Zwischen „Roma-Stern“ in Italien, Lagern in Afrika und Truppenaufmarsch in Österreich: Schiffe, die nicht landen sollen und Menschen, die nicht leben sollen
Das aktuell führende Dreigestirn mörderischer europäischer Festungspolitik lässt sich benennen: Salvini, Orban und Seehofer diktieren den Kurs, die anderen bemühen sich, zu folgen. Der rassistische italienische Oberhetzer hat gerade seine Bande zum Wahlsieg in der Toskana geführt, Orban seinen donaumonarchisch-christlichen Pakt mit der Wiener Rechten weiter entwickelt und Seehofer treibt die Bundesregierung noch weiter nach Rechts. Von Ankara bis Algier werden Pakte mit jedem Regime geschlossen, das zur Migrantenjagd bereit ist, und der 30-jährige Hasschoral gegen Wirtschaftsflüchtlinge schwillt zum Kriegsgeschrei, keineswegs nur in den antisozialen Medien der Rechtsradikalen. Nach denen auf der Aquarius sollten auch die Menschen auf der Lifeline lieber ersaufen – und der EU-Parlamentschef möchte endlich Milliarden sehen, die zur „Schließung des Mittelmeers“ führen sollen. Unsere kommentierte Materialsammlung „Festung EU: Eskalation gegen Migration“ vom 27. Juni 2018 soll ein Beitrag dazu sein, aktuelle Entwicklungen deutlich zu machen und Gegenstrategien zu stärken:
Festung EU: Eskalation gegen Migration
Die aktuelle Entwicklung in der „Flüchtlingsfrage“ ist in Wirklichkeit eine aktuelle Entwicklung in der „Europafrage“. Einer dermaßen rasanten Rechtsentwicklung nämlich, dass es schon Schwierigkeiten bereitet, einzelne Ereignisse zu verfolgen. Und was zwischen den europäischen Festungsbauern diskutiert wird, sind Varianten der Kriegsführung gegen Migrantinnen und Migranten: Soll sie jeder für sich an seiner eigenen Grenze verjagen, wie es französische Faschisten in den Alpen vorgemacht haben, während ihre österreichischen Gesinnungsgenossen dies erst noch üben lassen – oder sollen sie, etwas weiter entfernt, in Lagern konzentriert werden, bei libyschen Gutmenschen etwa, oder netten ägyptischen Militärdiktatoren oder gleich, nach algerischem wie US-amerikanischem Vorbild, in der Wüste. Da kann sich als human profilieren, wer bekundet, man würde – vielleicht, unter Umständen und zahlreichen Bedingungen – auch einmal eine „Schiffsladung“ (Menschen, wohlgemerkt) anlanden lassen. Die Regierung Spaniens etwa, die schon eine Mauer hatte, als Herr Trump das noch nicht mal buchstabieren konnte. Oder die Regierung Frankreichs, die quer durchs Land Camps und Zeltlager räumen lässt…
Der Streit der Festungsbauer – und Konkretes zu ihren Gemeinsamkeiten
„“Guter Wille“, aber keine Ergebnisse“ am 24. Juni 2018 in der tagesschau zum Brüsseler Gipfel der 16 vermeldet: „Kanzlerin Angela Merkel hatte die Erwartung an das Treffen kurz vor dem EU-Gipfel kommende Woche bewusst gedämpft. Zu deutlich treten derzeit die unterschiedlichen Positionen zwischen den EU-Mitgliedern hervor. Nach den Gesprächen betonte Merkel, sie habe viel guten Willen festgestellt, Differenzen in der Einwanderungs- und Flüchtlingspolitik beizulegen. „Wir sind uns alle einig, dass wir die illegale Migration reduzieren wollen, dass wir unsere Grenzen schützen wollen“, sagte Merkel. Bilaterale Vereinbarungen mit anderen EU-Staaten zur Rückführung bereits registrierter Asylbewerber etwa mit Italien erwähnte Merkel nicht. Ein Sprecher des italienischen Regierungschefs Giuseppe Conte schloss diese aus. Merkel sagte, man sei sich einig, dass die Ankunftsländer nicht alleine gelassen werden dürften…“.
