Schwerer Verfassungsbruch: Es geht um mehr als um eine fragwürdige Entscheidung zum Glyphosat
Kommentar von Armin Kammrad vom 28. November 2017
Leider scheint den Medien nicht einmal ansatzweise klar zu sein, was es nach dem Grundgesetz bedeutet, wenn eine nur noch geschäftsführende Regierung aus dem verfassungswidrigen Verhalten eines ihrer Minister keine personellen Konsequenten zieht. Verharmlost die verantwortliche Bundeskanzlerin dieses Verhalten und wird dann auch der Bundespräsident nicht umgehend aktiv, kann auch er gegen die Verfassung verstoßen. Letztlich stellt sich so auch die Frage, in wieweit überhaupt maßgeblich Entscheidungen der jetzigen, nur noch geschäftsführenden Regierung, dem Anspruch auf verfassungsgemäße Rechtsetzung und Rechtsdurchsetzung genügen. Schließlich sind die Festlegungen in Art. 20 GG zentral. Ob nun nach innen oder – wie hier beim Glyphosat im Rahmen der EU – nach außen, maßgeblich für jegliche Bindungswirkung ist es, dass dem grundgesetzlichen Anspruch auf demokratisches Mandat entsprochen wird. Auch wenn es vielleicht nicht so erscheint: Beim Umgang mit dem verfassungswidrigen Verhalten eines Ministers geht es um Grundsätzliches und für den Bestand der Demokratie sehr Wichtiges.
Der Fall: Seid der Neuwahl des Bundestags am 24. September 2017, arbeitet die bisherige Bundesregierung bis zu einer Neubildung nur noch geschäftsführend. Vor diesem Hintergrund hat der Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) auf EU-Ebene für die Verlängerung der Zulassung des Unkrautvernichters Glyphosat gestimmt, obwohl nach der „von der Bundesregierung beschlossenen und vom Bundespräsidenten genehmigten Geschäftsordnung“ (Art. 65 GG) nur eine Enthaltung rechtlich möglich war. „Habe die Entscheidung für mich getroffen“, soll laut Medien (Spiegel online v. 28.11.2017) Schmidt selbst dazu gesagt haben. Bundeskanzlerin Angela Merkel soll daraufhin Schmidts Vorgehen als Verstoß gegen die Geschäftsordnung (allerdings nicht dessen Begründung) gerügt, jedoch auf jegliche personelle Konsequenz verzichtet haben.
Verfassungsrechtliche Wertung: Dem Verhalten von Christian Schmidt auf EU-Ebene fehlte – auch nach dem umstrittenen Verständnis der EU – jegliche demokratische Legitimation, und es stellt eindeutig einen Machtmissbrauch dar, wenn ein Minister seine Entscheidung nur für sich selbst (oder verbandelten Interessengruppen) trifft. Nach Art. 65 GG ist er bereits schon deshalb nicht mehr als Minister im Rahmen des Grundgesetzes tragbar, weil er seine verfassungswidrige Ansicht nicht nachträglich korrigiert oder zumindest als Fehler selbstkritisch behandelt hat.
Die Verantwortung dafür trifft jedoch laut Grundgesetz auch Frau Merkel, da sie Herrn Schmidt als Minister im Rahmen ihrer Richtlinienkompetenz und Verantwortung (Art. 65 GG) dem Bundespräsidenten vorschlug (Art. 64 Abs.1 GG). Die Verantwortung ergibt sich auch daraus, weil Frau Merkel für die Geschäftsordnung maßgeblich zuständig ist, gegen die Herr Schmidt ohne jeden Anflug von Reue verstoßen hat. Reagiert sie deshalb nicht entsprechend der verfassungsrechtlichen Vorgaben und tritt an den Bundespräsidenten nicht mit dem Antrag auf Entlassung von Herrn Schmidt heran, macht Frau Merkel sich eines Verfassungsbruchs schuldig – auch gegenüber der EU zumindest in soweit (vgl. Art. 23 GG), wie sie dort nicht klarstellt, dass für die Entscheidung von Herrn Schmidt zur Glyphosat-Zulassung jegliches demokratische Mandat fehlte (er entschied nicht „für Deutschland“, sondern ausschließlich für sich). Es bei einer Rüge ohne weitere Konsequenz zu belassen, steht Frau Merkel nach dem Grundgesetz nicht zu, allein schon deshalb nicht, weil durch Art. 20 GG die Grundlagen für die grundgesetzliche Demokratie für dieses Amt bindend sind.
