Von totalen Demonstrationsverboten, Klagen und Widersprüchen bei Versammlungen in Zeiten des Coronavirus

Dossier

Coronavirus, die Hetze und der Ausnahmezustand: China im Shitstorm„… Wie schon angedeutet unterscheiden sich die Erlasse und Allgemeinverfügungen von Bundesland zu Bundesland in vielen Detailpunkten sehr. Beispiel Versammlungsfreiheit: Ohne einen vollständigen Überblick und Vergleich des Flickenteppichs aller 16 Erlasse ziehen zu können reicht die Spannweite von liberal bis autoritär. So gibt es in Bremen beispielsweise überhaupt keine pauschale Einschränkung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit nach Artikel 8 des Grundgesetzes. Ganz anders in Niedersachsen. Dort ist jegliche Versammlung mit mehr als zwei Personen unabhängig von den Umständen und ihrer organisatorischen Ausgestaltung pauschal verboten, was faktisch nichts anderes als ein totales Demonstrationsverbot bedeutet. Die niedersächsische Allgemeinverfügung sieht zudem eine Wirkdauer von fast vier Wochen vor. Also doppelt so viel wie die medial meist verbreiteten zwei Wochen als Empfehlung der Konferenz vom Sonntag. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang dann auch die Tatsache, dass unsere Presseanfrage an die niedersächsische Landesregierung zur tatsächlichen Handhabe von Demonstrationsverboten oder -beschränkungen im Zuge der Corona-Allgemeinverfügungen von vor einer Woche trotz mehrfacher Nachfragen bislang unbeantwortet geblieben ist. Weil das niedersächsische totale Corona-Versammlungsverbot verfassungsrechtlich nicht haltbar sein dürfte wird es möglicherweise mindestens eine Klage aus dem Kreise des freiheitsfoos dagegen geben…“ Hinweise von und bei ‚freiheitsfoo‘ vom 25. März 2020 externer Link und dazu:

  • [Am Beispiel Sachsen und den Rechten zum Trotz] Warum die Versammlungsfreiheit gerade jetzt ausgeweitet werden sollte New
    „Die Debatte um die corona-bedingten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in Sachsen gewinnt derzeit an Fahrt. Die (gesellschaftliche) Linke bleibt in dieser Debatte viel zu leise und beschränkt sich weitestgehend auf die Kritik an fehlenden Eingriffen der Polizei gegen Querdenker-Proteste. Warum es aus meiner Sicht eine Ausweitung der Versammlungsfreiheit in Sachsen bedarf und die Debatte nicht den Rechten und Polizei-Lobbyist*innen überlassen werden sollte. Gründe für Versammlungen gibt es derzeit viele, jenseits der dumpfen, demokratieverachtenden der Querdenker und Co. Die Debatte um die corona-bedingten Einschränkungen der Versammlungsfreiheit in Sachsen gewinnt an Fahrt. Inzwischen fordert die Gewerkschaft der Polizei eine Lockerung der strengen Regeln, der Innenminister Roland Wöller lenkt ein. Die faschistische AfD hat für den 5. Januar sogar eine Sonderlandtagssitzung zum Thema beantragt. Die Linke bleibt in dieser Debatte leise, viel zu leise und beschränkt sich weitestgehend auf die Kritik an fehlenden Eingriffen der Polizei gegen Querdenker-Proteste. Auch ich plädiere für eine Ausweitung der Versammlungsfreiheit. Aus ganz anderen Gründen als Polizei-Lobbyist*innen oder Faschisten. Schon seit November 2021 ist in Sachsen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit massiv eingeschränkt, so stark wie in keinem anderen Bundesland. Seit Erreichung der so genannten Überlastungsstufe im November dürfen Versammlungen nur noch ortsfest, also stationär, und mit maximal 10 Teilnehmenden, stattfinden. Aufzüge dürfen nicht, oder nur bei Gewährung einer Sondergenehmigung durchgeführt werden. Die Chancen auf eine solche Sondergenehmigung stehen eher schlecht und sind im Zweifelsfall mit einem Gang vors Verwaltungsgericht verbunden. Dies stellt für Veranstalter*innen eine hohe Hürde und auch ein finanzielles Risiko dar. (…) Wer Grundrechte opfert, weil sie auch von Rechten, wie Querdenkern und Co wahrgenommen werden, wählt das falsche Mittel im Umgang mit Demokratiefeinden und schwächt vor allem die Vernünftigen, die Solidarischen und nicht zuletzt den demokratischen Meinungsstreit.“ Kommentar von Juliane Nagel vom 2. Januar 2022 bei linXXnet externer Link. Siehe zum Hintergrund:

    • Demonstrieren für Vernünftige: Sachsens Landtag debattiert über Versammlungsrecht. Landtagsabgeordnete: Linke in der Debatte zu leise
      Artikel von Hendrik Lasch vom 03.01.2022 im ND online externer Link
    • Grundrechtekomitee am 4.1.2022 auf Twitter externer Link: „#Versammlungsfreiheit: Die Beschränkung von Versammlungen auf 10 Personen in #Sachsen ist klar verfassungswidrig. Dahinter sollte sich keine Zivilgesellschaft verstecken. Es bräuchte nur den Willen, die Regelung vor die Gerichte zu bringen und ggf. durch die Instanzen zu gehen.“
  • Kritik in Polizei an Kassel-Einsatz: „Eine bittere Erfahrung“ 
    In Kassel überrannten „Querdenker“ erneut die Polizei. Nun mehren sich auch dort kritische Stimmen – und die Forderung nach mehr Konsequenz. Armin Bohnert ist noch immer konsterniert. „Ich kann mir diese Bilder weiter nicht erklären“, sagt einer der Vorsitzenden von PolizeiGrün, einem Verein kritischer Polizist:innen. „Dass Marschierende, die nicht marschieren dürfen und die fast kollektiv den Infektionsschutz ignorieren, mit dieser Wucht die Straße freigeräumt bekommen, ist nicht zu verstehen. Und die Querdenker fühlen sich bestätigt, weil der Staat die Regeln nicht durchgesetzt hat.“ Bohnert spricht über den Polizeieinsatz am Samstag in Kassel. Rund 20.000 Corona-Protestierer externer Link hatten dort eigenmächtig Demonstrationszüge durchgesetzt, obwohl ihnen Gerichte nur zwei Kundgebungen mit höchstens 6.000 Teil­neh­me­r:in­nen erlaubten. Beamte wurden überrannt, es kam zu Handgemengen. Dennoch kursierte das Foto einer Polizistin, die in Richtung der „Querdenker“ eine Herzgeste formte. Gegendemonstrierende drängte die Polizei derweil rabiat von der Straße externer Link, als diese sich an Blockaden mit Fahrrädern versuchten. Auch am Montag verhallte die Kritik an der Polizei nicht. (…) Und auch in den Reihen der Polizei wird nun diskutiert: Wie weiter umgehen mit den „Querdenkern“ – die ja nicht zum ersten Mal machten, was sie wollen? (…) Auf dem Blog „Grundgesetz Ultrasexterner Link wurde am Montag ein Polizist zitiert, der eine „chaotische“ Einsatzplanung beklagte. Es habe von Beginn an zu wenige Beamte gegeben. Auch sollten er und andere erst einschreiten, als die Lage schon „gekippt“ war. „Schadensbegrenzung war das einzige, was wir noch betreiben konnten.“ Jörg Radek, Vizechef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), der größten Polizeivertretung, ist ebenso unzufrieden. „Die Durchsetzung der Versammlungsfreiheit und das Einschreiten zur Einhaltung des Infektionsschutzes müssen von ausreichenden Einsatzkräfte gewährleistet werden“, betont er. Und findet ebenso, dass es Solidarisierungen mit den „Querdenkern“ „für Polizisten nicht geben kann“. „Das ist eine demokratiefeindliche Bewegung.“ (…) Radek sieht nun vor allem die Gerichte in der Verantwortung, die Proteste kritischer zu prüfen. Die Organisatoren hätten „wiederholt Unzuverlässigkeiten offengelegt“, darunter Übergriffe auf Gegendemonstranten und Polizeikräfte. „Die Anmelder wollen nicht deeskalieren und ihnen ist der Infektionsschutz egal. So riskieren sie auch die Gesundheit der Bevölkerung. Das muss Folgen haben.“…“ Artikel von Konrad Litschko vom 22.3.2021 in der taz online externer Link
  • Ein Jahr Versammlungsrecht in der Coronapandemie 