„Tajani fordert sechs Milliarden Euro zur Schließung der Mittelmeerroute“ am 25. Juni 2018 bei Spiegel Online zum Vorstoß des Forza Italia EU-Parlamentspräsidenten: „EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani hat die Europäische Union aufgefordert, deutlich mehr Geld bereitzustellen, um illegale Migration über das Mittelmeer zu verhindern. „Nach dem Vorbild der Vereinbarung mit der Türkei, durch die die Balkanroute geschlossen werden konnte, muss die EU mindestens sechs Milliarden Euro investieren, um die Mittelmeerroute zu schließen“, schreibt Tajani in einem Gastbeitrag für die Zeitung „Welt“. Außerdem müssten die Europäer enger mit Transitländern wie Marokko, Tunesien und Algerien zusammenarbeiten. (…)Tajani forderte die Mitgliedsländer unmittelbar vor dem EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag dieser Woche auf, die Verteilung von Flüchtlingen gerechter zu gestalten und sich in der Flüchtlingspolitik zu einigen. Sollten die Mitgliedstaaten keinen gemeinsamen Weg finden, drohe „dem gesamten Projekt der Europäischen Union der Todesstoß versetzt zu werden“. Die Bürger seien nicht mehr bereit, ein wehrloses Europa zu akzeptieren. Der EU-Gipfel Ende der Woche sei „die letzte Chance, die Erwartungen einer halben Milliarde Europäer nicht zu enttäuschen“…“.
„Österreich setzt Schwerpunkt auf Abschottung“ von Michael Bonvalot am 25. Juni 2018 in neues deutschland über die kommenden EU-Ratspräsidialen: „Die Stoßrichtung ist eindeutig. »Ein Europa, das schützt«, ist das offizielle Thema, unter dem die österreichische EU-Ratspräsidentschaft stehen wird, die mit Anfang Juli beginnt. Die Rechtsregierung in Wien will in den kommenden sechs Monaten »Sicherheit und Kampf gegen illegale Migration« zu einem der Hauptschwerpunkte der EU machen. Laut österreichischer Bundesregierung solle der Fokus der Europäischen Union vor allem »auf dem Schutz der Außengrenzen« liegen, wie es in der offiziellen Ankündigung zur Präsidentschaft heißt. Rechte Parteien und Regierungen verschiedener EU-Staaten klatschen bereits begeistert Applaus. EU-Parlamentspräsident Antonio Tajani, ein hochrangiges Mitglied der Forza Italia von Silvio Berlusconi, wird in der Ankündigung gar mit den Worten zitiert, dass es bei der Migrationsfrage um »die Zukunft Europas« ginge. Bereits im Vorfeld der Präsidentschaft versuchten die Koalitionspartner Österreichische Volkspartei (ÖVP) und Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), das Thema Migration hochzuspielen. Anfang Juni etwa erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz von der ÖVP, dass eine neue Balkanroute über Albanien im Entstehen sei, die dringend geschlossen werden müsse. Der Schönheitsfehler: Sogar der albanische Ministerpräsident Edi Rama zeigte sich sehr verwundert und erklärte, dass es schlichtweg »kein Problem« gäbe. Noch schärfer äußerte sich Erhard Busek, immerhin Vorgänger von Kurz als Chef der ÖVP und ehemaliger österreichischer Vizekanzler. Er erklärte zu einer angeblichen Route über Albanien schlicht: »Die gibt’s gar nicht.« Ungeachtet der Widersprüche legte Kurz noch nach und forderte gar eine »Achse der Willigen« zwischen Rom, Berlin und Wien, um eine neue »Albanien-Route« und »eine Situation wie 2015« zu verhindern. Der historisch belastete Begriff einer Achse Rom-Berlin scheint Kurz dabei nicht weiter gestört zu haben…“.