Verhält sich Frau Merkel verfassungswidrig, liegt es nun am Bundespräsidenten entsprechende Konsequenzen zu ziehen. Schließlich ernennt und entlässt er nach Art. 64 GG die Minister und genehmigt auch die nun verletzte Geschäftordnung. Schwer wiegt der Fall auch deshalb, weil dass bindende Beschlussrecht im EU-Ministerrat durch Herrn Schmidt verletzt und von Frau Merkel ohne Konsequenzen hingenommen wurde. Wegen der nur geschäftsmäßigen Funktion, stand Frau Merkel auch keine Interpretation (nur Rüge reicht) des Grundgesetzes mehr offen. Kommt ein neuer Bundestag nicht in einem den Inhalt von Art. 20 Abs. 2 („Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus“) entsprechenden Frist nach einer Wahl zustande, muss der Bundespräsident aktiv werden. Dies besonders dann, wenn dieser Zustand übergebührlich lange anhält und – wie in diesem Fall – sogar zu verfassungswidrigen Verhalten führt. Weitgehend anerkannt ist hier die Aufgabe des Bundespräsidenten aktiv zu werden. Die Aktivitäten selbst und deren Dauer (Neuwahlen, Gespräche wegen Koalitionen oder auch nur eine Minderheitsregierung mit wechselnden Oppositionen) sind zwar nicht verfassungsrechtlich vorgeschrieben. Aus seinem Amtseid (Art. 56 GG) ergibt sich jedoch nicht nur eine angemessene Umsetzung des WählerInnen-Votums nach Art. 20 GG, sondern auch die Pflicht schweren Schadens für die Demokratie durch Minister oder auch der Bundeskanzlerin abzuwenden. Schließlich ist laut Grundgesetz ausschließlich das Ersuchen des Bundespräsidenten an die bisherige Regierung (Art. 69 Abs.3 GG) mit dem Inhalt, die Geschäfte bis zur Ernennung einer Nachfolge (hier entsprechend des Wahlergebnisses) weiterzuführen, maßgeblich. Deshalb obliegt seiner Verantwortung auch die Kontrolle auf Verfassungskonformität der nur noch geschäftsführenden Regierung.
Verfassungsrechtliche Konsequenzen: So wie die Bundeskanzlerin das verfassungswidrige und dem Ansehen des BRD schädliche Verhalten von Herrn Schmidt nicht dulden darf, darf der Bundespräsident solches Verhalten der Bundeskanzlerin nicht dulden. Die Gründe liegen auf der Hand: Es wäre ein schwerer Verfassungsverstoß, wenn das Prinzip der repräsentativen Demokratie besonders durch die Verantwortlichen der nur noch geschäftsführenden Regierung verletzt werden würden. Art. 79 Abs. 3 („Ewigkeitsgarantie“) setzt solche Verletzung mit einer Demontage der Grundsätze der Demokratie nach dem Grundgesetz gleich. Eigentlich ist damit auch das demokratische Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG eröffnet, zumindest verhältnismäßig, was z.B. den Wählern den Weg zu einem politischen Streik oder Boykott eröffnen würde. Der Grund: Für eine verfassungsgemäße Umsetzung des Wahlergebnisses wäre jeder status quo für verfassungswidriges Verhalten ein eklatanter Verfassungsbruch. Widerstand läge auch nahe, weil die möglichen verfassungskonformen Konsequenzen für den Bundespräsident eigentlich auf der Hand liegen: So könnte er einfach eine Minderheitsregierung zu lassen, wenn alles andere weder verfassungsgemäß (Legalisierung von verfassungswidrigen Verhalten, inkl. möglichst langer Machterhalt der alten Regierung durch bewusstes Hinauszögern) noch pragmatisch sinnvoll erscheint (Neuwahlen). Außerdem verbietet es Art. 69 Abs.3 GG dem Bundespräsidenten gerade nicht, sein Ersuchen von Forderungen abhängig zu machen. Besonders relevant für den Demokratieerhalt ist hier deren Sicherung durch ein Verbot von Gesetzesaktivitäten und Aktivitäten, die auf eine Veränderung der aktuellen Rechts- und Gesetzeslage abzielen.
