Wie das Bundesverfassungsgericht mit Angriffen auf das Versammlungsrecht die Ideologie der Querdenker stärkt und mit Leugnung der Verantwortung der Bundesländer den Klimaschutz schwächt

"Capitalism is the Virus" - Statement from IWW Ireland on a class response to Covid-19„… Letztlich ist zwischen den beiden jüngsten Entscheidungen der 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG ein bestimmter, jedoch auch beängstigender, Zusammenhang zu erkennen. Auffällig ist die Schwächung von Grundrechten zu Gunsten legislativer und exekutiver Politik. (…) Ein „Supergrundrecht“ ist die Gesundheit nur bei der Pandemie, nicht beim Klimaschutz. Den Zusammenhang bilden beide Entscheidungen bei der Einschränkung von Grundrechten. In sofern bildet der Angriff auf das Versammlungsrecht heute bereits eine Erprobung von einem Ausnahmezustand, der auch mögliche Klimakatastrophen einschließt. Grundrechte dürfen in solchen Fällen eingeschränkt werden. Das ist ein Fazit der Haltung der 1. Kammer. Das andere Fazit betrifft das System. Wenn Ansteckung bei einer Pandemie droht, muss das System weiterlaufen, zumindest was die Arbeit betrifft. Bei drohenden Klimakatastrophen ist es nicht anders. (…) Auch bei Covid-19 ignorierte man bekanntlich Warnhinweise. Lockdown ja. Aber nicht für das System, wo sich die „Freiheit der Person“ von Art. 2 Abs. 2 GG auf die Profitemacherei einer sog. „freien Marktwirtschaft“ reduziert…“ Kritik von Armin Kammrad vom 4. Februar 2022 – wir danken!

Wie die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts
mit Angriffen auf das Versammlungsrecht die Ideologie der Querdenker stärkt
und mit Leugnung der Verantwortung der Bundesländer den Klimaschutz schwächt

Kritik von Armin Kammrad vom 4. Februar 2022

Aktuell fällt die 1. Kammer des Ersten Senats mit den Richter*innen Britz, Radtke und dem ehemaligen Arbeitgeberanwalt sowie jetzigen Gerichtspräsidenten Harbarth, der wiederholt nach § 19 BVerfGG – wenn auch erfolglos – (als befangen abgelehnt externer Link) (und (Ungeeignetheit wegen Lobbyismus externer Link) wurde, gleich doppelt durch verfassungsrechtlich kritikwürdige Entscheidungen auf: Einmal zum Versammlungsrecht nach Art. 8 GG (Beschluss vom 31. Januar 2022 – 1 BvR 208/22 externer Link) / keine PM). Und einmal zum Klimaschutz (Beschluss vom 18. Januar 2022 – 1 BvR 1565/21 externer Link) und 10 weitere / (Pressemitteilung Nr. 7/2022 vom 1. Februar 2022 externer Link).

Die Angelegenheit kann schon deshalb nicht einfach übergangen werden, da dem Bundesverfassungsgericht ein extrem großer Einfluss zukommt, was von den meisten Beschwerdeführern verständlicherweise jedoch gerade als Vorteil betrachtet wird. Das kann jedoch auch große Nachteile haben. Schlichtweg deshalb, weil die personelle Auswahl u.U. als zu wenig demokratisch legitimiert betrachtet werden kann. Grundrechte müssen auch nicht unbedingt mit einer Zweidrittel-Mehrheit nach Art. 79 GG geändert werden, sie können auch höchstrichterlich uminterpretiert werden. Diese Bedenken betreffen sicher nicht nur Harbarth, jedoch ihn in sofern besonders, da über diesen CDU-Mann und nachweislich früheren Rechtsvertreter kapitalistischer Konzerninteressen die jetzige Opposition von CDU/CSU weiter durch parteigenehme Grundrechtsauslegungen, starken Einfluss auf das nehmen kann, was im Land als „verfassungskonform“ gelten soll und was nicht.