„Sammellager drinnen und draußen“ von Nelli Tügel am 25. Juni 2018 in neues deutschland fasst die keineswegs sehr unterschiedlichen Konzepte so zusammen: „Vor dem Treffen übertrumpften sich die Regierungen der teilnehmenden Staaten mit Vorschlägen für eine härtere Gangart gegenüber Geflüchteten und Migranten. Bulgarien, das noch bis Ende Juni die EU-Ratspräsidentschaft inne hat, sprach sich für Auffanglager außerhalb der EU aus, ebenso wie die Niederlande und Österreich. Dessen Verteidigungsminister Mario Kunasek forderte zudem den Einsatz von Soldaten an den Grenzen des Schengenraumes. Ähnlich äußerte sich Ratspräsident Donald Tusk in seiner Vorlage für das eigentliche EU-Gipfeltreffen Ende kommender Woche. Tusk schrieb, aus Seenot gerettete Geflüchtete sollten künftig zu »zentralen Sammelpunkten« außerhalb der EU gebracht werden.Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez unterbreiteten indes nach einem gemeinsamen Treffen am Samstag in Paris den Vorschlag, Asylsuchende in geschlossenen Sammellagern auf EU-Boden unterzubringen. Diese sollten in dem Land, »das dem Ankunftsort am nächsten liegt«, errichtet, die Lager nach Vorgaben des UN-Flüchtlingshilfswerkes UNHCR betrieben werden. Dort, so Macron, solle schnell entschieden werden, ob ein Schutzsuchender Anspruch auf Asyl habe. Für wen dies nicht gelte, der werde rasch abgeschoben. Für die Asylberechtigten wiederum solle »europäische Solidarität« gelten. Wenn Länder des Staatenbundes nicht bereit seien, Flüchtlinge aufzunehmen, müssten diese mit finanziellen Sanktionen belegt werden. Einige solcher Zentren, wie sie Macron und Sánchez vorschweben, gibt es bereits in Griechenland und Italien. Nach den Plänen der beiden wären es vornehmlich diese beiden Länder, in denen weitere Lager errichtet würden…“
„Libysche Lager“ am 22. Juni 2018 bei German Foreign Policy über gemeinsame europäische Traditionen des Festungsbaus: „Vor dem EU-Sondertreffen zur Flüchtlingsabwehr an diesem Sonntag und dem EU-Gipfel Ende nächster Woche, der sich ebenfalls insbesondere der Migrationspolitik widmen wird, werden zum wiederholten Male Plädoyers für den Aufbau von Lagern für Flüchtlinge in Nordafrika laut. Entsprechende Forderungen hat bereits vor 14 Jahren der damalige deutsche Innenminister Otto Schily (SPD) gestellt; sie sind seitdem mehrfach neu vorgebracht worden, unter anderem vom ehemaligen deutschen Innenminister Thomas de Maizière, von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán und von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Aktuell wird der heutige deutsche Innenminister Horst Seehofer mit der Aussage zitiert, es sollten „große Lager in Libyen“ errichtet werden; während de Maizière die Lager „Willkommenszentren“ nennen wollte, spreche Seehofer jetzt von „Schutzzonen“. „Asylzentren an der afrikanischen Mittelmeerküste“ hat auch der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel Ende letzter Woche ins Gespräch gebracht. Gabriel plädierte gleichzeitig für eine bewaffnete Intervention in Libyen: Man solle die dort bestehenden, gewöhnlich von brutalen Milizen betriebenen und zum Teil zum Sklavenhandel genutzten Lager „zerstören“ – „wahrscheinlich auch mit bewaffneter Hilfe…“.