Politisches Fazit: Man könnte nun meinen, dass die ganze Problematik bestenfalls die Gegner von Glyphosat in der Landwirtschaft betrifft. Das ist aber die große Frage. Was wäre im Fall eines ähnlichen Verhalten der nur noch geschäftsführenden Regierung beim Arbeits-, Wirtschaftsrecht oder beim Datenschutz, also bei all den Themen, die auf der Kippe von Machtverhältnissen stehen? Der alte Gesetzgeber existiert nicht mehr und ein neuer existiert noch nicht. Die im Grundgesetz nur unvollkommen behandelte Lücke, ermöglicht so der alte, abgewählten Regierung, die Lücke ohne eindeutige Zeitvorgaben auszufüllen und wie ein Gesetzgeber ohne Wählermandat zu agieren – und das ist gefährlich für einen demokratischen Rechtsstaat. Der Erhalt der Demokratie sollte ein Hauptanliegen aller Demokraten sein. Immerhin zeigt sich beim Fall „Schmidt“ der Unterschied von Inhalt und medial gut organisierter Verpackung recht anschaulich. Weniger erfreulich ist, das zu geringe Interesse an dem, was da nach staatsrechtlichen Gesichtspunkten abläuft.
Nach rechtstaatlichen Grundsätzen stellt sich überhaupt die Frage: Welchen Anspruch auf Legalität können solche Entscheidungen, wie die vom CSU-Minister Schmidt (laut Medien in Absprache mit Herrn Seehofer) überhaupt haben? Keine. Auch wenn kein Mitverschulden auf Seiten der EU feststellbar ist, die Entscheidung zur Zulassungsverlängerung von Glyphosat kam auf keiner legalen Rechtgrundlage zustande, weil das Verhalten der deutschen Regierung nicht den Grundsätzen der EU entsprach. Dies sollte man sich auch für noch andere Fälle merken, die ähnlich überraschend auftreten könnten: Aus dem Grundgesetz ergibt sich ganz eindeutig, dass die Ausübung von Staatsgewalt Wahlen (und eigentlich auch Abstimmungen) (Art. 20 Abs.2) voraussetzt. Ohne solche Verknüpfung fehlt eine verfassungsgemäße Legitimation für die Staatsgewalt. Die jetzige geschäftsführende Regierung unter Merkel hat diese Legitimation nicht. Egal, was von dort noch kommt: Das mit der fehlenden Legitimation kann u.U. noch bei anderen Formen der Selbstermächtigung wichtig sein. Besonders gefährliche wäre natürlich eine Art Gewöhnung an Regierungshandlungen ohne Mandat. Aber vielleicht ist genau das die heimliche Zielsetzung von Machthabern, die sich nach außen so gerne demokratisch geben, jedoch ganz andere Ziele verfolgen – der Fall Schmidt sollte uns zumindest misstrauisch machen.
- Siehe zum Hintergrund das Dossier: Der Kampf gegen Glyphosat als Teil des Kampfes gegen Monsanto