Erneut ein tödlicher Polizeieinsatz in Dortmund: Warum musste Najib B. sterben?

Stoppt Polizeigewalt70 Jahre, männlich. Erschossen am 14.03.2025. In Dortmund, Nordrhein-Westfalen. Bewaffnet mit Stichwaffe. Im Rahmen eines Einsatzes der Feuerwehr wurde die Polizei nach eigenen Angaben „zur Unterstützung zu einem Randalierer hinzugezogen“. Im Verlauf des Einsatzes sei es dann zu dem „Gebrauch der dienstlichen Schusswaffe“ gekommen. Der Epileptiker habe Rettungskräfte mit einem Messer bedroht, was Nachbar*innen aber vehement bestreiten. Der Mann wurde durch die Schüsse schwer verletzt und starb noch vor Ort. Nachbar*innen stellen den Polizeieinsatz deutlich anders dar. Demnach war der Mann Epileptiker und habe sich geweigert, in ein Krankenhaus gebracht zu werden.“ So der Eintrag in der Chronik „Polizeiliche Todesschüsse“ von CILIP externer Link – siehe dazu weitere (erste) Informationen:

  • Von Polizei getöteter Dortmunder war kein »Randalierer«: Nachbar*innen widersprechen Darstellung der Behörden zu tödlichem Polizeieinsatz
    “… In der Scharnhorster Wohnsiedlung war der passionierte Motorradfahrer Boubaker – nach Informationen des »nd« seit Langem deutscher Staatsbürger – gut bekannt. Ebenso bekannt war, dass er gesundheitliche Probleme hatte. Dem humpelnden Mann habe man dies deutlich angesehen, heißt es. Zu Beginn des Jahres soll er noch mehrere Wochen im Krankenhaus gewesen sein. (…) Nach nd-Recherchen wollte ihn der Rettungsdienst wegen der epileptischen Anfälle in ein Krankenhaus bringen, Boubaker hingegen wollte zu Hause bleiben. Noch in der Wohnung habe Boubaker zu einem Küchenmesser »gegriffen«, sagt Staatsanwalt Felix Giesenregen. Der Rettungsdienst habe daraufhin die Wohnung verlassen und die Polizei gerufen. Mit Eintreffen der Beamt*innen verlagerte sich die Situation in den Vorgarten. Das Opfer soll dort mit dem Messer auf die Polizei zugegangen sein. Nach Androhung des Schusswaffengebrauchs habe er sich umgedreht und sei in Richtung des Hauses gegangen. Dann soll er erneut »unter Vorhalt des Messers« auf die Polizist*innen zugelaufen sein, erklärte der Staatsanwalt Giesenregen am Montag gegenüber »nd«. Auf Nachfrage konkretisiert er: Dies sei »schnellen Schrittes« passiert – angesichts der Gehbehinderung von Boubaker ist dies jedoch zweifelhaft. Die Einschätzungen der Staatsanwaltschaft basieren auf Aussagen von Zeug*innen. Videoaufnahmen der Situation lägen nicht vor, die Bodycams der Polizist*innen seien nicht eingeschaltet gewesen, erklärt Giesenregen und nennt dafür keinen Grund. Auch bei dem beim bundesweit Aufmerksamkeit erregenden Fall der Tötung des jungen Senegalesen Mouhamed Dramé vor zwei Jahren in Dortmund war dies der Fall. (…) Aus »Neutralitätsgründen« ermittelt nun, wie in derartigen Fällen üblich, die Polizeibehörde im benachbarten Recklinghausen. So erfolgte es seit den Schüssen auf Dramé in 2023 auch bei anderen tödlichen Polizeieinsätzen der vergangenen Jahre in Dortmund. Im Fall des senegalesischen Flüchtlings wurden alle angeklagten Polizist*innen im Dezember 2024 freigesprochen; in allen anderen Fällen wurden die Ermittlungen ohne Anklagen eingestellt. Eine Nachfrage des »nd« bei der Pressestelle der Dortmunder Polizei, aus welchen Gründen sie Boubaker als »Randalierer« bezeichnete, blieb unbeantwortet. Am Montagmorgen hat die Polizei in Herne einen weiteren Mann erschossen – es ist nach Zählungen der Zeitschrift »Bürgerrechte&Polizei/CILIP« der siebte Polizeitote in diesem Jahr. Der offiziellen Mitteilung zufolge soll auch dieser Einsatz »bezüglich eines ›Randalierers‹« erfolgt sein. Wieder heißt es, das spätere Opfer ging »mit einem Messer auf die eingesetzten Polizeibeamten los«. Eine Darstellung, die sich zumindest im Dortmunder Fall als tendenziös herausstellt.Artikel von Friedrich Kraft vom 19. März 2025 in Neues Deutschland online externer Link
