Nach Ellwangen: Die Rechte hetzt, die Polizei vollzieht, die Regierungskoalition segnet ab – und die Medien entdecken immer mehr Gefährder…
„CSU-Landesgruppenchef Dobrindt beklagt in Deutschland eine – so wörtlich – „Anti-Abschiebe-Industrie“. Es werde versucht, durch Klagen Abschiebungen von Flüchtlingen zu verhindern, sagte der CSU-Politiker der „Bild am Sonntag“ vor dem Hintergrund der Vorfälle im baden-württembergischen Ellwangen. Es sei nicht akzeptabel, dass durch Klagen bewusst die Bemühungen des Rechtsstaates sabotiert und eine weitere Gefährdung der Öffentlichkeit provoziert würden. Damit arbeite man nicht für das Recht auf Asyl, sondern gegen den gesellschaftlichen Frieden“ – aus der Meldung „Dobrindt (CSU) spricht von „Anti-Abschiebe-Industrie“ am 06. Mai 2018 beim Deutschlandfunk . Der Mann, krachend gescheitert als peinlichster Minister einer an Peinlichkeiten wahrlich nicht armen Regierungsgeschichte der jüngeren Zeit, hat natürlich in seiner Amtszeit eine ganz andere Industrie bedient, wie jeder weiß. Nun: Es gibt Zentren-Betreiber, Betten-Vermieter, Sicherheits-Firmen, Beamten-Stellen – eine ganze Industrie (wir haben ein Dossier hierzu). Nur eben arbeitet die nicht gegen die Abschiebung, sondern für seine Art, öffentliche Sicherheit und gesellschaftlichen Frieden zu verwirklichen, durch Erfüllung rechten Gekeifes und Erzwingung von Unterwürfigkeit – und wer dem nicht folgt, ist eine Gefahr… Siehe dazu auch eine weitere neue Meldung über die Gefahr für Polizisten, die von Menschen ausgeht, die sich gegen Abschiebung wehren – und vier weitere aktuelle Beiträge zur Debatte um die Folgerungen aus der Polizeistaats-Übung in Ellwangen und zum Recht auf Widerstand, sowie den Verweis auf unsere Ellwangen-Materialsammlung:
- „31-Jähriger wehrt sich heftig bei geplanter Abschiebung in Müllheim“ von Anika Maldacker am 04. Mai 2018 in der Badischen Zeitung vermeldet, dass wieder einmal ein offensichtlicher afrikanischer Superhero serienweise Polizisten verletzt hat, als er wegen seiner Zwangsabschiebung – geflohen ist… Ohne weiteren Kommentar: „Die Polizei hatte vor der Aktion bereits Kontakt mit ehemaligen Mitbewohnern und Nachbarn des Mannes und schätzte ihn daher als aggressiv ein, so Polizeisprecher Jerry Clark. Daher wurden vier Beamte zum Einsatz geschickt. Vor Ort musste die Tür gewaltsam geöffnet werden, da der Bewohner den Polizisten den Zutritt verweigerte. In seinem Zimmer wehrte sich der 31-Jährige heftig. Er schaffte es zu fliehen, indem er aus circa 2,50 Meter Höhe aus dem Fenster sprang und flüchtete. Anschließend wurde nach dem Mann gefahndet. Dabei wurden mehr Beamte hinzugezogen, unter anderem aus den Polizeirevieren Weil am Rhein, Freiburg-Süd, Müllheim und der Hundestaffel Freiburg. Bei der Fahndung wurde auch die ehemalige Wohnanschrift des Flüchtigen in Müllheim überprüft. Dort fanden die Polizisten ihn vor. Erneut leistete er Widerstand. Die Festnahme fand laut Polizeiangaben unter Anwendung körperlichen Zwangs und dem Einsatz von Reizstoff statt. „Es kommt selten vor, dass es so heftigen Widerstand gegen eine Abschiebung gibt“, erklärt Polizeisprecher Jerry Clark“.
- „Ellwangen: Ein Ort der gelebten Solidarität“ am 04. Mai 2018 bei Perspektive Online hält grundsätzlich zu den Ereignissen in Ellwangen fest: „Ellwangen steht stellvertretend für eine gelebte Solidarität, die die rassistische Staatsmaschinerie für wenigstens eine Nacht außer Kraft setzen konnte. Aber Ellwangen zeigt auch, wie sich die Berichterstattung über Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland verschoben hat: Sind es unmündige Menschen, die an Bahnhöfen Kuscheltiere entgegen nehmen, so wird ihnen dieses Verhalten der Verzweiflung gewährt. Wehren sie sich allerdings gegen die Abschiebung, die die eigentliche Gewalt widerspiegelt, so werden sie zu Tätern stigmatisiert. Auch Geflüchteten steht das Recht auf zivilen Ungehorsam. Ihnen nun „verwirktes Gastrecht“ vorzuwerfen, weil sie das Recht der Schwächeren in Anspruch genommen haben, ist ein direkter Angriff auf die Grund- und Menschenrechte. Die Autoritätshörigkeit und die Entmenschlichung und Ignoranz seitens der Polizei, des Staates und der Presse sind das eigentlich Kriminelle in diesem Fall“.
