Migration und wachsende militärische Grenzschutzindustrie: Europa steht an einem Scheidepunkt
„… Die jüngsten Entwicklungen in drei Gegenden Europas legen nahe, dass Regierungen zur Absicherung ihrer Grenzen eine weitere Sufe der Gewalt erklimmen. Diese Entwicklungen sind an sich schon gefährlich. Doch sie setzen darüber darüber hinaus auch beunruhigende Präzedenzfälle: dafür, wie Länder in reichen Teilen der Welt mit zukünftigen Fluchtbewegungen umgehen werden (…) Es [Pushbacks] ist eine Generalprobe dafür, wie unsere Regierungen mit den Auswirkungen der Klimakrise in den kommenden Jahren umgehen. (…) Reichere Teile der Welt haben bereits begonnen, ihre Grenzen militärisch aufzurüsten. Ein Prozess, der sich angesichts der Flüchtlingsbewegungen im vergangenen Jahrzehnt beschleunigt hat. Unterstützt werden sie dabei von einer wachsenden Grenzschutzindustrie…“ Artikel von Daniel Trilling in der Übersetzung von Carola Torti vom 11. November 2021 im Freitag online und dazu:
- Wer profitiert von der militarisierten „Festung Europa“ gegen Flüchtende? Das EU-Grenzregime wird von Rüstungsunternehmen forciert
„Das Migrations- und Grenzregime der Europäischen Union militarisiert sich zunehmend. Die jüngste Entwicklung bei dem Versuch, den reichsten Kontinent der Welt weiter abzuschotten, ist, dass man ein Netz von Auffanglagern für Flüchtlinge und Migranten anvisiert. Dabei soll enger mit afrikanischen Ländern zusammengearbeitet werden, um gegen Asylsuchende vorzugehen. (…) Dabei kooperiert man mit Rüstungskonzernen, Sicherheitsdiensten und ausländischen Partner, was jedoch die Migrationskrisen nicht löst, sondern nur weitere Gewalt erzeugt und Menschenrechte sowie demokratische Standards in Europa aushöhlt. Ein aktuelles Beispiel für diesen Trend ist ein Plan, den der französische Innenminister Gérald Darmanin im Februar vorstellte. Darin geht es um eine großangelegte Militäroperation gegen Migranten auf der Inselkette Mayotte im Indischen Ozean, ein Übersee-Département und eine Region Frankreichs, wo sich zudem ein großer französischer Marinestützpunkt befindet. (…) Den Trend zur Militarisierung der europäischen Migrationskontrolle ist von Rüstungs- und Sicherheitsunternehmen in den letzten Jahrzehnten forciert worden. Während die Verteidigungsbudgets nach dem Ende des Kalten Kriegs in den europäischen Ländern schrumpften, wurde Migration zur großen neuen Bedrohung der nationalen Sicherheit erhoben. Das Ganze bekam einen Booster nach den Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und dem folgenden „Anti-Terror-Krieg“ im Nahen Osten und Afrika. Militärfirmen berieten die Europäische Kommission, gründeten 2004 die Europäische Verteidigungsagentur und veröffentlichten Studien, die Migration als große Gefahr ins Visier nahmen, die nur durch mehr Militärausgaben eingedämmt werden könne. Das führte so weit, dass befürchtet wurde, die Politik werde durch Konzerne, den militärisch-industriellen Komplex, gelenkt. Zwischen 2003 bis 2013 leiteten Waffenhersteller mindestens 39 europäische Forschungsprojekte, die auf Migration fokussierten. (…) Auch die physische Infrastruktur zur Abwehr von Schutzsuchenden ist ein lukratives Geschäft. Seit den 1990er-Jahren haben die europäischen Länder über 1.000 Kilometer Grenzzäune errichtet – das entspricht sechs Berliner Mauern. Ausgestattet werden die Grenzsicherungen mit Wärmebildkameras, Sensoren und Satelliten. (…) Währenddessen werden die Leichname von Hilfesuchenden an europäische Strände gespült. Seit 2014 seien, so der UN-Menschenrechtskommissar Volker Türk, über 26.000 Menschen bei der Überquerung des Mittelmeers ums Leben gekommen oder verschollen. Das ist sicherlich eine deutliche Unterschätzung des wahren Dramas. Das gut recherchierende Projekt „Migrant Files“ geht davon aus, dass von 2004 bis 2019 bis zu 80.000 Flüchtende allein im Meer gestorben sind. Dazu käme noch einmal mindestens die gleiche Opferzahl in Folge von Verdursten, Verhungern und Ermordungen. (…) Solange die Verantwortlichen weiter auf militarisiertes Abwehr-Chaos setzen und gegenüber der eigenen Bevölkerung Schutzsuchende als Gefahr porträtieren – und das über ganz Europa hinweg –, werden Menschen- und Schutzrechte an den Grenzen mit Füßen getreten, während sich die politische Erosion der Demokratie in europäischen Ländern fortsetzt. Die Gewinner sind Rüstungsunternehmen, Sicherheitsdienstleister und die extreme Rechte in den EU-Staaten.“ Beitrag von David Goeßmann vom 4. März 2024 in Telepolis
Siehe auch unser Dossier: Neue Frontex-Verordnung: Aufrüstung der Festung Europa