Diese kritische Machtbefugnis betrifft nicht nur den Inhalt der Entscheidungen. Denn neben inhaltlichen Positionen, steht den Richtern*innen beim BVerfG auch das Instrument rein formaler Handhabungen von Verfassungsbeschwerden zur Verfügung. Dies betrifft weniger den Senat in seiner Gesamtheit als die dreiköpfigen Kammerbeschlüsse, die maßgeblich über den Werdegang einer Verfassungsbeschwerde entscheiden können. So ist eine Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 BVerfGG eigentlich zur Entscheidung anzunehmen, „soweit ihr grundsätzliche verfassungsrechtlich Bedeutung zukommt“, oder wenn durch Nichtannahme dem „Beschwerdeführer (…) ein besonders schwerer Nachteil entsteht“. Außerdem kann die Kammer nach § 93c BVerfGG zwar einer nach § 93a Abs. 2 BVerfGG „offensichtlich begründet(en)“ Verfassungsbeschwerde stattgeben, aber keine mit einer reinen Kammerbegründung ablehnen. Ob „ein Gesetz mit dem Grundgesetz oder sonstigen Bundesrecht unvereinbar oder nicht ist“ darf grundsätzlich auch nur der Senat entscheiden.

Die Kammern mit Harbarth weichen meinem Eindruck nach immer wieder von den gesetzlichen Vorgaben ab und entscheiden mehr oder weniger anstelle des zuständigen Senats. Z.B. legt die 1. Kammer in den hier interessanten Fällen einfach fest: „Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen“ (1 BvR 1565/21 externer Link). Oder sie lehnt trotz manifester Grundrechtseingriffe und bisheriger recht eindeutigen Rechtsprechung des BVerfG einen Antrag auf einstweilige Anordnung ab, weil diese aus Kammersicht keinen Einfluss auf Erfolg hätte (1 BvR 208/22 externer Link). Dies mag sogar stimmen. Doch maßt sich so in jeden Fall die Kammer eine durch § 93b eigentlich begrenzte Befugnis an, was sich übrigens auch als verfassungswidrigen Entzug des „gesetzlichen Richters“ nach Art. 101 GG interpretiert ließe. Dies besonders dann, wenn die Kammer ihre Behandlung einer Verfassungsbeschwerde auch noch selbst in einer Art und Weise begründet, die eine verfassungsrechtlich Kritik geradezu provoziert, wie bei der hier durchaus streitbaren Haltung der 1. Kammer des Ersten Senats zum Versammlungsrecht und zum Klimaschutz.

Was ist von der Haltung der 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG zum Versammlungsrecht zu halten?

Mit Bezug auf die (Allgemeinverfügung Dresdens vom 20. Januar 2022 externer Link ) zur Einschränkung des Versammlungsrechts im „gesamten Stadtgebiet der Landeshauptstadt Dresden am 22. Januar 2022“ merkte (Max Steinbeis vom und beim Verfassungsblog am 22. Januar 2022 externer Link) an: „Bei aller Liebe: Das kann man nicht machen. Ich verstehe ja, wie frustrierend das für die Behörden sein muss, von diesen angeblichen „Spaziergängern“ und dem unter sie gemischten rechtsextremen Gelichter permanent auf diese Weise getrollt zu werden. Aber Verwaltungsschwierigkeiten dieser Art sind keine Rechtfertigung, wenn die vor lauter Not herumgeschleuderten Felsbrocken das Verfassungsrecht zu treffen drohen.“ Steinbeis wies daraufhin, dass es als diskriminierend zu werten sei und dem Staat verboten ist, das bloße „Dagegen-Sein“, also eine „bestimmte und konkrete Meinung als solche zu verbieten“. Der Staat „muss bei aller Gefahrenabwehr immer sicher stellen, dass sich der Raum für politische Kontroverse nicht schließt und über seine Maßnahmen gestritten werden kann, auch und insbesondere die Maßnahmen, mit denen er die Gefahr abwehren will. Das schuldet er nicht nur den Corona-Leugnern und Spaziergängern. Das schuldet er auch mir als ihrem politischen Gegner, der ich grosso modo sehr für Impfung, Maske und Abstandsgebot bin, worauf es aber überhaupt nicht mehr ankäme, wenn mir der Staat diese Entscheidung bereits abgenommen hat. Damit würde er auch mich zu einem unfreien Untertan degradieren, der macht, was ihm befohlen wird, anstatt frei das meiner freien Meinung nach Richtige zu tun. Und würde selbst so den Spukgeschichten, die sich die querdenkenden „Spaziergänger“ untereinander über ihn erzählen, ein ganzes Stück ähnlicher.“