    „Es ist bald ein Jahr her, dass durch die ersten Corona-Verordnungen in nahezu allen Bundesländern Versammlungen pauschal verboten wurden. In den ersten Pandemiewochen im März und April 2020 hielten viele Verwaltungsgerichte die Verbote aufrecht, bis das Bundesverfassungsgericht am 15. April 2020 dieser Praxis ein Ende setzte. Es stellte klar, dass Versammlungsbehörden auch in der Pandemie Einzelfallentscheidungen zu treffen haben und dass eine pauschale Einschränkung der Versammlungsfreiheit verfassungswidrig ist. (…) Schon im April 2020 fanden die ersten sogenannten „Hygiene-Demonstrationen“ gegen die Coronamaßnahmen statt. Relativ schnell wuchs die Bewegung an, breitete sich deutschlandweit unter dem Namen „Querdenken“ aus und führte immer häufiger auch Demonstrationen mit bundesweiter Mobilisierung durch. (…) Den zweiten Höhepunkt und einen Wendepunkt in Bezug auf das Versammlungsrecht stellt die Querdenken-Großdemonstration am 7. November 2020 in Leipzig dar. (…) Aber die Geschehnisse in Leipzig – inmitten eines sich rapide zuspitzenden Infektionsgeschehens – hatten auch überregional Auswirkungen auf den Umgang mit Querdenken-Demonstrationen: in der Folge wurden mehrere angemeldete Versammlungen verboten. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigte die Verbote in Eilentscheidungen. (…) Seit jeher setzt sich das Grundrechtekomitee für ein umfassendes und uneingeschränktes Versammlungsrecht ein. Gerade in Krisensituationen ist dieses grundlegende Freiheitsrecht unverzichtbar, Gründe für Proteste gibt es auch aktuell mehr als genug. Insofern können uns die Beschränkungen und Verbote nur beunruhigen. Dennoch ist in der aktuellen Situation eine differenzierte Kritik nötig. (…) Zu warnen ist zudem davor, dass diese „neue Verwaltungspraxis“ der Verbote sich in einzelnen Versammlungsbehörden schnell verstetigen und verselbständigen kann. Veranstaltungen könnten schlicht mit dem Verweis auf die Pandemie beschränkt und verboten werden, ohne dass die konkreten Begebenheiten dies begründen ließen. Es ist zudem gut möglich, dass Verbote und Beschränkungen alleinig ausgesprochen werden, um behördlichen und polizeilichen Aufwand zu vermeiden. Es bleibt also eine kritische Wachsamkeit geboten, auch mit Blick auf Versammlungen, deren Inhalte den eigenen politischen Überzeugung zuwiderlaufen. Teilnehmer*innen-zentrierte Gefahrenanalysen und die Zuschreibung von Gefährlichkeit durch Rückgriff auf vergangene Versammlungsgeschehen konnte bislang in aufwändigen Rechtsstreits gerichtlich begrenzt werden. Dass diese durch die Querdenken-Versammlungen ein Comeback feiern, ist eine sehr ernst zu nehmende Entwicklung. Aber nicht nur Verbote, auch Auflagen sollten weiterhin kritisch hinterfragt und durch Verwaltungsklagen überprüft werden. (…) Nicht nur das konkrete behördliche Handeln, auch die allgemeine Stimmung und das laute Rufen nach Einschränkungen der Versammlungsfreiheit geben Anlass zur Sorge. (…) Dieses Risiko eines demokratischen Backlashs in Bezug auf die Versammlungsfreiheit bleibt nicht rein theoretisch. Das Ausnutzen dieser Stimmung durch autoritäre Politiker ließ nicht auf sich warten. (…) Nun wird es also mitten in der Pandemie nötig, das Versammlungsrecht gegen autoritäre Landesregierungen verteidigen zu müssen, ausgerechnet in einer Phase, die starken Protest auf der Straße erschwert. Es nützt allerdings nichts: bundesweiter und sichtbarer Widerstand gegen dieses Vorhaben darf nicht ausbleiben…“ Beitrag von Michèle Winkler vom 18. Februar 2021 beim Grundrechtekomitee externer Link
  • [Demo am 30.12.2020 in Berlin] FCK 2020 – Für ein besseres Morgen 
    Mit Hygienekonzept gemeinsam gegen die repressiven Maßnahmen der Bundesregierung, gegen Verschwörungsideolog*innen und für eine würdevolle Gesundheit, eine gerechte Bildung, Arbeitsrechte, Arbeitsschutz und Kultur.
    Coronaleugnung oder #StayTheFuckAtHome: Wir leben in einer Gesellschaft, die gerade polarisiert zwischen zwei Standpunkten. Die einen klatschen für die Maßnahmen der Bundesregierung, während sie in ihrer Dahlemer Villa mit Garten höchstens Angst um die Dividende haben. Die anderen schließen sich mit Rechtsextremen zusammen und lehnen jede Maßnahme ab, die die individuelle Freiheit beschneidet. Sie haben Angst um ihre kleinbürgerliche Existenz. Beide stehen für das Recht des Stärkeren, beide für eine Gesellschaft, die nach unten tritt und nach oben buckelt. Am 30. Dezember werden wir für einen anderen, unseren Weg auf die Straße gehen: Wir werden für ein besseres Morgen demonstrieren, das nicht auf dem Recht des Stärkeren oder autoritärer Krisenpolitik beruht! 2020 war für die meisten von uns ein Scheißjahr, wir können es nicht anders sagen. Doch wir müssen endlich raus aus der Starre, wir können nicht länger warten. Der Kapitalismus lässt sich nicht aussitzen! Wir müssen das tun, um für eine würdevolle Gesundheit, für eine gerechte Bildung, für Arbeitsrechte und Arbeitsschutz und für  Kultur einzustehen. Viele kämpfen bereits und wir kämpfen mit ihnen: Die Beschäftigten von Amazon streiken! Wir stehen euch zur Seite. Die Beschäftigen von Tönnies schuften unter miserablen Bedingungen weiter. Wir machen uns für euch stark. Der Einzelhandel geht leise dem Untergang entgegen. Schließt euch uns an. Wir sagen Löhne hoch statt klatschen; wir sagen Kultur rettenstatt Arbeitszwang; wir sagen Lüftungsanlagen für Schulen, nicht nur für Ämter; wir sagen Aussetzung der Miete statt Zwangsräumungen. Wir sagen: kein social Lockdown bevor nicht die Wirtschaft und der Konsum runtergefahren wurden.  Lassen wir 2020 hinter uns und setzen wir den Verschwörungsideolog*innen und dem autoritären Staat einen anderen Standpunkt entgegen. Eine linke Alternative, die Freiheit, Gesundheit und Soziale Gerechtigkeit zusammen denkt und nicht gegeneinander ausspielt. Wir wollen weder ein Zurück zur alten Normalität, die bereits durch Unfreiheit und Ungerechtigkeit geprägt war, noch wollen wir zur Verbesserung der Corona-Normalität beitragen, die letztendlich auch nur ein Covid-Kapitalismus ist. Die Aussicht auf ein Ende der Pandemie, das uns dank Impfungen versprochen wird, reicht uns nicht! Aktuell haben sich die reichsten Nationen der Erde, darunter Deutschland, 43% des Impfstoffes gesichert. Ein Ende von Corona bei uns im Kiez, in der Stadt und auf dem Land bedeutet noch lange nicht das Ende dieser weltweiten Pandemie. Wir sind gegen diese Ungerechtigkeit, die uns als ein Segen verkauft wird. Wir streiten für eine gerechte und globale Verteilung des Impfstoffes. Unser Schutz darf nicht auf Kosten der Mehrheit der Weltbevölkerung gehen!  Wir halten Distanz und wir schützen uns. Wir gehen auf die Straße. Wir demonstrieren unter freiem Himmel, mit Maske, reisen, wenn möglich mit dem Fahrrad an, wir halten uns an unser Hygienekonzept und passen aufeinander auf. Um auf sich und andere zu achten, brauchen wir weder Polizei noch Wasserwerfer. Zu Querdenken und anderen Coronaleugner* innen gehen wir ganz klar auf Distanz. Unsere Demo ist ein umsichtiger und ein linker Protest. Es gilt, was immer galt: Veränderungen können wir nur gemeinsam und selbst erkämpfen, mit unseren Nachbar*innen, unseren Kolleg*innen, Genoss*innen und Gefährt*innen. Deshalb kommt am 30.12. um 14 Uhr zur „FCK 2020 – Für ein besseres Morgen“-Demo zum Nettelbeckplatz!Aufruf vom 24.12.2020 von Besseres Morgen bei indymedia externer Link zur Demo am Mittwoch, 30. Dezember 2020 – 14:00 am Nettelbeckplatz (S+U Wedding), siehe dazu:

    • Die Risikogruppe heißt Querdenker! Silvester in Berlin – kein Platz für Nazis, Antisemitismus und Rassismus! Gesund und solidarisch ins neue Jahr!
