufarbeitung des G-20-Gipfels von 2017: Während aufgrund der Proteste und Auseinandersetzungen in Hamburg mehrere hundert Verfahren gegen Demonstranten und Anwohner eingeleitet wurden, es bereits zu mehr als 160 Anklageerhebungen, Dutzenden Strafbefehlen und teils völlig unverhältnismäßigen Verurteilungen kam, sieht die Bilanz bezüglich der Ermittlungsverfahren, die sich gegen Polizeibeamte richten, mehr als dürftig aus. Von den nur 138 eröffneten Verfahren wurden 67 eingestellt. Weder kam es bisher zu Anklageerhebungen, noch zu Strafbefehlen oder Urteilssprüchen. Erfolge gibt es nur im Kleinen: Die Kennzeichnungspflicht von Polizisten soll im nächsten Jahr kommen – wohl auch auf Druck der Hamburger Linksfraktion, die sich seit ihrem Einzug in die Bürgerschaft 2008 konsequent dafür stark gemacht hatte. »Wir wissen, dass Polizisten sich gegenseitig nicht oft anzeigen«, sagte der Hamburger Polizeiforscher Rafael Behr Anfang Juli gegenüber Spiegel Online. Besonders in Hundertschaften sei das, »was man landläufig Korpsgeist nennt«, ein häufiges Binnenschmiermittel. Man helfe sich in Gefahrensituationen – »ohne zu fragen, ob der Kollege möglicherweise etwas Falsches tut«, so Behr. Für Aufsehen sorgte jüngst der Fall von Jitzchak Jochanan Melamed, Professor für Philosophie an der Universität Baltimore, der mit einer Kippa Mitte Juli in Bonn unterwegs war. Dort wurde er zunächst von einem jungen Mann antisemitisch attackiert, später dann von der eintreffenden Polizei für den Täter gehalten. Die Beamten drangsalierten ihn mit Schlägen und warfen ihn zu Boden…“
- „Amnesty Jahresreport kritisiert „Versicherheitlichung“ in Deutschland und Europa“ von Markus Reuter am 22. Februar 2018 bei netzpolitik.org war ein Kommentar zum Jahresbericht von amnesty, worin es zur Frage der Polizeigewalt hieß: „In Deutschland gäbe es weiterhin keine unabhängigen Beschwerdestellen für Opfer von Misshandlungen durch die Polizei. Zu denen zählt Amnesty auch die 109 Ermittlungsverfahren wegen rechtswidriger Polizeigewalt im Rahmen des G20-Gipfels in Hamburg. Die Menschenrechtsorganisation moniert zudem, dass in acht Bundesländern weiterhin keine Kennzeichnungspflicht für Polizisten bestehe…“