Aktuelle Schlaglichter – die morgen schon durch andere ersetzt werden können
„Österreich übt Abwehr von Flüchtlingen – und benutzt rechtes Hashtag“ von Hasnain Kazim am 26. Juni 2018 in Spiegel Online zu den Kriegsmanövern an Österreichs Grenzen samt Ausreden und ideologischem Hintergrund: „Polizeischülerinnen und -schüler wurden als Flüchtlingsdarsteller eingesetzt, am Nachmittag zeigten die Einsatzkräfte geladenen Journalisten, wie sie vorgehen wollen. Durchgespielt wurden mehrere Szenarien, von der friedlichen Registrierung im Großzelt bis zum Umgang mit einer aufgebrachten Menge. Eine halbe Stunde dauerte die Vorführung, die der Öffentlichkeit Einsatzbereitschaft und Entschlossenheit demonstrieren, aber auch „eine Botschaft an Schlepper und Flüchtlinge sein“ sollte. „Ein Durchwinken wie im Jahr 2015“ werde es, wie Innenminister Herbert Kickl sagte, nicht mehr geben. Aktuell stünden zwar keine Flüchtlinge an der Grenze, aber es gelte, „vorbereitet zu sein auf mögliche künftige Szenarien“. „Ein Staat, der seine Grenzen im Fall der Fälle nicht schützen kann, der verliert seine Glaubwürdigkeit“, sagte er weiter. Die Regierung habe „die Verpflichtung und das Recht, Menschen, die illegal oder mit schlechten Absichten kommen wollen, abzuweisen.“ Das sei „nichts Unanständiges, nichts Unmenschliches, sondern das, was das Recht und auch die Bevölkerung von uns erwartet.“ (…) Die Ministerien gaben der Übung ausgerechnet den Namen „Pro Borders“ – ein Begriff, den die rechtsextreme „Identitäre Bewegung“ geprägt hat. Die verbuchte das sofort als ihren Erfolg. „Unsere Demoparolen werden Truppenübungen #proborders“, twitterte Martin Sellner, Sprecher der „Identitären“ in Österreich…“.
„Ungarn: Sogenanntes »Stop Soros«-Gesetzespaket beschlossen“ am 21. Juni 2018 bei Pro Asyl hebt hervor: „Das sogenannte »Stop Soros«-Gesetzepaket wird die Arbeit von zivilgesellschaftlichen Organisationen massiv erschweren. Grundlegende Menschenrechtsarbeit und humanitäre Hilfe werden kriminalisiert. Aktivist*innen werden aufgrund ihrer Arbeit, die die Venice Commission des Europarats und die OSCE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) laut Reuters in ihrem lange erwarteten, bisher unveröffentlichten Bericht als »vollkommen legitime Arbeit« bezeichnen, mit Gefängnisstrafen bedroht. (…)Doch dieses Mal waren Orbán diese Drohungen egal. Er ließ gestern Gesetze im Parlament abstimmen, die sogar Verschärfungen zu ihren Vorgängerversionen beinhalten. Orbán fährt im Windschatten der Abschottungsdiskurse in Berlin, der Rechtspopulisten in Rom und dem gesamten europäischen Rechtsruck, dem von liberaler und konservativer Seite nichts entgegengesetzt wird…“.
„Anlegen unter Auflagen“ am 27. Juni 2018 in neues deutschland zum bürokratischen Hin- und Her wegen der Anlandung von Flüchtlingsschiffen: „Die Dresdner Organisation »Mission Lifeline« erklärte, eine Erlaubnis von Malta liege noch nicht vor. »Wir werden in der Luft hängen gelassen«, sagte Ruben Neugebauer von der Seerettungsorganisation Sea Watch, die »Lifeline« unterstützt. Das Wetter werde immer schlechter, die Zeit dränge. Die Flüchtlinge waren am vergangenen Donnerstag gerettet worden. Italien und Malta hatten bisher die Einfahrt in einen Hafen verweigert. Mehrere Staaten verhandelten, darunter auch Spanien und der französische Präsident Emmanuel Macron. Den freiwilligen Seenotrettern selbst drohen juristische Konsequenzen. Die Regierung in Malta prüft Ermittlungen gegen den deutschen Kapitän, der bei der Rettung der Migranten Anweisungen der italienischen Behörden ignoriert habe. Mission Lifeline sieht sich allerdings im Recht. Die libysche Küstenwache habe auf ihre Anfrage für eine Rettung nicht reagiert, während die Menschen in Seenot gewesen seien…“.