      Die sogenannten „Querdenker“ hatten zu Silvester eine weitere Demonstration in Berlin angekündigt. Nach dem allgemeinen Versammlungsverbot sind sie jetzt auf den 30. Dezember ausgewichen. Wir wollen den Rosa-Luxemburg-Platz symbolisch besetzen – schließlich nahmen im Frühjahr die sog. Hygienedemos hier ihren Ausgang. Spätestens die letzten großen „Anti-Corona“-Demonstrationen in Berlin, Frankfurt, Leipzig haben deutlich gemacht: Hier ist in der Nachfolge der rassistischen und islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen eine neue rechte Bewegung aus Corona-Wutbürger*innen und Neonazis entstanden. Sie kritisieren nicht etwa reale Missstände, sondern werten Mund-Nasen-Bedeckungen als Freiheitsentzug und fantasieren, wir würden in einer „Corona-Diktatur“ leben. Durch Leugnung oder Verharmlosung des Virus und Ablehnung jeglicher Schutzmaßnahmen setzen sie die Gesundheit und das Leben anderer aufs Spiel. Kritik an den staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie ist legitim – gemeinsam mit Neonazis und Rassist:innen zu marschieren ist es nicht.Auch in der Pandemie das Recht auf Versammlungsfreiheit einzufordern, ist richtig und wichtig. Dabei den Holocaust zu relativieren, gehört energisch unterbunden – Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen! (…) Deshalb wollen wir auch an Silvester und unter den Bedingungen der Pandemie ein klares, sichtbares und unübersehbares Zeichen setzen: * für eine solidarische, offene Gesellschaft* gegen die neue rechte Straßenbewegung* in Solidarität mit den Gesundheitsarbeiter:innen, den Menschen in den Heimen, den Geflüchteten, die auch in der Pandemie abgeschoben werden sollen, den Kulturschaffenden sowie denvielen unter prekären Bedingungen arbeitenden und lebenden Menschen* und in Solidarität mit all jenen, die der Staat und die Gesellschaft alleine lassen…“ Bündnis-Aufruf vom 10. Dezember 2020 bei der Berliner VVN-BdA externer Link zur nun auf den 30.12. verlegten Demo
  • Demonstration „Back to the Future“ in Berlin vom 31. Dezember bis auf weiteres verschoben 
    Nach abermaliger Überlegung hat sich das Bündnis #2021Solidarisch dazu entschieden, die für den 31.12.2020 geplante Demonstration bis auf weiteres zu verschieben. Das generelle Versammlungsverbot an Silvester und Neujahr hat uns vor Probleme gestellt. Auch wenn das Verbot nicht mit dem Infektionsschutz begründet wurde, ist ein Vorgehen dagegen schwer vermittelbar und auch juristisch mit Risiken verbunden. Sorgen aufgrund des Infektionsgeschehens wollen wir nicht ignorieren. Außerdem bestand die Befürchtung, durch eine Klage dem Diskurs der Coronaleugner:innen Vorschub zu leisten. Beide Bedenken möchte das Bündnis ernst nehmen. Gleichzeitig wollen wir mit Menschen, die am 31.12.20 für eine linke Alternative und gegen Corona-Leugner:innen auf die Straße gehen wollen, solidarisch sein! Wir müssen und wollen auch als breites Bündnis weiterhin für eine solidarische Antwort auf die Corona-Krise kämpfen und den rechten Corona-Leugner:innen etwas entgegensetzen. Wir mobilisieren deswegen für eine große gemeinsame Demonstration im Frühjahr.Pressemitteilung des Bündnisses #2021Solidarisch externer Link (vom 21.12.) – siehe zum Hintergrund:

    • Kein Lockdown für die Grundrechte auch am 31. Dezember: Linke planen zu Silvester unter dem Motto „Back to the Future“ in Berlin eine Demonstration
      Mit einer kämpferischen Demonstration wollen linke Gruppen am 31. Dezember 2020 in Berlin für ein solidarisches Jahr 2021 auf die Straße gehen. Im Aufruf wird klar gesagt, dass es in diesem Jahr nicht an Menschen gefehlt hat, die aus ihren Fenstern Beschäftigten im Einzelhandel oder im Gesundheitswesen applaudierten, sondern vielmehr an Menschen, die für eine grundsätzliche Gesellschaftsveränderung auf die Straße gegangen sind. (…) Es wird dort auch klar formuliert, was in der Öffentlichkeit kaum erwähnt wird. Während Menschen im „Corona-Winter“ als unsolidarisch bezeichnet werden, weil sie mit Freunden einen Glühwein im Freien trinken, gehört es zur kapitalistischen Normalität, dass Menschen in engen Bussen und Bahnen zum Arbeitsplatz fahren müssen und dort auch mit vielen Menschen zusammen ihrer Lohnarbeit nachgehen müssen. Das liegt daran, dass die Lohnarbeit im Kapitalismus schon immer außerhalb des öffentlichen Interesses lag. (…) So ist es nur konsequent, dass auch in der Coronakrise die Freizeit und nicht die Arbeitswelt in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung geriet. Daher ist es sehr positiv, dass im Aufruf zur Demonstration „Back to the Future“ die Arbeitswelt, wenn auch nur recht oberflächlich, angesprochen wird. (…) Unterstützt wird die Demonstration von Sozial- und Mieterinitiativen, aber auch vom Bündnis „Gesundheit ohne Profite“, in dem auch Beschäftigte im Gesundheitssystem mitarbeiten. Sie müssen schließlich auch rund um die Uhr unter oft besonders prekären Bedingungen arbeiten. Warum soll dann keine Demonstration auch in Corona-Zeiten möglich sein? Doch es gab ein Problem. Im Rahmen der Corona-Eindämmungsmaßnahmen wurde für den 31. Dezember ein generelles Demonstrationsverbot verfügt. Dagegen wollen die Organisatoren der Demonstration „Back to the Future“ klagen. „Das pauschale Verbot aller Versammlungen an Silvester und Neujahr ist ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das auch nicht mit Infektionsschutz begründet werden kann“, begründete Bündnissprecher Kim Huber diesen auch im Bündnis umstrittenen Schritt. Auch rechtsoffene Querdenker haben für den 31. Dezember eine Demonstration in Berlin angekündigt wie auch eine Klage gegen das Demoverbot an diesem Tag. Nun meinen manche Linke, es sehe nicht gut aus, wenn auch die linken Demo-Organisatoren gegen das Demonstrationsverbot an diesem Tag klagen würden. Doch genau umgekehrt müsste nach meiner Auffassung argumentiert werden. Die linken Demoorganisatoren müssen in der Öffentlichkeit deutlich machen, dass für sie die Verteidigung der Grundrechte gegen den autoritären Staat eine zentrale Angelegenheit ist. Damit würden sie den Eindruck widerlegen, Teile der Linken würden in Corona-Zeiten Grundrechte hintenanstellen. Dann spielen sich plötzlich rechte und irrationale Gruppierungen als vermeintlicher Verteidiger der Grundrechte auf. Dabei erstritten anarchistische Gruppen wie die Projektwerkstatt Saasen im April 2020 ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit…“ Kommentar von Peter Nowak vom 20. Dezember 2020  bei telepolis externer Link
    • Linke Proteste im Lockdown: Für den 31. Dezember planen progressive Gruppen in Berlin und bundesweit Aktionen / Klage gegen Silvester-Versammlungsverbot
      „Im Corona-Frühling 2020 schien es mitunter so, als sei die außerparlamentarische Linke vor allem mit der Einhaltung der Hygieneregeln beschäftigt. Doch das lag auch daran, dass linke und soziale Proteste in dieser Zeit medial kaum wahrgenommen wurden. Denn es gab im Sommer und Herbst unter dem Motto „Wer hat, der gibt“ durchaus Aktionen. Zentral dabei war die Frage zu stellen, wer in der Corona-Krise gewinnt und wer verliert. Daran knüpft auch der „Kalender der Umverteilung“ an, den das genannte Bündnis nun veröffentlicht hat. Dort werden von der Schufa über Politiker wie Friedrich Merz (CDU) und Olaf Scholz (SPD) auch die Akteure der kapitalistischen Umverteilung benannt. Der Kalender endet auch nicht mit der Weihnachtbescherung am 24. Dezember, sondern mit einer geplanten Großdemonstration unter dem Motto „Back to the Future: 2021 Solidarisch für Alle“, die am 31. Dezember 2020 am Berliner Alexanderplatz starten soll. (…) Es muss sich nun zeigen, ob die Organisatoren auch den politischen und juristischen Kampf gegen die für den 31. Dezember 2020 geplanten Demonstrationsverbote im Zuge des neuen Lockdowns aufnehmen wollen. Der Publizist Rolf Gössner hat bereits für das Frühjahr betont, dass das Durchregieren per Dekret nicht hingenommen werden sollte. Die dekretierten Versammlungsverboten am 31. Dezember sind ein solches Beispiel für Grundrechtseinschränkungen per Dekret. Betroffen sind eben nicht nur die Querdenken-Aktionen und die Silvesterfeiern, sondern auch geplante linke und soziale Proteste. Es wäre ein fatales Zeichen, wenn die Organisatoren der geplanten Proteste die Aktionen nicht durchsetzen würden. „Kein Lockdown für unsere Grundrechte – keine Beschneidung von Streiks, Arbeitskämpfen und Demonstrationen“, heißt es in dem überarbeiteten Forderungskatalog der Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“, in