Mit seinem Ablehnungsbeschluss zu dem Antrag der „querdenkenden Spaziergänger“ zum präventiven Demoverbot durch eine Allgemeinverfügung toppt die Kammer mit Harbarth alle Befürchtung. Nicht, dass sie das Versammlungsrecht in seiner allgemeinen (!) Bedeutung bestreitet; hier zitiert sie sogar recht ausführlich die bis dato geltende Haltung des höchsten deutschen Gerichts zu Art. 8 GG. Doch konstruiert die Kammer bezüglich Art. 8 Abs. 2 GG eine – bisher – angeblich ungeklärte Rechtsfrage, die zwar bei einer bestimmte Meinung ansetzt, jedoch in ihrer Bedeutung deutlich darüber hinausgeht: „Ob es mit Bedeutung und Tragweite des Art. 8 GG unter bestimmten Voraussetzungen vereinbar sein kann, präventiv ein Versammlungsverbot durch Allgemeinverfügung für eine prinzipiell unbestimmte Vielzahl von Versammlungen im Stadtgebiet zu erlassen, die mit Aufrufen zu „Montagsspaziergängen“ oder „Spaziergängen“ im Zusammenhang stehen, ist eine verfassungsrechtlich offene Frage, deren Klärung dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss“ (Rdnr. 7bb).

Damit gibt die Kammer einerseits zu, dass ihre Haltung ungeklärt und deshalb einem Hauptsacheverfahren vorbehalten ist. Doch verliert, wie oben dargestellt, damit die Kammer eigentlich ihr Recht anstelle des Senats auf Basis dieser noch „offenen Frage“ gegen das bisher geltende höchstrichterliche Versammlungsrecht zu entscheiden. In sofern ist jegliche Kammerablehnung einer Versammlung mit Verweis auf eine noch offene verfassungsrechtliche Frage eine reine Vermutung ohne verfassungsrechtliche Entscheidungsrelevanz. Dabei ist bereits jede Fokussierung auf eine bestimmte Meinung, wie Steinbeis zeigt, eindeutig verfassungswidrig. Aus Gegnerschaft zu einer bestimmte Meinung eine allgemeine Grundsatzfrage zu machen, stärkt die Verfassungsgegner und dehnt – was viel wichtiger ist – ein exekutives präventives Verbotsrecht durch Allgemeinverfügungen auch auf andere Meinungsäußerungen verfassungswidrig aus. Denn tatsächlich würde durch das Sublimieren einer Allgemeinverfügung mit dem Recht auf präventiver Meinungsunterdrückung im Sinne eines Gesetzes nach Art. 8 Abs. 2 ein gefährliches Mittel zur Unterdrückung freier Meinungsäußerung nach Art. 5 und Art. 8 geschaffen.

Was den Inhalt und Zweck der Demo betrifft behautet die Kammer zwar im Rahmen von „Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen“ zu entscheiden (Rdnr. 6). Aber sie konstruiert auf Basis einer von ihr erfundenen ungeklärten Rechtsfrage nur eine Grundrechtsabwägung um trotz faktischer und verfassungsrechtlicher Offenheit zu Ungunsten des Antrag auf eine einstweilige Anordnung zu entscheiden. Zwar weiß die Kammer: Ein Eingriff „wäre“ (!) in das Versammlungsrecht „von erheblichem Gewicht. Erginge demgegenüber eine einstweilige Anordnung und würde (!) sich später herausstellen, dass das Verbot zur Verhinderung der von den Gerichten angenommenen infektionsschutzrechtlichen Gefahren, die nicht in verfassungsrechtlich relevanter Weise in Zweifel gezogen sind, rechtmäßig war, so wären (!) grundrechtlich durch Art. 2 Abs. 2 GG geschützte Interessen der Allgemeinheit, nämlich der Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit, zu dem der Staat auch kraft seiner grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich verpflichtet ist (…) betroffen“ (Rdnr. 10). Also keine Tatsachen, sondern reine Möglichkeit präsentiert die Kammer als Rechtfertigung für ein Verbot, dessen verfassungsrechtliche Relevanz noch dazu ungeklärt ist bzw. u.U. überhaupt nicht besteht. Mit ihrem unbestimmten Bezug auf ein angeblich „Supergrundrecht“ des Schutzes der Gesundheit nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, isoliert die Kammer nicht nur Satz 1 von Satz 2 („Die Freiheit der Person ist unverletzlich“), sondern praktiziert das, was (Oliver Lepsius in der Juristenzeitung 2021/19 vom 27. September 2021 externer Link) bereits am Umgang des BVerfG mit dem legislativen und exekutiven Pandemie-Schutz kritisierte hat: „Diese Diffusität von Zielen und Mitteln und das Unvermögen, zwischen Leben, Gesundheit und Schutz des Gesundheitssystems als Bezugsgröße der einzelnen Maßnahmen zu differenzieren, behindert die Verhältnismäßigkeitskontrolle seit Beginn der Pandemie. Hier nach über einem Jahr keine Orientierung bieten zu können oder zu wollen, ist verfassungsrechtlich unverzeihlich.“ Nach Ansicht der 1. Kammer soll nun bei dem schweren Eingriff in das Versammlungsrecht durch Präventivverbot gar keine Verhältnismäßigkeitprüfung mehr bestehen (was übrigens auch Beweis gewertet werden kann, dass der Befangenheitsantrag (vgl. oben) gegen Harbarth berechtigt war). Es könnte ja sein, dass hier vielleicht der Anspruch eines Gesundheitsschutzes bestehen könnte… Aha!