„Italiens Innenminister will Roma zählen lassen – um dann einen Teil abzuschieben“ am 24. Juni 2018 bei Perspektive Online über den Vorstoß von Mussolinis Enkel, verschiedene Wünsche mit einem Aufwasch zu erfüllen (rassistische im Allgemeinen und gegen Flüchtlinge vom Balkan im Besonderen): „Der italienische Innenminister Matteo Salvini will Sinti und Roma in Italien zählen lassen. Dann könnten diejenigen ohne italienische Staatsbürgerschaft abgeschoben werden. Die mit italienischen Pass müsse man „leider“ behalten, wie er gegenüber einem Regionalsender erklärte. Von den rund 170.000 Roma und Sinti ist die große Mehrheit ItalienerIn, hat einen festen Wohnsitz und einen regulären Arbeitsplatz. Laut der italienischen Verfassung ist es verboten, ein Verzeichnis einer Bevölkerungsgruppe anzulegen, woran auch der italienische Ministerpräsident Giuseppe Conte erinnern musste. Erst im letzten Jahr war eine umfassende Volkszählung durchgeführt worden. Besondere Zählungen, wie sie Salvini vorschlägt, hatte es zuletzt zur Zeit des Faschismus gegeben, als Juden gezählt wurden“
„France : Expulsion des réfugiés qui occupaient l’Université Paris VIII“ am 26. Juni 2018 bei Secours Rouge ist ein kurze Meldung über die Räumung von seit 5 Monaten besetzten Universitäts-Einrichtungen durch die Polizei in Paris. Und steht hier stellvertretend für eine ganze Reihe vergleichbarer Nachrichten auf alternativen französischen Medien über das repressive Vorgehen gegen Papierlose, die eben diese wollen. Erinnert sei auch daran, dass aus Anlass des faschistischen Musterprotestes „Grenzen zu“ an der Alpengrenze zu Italien jene strafrechtlich verfolgt wurden, die gegen die Faschisten protestiert hatten.
„Gewaltmarsch durch die Sahara“ am 26. Juni 2018 bei der taz ist eine Meldung über das algerische Vorgehen gegen jene Flüchtlinge, die libysche Lager vermeiden wollen: „Fast alle der mehr als zwei Dutzend Überlebenden, mit denen die Nachrichtenagentur ap sprach, berichteten von Menschen in ihrer Gruppe, die einfach nicht weiterkonnten und in der Sahara verschwanden. „Da lagen tote Frauen, Männer“, sagt Janet Kamara, die während des Fußmarschs schwanger war. „Andere Menschen gingen in der Sahara verloren, weil sie den Weg nicht kannten.“ Mit ausdrucksloser Stimme berichtet sie von mindestens zwei Nächten in der Wüste unter freiem Himmel, bevor ihre Gruppe gerettet wurde. Sie habe das Zeitgefühl verloren. „Ich habe meinen Sohn verloren, mein Kind“, sagt die Liberianerin, die in Algerien Getränke und Lebensmittel verkaufte und im Mai ausgewiesen wurde. Ihr tot geborenes Baby begrub sie im Sand der Sahara. Bei einer weiteren Frau Anfang 20 hätten ebenfalls die Wehen eingesetzt, auch ihr Baby schaffte es nicht…“.
Zur politischen Reaktion auf diese Entwicklungen und Ereignisse
„Wehret den Anfängen! Keine „Roma-Dateien“ – weder in Italien noch in einem anderen europäischen Land“ am 19. Juni 2018 bei den Datenschützern Rhein Main – auch zu dem Thema, dass es in Wirklichkeit alle reaktionären Maßnahmen (und Absichten) niemals in nur einem der Festungsländer gegeben hat: „Das Internet-Magazin der Zeitschrift dROMa des österreichischen Vereins Roma-Service setzt sich in dem Beitrag Anmerkungen zu Italiens Roma-Register mit den Ankündigungen des italienischen Innenministers Salvini auseinander, eine „Zählung“ von in Italien lebenden Sinti und Roma in Auftrag zu geben. Die Zeitschrift verweist in diesem Beitrag auf vergleichbare frühere Aktionen in Frankreich, Österreich und Schweden und auf eine vergleichbare Initiative, die bereits 2008 von einem anderen italienischen Innenminister geplant wurde. Die Ankündigungen des italienischen Innenministers Salvini sind nicht nur rassistisch und inhuman, sie verstoßen gegen Menschen- und Grundrechte und gegen die Europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO). Diese bestimmt in Art. 9 Abs. 1: “Die Verarbeitung personenbezogener Daten, aus denen die rassische und ethnische Herkunft… hervorgehen… ist untersagt.”