der sehr konkrete Reformen des Gesundheitswesens, der Wohnungs- und Sozialpolitik aber auch auf dem Gebiet der Grundrechte gefordert werden. Zugleich grenzen sich die Autoren von rechten und irrationalen Krisenerklärungsmustern ab. (…) Es wäre nun sehr sinnvoll, am 31. Dezember die verschiedenen Protestbewegungen zusammenzubringen, wie das in den letzten Tagen schon geschehen ist. Linke Klimaaktivisten, Basisgewerkschafter, Antimilitaristen, wütende Erwerbslose können dann gemeinsam auf die Straße gehen. Aber auch der Kontakt zu den Organisatoren der antirassistischen Proteste, die im Sommer 2020 auch in Deutschland viele Tausend Menschen auf die Straße brachten, sollte gesucht werden. Dabei gibt es eine besondere Aktualität. Denn während im Lockdown vieles, auch die Grundrechte, heruntergefahren werden, wurden europaweit die Abschiebungen von Geflüchteten wieder aufgenommen. Bereits vor einigen Tagen ging von Österreich ein Flugzeug mit Abgeschobenen nach Kabul. Heute soll es auch in Deutschland wieder losgehen mit der Abschiebung nach Afghanistan. Auch die Zwangsräumungen von Menschen aus ihren Wohnungen ist aktuell, anders als noch im Frühjahr, nicht ausgesetzt. Während also die offizielle Devise „Stay at Home“ lautet, werden weiter Menschen mitten im Corona-Winter auf die Straße geworfen. Hier wird auch das Kalkül der Politiker deutlich, den Corona-Lockdown zu nutzen, um Maßnahmen, die sonst viel Protest hervorrufen, möglichst geräusch- und widerstandslos durchzusetzen. Daher ist es völlig berechtigt, wenn am 31. Dezember Menschen auf die Straße gehen und für einen sozialen Ausweg aus der Krise eintreten.“ Beitrag von Peter Nowak vom 16. Dezember 2020 bei Telepolis externer Link, siehe dazu:
    • Klage gegen Silvester-Versammlungsverbot
      Das Demo-Bündnis „Back to the future. 2021 solidarisch für alle“ geht juristisch gegen das Versammlungsverbot an Silvester vor. „Wir werden gegen das Verbot unserer Demonstration klagen und halten an unserem Plan fest, am Nachmittag des 31. Dezember in Berlin-Mitte auf die Straße zu gehen“, so Bündnis-Sprecher*in Kim Huber. Das pauschale Verbot aller Versammlungen an Silvester und Neujahr ist ein schwerer Eingriff in das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit, das auch nicht mit Infektionsschutz begründet werden kann. Selbstverständlich liegt ein striktes Hygienekonzept vor, das unter Berücksichtigung aller aktuellen Verordnungen und mit Hilfe von zahlreichen Ordner*innen durchgesetzt werden soll. Die Demonstration tritt für eine solidarische Gesellschaft und eine gerechte Verteilung der Krisenkosten ein. „Es ist dringend an der Zeit auf die Krise eine politische Antwort zu finden. Während die meisten Menschen unter den Folgen der Pandemie leiden müssen, können die Reichsten sogar von ihr profitieren. Unsere Antwort ist Umverteilung“, so Huber. „Der ebenfalls für Silvester angekündigten „Querdenken“-Versammlung erteilen wir eine klare Absage. Denn anders als uns geht es ihnen nicht um solidarische Antworten, sondern den Erhalt ihrer Privilegien auf Kosten von Menschen in Risikogruppen.“ Die Demonstration „Back to the future. 2021 solidarisch für alle“ wird getragen von der Kampagne „Wer hat, der gibt“ und zahlreichen Berliner Initiativen und Bündnissen, darunter Seebrücke, Fridays for Future, Mietenwahnsinn, Ende Gelände, Gesundheit statt Profite und vielen Anderen.“ Pressemitteilung vom 18.12.2020 bei „Wer hat der gibt“ externer Link
    • Aufruf zur Demo “2021 Solidarisch für Alle – Raus aus der Krise, rein in die Umverteilung”
      Das Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite ruft zur Demonstration am 31.12. auf. Wir sind ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Menschen, die in Gesundheitsberufen arbeiten und solchen, die auf eine gute Versorgung angewiesen sind. Wir kämpfen seit Jahren für ein solidarisches Gesundheitswesen und wir sind sauer auf diese “Bewegung” der Coronaleugner*innen. Während manche von uns schwerstkranke Covid-19-Patient*innen versorgen, gefährden die “Querdenker*innen” uns Alle mit ihrem Verhalten und liefern die falschen Antworten auf die Krise. Das Problem ist nicht das Tragen einer Maske, sondern dass unsere Gesellschaft und unser Gesundheitssystem unsolidarisch und menschenfeindlich organisiert ist. Deshalb fordern wir, dass endlich auf uns gehört wird. Wir fordern: einen Zugang zu Gesundheitsversorgung für alle Menschen, unabhängig von Aufenthalts- und Krankenkassenstatus, die Vergesellschaftung und Demokratisierung des Gesundheitssystems entsprechend den Bedürfnissen der Menschen, jenseits von Profit, die Abschaffung des DRG-Fallpauschalensystems, die Aufwertung der Care-Arbeit von prekär arbeitenden Menschen, die den Laden schon vor der Krise am Laufen gehalten haben.“ Aufruf vom 11.12.2020 beim Berliner Bündnis Gesundheit statt Profite externer Link
    • für alle Infos zur Demo siehe die Aktionsseite www.2021solidarisch.de externer Link
  • Verbot der „Querdenken“-Demo in Bremen: Berliner Senat wird Urteil des Bundesverfassungsgerichts „genau lesen“
    „… Wochenlang mobilisierte die „Querdenken“-Bewegung aus Kritikern der politischen Pandemie-Maßnahmen, Verschwörungstheoretikern und Leugnern des Corona-Virus zur sogenannten „Advents Mega Demonstration“ in die Hansestadt Bremen. Bis zu 20.000 Teilnehmende waren bei der Polizei für die Veranstaltung angemeldet worden – für die deutsche Justiz angesichts der zu erwartenden Hygiene-Verstöße zu viele. Nach einem vom Ordnungsamt der Stadt Bremen ausgesprochenen Verbot der Versammlung aufgrund der zu erwartenden, bewussten Verstöße gegen die geltenden Demonstrationsauflagen, bekräftigte nun in höchster Instanz das Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren das Demonstrationsverbot für jegliche „Querdenken“-Versammlungen am Sonnabend in Bremen. Die Karlsruher Richter folgen damit in ihrer Begründung dem zuständigen Oberverwaltungsgericht, welches zuvor das Verbot mit den zu erwartenden Verstößen gegen die Pandemie-Auflagen und einer möglichen Gefahr für die Öffentlichkeit durch eine im Vorfeld prognostizierte, hohe Teilnehmerzahl erklärte. Der Beschluss des höchsten deutschen Gerichts ist der erste, der sich auf eine Demonstration der sogenannten „Querdenker“ bezieht. Das weckt auch in Berlin die Hoffnungen, juristisch gegen geplante Demonstrationen solcher Art vorgehen zu können. Im Fokus steht dabei vor allem die geplante Großdemonstration, die für den Silvesterabend in Berlin angemeldet ist. (…) Im Sommer hatte Karlsruhe bereits einen Eilantrag auf eine dauerhafte „Mahnwache“ der Corona-Bewegung im Berliner Regierungsviertel abgelehnt. Auch in Baden-Württemberg verbot die Justiz heute eine Versammlung der „Querdenker“. Diese hatten zur Demonstration in Mannheim aufgerufen, bis der Verwaltungsgerichtshof des Landes Baden-Württembergs ein Verbot aller Versammlungen der Corona-Bewegung im Stadtgebiet aus ähnlichen Gründen wie in Bremen bestätigte…“ Artikel von Julius Geiler, Julius Betschka und Anke Myrrhe vom 5.12.2020 im Tagesspiegel online externer Link
  • [Statt vieler Berichte zu Corona-Leugner-Demos] Rezo-Video: Wenn Idioten deine Freiheit und Gesundheit gefährden… 
    Entlastend nehmen wir das neueste Video (18:13 Min) von Rezo bei youtube externer Link gerne an… Darin ist das Wichtigste u.E. gesagt. Aber ausdrücklich zur Info: Wir sind gegen Demo-Verbote deswegen, die schlagen gerne und schnell auch gegen die Linke zurück!
  • Debatte um Versammlungsrecht in Pandemiezeiten 