  • Nachbarn kritisieren tödlichen Polizeieinsatz in Dortmund: Warum musste Najib B. sterben? Einige Nachbarn standen nur wenige Meter von ihm entfernt, als der tödliche Schuss fiel
    “Das Entsetzen über den tödlichen Polizeieinsatz ist in der Nachbarschaft in Dortmund groß. Und die Angst vor der Polizei auch. Einige Anwohner in der ruhigen Siedlung im Stadtteil Scharnhorst wollen zwar über das, was sie erlebt haben, sprechen, aber niemand möchte mit seinem Namen genannt werden. Sie kritisieren den tödlichen Einsatz und sagen, so, wie es von der Polizei und in den Medien geschildert werde, sei es nicht gewesen. (…) Nach ersten Angaben der Dortmunder Polizei sind Kräfte im Rahmen dieses Einsatzes „gegen 13:20 Uhr zur Unterstützung zu einem Randalierer“ gerufen worden. Diese Darstellung ärgert und irritiert viele Nachbarn: „Wir möchten, dass er nicht als Randalierer hingestellt wird, was er nicht war. Wir glauben auch, dass die Polizei unserer Meinung nach grundlos geschossen hat. Das hätte man anders regeln können“. Die Frau, die das sagt, hat den ganzen Einsatz miterlebt, so wie viele in der Straße. Insgesamt fünf Augenzeugen erzählen, dass ihr Nachbar zwar irgendwann mit einem Messer in der Hand aus seinem Haus gekommen sei, er dort aber nicht randaliert habe. Er habe immer wieder gefragt: „Was wollt ihr? Was wollt ihr von mir?“ (…) Auf seine Fragen habe er von den Polizisten aber keine Antwort bekommen, die sich zu diesem Zeitpunkt rund um den Eingang des Reihenhauses, in dem der Dortmunder gelebt hat, aufgestellt hatten. Einige Nachbarn hätten versucht zu helfen, „zum Najib zu gehen, ihn dazu zu bewegen, das Messer wegzulegen“, das habe die Polizei aber untersagt. Ein Anwohner beschreibt die Situation als pures „Chaos“: „Alle haben durcheinander geschrien“. Najib B. sei in seiner Siedlung beliebt gewesen, beschreiben die Anwohner – habe geholfen, wo er konnte, sein Motorrad geliebt und das Grillen im Sommer. Wirklich aggressiv sei er nie gewesen, eher hilfsbereit. (…) Laut Staatsanwaltschaft seien vier Polizisten beteiligt gewesen und alle vier sollen nach Angaben der Staatsanwaltschaft ihre Waffe auf den 70-Jährigen gerichtet haben. In dem Moment, als der Schuss fällt, soll er sich laut einer Nachbarin nicht bewegt haben, sie sagt, sie habe nur wenige Meter vom Geschehen entfernt gestanden. Eine andere Frau sagt: „Definitiv hätte man nicht schießen müssen. Es hätte andere Möglichkeiten gegeben, ihm die Waffe wegzunehmen. Er stand. Er stand am Auto“. Zu den Schilderungen der Nachbarn konnte sich die Dortmunder Staatsanwaltschaft am Montag nicht äußern. Aus Neutralitätsgründen ermittelt die Polizei Recklinghausen.“ Beitrag von Catherine Jaspard vom 17. März 2025 beim WDR online externer Link

Siehe zuletzt das Dossier: Welcher Messer-Angriff gegen 11 Polizisten rechtfertigt 6 Schüsse aus Maschinenpistole auf senegalesischen 16-Jährigen in der Dortmunder Nordstadt?

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=226974
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