„Rechtes Europa ohne Rechte“ von Markus Drescher am 25. Juni 2018 in neues deutschland über den Zusammenhang zwischen rassistischem Festungsausbau und sozialer Reaktion (hier sei darauf verwiesen, dass in Ungarn, zur selben Zeit, als Hilfestellung für Flüchtlinge kriminalisiert wird, auch Obdachlosigkeit bestraft wird – nicht mehr „nur“ durch behördliches Vorgehen, wie etwa in der BRD, sondern eben per Gesetz), was entsprechende Überlegungen zur Gegenwehr mit sich bringen kann: „Nichts geschieht in der Europäischen Union derzeit so schnell, rigoros und praktisch einvernehmlich wie die Exekution von rechtsstaatlichen Prinzipien, Menschen- und Grundrechten. Dinge, die vor ein paar Jahren noch undenkbar waren, weil mit diesen unvereinbar, werden heute nach einem Sperrfeuer an rechter Stimmungsmache, Halbwahrheiten, handfesten Lügen und gezielten grenzverschiebenden Provokationen selbstverständlich diskutiert und umgesetzt. Durchaus mit der Zustimmung weiter Teile der europäischen Bevölkerung – schließlich hat die mit ihrer Wahlentscheidung für Rechtspopulisten und Neofaschisten selbst die Richtung vorgegeben: gegen Flüchtlinge, egal wie. Doch ist der Punkt Flüchtlingsabwehr erst einmal abgehakt, ist noch lange nicht Schluss. Wer Nazis und Halbnazis an die Macht bringt, bekommt das volle Programm. Das weit mehr grundlegende Umwälzungen vorsieht und schlussendlich darauf abzielt, die heutige demokratische Ordnung, ein Europa der Zusammenarbeit, die Gleichheit der europäischen Bürger und vor allem Recht und Gesetz außer Kraft zu setzen…“.
„Seehofer muss sich entschuldigen“ am 22. Juni 2018 beim Deutschen Journalistenverband wirft ein Schlaglicht auf eine weitere Folgerung der aktuellen Entwicklungen – wenn ein Minister dessen Amt einst, in der Urgeschichte (der BRD) als „Verfassungsminister“ bezeichnet worden war (war, auch wenn die Verfassung wahrlich nichts Besonderes ist, aber auch schnell vorbei) die Presse attackiert (und damit sicher nicht jene meint, die seine Ausscheidungen weiter transportieren): „Seehofer hatte gesagt: „Es gibt immer mehr Falschmeldungen. Die meisten Fake News werden in Deutschland produziert.“ DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall kontert: „Ausgerechnet der Minister, der kraft seines Amtes die Grundwerte der Verfassung schützen soll, stellt die Pressefreiheit auf den Kopf, indem er uns Journalisten vorsätzliche Falschmeldungen unterstellt – unglaublich!“ Der DJV-Vorsitzende räumt ein, dass Journalistinnen und Journalisten Fehler machten: „Wir sind Menschen und keine Maschinen, da kann auch mal was schief gehen.“ Aber Seehofer behaupte, dass Journalisten mit Absicht die Unwahrheit berichteten: „Damit stellt er sich in eine Reihe mit Donald Trump und anderen Populisten.“ Das sei eines Bundesinnenministers unwürdig. Er erwarte eine Entschuldigung von Horst Seehofer…“ – kann er vermutlich lange warten, aber eben: Auch ein demokratisches Thema im Zusammenhang.