    „Während die Corona-Infektionszahlen bundesweit hoch bleiben, müssen sich immer mehr Bundesländer mit der Umsetzung ihres Versammlungsrechts auseinandersetzen. Die Abwägung zwischen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und dem Pandemieschutz wird dabei regional und je nach Anmelder sehr unterschiedlich von Exekutive und Justiz beantwortet. Vor allem der Umgang mit den Protesten von Gegnern der Corona-Maßnahmen, die sich oftmals explizit nicht an Abstandsregeln oder das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes halten und teilweise auch in Gewalt ausarten, stehen verstärkt in der Diskussion. Ausschreitungen und Angriffe gegen Polizisten, Gegendemonstranten und Journalisten bei Teilen der »Querdenken«-Kundgebung in Leipzig Anfang November sowie die Teilnahme hunderter extremer Rechter an diesen Protesten heizten die Debatte weiter an. Die sächsische Landesregierung hatte als erste Konsequenz Versammlungen auf 1000 Teilnehmer begrenzt. Im Einzelfall sollen auch größere Kundgebungen möglich sein, wenn technische und organisatorische Maßnahmen getroffen werden, um das Infektionsrisiko zu senken. Der Leipziger Staats- und Verwaltungsrechtler Christoph Degenhart hat die neuen Demonstrationsregeln kritisiert. »Es muss immer im Einzelfall zwischen dem Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und den zu erwartenden Störungen abgewogen werden«, sagte Degenhart gegenüber Medien. Wenn Erfahrungen zeigten, dass bestimmte Gruppen sich nicht an Auflagen halten, könne man Demonstrationen dieser Gruppen auch präventiv begrenzen. »Aber pauschal geht das nicht«, so Degenhart. (…) In sozialen Medien warnten indes Journalisten und Bürgerrechtler, dass die Debatte zu weiteren Einschränkungen des Versammlungsrechts führt, die möglicherweise auch die Pandemie überdauern könnten. Zudem wiesen Experten darauf hin, dass Behörden Versammlungen zwar einschränken oder mit Auflagen belegen und in besonderen Fällen auch verbieten können – sie müssen sie aber nicht erlauben oder genehmigen. Die Frage bleibt, inwiefern die überarbeitete Fassung des neuen Infektionsschutzgesetzes eine höhere Rechtssicherheit bieten wird. Besonders hohe Hürden sieht die Novelle laut dem SPD-Rechtsexperten Johannes Fechner für Beschränkungen von verfassungsmäßig geschützten Veranstaltungen wie Demonstrationen vor. Diese dürften nur noch verboten werden, »wenn keine anderen Möglichkeiten bestehen«, dem Infektionsschutz gerecht zu werden.“ Artikel von Sebastian Bähr vom 17. November 2020 in neues Deutschland online externer Link
  • Grundrecht unter Beschuss. Debatte über Versammlungsfreiheit und Umgang mit Großdemonstration gegen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie 
    Die Großdemonstration von Gegnern der Maßnahmen zur Eindämmung der Coronapandemie am Sonnabend in Berlin hat ein politisches Nachspiel. Debattiert wird allerdings weniger über Sinn oder Unsinn von Maskentragen und Abstandhalten, sondern über die Zahl der Teilnehmer sowie die Grenzen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit…“ Artikel von Nick Brauns in der jungen Welt vom 04.08.2020 externer Link und weitere (erste) Beiträge zur erneuten Debatte:

    • Grundrechte gelten für alle
      Es gibt nur wenige Demonstrationen, die mich in den vergangenen Jahren so angewidert haben wie die Demos von Coronaleugnern externer Link. Die Masse von Hippies, Nazis, Verschwörungsfreaks und Esoterikern externer Link, die alle in einer ganz eigenen Welt leben, kann ziemlich unfreundlich werden, wenn man ein paar Quadratzentimeter Stoff vor Mund und Nase trägt. Sie riskieren in ihrem Glauben und Egoismus die Gesundheit von vielen anderen Menschen. Alte, Kranke und diejenigen mit Sorgen vor einer Erkrankung sind ihnen völlig egal. Deswegen kann ich verstehen, warum am Wochenende Tausende in den Sozialen Medien forderten, die Coronaleugner sollten Wasserwerfer und Knüppel der Polizei spüren und man solle sie erfassen, damit sie im Falle einer Corona-Infektion nicht im Krankenhaus behandelt werden. Aber diese Wünsche sind ebenso falsch wie die Forderung, das Demonstrationsrecht zu verschärfen. 20 000 Menschen, die in Berlin ohne Maske und Abstand demonstrieren, sind gefährlich externer Link. Wahrscheinlich sogar gefährlicher als alle Steine, die in den vergangenen zehn Jahren bei Demonstrationen von Autonomen geflogen sind. Trotzdem muss der Staat auch hier mit Augenmaß handeln. Die Polizei kann Auflagen erlassen und verhindern, dass sich eine Demonstration wie am Samstag auch nur einen Meter bewegt, wenn nicht alle Teilnehmer Masken tragen. Das wäre angemessen gewesen und hätte den Menschen ermöglicht, ihre Meinung zu äußern. Warum die Polizei das nicht getan hat, ist unverständlich. Dass sie nicht mit aller Gewalt die Kundgebung beendet hat, ist hingegen sehr verständlich. Es hätte die Situation nur verschärft. Es braucht also keine Debatten über das Versammlungsrecht, sondern nur eine maßvolle Polizei und ein allgemeingültiges Verständnis von Grundrechten.“ Kommentar von Sebastian Weiermann vom 03.08.2020 im ND online externer Link
    • Anti-Corona-Proteste lösen Debatte über Versammlungsfreiheit aus
      Überblicksartikel der LTO-Redaktion vom 03.08.2020 externer Link
  • Coronakrise: »Mal so eben ein Verfassungsrecht weggefegt« 
    Im Interview von Markus Bernhardt mit Gabriele Heinecke in der jungen Welt vom 16. Mai 2020 externer Link berichtet die Hamburger Rechtsanwältin, die mehrere Hamburger Organisationen und Bündnisse, zuletzt auch am 1. Mai, beraten und vor Gerichten vertreten hat um das Versammlungsrecht durchzusetzen: „… Seit Mitte/Ende März geht das so: Jemand meldet eine Versammlung an, und die Polizei erklärt, sie werte das als Antrag auf Ausnahmegenehmigung nach der Verordnung. (…) Es ist komplett paradox. Sowohl die Behörden als auch die Gerichte stellen die Versammlungsfreiheit auf den Kopf und finden das richtig und gut. Nicht das Grundrecht, sondern eine Verordnung – die steht im Rang noch unter einem Gesetz – soll die Versammlungsfreiheit mit einem generellen Verbot belegen, von dem eine Ausnahme erbeten werden muss. (…) Die Situation mit der Pandemie muss ernst genommen werden, und sie ist in rechtlicher Hinsicht neu. Das darf jedoch nicht bedeuten, dass Grundrechte unter dem Eindruck der Seuche ihre Bedeutung verlieren. Ihr Gebrauchswert beweist sich, wenn es schwierig wird. Das Grundgesetz ist keine Schönwetterverfassung, die man bei ruppigem Wetter aufweichen darf. Das Grundrecht muss effektiv und tauglich sein, Abwehr und Schutz gegen unverhältnismäßige Eingriffe des Staates zu organisieren, wenn der versucht, über Rechte der Bürgerinnen und Bürger nach Belieben zu verfügen und sie für die Öffentlichkeit unsichtbar und unhörbar zu machen. Der Kampf um Meinungen, um soziale und politische Rechte findet nach wie vor im Betrieb und auf der Straße statt. (…) Das Virus ist da, man kann es nicht wegdefinieren, wie es Verschwörungserfinder derzeit einigermaßen verantwortungslos tun. Das Virus ist hochansteckend, und es ist gefährlich. Ich bin dafür, es gut und nachhaltig zu bekämpfen, aber ich bin dagegen, das mit der Vernichtung von Grundrechten zu tun. (…) Es wurde vom südindischen Unionsstaat Kerala berichtet, der seit 60 Jahren linke Regierungen hat und wo von Anbeginn der Pandemie dank umfangreicher Tests, der Frühermittlung von Infektionsketten, einer effektiven Quarantäne und eines soliden Gesundheitssystems für alle signifikant niedrigere Infektionszahlen als im übrigen Land erreicht worden sein sollen, ohne dass Menschenrechte in Frage gestellt werden mussten. Wenn das so ist, ist es sehr interessant. Der Bericht hat mir klargemacht, dass die Diskussion bei uns viel zu eindimensional verläuft, dass wir uns das Gezeter über ausbleibendes »Wirtschaftswachstum« anhören, statt konkret zu benennen, welch grundlegend zerstörerische Wirkung das kapitalistische System »Profit« nicht nur auf das weitgehend privatisierte Gesundheitssystem, sondern auch auf die anderen Bereiche des gesellschaftlichen Zusammenlebens hat. Die Debatte darum hat bisher ein wenig von einem Phantom, und es wäre ein gutes Signal gewesen, wenn der 1. Mai in diesem Jahr nicht auf dem Sofa, sondern auf der Straße stattgefunden hätte. (…) Neben der Solidarität mit den rund 500 Streikenden bei Voith Turbo in Sonthofen liegt mir daran, die Plätze und Straßen nicht einem rechten Mob zu überlassen, der unter dem Deckmantel eines angeblichen Widerstands gegen Grundrechtsverletzungen rechtes Gedankengut verbreitet und damit bei nicht wenigen die Sehnsucht nach einem deutsch-völkischen Gemeinschaftserlebnis befriedigt. (…) Man kann sich diesen bräunlichen Ansammlungen entgegenstellen und gleichwohl – oder gerade – für die Versammlungsfreiheit und demokratische Rechte streiten…“
  • NRW: Shoppen erlaubt – demonstrieren verboten – Gericht: RWE setzt sein Zerstörungswerk ohnehin noch länger fort, daher ist Demonstrationsrecht nicht so wichtig