- „Streit um Ellwangen-Einsatz hält an“ von Sebastian Bähr am 05. Mai 2018 in neues deutschland – weniger zu einem Streit und eher zum Widerstand gegen eine Hetzkampagne: „Rex Osa von der Initiative »Refugees4Refugees« war während der Razzia vor Ort und hatte mit Geflüchteten gesprochen. »Die Bewohner machten einen schockierten Eindruck«, sagte er gegenüber »nd«. Sie erklärten ihm, durch eingetretene Türen geweckt worden zu sein, man habe sie mit Plastikbändern gefesselt. »Sie berichteten mir auch, dass sie am Montag nicht gewalttätig gewesen seien, sie wollten nur nicht, dass einer von ihnen abgeschoben wird.« Osa sieht die an den Polizeieinsatz anschließende Debatte kritisch. »Vorwürfe wie jetzt gibt es immer wieder gegen Flüchtlinge. Die Behörden versuchen uns damit zu kriminalisieren, um Abschiebungen leichter durchführen zu können.« Flüchtlinge seien auf die jetzt kriminalisierte Selbstorganisation angewiesen, da ihnen Verbündete in der Politik oft fehlen würden. Die politische Debatte um die Ereignisse in Ellwangen geht indes weiter. »Ein Rechtsstaat darf sich nicht vorführen lassen«, erklärte Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. »Es muss auch gegen die vorgegangen werden, die den Asylbewerber zunächst befreit hatten«, führte der Politiker aus. Im Falle einer Verurteilung solle man sie abschieben. Der Vize-Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Jörg Radek, warnte vor den vom Bund geplanten Asyl- und Abschiebezentren. »Ankerzentren machen es erst möglich, dass solche Strukturen und Dynamiken entstehen, wie wir sie jetzt in Ellwangen erlebt haben.«“.
- „Asylsuchender aus Togo wehrt sich gegen Abschiebung“ am 05. Mai 2018 beim Deutschlandfunk vermeldet zur „Ursache“ des Polizeiaufmarsches: „Der Asylsuchende aus Togo, der in Ellwangen festgenommen wurde, geht juristisch gegen seine drohende Abschiebung nach Italien vor. Sein Anwalt nannte das Vorgehen der Behörden rechtswidrig, da nun Deutschland für das Asylverfahren des Togoers zuständig sei. Demnach hatte der 23-Jährige bereits im vergangenen September einen Bescheid über seine Rückführung nach Italien erhalten. Dagegen habe er vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart geklagt, erklärte sein Anwalt. Bis zur Entscheidung genieße sein Mandant vorläufigen Rechtsschutz. Nach Angaben des Gerichts ist ein Eilantrag des Mannes gegen seine Rückführung bereits abgelehnt worden“.
- „Freie Bahn für die Staatsmacht?“ von Anna Lehmann am 04. Mai 2018 in der taz ist ein Kommentar, in dem unterstrichen wird: „Die von Innenminister Horst Seehofer geplanten Flüchtlingskasernen – euphemistisch Ankunftseinrichtungen genannt – sind im Grunde ungarische Duplikate. Die Begriffe, die Seehofer, aber auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt gebrauchten, als die Ereignisse in Ellwangen kommentierten, bauen Brücken, um solche Gefängnisse zu legitimieren. Von „Gastrecht“ reden Seehofer und Co., von „Abschiebe-Saboteuren“, von der „rechtstreuen Bevölkerung“, die einen Schlag ins Gesicht erhalten habe. Subtext: Diese Afrikaner, das sind im Grunde Kriminelle, die gehören eingesperrt. Man kann Ellwangen natürlich auch anders bewerten: die Bewohner sind zunächst einmal Menschen, sie mögen gut oder garstig, nett oder hinterlistig sein. Und sie sind in einer ziemlich beschissenen Lage – sie haben viel Geld und viel Zeit investiert, um ins gelobte Land zu kommen – und sie begrüßen diejenigen, die anrücken, um sie wieder rauszuwerfen, nun mal nicht mit Blumen, sondern mit Bitterkeit. Wer meint, der Staat müsse hier richtig hart durchgreifen, um solche Insubordination in Zukunft zu unterbinden, soll bitte auch gleiche Maßstäbe anlegen, wenn er oder sie mit 60 km/h in der 30er Zone erwischt wird“.
- Siehe dazu auch unsere Materialsammlung „Ellwangen: Der (ganz weit) Rechts-Staat in voller Aktion – Widerstand verboten“ am 04. Mai 2018 im LabourNet Germany