Statt einer Wertung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, flüchtet sich die Kammer nun in rein pragmatische Nebensächlichkeiten: So fällt für die Kammer insbesondere ins Gewicht, dass durch die Gestaltung der Versammlung als „Spaziergang“ eine Vorfeldkooperation und damit eine gegenüber dem Verbot grundrechtsschonende Begleitung der Versammlung“ nicht möglich sei (Rdnr. 10), was sachlich Unfug ist, weil die Form des Spaziergangs sich ja gerade aus dem Verbot entwickelte. Die angebliche Verfassungskonformität von „vorsorglichen“ Demonstrationsverboten leitet die Kammer ferner aus der angeblich „naheliegende Feststellung“ ab, dass die Demo-Teilnehmer „nicht dazu bereit seien, versammlungspolizeiliche, dem Infektionsschutz dienende Auflagen, wie insbesondere das Tragen von Masken oder das Einhalten von Abständen, zu beachten.“ (Rdnr. 9). Und was ist mit denen, die sich doch daran halten? Das Versammlungsrecht kennt kein präventives Demonstrationsverbot aufgrund von Vermutungen, sondern bestenfalls Eingriffsmöglichkeiten bei der Nichtbeachtung von Auflagen. „Eingriffe in die Versammlungsfreiheit sind nur zum Schutz gleichgewichtiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung der Verhältnismäßigkeit zulässig“, zitiert die Kammer selbst die bis jetzt geltende Rechtsprechung des BVerfG (Rdnr. 5). Mit seiner völlig unkonkreten Bezug auf die „grundrechtliche(…) Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG“ als Rechtfertigung für ein vorsorgliche Demoverbot durch Allgemeinverfügung zeigt nun die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG, dass sie letztlich eher die Querdenker in ihrer Ablehnung des Staats bestärkt, statt sie durch verfassungskonforme Grundrechtsanwendung zu widerlegen. Die Sache wird nicht besser, wenn man/frau dies mit einem Verweis auf eine Überforderung zu rechtfertigen versucht. Denn niemand behauptet, dass eine erfolgreiche Anwendung und Verteidigung der Grundrechte eine leichte Sache wäre.

Warum scheiterte bei der 1. Kammer des Ersten Senats Verfassungsbeschwerden zu mehr Klimaschutz insbesondere durch die Länder?