    „In Nordrhein-Westfalen sind zwar die Shopping Malls schon seit längerem wieder offen und CDU-Ministerpräsident Armin Laschet gibt sich – wenig fachkundig – als Vorreiter im Kampf gegen die Corona-Beschränkungen, aber natürlich nur im Interesse der Wirtschaft. Bürgerrechte sind hingegen nicht so wichtig. Entsprechend gab es ein Njet für eine kleine Menschenkette mit 50 Leuten und gebührendem Abstand. Erst hatte die zuständige Verwaltung den Tagebau-Anwohnern westlich von Köln verboten zu demonstrieren, und nun hat auch ein Gericht befunden, dass Demonstrieren nicht so wichtig sei. Schließlich, so das Gericht nach Darstellung der Demoanmelder, sei keine Eile für den Protest geboten, da RWE auch in Zukunft weiter baggern würde. Doch genau darum geht es. Das Anwohnerbündnis „Alle Dörfer bleiben“ berichtet, dass sich die Bagger bedrohlich auf einige der Dörfer zu bewegten und RWE unverdrossen weiter Abrissarbeiten vornehme. (…) Mit der Braunkohle ist es bei Lichte besehen aber nicht mehr besonders weit her. In diesem Jahr hatte die Erzeugung der erneuerbaren Energieträger Wind, Sonne, Biomasse und Wasserkraft bisher einen Anteil 55,9 von Prozent an der deutschen Nettostromproduktion. Auf die Braunkohle entfiel hingegen nur ein Anteil von 13,7 Prozent, wie die Daten des Fraunhofer Instituts für Solare Energiesysteme zeigen. Der hätte leicht auch von den noch immer chronisch unterforderten Gaskraftwerken übernommen werden können.“ Beitrag von Wolfgang Pomrehn vom 30. April 2020 bei Telepolis externer Link
  • Zwei Schritte vor, einer zurück – Der lange Weg zur Versammlungsfreiheit in Corona-Zeiten 
    „Am 16. April um 18 Uhr sollte in Hamburg eine Versammlung unter dem Titel „Abstand statt Notstand – Verwaltungsrechtler*innen gegen eine faktische Aussetzung der Versammlungsfreiheit“ stattfinden. Zu ihrer Zulässigkeit erließen Verwaltungsgericht (VG) und Oberverwaltungsgericht (OVG) jeweils Beschlüsse im einstweiligen Rechtsschutz. Unterschiedlicher hätten sie nicht ausfallen können, beide aber sind (auf ihre Art) bemerkenswert. (…) In Hamburg gilt nach § 2 I HmbSARS-CoV-2-EindämmungsVO (unverändert geblieben durch Änderung zum 20. April; im Folgenden VO) ein generelles Versammlungsverbot. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann die Versammlungsbehörde in besonders gelagerten Einzelfällen auf Antrag Ausnahmen zu diesem Verbot zulassen, sofern dies im Einzelfall aus infektionsschutzrechtlicher Sicht vertretbar ist (§ 3 II VO). An dieser Entscheidung ist die Behörde für Gesundheit und Verbraucherschutz fachlich zu beteiligen. Die Veranstalter baten am 7. April bei der Versammlungsbehörde um nähere Information zu den konkreten Voraussetzungen für eine Ausnahme. In ihrer Antwort erklärte die Versammlungsbehörde, sie wäre nicht verpflichtet, über die Bedingungen einer ausnahmsweisen Genehmigung Auskunft zu geben; ein „Kooperationsgebot wie im Versammlungsrecht“ gebe es in dieser Konstellation nicht. Das versammlungsrechtliche Kooperationsgebot folgt unmittelbar aus Art. 8 GG und verpflichtet die Behörden, im Rahmen einer grundrechtsfreundlichen Verfahrensgestaltung nach einvernehmlichen Lösungen zu suchen. Dies gilt insbesondere auch in der Vorbereitungsphase. Und das Kooperationsgebot gilt umso stärker in Konstellationen, in denen die Veranstalter nicht lediglich ihre Versammlung anmelden müssen und die Behörde deren Zulässigkeit in Frage stellen kann, sondern es umgekehrt von vornherein einer positiven Behördenentscheidung bedarf, die von unklaren Voraussetzungen abhängt. Wenn dabei neben der Versammlungsbehörde weitere Behörden in das Verfahren eingebunden sind, gilt das Kooperationsgebot auch für diese. Eine Verweigerung zur Kooperation wird der Bedeutung und Tragweite der Versammlungsfreiheit nicht gerecht. (…) Mit Beschluss vom Mittag des 16. April verpflichtete das VG die Stadt Hamburg dazu, den Antragstellern die geplante Versammlung zu ermöglichen. (…) Die Versammlung wurde trotzdem vom OVG noch gestoppt. Kurz vor dem Versammlungsbeginn erhob die Stadt Beschwerde. (…) Die konkrete Versammlung verhinderte das OVG zwar, aber ungeachtet dessen scheint sich das Momentum in diesen Tagen mehr und mehr auf die Seite der Versammlungsfreiheit zu schlagen. Dem Beschluss des VG ist zu wünschen, dass er in diesem Prozess weite Verbreitung erfährt und zu neuen Diskussionen und Überlegungen führt.“ Beitrag von Christian Ernst vom 21. April 2020 beim Verfassungsblog externer Link (der Autor hat die Veranstalter zu einzelnen Fragen rechtlich beraten)
  • Geht doch! Endlich mehr Rechtsgarantien für Versammlungen – trotz Corona 
    Am 17. April urteilt überraschend nun auch die 1. Kammer des Ersten Senats des BVerfG endlich so, wie man sich das bereits zuvor gewünscht hätte. Statt Ablehnung aus formalen Gründen oder Abwägungen auf Basis pauschaler Wertungen von den „Gefahren für Leib und Leben“, die schwerer wiegen sollen „als die Einschränkungen der persönlichen Freiheit“ (wie es z.B. noch am 8. April im Ablehnungsbeschluss 1 BvR 755/20 hieß), wendet sich die 1. Kammer nun entschieden mit ihrem Beschluss 1 BvQ 37/20 vom 17. April 2020 bezüglich einer, von einer Rechtsanwaltskanzlei vertretenen Beschwerde (…) Damit folgt dem früheren Abschieben nun sogar ein unmittelbarer Eingriff in die Instanzenentscheidungen zugunsten von Art. 8 GG. Warum das nun endlich geschah? Darüber lässt sich nur spekulieren. Fest steht jedoch, dass der bis-herige Kammer-Umgang nicht verfassungsgemäß und somit auf Dauer auch nicht vertretbar war. (…) Mit dieser Entscheidung der 1. Kammer lässt sich nun endlich auch gegen andere Versammlungsverbote argumentieren. Wichtig ist für künftige Versammlungen auch, dass zwar nach wie vor die pan-demiebedingten Abstands- und Schutzmaßnahmen eingehalten werden müssen, aber der nötige Schutz obliegt nicht mehr nur den Versammlungsverantwortlichen (auch hier hat die Kammer ihr Herangehen geändert). (…) Ob das reicht, muss natürlich die weitere Entwicklung zeigen. Immerhin scheint nun die Phase des Abwartens vorbei zu sein. Verfassungsrechtlich war dies sowie so von Anfang an sehr umstritten. Ungeklärt bleibt jedoch das Problem von – eben auch außerparlamentarischer – Opposition gegenüber einem sich als „Notstandsregime“ verstehenden Gesetz- und Verordnungsgeber. Wird der Pandemieschutz ausgenutzt für nicht unbedingt pademiebedingte gesetzgeberische Eingriffe, kann es auch auf die Stärke des Protestes ankommen, um sich genau dagegen zu wehren. Nicht zuletzt sind auch die Gewerkschaften hier gefordert. Wenn es sein muss, kann z.B. auch ein (politischer) Streik – trotz Pandemie – verfassungsgemäß sein.“ Kommentar von Armin Kammrad am 19. April 2020 (als Nachtrag Nr. 2) – wir danken! Siehe zum Hintergrund die vorherigen Beiträge von Armin Kammrad dazu:

  • Versammlungsfreiheit in der Krise – Die gerichtliche Verhandlung der Versammlungsfreiheit in Zeiten des Coronavirus
    „Im aktuellen Editorial verteidigt Maximilian Steinbeis die derzeitigen Grundrechtseinschränkungen zur Pandemie-Bekämpfung und kommt zu der Einschätzung, dass der Rechtsstaat zwar in der Krise stecke, es aber noch keinen Grund gäbe, “daran zu zweifeln, dass gegebenenfalls die Verwaltungsgerichte gebührenden Schutz gewähren werden.” Hieran darf jedoch gezweifelt werden. Von wenigen begrüßenswerten Ausnahmen abgesehen, steht fest: Nicht einmal kleinste Versammlungen können stattfinden, auch nicht bei Einhaltung weitreichender Infektionsschutzmaßnahmen. So hielt das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße sogar das Verbot einer angekündigten Versammlung von zwei Personen für rechtmäßig . Auch die bundesweiten Abstands-Versammlungen der Seebrücken-Bewegung wurden von Behörden und Gerichten nicht toleriert. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) kommt vor diesem Hintergrund zu dem Schluss: Das “Versammlungsrecht ist derzeit völlig aufgehoben.” Die fundamentale Bedeutung der Versammlungsfreiheit für den demokratischen Rechtsstaat, auch unter den Bedingungen der Corona-Pandemie, wird von den Verwaltungsgerichten bisher nicht verteidigt, wie die Beschlüsse aus Dresden (30.3.2020 – 6 L 212/20), Hannover (27.3.2020 – 15 B 1968/20) und Hamburg (2.4.2020 – 2 E 1550/20) zeigen. (…) Wegen des üblicherweise großen Zeitdrucks, ergeht die gerichtliche Entscheidung über ein Versammlungsverbots regelmäßig im einstweiligen Rechtsschutz. Damit wird die Hauptsache vorweggenommen: bei Verwehrung des Eilrechtsschutzes wird die Versammlung irreversibel verhindert. Zugleich führt der größere Einschätzungsspielraum zu dem besonderen Risiko, dass weniger rechtliche Gründe, als vielmehr alltagstheoretische Einschätzungen und politische Wünschbarkeiten ein erhebliches Entscheidungsgewicht erhalten (…) Die derzeitige Lage der Versammlungsfreiheit berührt die Frage, wie viel „Ausnahmedenken” in einem demokratischen Rechtsstaat hinnehmbar ist und inwieweit in dieser Lage von seinen Garantien abgewichen werden darf. Jedenfalls ist eine schonende Abwägung zwischen den Grundrechten und eine erhöhte Sensibilität für schleichende Grundrechtserosion notwendig. Die hier besprochenen Beschlüsse lassen vom Grundsatz praktischer Konkordanz nicht viel übrig. Anstatt auch der Versammlungsfreiheit zu ihrer Entfaltung zu verhelfen, wird die Bedrohung des Lebens von Gerichten als so überragend gewertet, dass für Versammlungen aktuell kein verwaltungsgerichtlicher Schutz zu erreichen ist. Dies ist fatal, denn die Versammlungsfreiheit ist kein Schönwetter-Grundrecht, nicht etwas, das „nice to have“ ist, sondern sie ist gerade bei weitreichenden Entscheidungen in Krisenzeiten für die Demokratie unentbehrlich.“ Beitrag von Aidan Harker, Jonas Deyda, Katharina Söker und Laurens Brandt vom 15. April 2020 beim Verfassungsblog externer Link – interessant auch im Hinblick darauf, dass selbst unter Juristen die Sache strittig ist
