»Es braucht ein Umdenken, bevor weitere Menschen sterben«. Zur Systematik staatlicher Legitimierung polizeilichen Tötens
„Überall, wo es Polizei gibt, wendet diese auch tödliche Gewalt an. Gewalt ist Kern polizeilicher Funktionsweisen. Der deutsche Staat führt selbst keine offiziellen Statistiken über Tode durch die Polizei, für Deutschland tragen mehrere zivilgesellschaftliche Initiativen die Informationen zusammen. Die Polizei ist gut davor geschützt, juristische oder disziplinarische Konsequenzen für durch sie verursachte Tode tragen zu müssen: Verschiedene staatliche und gesellschaftliche Rechtfertigungsmechanismen greifen ineinander, um tödliche Polizeigewalt zu legitimieren und konsequenzlos zu belassen…“ Artikel von Britta Rabe und Michèle Winkler im ak708 vom 15. Oktober 2024 und mehr daraus:
- Weiter aus dem Artikel von Britta Rabe und Michèle Winkler im ak708 vom 15. Oktober 2024 : „… Der Menschenrechtsaktivist Biplab Basu analysierte dies 2016 so: »Der Fakt, dass jene Institutionen Hand in Hand arbeiten, bedeutet jedoch nicht, dass sie sich absichtsvoll miteinander absprechen und handeln. Es bedarf keiner Verabredung, wo bereits Konsens herrscht.« Eine Palette von Instrumenten steht dafür zur Verfügung: Zunächst einmal bestimmt die Polizei selbst, wer verfolgungswürdig ist, wer als gefährlich gilt und als Sicherheitsproblem markiert wird, und dementsprechend, gegen wen sie welches Maß an Gewalt anwendet. Ihr Raster folgt nicht zufällig den gesellschaftlichen Ausschlussmechanismen wie Rassismus, Ableismus und Sexismus. Vor allem Schwarze, migrantisierte, arme und geflüchtete Menschen, Sexarbeiter*innen und Menschen mit physischen oder psychischen Gebrechen geraten damit ins polizeiliche Visier. Ist es zu einer Tötung gekommen, startet das Framing, das einem bewährten Muster folgt: Die getötete Person wird nachträglich kriminalisiert – oft, indem ihr ein Angriff auf Polizeibeamt*innen oder Widerstand angelastet werden, im Zweifel sogar posthum. (…) Parallel wurde eine alternative Deutungsmöglichkeit in den Prozess eingeführt, um die tödliche Waffengewalt zu rechtfertigen: Um einem Selbstmord zuvorkommen, hätten die Beamt*innen schnell in die statische Lage interveniert, um Mouhamed D. zu retten. (…) Mouhamed Dramé habe sich zudem nach den Schüssen vehement bewegt: Seine Arme langten zu seinem Bauch und Unterkörper, dies wurde als »wehrig« und gar als »renitent« bewertet. Später stellte sich heraus, dass er genau dort von den tödlichen Schüssen getroffen worden war. Insbesondere die bundesweit um sich greifende irrationale Erregung um sogenannte Messergewalt wird in Dortmund dienstbar gemacht: Unterschiedslos wird von »Messerlagen« gesprochen, auch wenn eine Person das Messer gegen sich selbst hält. Bereits im Notruf wurde gefragt, ob Mouhamed Dramé nicht eventuell ein zweites Messer habe. Neben der versuchten Schuldumkehr wird die Selbstviktimisierung aktiviert: Der angeklagte Schütze erzählt in Dortmund vor Gericht, dass er unter den tödlichen Folgen des Einsatzes leide, er denke jeden Tag daran. Ausführlich erhält er in einer Podcastfolge des WDR und in Interviews die Gelegenheit, seine Gefühlslage zu beschreiben. Hier wird der Tod Mouhamed Dramés durch die Polizei endgültig zur reinen Tragik: Der Tod war unvermeidlich, fast ein Unfall, das Polizeihandeln aber angemessen und für die Polizei selbst am Belastendsten. Die Strafprozesse zeigen, dass im Gericht für tödliche Polizeigewalt keine Gerechtigkeit hergestellt wird, und dies auch nicht das Ziel ist. Verurteilt wird als Ausnahme und zur Aussonderung einzelner »fauler Äpfel«, damit das System als Ganzes weiterbestehen kann. Hierdurch werden derartige Gerichtsprozesse jedoch nicht überflüssig: Sie dienen einer kritischen Zivilgesellschaft dazu, den dort verhandelten Einzelfall in einen breiteren Kontext zu stellen, tödliche Polizeigewalt als Ganzes zu thematisieren und als System zu kritisieren.“