Mit ihren Beschluss zu den Verfassungsbeschwerden zu mehr Klimaschutz bei der Gesetzgebung der Bundesländer, geht nun die 1. Kammer mit Harbarth gewissermaßen den entgegengesetzen Weg zu Allgemeinverfügungen auf kommunaler Ebene. Hier ist die Kammer überzeugt: „Eine Verletzung der gegenüber den Beschwerdeführenden bestehenden Schutzpflichten vor den Gefahren des Klimawandels aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG kann nach der Entscheidung des Senats angesichts der bereits existierenden gesetzlichen Regelung auf Bundesebene derzeit nicht festgestellt werden. Es ist nicht ersichtlich, dass das Fehlen eines Landesklimaschutzgesetzes hieran etwas ändern könnte.“ (PM Pkt. II). Dabei nimmt sich die Haltung, dass eine schärfere Landesgesetzgebung beim Klimaschutz nichts „ändern könnte“ schon sehr befremdlich aus. Wird nicht standardmäßig an jeden Einzelnen – passend oder unpassend – appelliert, alles in seiner Macht stehen zu tun, um unser Klima zu schützen. Warum soll zum „Staat“, der – nach Art. 20a GG – „auch in Verantwortung für die künftigen Generation die natürliche Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung“ schützen soll, nicht auch die Bundesländer gehören? Und warum gilt hier das ang. „Supergrundrecht Gesundheit“ bei den Bedrohungen durch Klimakatastrophen nun plötzlich nicht? Ganz einfach: Die Kammer mit Harbarth versteht Klimaschutz ausschließlich im Zusammenhang mit der angeblich so „freien“ Marktwirtschaft.

Anders wie beim Eingriff in Art. 8 GG, kann sich hier die Kammer jedoch auf die vorausgegangene Senatsentscheidung berufen; was sie in ihrer Begründung auch permanent macht. Zwar waren März 2021 Verfassungsbeschwerde gegen das Klimaschutzgesetz „teilweise erfolgreich“ (vgl. (BVerfG-Pressemitteilung Nr. 31/2021 vom 29. April 2021 externer Link) zum (Beschluss des Ersten Senats vom 24. März 2021 externer Link). Aber wie ich schon in meinem (Kommentar vom 3. Mai 2021 externer Link) herausarbeitete, wurde die Bedeutung dieser Entscheidung für den Klimaschutz häufig überschätzt. In sofern fiel die folgende Konkretisierung dieser Senatsendscheidung der 1. Kammer nicht schwer. Auch wenn es hier speziell über die Verpflichtung der Bundesländer beim Klimaschutz geht, wiederholte die Kammer weitgehend nur die Schwächen der Senatsentscheidung vom März 2021. Deshalb hier zunächst ein paar Hinweise auf die Senatsentscheidung, die hilfreich sind, um die aktuelle Kammerentscheidung zu verstehen und einzuordnen (zu Details vgl. meinen (Kommentar vom Mai 2021 externer Link).

Besonders zu beachten ist, dass das mit dem Schutz auch bzw. besonders künftiger Generationen ja sehr viel versprechend klang und klingt. Es kann allerdings auch als Ausrede benutzt werden, am aktuellen Stand nichts verfassungsrechtlich beanstanden zu müssen. So sah das Gericht für die aktuelle Klimaschutzpolitik keinen Grundrechteverstoß bzw. nur bei den fehlenden Festsetzung von Jahresemissionsmengen für die Zeit nach (!) 2030 (Rdnr. 243ff). Maßgeblich war keine Einsicht des Senats (und nicht nur die fehlende Einsicht bei Harbarth als erprobter Lobbyist des Abgasbetrügers VW). Maßgeblich war der öffentliche Druck und – rechtlich betrachtet – die wachsende Zahl von internationalen Entscheidungen zum Grundrechtschutz im Sinne von Art. 20a GG (inkl. der unausgesprochenen Drohung mit einer Entscheidung des EGMR). Bestenfalls kann man/frau sagen, dass BVerfG hielt sich heraus, machte aus dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlage eine Gestaltungaufgabe des Staates mit der üblichen breiten Gestaltungsfreiheit der Legislative. Man/frau überließ alles dem demokratischen Prozess. Offensichtlich jedoch nur scheinbar, wie der jüngste Kammerbeschluss nun zeigt.

