Polizeigewalt: Die Polizei weiß nicht, wie viele Menschen sie tötet

Recherche: Warum sind 2022 in Deutschland 30 Menschen bei Polizeieinsätzen gestorben?„… Wie viele Menschen insgesamt in Deutschland während oder nach Polizeieinsätzen sterben, weiß niemand. Auch nicht die Polizei selbst. Weil die Polizei in Deutschland Ländersache ist, hat ZEIT ONLINE bei Landeskriminalämtern und Innenministerien aller Bundesländer nach Todesfällen bei Polizeieinsätzen in den Jahren 2012 bis 2022 gefragt. Das Ergebnis: Nur sieben der 16 Bundesländer konnten die Antwort liefern, teils erst nach monatelanger Recherche. (…) Allein im Jahr 2022 starben demnach insgesamt mindestens 19 Menschen bei oder nach Polizeieinsätzen: sechs im bevölkerungsreichsten Bundesland, Nordrhein-Westfalen, je vier in Bayern und Hessen. Auch im deutlich kleineren Thüringen starben mindestens zwei Menschen nach Polizeieinsätzen, in Sachsen-Anhalt, Berlin und in Rheinland-Pfalz je einer. Aus den anderen Bundesländern fehlen vollständige Zahlen. In Wahrheit dürften es also deutlich mehr Tote sein…“ Artikel von Manuel Bogner und Frida Thurm vom 20. Februar 2023 in der Zeit online externer Link und mehr daraus:

  • Weiter im Artikel von Manuel Bogner und Frida Thurm vom 20. Februar 2023 in der Zeit online externer Link: „(…) Deutsche Behörden erfassen die jährliche Apfelernte, zählen Verkehrsunfälle und kennen den Bildungsstand der Bürgerinnen und Bürger. Doch wie viele Menschen bei Polizeieinsätzen sterben, ist ihnen nicht bekannt. Die Polizei darf als staatliches Organ körperliche Gewalt ausüben. Im Gegenzug müsste sie sich eine besonders genaue Kontrolle gefallen lassen. Wie kann es sein, dass ausgerechnet hier eine Statistik fehlt? In einem Rechtsstaat sei das ein Problem, sagt Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt: „Es gehört zu den Basics des Rechtsstaats, dass das Handeln der Polizei kontrolliert werden muss“, sagt er. Gewalt dürfe bei der Polizei nur als letztes Mittel und so wenig wie erforderlich zum Einsatz kommen. „Solange wir als Gesellschaft aber gar nicht genau wissen, wie häufig, wo und in welcher Form die Polizei Gewalt einsetzt, ist eine solche rechtsstaatliche Kontrolle polizeilichen Handelns nicht hinreichend möglich.“ (…) Doch die Zahlen, die ZEIT ONLINE vorliegen, deuten darauf hin, dass es dringend nötig wäre, auch die anderen Toten systematisch zu erfassen, es könnten deutlich mehr sein als durch Polizeischüsse. Es sind Menschen, die nach dem Einsatz von körperlicher Gewalt, von Pfefferspray oder Taser durch die Polizei oder auch auf ungeklärte Weise sterben. Mindestens zehn waren es 2022, dazu kommt die bisher unbekannte Zahl weiterer Fälle – wie der eines Mannes in Mannheim, der im Sommer 2022 von Polizisten in eine psychiatrische Klinik gebracht werden sollte. Sie schlugen und fixierten ihn, laut Polizei wurde er „reanimationspflichtig“. Inzwischen sind die Polizisten angeklagt, die Staatsanwaltschaft ist davon überzeugt, dass der Mann an seinem Blut erstickte, während die Polizei ihn festhielt. Baden-Württemberg lieferte jedoch auf Anfrage von ZEIT ONLINE gar keine Zahlen, er ist also nicht einer der 19 Toten…“

Siehe dazu von viel zu vielen: Ausstellung „Polizei tötet“ in Bochum und Recherche: Warum sind 2022 in Deutschland 30 Menschen bei Polizeieinsätzen gestorben? und CILIP-Chronik der tödlichen Polizeischüsse ab 1976

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=209123
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