  • Trickreiche Anweisungen des nordrhein-westfälischen Innenministeriums an die Landespolizei zur möglichst vollständigen Verhinderung von Demonstrationen
    „Dass die derzeitige Praxis der Mehrheit von Gerichten und der fast ausschließlichen Gesamtheit der Bundesländer-Corona-Verordnungen, Demonstrationen so gut wie vollständig zu verhindern, ja sogar unter Strafe zu stellen absurd, zumindest aber verfassungsrechtlich in diesme Ausmaß unhaltbar sein wird, das setzt sich als Erkenntnis langsam durch. Einen weiteren negativen Höhepunkt dieses Trends stellt der am 9.4.2020 mit dem Titel „Einsatzmaßnahmen der Polizei aus Anlass von Versammlungen“ betitelte Eilerlass des nordrhein-westfälischen Innenministeriums dar, den wir hiermit veröffentlichen. (…) Der Erlass dieser „Einsatzmaßnahmen“ ist im Zusammenhang mit den vom NRW-Innenministerium nicht gern gesehenen Demonstrationen gegen die Urananreichungsanlage in Gronau unter dem Motto „Urananreicherung beenden – Atomwaffen ächten“ zu sehen. Alles in allem kann man konstatieren, dass dieser vom NRW-Innenminister Reul zu verantwortende Erlass ein weiteres Beispiel dafür ist, welche Missachtung das für eine Demokratie maßgebliche Versammlungsgrundrecht derzeit erfährt. Man könnte auch sagen: Mit den Füßen getreten wird.“ Publiziert und kommentiert von freiheitsfoo am 15. April 2020 externer Link
  •  Versammlungsfreiheit in der Krise. Die gerichtliche Verhandlung der Versammlungsfreiheit in Zeiten des Coronavirus
    Im aktuellen Editorial verteidigt Maximilian Steinbeis die derzeitigen Grundrechtseinschränkungen zur Pandemie-Bekämpfung und kommt zu der Einschätzung, dass der Rechtsstaat zwar in der Krise stecke, es aber noch keinen Grund gäbe, “daran zu zweifeln, dass gegebenenfalls die Verwaltungsgerichte gebührenden Schutz gewähren werden.” Hieran darf jedoch gezweifelt werden. Von wenigen begrüßenswerten Ausnahmen abgesehen, steht fest: Nicht einmal kleinste Versammlungen können stattfinden, auch nicht bei Einhaltung weitreichender Infektionsschutzmaßnahmen. So hielt das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße sogar das Verbot einer angekündigten Versammlung von zwei Personen für rechtmäßig . Auch die bundesweiten Abstands-Versammlungen der Seebrücken-Bewegung wurden von Behörden und Gerichten nicht toleriert. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) kommt vor diesem Hintergrund zu dem Schluss: Das “Versammlungsrecht ist derzeit völlig aufgehoben.” Die fundamentale Bedeutung der Versammlungsfreiheit für den demokratischen Rechtsstaat, auch unter den Bedingungen der Corona-Pandemie, wird von den Verwaltungsgerichten bisher nicht verteidigt, wie die Beschlüsse aus Dresden (30.3.2020 – 6 L 212/20), Hannover (27.3.2020 – 15 B 1968/20) und Hamburg (2.4.2020 – 2 E 1550/20) zeigen. In den drei Verfahren wandten sich Antragsteller:innen im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes an die Verwaltungsgerichte, um die Verbote ihrer Versammlungen nach Corona-Allgemeinverfügungen anzugreifen. (…) Es lässt sich nicht leugnen, dass es Unterschiede zwischen der abstrakten Infektionsgefahr einer Massendemonstration, einer Abstandsdemonstration oder eines Fahrrad- oder Autokorsos gibt. Auch kann das Ansteckungsrisiko durch eine Maskenpflicht, die Ortswahl oder eine Beschränkung der Teilnehmer:innenzahl verringert werden. Die Beachtung genau dieser Unterschiede ist ein Gebot der Gefahrenprognose, sowie die Voraussetzung der Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Um eine vollständige Aushöhlung des Art. 8 Abs. 1 GG zu vermeiden, muss deshalb die Frage lauten: Unter welchen Voraussetzungen können Versammlungen ermöglicht werden? Die Aufgabe der Verwaltungsgerichte muss sein, den konkreten Einzelfall zu betrachten. Statt mit allgemeinen Erwägungen, sollte sich konkret mit der Möglichkeit, Auflagen zu erteilen beschäftigt werden und geprüft werden, welches kalkulierte Restrisiko als angemessen angesehen werden muss. Unterbleibt diese Diskussion durch die Gerichte, wird eine wesentliche Grundlage des demokratischen Zusammenlebens, nämlich die Möglichkeit an demokratischer Meinungsbildung in Form von Versammlungen zu partizipieren, auf längere Sicht wegbrechen. Großraumbüro, ja – Versammlung, nein? Offensichtlich wird ein Restrisiko in anderen Lebensbereichen von Verordnungsgebern wie Gerichten als vertretbar angesehen. Die Entscheidungen sind damit auch vor dem Hintergrund des Gleichheitsgebots des Art. 3 Abs. 1 GG problematisch, weil mit einem ähnlichen Infektionsrisiko behaftete und jeweils grundrechtlich geschützte Sachverhalte ohne rechtfertigenden Grund unterschiedlich behandelt werden. (…) Gänzlich verfehlt ist schließlich das Argument des VG Dresden, dass die Versammlung aufgrund der wenigen Teilnehmer und des Verzichts auf Flugblätter ohnehin nur geringe Außenwirkung entfaltet hätte (S. 12). Eine solche Beurteilung der Wirkkraft und Sinnhaftigkeit steht dem Staat nicht zu...“ Artikel von Aidan Harker, Jonas Deyda, Katharina Söker, Laurens Brandt vom 14. April 2020 beim Verfassungsblog externer Link
  • Brav und verboten: In der Coronakrise verändern sich auch Protestformen
    „Während sich die EU weiterhin gegen Geflüchtete abschottet, scheint die Kreativität von Aktivist*innen keine Grenzen zu kennen: Unter dem Motto »Leave no one behind« (Lasst niemanden zurück) veranstalten Linke, die sonst lieber Fahrrad fahren, Autokorsos, um die Evakuierung der Bewohner aus griechischen Flüchtlingslagern zu fordern. Diese Botschaft brüllen Antifa-Kerle nicht nur durchs Megafon, sondern malen sie auch liebevoll mit Kreide auf den Asphalt. Zu Hausbesetzungen wie in Berlin, mit denen man sich Schutzräume für Obdachlose aneignen will, kommen nicht so viele Menschen wie möglich, sondern nur noch zwei, die das Ganze live ins Netz übertragen. Und Aktivist*innen, die eigentlich Wert darauf legen, dass niemand ihre Adresse erfährt, kritisieren den Mietenwahnsinn per Banner von ihren eigenen Balkonen. Linke quer durchs Land wirken derzeit außergewöhnlich flexibel und bereit, gewohnte Handlungsmuster gegen neue einzutauschen. Als Grund für diese Dynamik sieht Protestforscherin Maria del Carmen Mayer von der Universität Bielefeld nicht allein die staatlichen Verordnungen, die die Versammlungsfreiheit und andere Grundrechte einschränken. »Es gibt einfach eine reale Bedrohung durch die Pandemie. Die lässt sich nicht wegdiskutieren, und dafür sollten gerade progressive soziale Bewegungen ein ausgeprägtes Bewusstsein haben«, betont sie. Die Forscherin unterscheidet aktuell zwei Gruppen von Protesten: jene, die wegen der Coronakrise stattfinden, und solche, die trotz der Krise stattfinden. (…) Doch unabhängig davon, wer welche Form wählt: Protest ist appellativ, er richtet sich oft mit Bitten an die Regierung. Die katastrophale Situation von Geflüchteten in Moria hat sich trotz der nicht abreißenden und kreativen Proteste bislang nicht verbessert. Und weil der Staat in der Coronakrise vielerorts versagt, wählen Menschen vermehrt Mittel, die über Protest hinausgehen: In Italien und Spanien sind das Arbeitsniederlegungen, in Mailand beispielsweise direkte Aktionen wie Solidaritätsbrigaden, und in den USA werden Mietstreiks organisiert. Ob solche Aktionsformen sich irgendwann auch in Deutschland ausbreiten, bleibt abzuwarten. Die aktuelle Repression der Polizei, selbst gegenüber braven Formen des Protests, könnte durchaus dazu führen.“ Beitrag von Lotte Laloire bei neues Deutschland vom 11. April 2020 externer Link
  • Politische Bewegungen in Corona-Zeiten: Stirbt auch der Protest? 