Denn nun fordert die Kammer für eine erfolgreiche Verfassungsbeschwerde lauter einengende (und noch dazu schwer verständliche) Voraussetzung. So gegen Regelungen (…), die festlegen, welche Menge an CO2 in näherer Zukunft insgesamt emittiert werden darf, wenn dadurch für anschließende Zeiträume grundrechtlich geschützte Freiheit eingriffsähnlich eingeschränkt wird, indem schon jetzt – nicht bloß faktisch, sondern auch rechtlich vorwirkend – über künftig unausweichliche Grundrechtsrestriktionen in Gestalt dann erforderlicher staatlicher Klimaschutzmaßnahmen mitbestimmt wird.“ (PM) Übersetzt: Faktisch Schädigung reicht nicht, es müssen auch rechtliche bereits heute fassbare, „vorwirkende“ Grundrechtsbeeinträchtigungen sein. Es lässt sich auch sagen: Die Kammer bestreitet die bereits erfolgte Gefährdung der Jugend heute und ab 2030 – oder wie die Kammer selbst sachlich fälschlich behauptet: Es kommt nur auf die „Gesamtheit“ an, „weil regelmäßig nur diese, nicht aber punktuelles Tun oder Unterlassen des Staates die Reduktionlasten unverhältnismäßig auf die Zukunft verschieben könnte.“ Beim aktuell unzureichende Klimaschutz des Bundes und der Länder ist für die Kammer „nicht ersichtlich, dass die angegriffenen Regelungen eingriffsähnliche Vorwirkung entfalten.“ (a.a.O.) Übersetzt: Die unangemessenen Länderregelungen zum Klimaschutz gefährden laut Kammer nicht die Zukunft – zumindest soweit es um die „eingriffsähnliche Vorwirkung“ geht. Diese besteht nicht, weshalb es an einer Beschwerdemöglichkeit wegen Grundrechtsverletzungen durch fehlenden Klimaschutz fehlt. Dazu müsste der „adressierten Gesetzgeber selbst jeweils einem grob erkennbaren Budget insgesamt noch zulassungsfähiger CO2-Emissionen“ unterliegen (a.a.O.). Hier dreht die Kammer das eigentliche Problem einfach um: Es geht ihr nicht um eine möglichst umfassende CO2-Reduktion, sondern um das Budget, was die Politik festlegt – und seien es auch mit Inkaufnahme einer um 2-Grad erhöhten Erderwärmung, egal was das für künftige Generation (oder gar schon heute) bedeutet.

Genau betrachtet unterstützt das BVerfG grundsätzlich nicht Maßnahmen zur Reduktion von Treibhausgasen, sondern wägt aktuelle und künftige Grundrechtseinschränkungen durch klimatisch bedingte Katastrophen nur ab. So betone der von mir schon Mai 2021 zitierte (Andreas Buser am 30. April 2021 externer Link) in seiner Beschlussanalyse, dass es dem Senat nicht um eine klimapolitische Vertretungskontrolle ging. „Demgegenüber wertet das BVerfG die prognostischen Unsicherheiten im Hinblick auf die Eintrittswahrscheinlichkeit bestimmter mit dem Klimawandel verbundener Gefahren durchgängig zu Gunsten eines weiten Spielraums von Bundestag und Bundesregierung. (…) Das BVerfG lässt diese zentrale Frage klimapolitischer Gerechtigkeitsdiskurse leider offen.“ Deshalb klammert sich auch jetzt die Kammer so an die „insgesamt noch zulassungsfähiger CO2-Emissionen“ – völlig unabhängig davon, was diese für die Menschen bedeuten. Das haben die Kläger verwechselt: Es geht der Kammer gar nicht um die Bundesländer, sondern um ein Budget, was einzig die Bundesregierung zuteilen darf. Allerdings würden Beschwerde gegen die Klimapolitik des Bundesregierung ähnlich ausfallen. Denn CO2-Emissionen dürfen nicht einfach begrenzt werden, wenn sie zu stark in die wirtschaftliche Emissionsproduktion eingreifen und wenn sie über die völkerrechtlich verbindlich vereinbarte Menge hinausgehen. Es lässt sich auch zusammenfassen: Das BVerfG lässt wissenschaftlich unhaltbare politische Entscheidung ohne Beanstandung passieren – und wird (wie bei der Kernkraft) eher die Schadensverursacher verteidigen, als die konsequenten Schadensbegrenzer unterstützen.

Fazit

Letztlich ist zwischen den beiden jüngsten Entscheidungen der 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG ein bestimmter, jedoch auch beängstigender, Zusammenhang zu erkennen. Auffällig ist die Schwächung von Grundrechten zu Gunsten legislativer und exekutiver Politik. Einmal beim Versammlungsrecht, zum anderen beim Schutz der natürlichen Umwelt und damit auch der freien Entfaltung der Persönlichkeit, des Rechts auf Leben und Gesundheit, also genau beim dem, was nicht zufällig beim staatlich verordneten Gesundheitsschutz in den Mittelpunkt gestellt wird. Ein „Supergrundrecht“ ist die Gesundheit nur bei der Pandemie, nicht beim Klimaschutz.