„Abschrecken und abschieben“ von Carolin Wiedemann in analyse & kritik 639 vom 19. Juni 2018 zur Notwendigkeit von Protesten: „Auch Menschenrechtsorganisationen kritisieren die alte Dublin-Verordnung seit Jahren. Sie ist ungerecht und widersprüchlich zugleich und geht vor allem auf das Bestreben zentral gelegener europäischer Staaten wie Deutschland und Frankreich zurück, Asylsuchende fern zu halten oder sie wieder nach Italien und Bulgarien abschieben zu können. Dass auch die Bundesregierung die europäische Asylregel seit ein paar Jahren reformieren will, liegt weniger an der Kritik von NGOs, sondern daran, dass sie nie wirklich funktioniert hat. Die Menschen reisen trotz der Kontrollen weiter – nach Deutschland oder in die skandinavischen Länder, etwa weil sie dort bereits Familienangehörige haben oder weil sie in den Ländern ihrer Ankunft in Europa keine Arbeit finden, keinerlei finanzielle Unterstützung erhalten und rassistischen Angriffen ausgesetzt sind. (…) Der Bundesregierung kommt es gerade recht, dass die Kommission mit dem GEAS nun »Anreize zum Weiterwandern« reduzieren und Sanktionen gegen diejenigen verhängen will, die es dennoch tun. Sie unterstützt den Vorstoß, die Bedingungen für Asylsuchende in den Mitgliedstaaten anzugleichen. Schließlich passt er genau in ihre Linie: Innenminister Horst Seehofer setzt mit der Planung von Ankunfts-, Entscheidungs- und Rückführungszentren, die den zynischen Namen Anker-Zentren tragen, bereits auf Abschreckung, darauf, dass bloß keine geflüchtete Person, die in einem Hotspot auf einer griechischen Insel mit anderen Menschen auf engstem Raum zusammengepfercht lebt, mehr auf die Idee käme, in Deutschland könne es besser sein. Das Prinzip der Hotspots und Ankerzentren, also die Konzentration und Einsperrung in Lagern, sind zentraler Bestandteil des Kommissionsvorschlags. Wenn es nach der EU-Kommission geht — und das Europäische Parlament hat bislang nur minimale Änderungen vorgeschlagen –, dann läuft es in Zukunft für Asylsuchende in Europa so: Diejenigen, die es trotz der neu aufgerüsteten EU-Grenzschutzpolizei Frontex auf das europäische Festland schaffen, werden dort sogleich erstregistriert. Dabei wird geprüft, ob sie nicht vielleicht über einen sicheren Drittstaat gereist sind, etwa durch ein nordafrikanisches Land. Falls ja, müssen die Menschen direkt wieder dorthin zurück, ohne dass sie überhaupt Zugang zum Asylverfahren bekommen. Eine individuelle Prüfung, die ihnen laut dem Grundgesetz zusteht, kann damit nicht mehr stattfinden.(…) Die Asylrechtsverschärfungen der letzten Jahre gingen in Deutschland alle in die gleiche Richtung: Sie zielten auf die schrittweise Aushöhlung humanitärer Standards wie die der Genfer Flüchtlingskonvention und des deutschen Grundrechts auf individuelle Asylverfahren. Der Vorschlag für die Dublin-Reform, für das GEAS, das europäische Asylrecht, vervollständigt das Vorhaben — und es gibt keinen lauten Protest dagegen…“. Womit auch ein weiterer Punkt praktischer Möglichkeiten angesprochen wäre….
Und, nicht überflüssig, immer wieder daran zu erinnern: „Karl Liebknecht: Was bedeuten Grenzen?“ hier am 29. April 2018 bei marx21.de , aber auch an vielen anderen Orten zu finden: „Gen. Liebknecht machte hierauf den Zuhörern verständlich, wie lächerlich die Grenzen sind. Was bedeuten Grenzen? Was sind Grenzen? Was bezwecken Grenzen? Vorgestern in Berlin, gestern über Rheinland und Westfalen in Belgien, in Lüttich und Charleroi, heute im großen industriellen Viertel bei Valenciennes; überall und überall arme Arbeiter, die mühsam um ihr tägliches Brot kämpfen gegenüber einer Handvoll reicher Ausbeuter, die über Millionen und Millionen verfügen. Wir Arbeiter haben keine Grenzen nötig; diese dienen nur gewissen Schichten jedes Landes, denen alle Mittel gut genug sind, die Völker zu verhetzen. Wenn wir dem Chauvinismus erfolgreich entgegentreten wollen, dann gibt’s vor allen Dingen das eine Mittel: die Arbeiterorganisation. Es muß dahin gearbeitet werden, daß die Arbeiter aller Länder ihren Willen dank ihrer Einigkeit durchsetzen und durch ihre Macht, die sie in der Tat besitzen, alles niederwerfen, was sich der Emanzipation der Arbeiterklasse und dem Vormarsch zur Gründung der Vereinigten Staaten Europas widersetzt…“.