Hannover: Misshandlungen im Gewahrsam sind kein Einzelfall – Das System Polizei macht diese zur Normalität
„Ein Skandal um polizeiliche Misshandlungen im Polizeigewahrsam der Bundespolizei in Hannover sorgt gerade für Schlagzeilen in den Medien (…)Dass es um abscheuliche Polizeigewalt geht, darüber sind sich die Kommentatoren und Experten einig. Aufgefallen ist mir jedoch, dass sehr schnell auf einen Einzeltäter und wenige Mitwisser fokussiert wurde. Es ist bequem, wenn man einen Schuldigen nennen kann und sich um eine Auseinandersetzung mit dem System, dass die Vorfälle erst möglich gemacht hat, drücken kann. Der „Skandal“ in Hannover ist aber weder ein Einzelfall noch das Werk eines Einzeltäters. Das System Polizei macht dies möglich…“ Kommentar der Kletteraktivistin Cécile Lecomte vom 20. Mai 2015 – mit eigenen Erfahrungsberichten und einer Dokumentation von Folterfotos im Braunschweiger Polizeigewahrsamstrakt 2008 – die dort zu „Schulungszwecken“ hingen, wie es heißt. Siehe dazu neu:
- Skandal-Folge: Bundespolizisten melden sich reihenweise krank
„… Wie der NDR berichtet, stellen die Misshandlungsvorwürfe gegen einen ihrer Kollegen die Bundespolizisten in Hannover erheblich unter Druck. Nach Recherchen des Senders hat sich mehr als die Hälfte der 20-köpfigen Dienstgruppe, zu der der 39-jährige Verdächtige gehört, krank gemeldet. Mancher Beamte würde sich derzeit kaum noch auf die Straße trauen, hatte Bundespolizeipräsident Dieter Romann bereits am Dienstag in Hannover gesagt. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisiert unterdessen, dass die Bundespolizei-Führungsspitze zu spät intern über die Vorwürfe informiert und sich zudem nicht rechtzeitig schützend vor ihre Beamte gestellt hätte…“ Beitrag bei der neuen Osnabrücker Zeitung vom 22. Mai 2015
- Polizeiliche Misshandlungen in Hannover: keine bedauerlichen Einzelfälle!
„Am Sonntag (17.5.15) wurde bekannt, dass in einer Polizeiwache in Hannover zwei geflüchtete Männer von mindestens einem Polizeibeamten misshandelt wurden. Die beiden jungen Männer wurden in einem Abstand von etwa einem halben Jahr von der Polizei aufgegriffen und auf der Wache gedemütigt, an Fußfesseln über den Boden geschleift und gewürgt. Diese Taten hat der Beamte fotografiert und damit auf Whatsapp geprahlt: „Das war ein Geschenk von Allah“. (…) Durch unsere jahrelange Recherche- und Forschungsarbeit zum Thema Rassismus in der Polizei können wir, die Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt, seitenweise belegen, dass gewalttätiges Verhalten seitens der Polizei insbesondere gegenüber Menschen mit Migrations- oder Fluchthintergrund keinesfalls selten passiert. Von Einzelfällen kann nicht die Rede sein. Vielmehr handelt es sich tatsächlich um ein strukturelles Phänomen. Nicht nur der Häufigkeit polizeilicher Übergriffe wegen, sondern weil Rassismus in die Polizeipraxis eingeschrieben ist. (…) Wir unterstützen die derzeit laute Forderung nach Aufklärung der Polizeigewalt in Hannover. Doch fordern wir auch die Aufklärung und öffentliche Wahrnehmung polizeilicher Routine und der zahlreichen Fälle rassistischer Polizeigewalt, die sich tagtäglich in der BRD abspielen.“ Pressemitteilung der Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt Bremen vom 22. Mai 2015
- Konkret zur Folter-Ausstellung schreibt Lecomte im o.g. Beitrag: „… Wenn ich Bilder dieser Ausstellung zeige, sind die Menschen schockiert. Wir haben Bilder der Ausstellung bei einer Besichtigung des Gewahrsamtrakts mit Menschenrechtlern und einer Abgeordneten im Dezember 2008 aufnehmen können. Ich habe die Angelegenheit öffentlich machen wollen. Es hat damals keine große Öffentlichkeit interessiert: ich wurde schließlich ja nicht selbst gefoltert, es waren ja nur Bilder von Folter, wenn kein Blut fließt, interessiert es die Öffentlichkeit nicht – das ist natürlich fatal, weil ausgerechnet solche Bilder dazu beitragen, die Hemmungen von „Einzeltätern“ abzubauen. Misshandlungen werden nicht mehr als Misshandlung betrachtet, dass entsprricht doch dem, was man jeden Tag sieht. Nein, der „Einzeltäter“ aus Hannover, der gar kein Einzeltäter ist, hat nichts erfunden! Er gehört einfach zur Normalität des Systems! Die Bundesregierung teilt dem EGMR im Verfahren um meine Ingewahrsamnahme unverblümt mit, dass die Bilder „zu polizeiinternen Schulungszwecken“ in dem Polizeigewahrsam hingen. Eine Delle in der Wand zu Schulungszwecken? Folter zu Schulungszwecken? …„