Den Zusammenhang bilden beide Entscheidungen bei der Einschränkung von Grundrechten. In sofern bildet der Angriff auf das Versammlungsrecht heute bereits eine Erprobung von einem Ausnahmezustand, der auch mögliche Klimakatastrophen einschließt. Grundrechte dürfen in solchen Fällen eingeschränkt werden. Das ist ein Fazit der Haltung der 1. Kammer. Das andere Fazit betrifft das System. Wenn Ansteckung bei einer Pandemie droht, muss das System weiterlaufen, zumindest was die Arbeit betrifft. Bei drohenden Klimakatastrophen ist es nicht anders. Der Laden muss laufen, auch wenn unklar ist, wie denn bei Hochwasser, Unwetter, Wassermangel, mörderischer Hitze oder bei Migration durch eine Klimapolitik, die nur die reichen Staaten bevorzugt, der Laden ungestört weiter laufen soll. Letztlich ähnelt der Umgang mit dem Klima nicht zufällig dem mit einem hochansteckendem Virus. Auch bei Covid-19 ignorierte man bekanntlich Warnhinweise. Lockdown ja. Aber nicht für das System, wo sich die „Freiheit der Person“ von Art. 2 Abs. 2 GG auf die Profitemacherei einer sog. „freien Marktwirtschaft“ reduziert. Anders als ursprünglich einmal vom BVerfG vertreten (vgl. z.B. BVerfGE 7, 400), macht heute das Gericht aus dem Grundgesetz eine Garantie kapitalistischen Wirtschaftens. Weil hier besonders der Lebenslauf und die Intressen von Harbarth ganz eindeutig sind, sei an einen Beitrag zur Befangenheit von (Dr. Christian Rath vom 3. Dezember 2018 externer Link) erinnert, in dem Rath diese Befürchtung mit dem Hinweis zu entkräften versuchte: „Ein Verfassungsrichter, der einen Interessenskonflikt spürt, muss nicht warten, bis ihn ein Verfahrensbeteiligter ablehnt. Er kann sich auch selbst für befangen erklären oder zumindest um eine Entscheidung des Senats bitten.“ Nur genau das hat Harbarth bisher nicht getan – und wird es vermutlich auch künftig nicht tun.

Eine andere Verfassungsrichterin, nämlich Jutta Limbach, stellte sich und uns in ihrer Veröffentlichung „Im Namen des Volkes“ – Macht und Verantwortung der Richter“ bereits 1999 (DVA) die Frage: „War es dann nicht leichtfertig von unseren Verfassungsvätern und – müttern, daß sie dem Bundesverfassungsgericht das letzte Wort in allen Fragen der Verfassungsinterpretation gegeben haben? Denn kann nicht auch das Bundesverfassungsgericht irren? Gewiß, es kann.“ Limbach antwortete sehr weise, indem sie darauf hinwies, dass „Richterinnen und Richter (…) bei all ihrer Sachkunde und Urteilsfähigkeit auch nur fehlbare Menschen und keine über allem schwebende Geschöpfe eines objektiven Weltgeistes“ sind (S.135f). Weise ist auch der wohl heute so wichtig gewordene Aspekt: „Die kontroverse Aufnahme verfassungsgerichtlicher Entscheidungen ist unvermeidlich“ (S.159). Dabei musste für Limbach die Kritik am Bundesverfassungsgericht keinesfalls „zurückhaltend sein“ (S.124)

Auch wenn man/frau vom heutigen BVerfG unter der Präsidentschaft Harbarth vermutlich nicht den Eindruck hat, es mit Geschöpfen „eines objektiven Weltgeistes“ zu tun zu haben, bleibt Limbachs Hinweis auf die erforderliche Kritik wohl zeitlos und besonders heute als zentrales Element der Rezeption aktueller höchstrichterlicher Entscheidungen von „fehlbaren Menschen“, die sich irren können oder mit einem falschem Grundrechtsverständnis das Grundgesetz zu Lasten eines demokratischen Staatswesens interpretieren.

Quellen:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=197627
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