    Wegen der Coronapandemie sind auch Demos verboten. Autonome wollen sich dem nicht beugen – und machen für den 1. Mai mobil. (…) Es ist ein Spagat, der derzeit vielerorts ausgetragen wird: Wie viel Protest ist in Corona-Zeiten noch möglich? Bundesweit untersagen Infektionsschutzverordnungen derzeit Versammlungen. Die Frage ist: Wo hören diese Schutzmaßnahmen auf – und wo beginnt die Versammlungsfreiheit? Bisher wurde sich vielerorts gefügt. So sind die traditionellen Ostermärsche am kommenden Wochenende, die dieses Jahr zum 60. Mal stattgefunden hätten, bereits abgesagt. Statt auf der Straße soll der Friedensprotest nun virtuell stattfinden. Die Teilnehmenden sollen zu Hause Friedensfahnen aus den Fenstern hängen, Protestlieder auf dem Balkon singen und Fotos und Videos davon im Internet posten. Auch der Protest von Fridays for Future liegt derzeit lahm. Lediglich Webinare hält die Bewegung momentan ab, Expertengespräche per Videokonferenz. Am 24. April will Fridays for Future indes einen großen „Netzstreik fürs Klima“ abhalten. Auch hier sollen Demo-Schilder an Fenstern oder auf Straßen platziert und Bilder davon im Internet veröffentlicht werden. „Wir werden nicht leiser“, lautet die Durchhalteparole der AktivistInnen. Doch der Frust in der Bewegungsszene wächst – vor allem darüber, wie strikt die Polizeien die Corona-Verordnungen in Bezug auf Versammlungen auslegen. (…) Nun aber gehen Autonome für den 1. Mai auf Kontra. Am Wochenende ließ in Berlin ein Bündnis aus mehreren Gruppen verlautbaren: „Wir rufen hiermit zum Revolutionären 1. Mai 2020 in Berlin auf.“ Auch und gerade in den Corona-Zeiten gebe es „mehr als genug Gründe, um auf die Straße zu gehen“. Nur das Wie sei noch zu klären: „Demos, Dezentrales, Aktionen und Balkonien“ – es sei vieles „vorstellbar“. Klar jedenfalls sei: „Wir lassen uns die Erfordernisse für den diesjährigen 1. Mai weder per autoritärer Verordnung vom Staat diktieren, noch werden wir sämtliche Schutzmaßnahmen fallen lassen.“ Tatsächlich könnte der 1. Mai in diesem Jahr eine historische Zäsur werden. Seit Jahrzehnten demonstrieren GewerkschafterInnen an diesem Tag. Seit den achtziger Jahren tun dies auch Autonome in Berlin, Hamburg und anderen Städten, hier traditionell mit größeren oder kleineren Krawallen. Nun aber könnte die Coronapandemie dies erstmals verhindern. Stand jetzt sind in Berlin bis zum 19. April Versammlungen wegen des Virus verboten, in Hamburg bis Ende April. Und: Verlängerungen der Verordnungen sind keineswegs ausgeschlossen. Der DGB sagte bereits vor zwei Wochen bundesweit seine Kundgebungen am 1. Mai ab. (…) Die autonome Szene indes reagiert unschlüssig. Nun erfolgt der Aufruf, sich am 1. Mai trotz Pandemie zu versammeln – irgendwie. Man nehme das Risiko einer Ansteckungsgefahr und die Schutzmaßnahmen „sehr ernst“, verkündet das Berliner Bündnis. (…) Die Berliner Polizei kündigt bereits an, strikt vorzugehen. Sollte das Versammlungsverbot wegen des Corona-Virus fortbestehen, werde man bei Ansammlungen am 1. Mai „Maßnahmen gegen Versammlungsteilnehmende treffen“, sagte eine Polizeisprecherin der taz. Derzeit sind laut Polizei auch noch ein linksradikaler Aufzug mit 3.000 Teilnehmern im vornehmeren Stadtteil Grunewald angemeldet und ein großes Bürgerfest der AfD. Schon zuletzt hatte die Berliner Polizei mehrere Protestversuche in der Stadt mit Verweis auf das Infektionsschutzgesetz aufgelöst. WiderständlerInnen erhielten Straf- oder Ordnungswidrigkeitenanzeigen. Auch in Hamburg wollen Autonome am 1. Mai auf die Straße gehen. „Kapitalismus ist die Krankheit“, lautet das vorgesehene Demo-Motto. „Wir wollen auf jeden Fall demonstrieren“, erklärt Halil Simsek vom Roten Aufbau. „Nur wie, ist noch nicht ganz klar.“ Möglich sei eine größere Aktion am Abend – kollektiv mit Schutzmasken. Weiter aufgerufen wird auch noch zu Gegenprotesten zu einem geplanten Neonazi-Aufmarsch in Hamburg, den die Splitterpartei „Die Rechte“ um den Szenekader Christian Worch mit etwa 400 Teilnehmenden veranstalten will. Die Neonazis wollen daran festhalten…“ Artikel von Konrad Litschko und Katharina Schipkowski vom 6.4.2020 in der taz online externer Link
  • Politische „Bewegung an der frischen Luft“; Versammlungsermöglichung im gesperrten öffentlichen Raum 
    • Politische „Bewegung an der frischen Luft“ – Teil I: Versammlungsermöglichung im gesperrten öffentlichen Raum
      Wenn die Demokratie von Kompromissen leben soll, muss zuvor um politische Alternativen gestritten werden. Da in der Krisenbewältigung vieles zur Einheit strebt, ist besonders die Zivilgesellschaft in all ihrer Vielfältigkeit gefordert, sich auch mit kritischen Positionen Gehör zu verschaffen. Die jüngsten Anti-Corona-Regelungen der Bundesländer drohen aber, ein wichtiges Ventil politischer Meinungskundgabe, die Versammlung unter freiem Himmel (Art. 8 Abs. 2 GG), zu verschließen. Sie sind mit dem Grundgesetz teilweise nicht vereinbar oder bedürfen jedenfalls in ihrer Anwendung einer verfassungskonformen Auslegung. Die Behörden sollten beim Umgang mit Versammlungen ihr Ermessen pragmatisch und versammlungsermöglichend ausüben. Demokratischer Meinungskampf muss auch weiterhin auf die Straße getragen (s. Fraport-Urteil des BVerfG) werden können. In diesem ersten Teil widmen wir uns dem Stellenwert und den Gewährleistungsbedingungen der Versammlungsfreiheit und bewerten die versammlungsbezogenen Corona-Regelungen der Bundesländer. Der zweite Teil ist praxisorientierter und versucht aufzuzeigen, wie Versammlungen pragmatisch ermöglicht werden können. (…) Allen Totalvorbehalten ist gemeinsam, dass sie für eine gewisse Dauer Demonstrationen gänzlich verhindern. Dies kann zu einer Zeit, in der – unter Einhaltung von Abstand – Mobilität und auch Pressearbeit (s. § 4 Nds.VO) im öffentlichen Raum funktionieren, nicht verfassungsgemäß sein und tastet womöglich gar den Wesensgehalt der Versammlungsfreiheit an. Denn ein Ausweichen auf andere Kundgaben des Protests (z.B. im Netz oder vom Balkon) wird der Performativität der Versammlungsfreiheit nicht gerecht. Neuere Protestformen kombinieren beides. (…) Alle Bundesländer geben – bis auf Bremen – die unmissverständliche Direktive vor: Im Zweifel keine Versammlungen. Dies spiegelt sich auch in der bisherigen, sehr jungen Praxis wider (vgl. VG Hannover, Beschluss vom 27. März 2020; VG Dresden, Beschluss vom 30. März 2020, 6 L 212/20). Art. 8 GG verlangt jedoch von staatlichen Stellen (Art. 1 Abs. 3 GG), bei der Beurteilung des Einzelfalls, den physisch-präsenten Ausdruck politischer Meinungen weitestgehend zu ermöglichen, soweit dies für die hier konkurrierenden Belange des Gesundheitsschutzes vertretbar erscheint – was im Übrigen für das Leitbild präsumtiver Erlaubnis spricht.“ Beitrag Teil I von Stefan Martini und Michael Plöse vom 31. März 2020 bei Junge Wissenschaft online externer Link
    • Politische „Bewegung an der frischen Luft“ – Teil II
      „Individuelle Bewegung an der frischen Luft senkt das Infektionsrisiko. Das gilt als Schulmeinung seit Rudolf Virchows Studien zur Flecktyphus-Epidemie in Oberschlesien von 1848. Kollektive Bewegung im politischen Raum „wirkt nicht nur dem Bewußtsein politischer Ohnmacht und gefährlichen Tendenzen zur Staatsverdrossenheit entgegen“, es „liegt letztlich auch deshalb im wohlverstandenen Gemeinwohlinteresse, weil sich im Kräfteparallelogramm der politischen Willensbildung im allgemeinen erst dann eine relativ richtige Resultante herausbilden kann, wenn alle Vektoren einigermaßen kräftig entwickelt sind.“ Das gilt für die Versammlungsfreiheit wie für die freiheitlich-demokratische Grundordnung seit dem Brokdorf-Beschluss des BVerfG von 1985. (…) Ohne Zweifel dienen Maßnahmen zur Verhinderung von Infektionen dem Schutz des Lebens und der Gesundheit nicht nur der Teilnehmenden und Polizeibeamt*innen, sondern – nach allem, was wir wissen – auch der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems und damit einem der Versammlungsfreiheit gegenüber gleich oder sogar höher zu gewichtendem Rechtsgut. Nichtsdestotrotz müssen Behörden nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ein ausgewogenes Maß zwischen den konfligierenden Interessen finden. Hierfür stehen ihnen Auflagen und Beschränkungen bis hin zu Verboten im Einzelfall zur Verfügung, wenn diese geeignet, erforderlich und angemessen sind, eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben Einzelner oder dem Überleben einer Vielzahl von Menschen abzuwehren. Dabei dürfte zu berücksichtigen sein, dass bereits die Geeignetheit eines absoluten Versammlungsverbotes fraglich erscheint, jedenfalls aber durch Auflagen mildere Mittel zur Vermeidung von Kontakten zur Verfügung stehen und Verbote dann nicht erforderlich sind. Bei der Verhältnismäßigkeit wiegt schließlich gerade die Radikalität der exekutiven und legislativen Maßnahmen so enorm, dass eine kritische und sichtbare Auseinandersetzung umso wichtiger erscheint, um bei einem „Auf-Sicht-Fahren“ der Regierung Maß und Kurs zu halten. (…) Bei alledem – den neuen, hektisch formulierten Regelungen und der improvisierten Praxis – stört vor allem das generelle Misstrauen in die von Art. 8 Abs. 1 GG geschützte staatsferne Selbstorganisation der Versammlung. Warum trauen Behörden den Menschen nicht zu, (zunächst) selbst auf ihren Schutz zu achten?“ Beitrag Teil II von Stefan Martini und Michael Plöse vom 31. März 2020 bei Junge Wissenschaft online externer Link
  • Siehezum Demonstrationsrecht und Polizei konkret unser Dossier: Wer kontrolliert die Polizei, die uns bei den diversen Ausgangssperren kontrollieren soll?
  • Und grundsätzlich unser Dossier: Die Gesundheitsdiktatur. Notstand wegen dem Corona-Virus verlangt nach Wachsamkeit gegenüber dem Staat
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=167348
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