Corona-Epidemie: Humanitäre Programme zur Flüchtlingsaufnahme ausgesetzt
Dossier
„Die Corona-Krise hat auch Auswirkungen auf die deutsche und europäische Flüchtlingspolitik. Weil die Grenzen geschlossen sind, liegen humanitäre Programme auf Eis. Die Aufnahme von Kindern aus Griechenland soll aber trotzdem gelingen. Hilfswerke warnen: Coronavirus könnte griechische Camps erreichen. Wegen der Ausbreitung des Coronavirus setzt Deutschland die humanitären Programme zur Flüchtlingsaufnahme bis auf weiteres aus. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums bestätigte am Mittwoch einen entsprechenden Bericht der Funke-Mediengruppe. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) sei angewiesen worden, die Verfahren auszusetzen, sagte er. Dies gelte aber nicht für die Bemühungen, minderjährige Flüchtlinge von den griechischen Inseln auf EU-Länder zu verteilen. Faktisch seien die deutschen humanitären Aufnahmeverfahren wegen Reise- und anderer Beschränkungen seit Freitag zum Erliegen gekommen, sagte der Sprecher. Alle Bamf-Mitarbeiter im Ausland seien zurückgeholt worden. Die Verfahren sollen wieder aufgenommen werden, sobald dies möglich sei…“ Beitrag vom 19.03.2020 beim Migazin (im Abo), siehe dazu:
- Frist für Abschiebung: Deutschland verstößt gegen EU-Recht
„Das BAMF nutzt die Corona-Pandemie, um die Frist für Dublin-Abschiebungen von Geflüchteten zu verlängern. Diese Praxis verstößt allerdings EU-Recht und belastet Verwaltungsgerichte wie Geflüchtete unnötig. Die Europäische Union richtet sich bei der Aufnahme von Geflüchteten nach der Dublin-III-Verordnung. Diese regelt: Asylsuchende können innerhalb von sechs Monaten in den Mitgliedsstaat abgeschoben werden, den sie zuerst betreten haben. Eigentlich dürfen die Geflüchteten nach Ablauf dieser Frist das Asylverfahren am aktuellen Ort durchlaufen. Doch um diese Frist gibt es seit Monaten Streit. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) verlängert die Frist bei einem Großteil der „Dublin-Fälle“ wegen der Corona-Pandemie. Die Fristverlängerung versetzt die Geflüchteten in Angst und Unsicherheit…“ Artikel von Hendrik Lammers vom 24.09.2020 beim Migazin - Evakuierung geretteter Bootsflüchtlinge: Viele Monate statt weniger Wochen
„Berlin braucht zu lange, um gerettete Bootsflüchtlinge nach Deutschland zu bringen. Sie verharren unter unwürdigen Bedingungen in Italien und Malta. Deutschland lässt sich Zeit: In Fällen, in denen die Bundesregierung zugesichert hat, im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge aufzunehmen, dauert es im Schnitt zwei bis neun Monate, bis diese tatsächlich hier ankommen – wenn sie nicht noch immer darauf warten. Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken-Bundestagsabgeordneten Ulla Jelpke hervor. „Die deutschen Behörden müssen ihre Verzögerungstaktik schleunigst beenden!“, fordert sie. Eigentlich ist im sogenannten Malta-Abkommen vom September 2019 festgelegt, dass die Bundesregierung einen Anteil der Geretteten aus dem Mittelmeer innerhalb von vier Wochen nach Deutschland bringt. Dadurch, dass ein Teil der Flüchtlinge ausgeflogen und ihre Asylansprüche in Deutschland und dem Mitunterzeichner-Land Frankreich geprüft werden, sollten sogenannte Stand-offs beendet werden: Die Mittelmeerstaaten Italien und Malta fürchten, mit den Flüchtlingen alleingelassen zu werden, und verweigern privaten Rettungsschiffen deshalb oft die Anlegeerlaubnis. Immer wieder hatten Rettungschiffe teils wochenlang auf dem Mittelmeer warten müssen; an Bord unternahmen verzweifelte Flüchtlinge mitunter Suizidversuche. Mit dem im Malta-Abkommen verankerten temporären Verteilungsmechanismus sollten solche Szenen der Vergangenheit angehören. Nur scheint sich Deutschland nicht an die zeitlichen Vorgaben des Abkommens zu halten. Die Bundesregierung verweist auf die Coronapandemie, die „zu einer deutlichen Verzögerung der Einreisen“ geführt habe. Aus ihrer Antwort auf Jelpkes Anfrage geht aber auch hervor, dass im gesamten Zeitraum seit September 2019 die Wartezeiten zwar schwankten, aber nie unter durchschnittlich zwei (Malta) und drei (Italien) Monate sanken. Auch vor der Coronakrise ab Februar 2020 mussten die Geretteten im Schnitt also mindestens doppelt so lange warten wie vorgesehen…“ Artikel von Frederik Eikmanns vom 18.9.2020 in der taz online - Zuspitzung der humanitären Lage im Mittelmeer
„… Hilfsorganisationen haben vor einer Zuspitzung der humanitären Lage im Mittelmeer gewarnt. »Obwohl in den letzten Wochen mehr Menschen versuchten, in seeuntauglichen Booten aus Libyen zu fliehen, sind inzwischen fast alle aktiven Seenotrettungsschiffe wegen angeblicher Sicherheitsmängel in Italien festgesetzt oder werden mit nicht erfüllbaren Auflagen am Einsatz gehindert«, heißt es in einer am Dienstag veröffentlichten Erklärung von SOS Méditerranée, Sea-Eye und Sea-Watch: »Somit ist derzeit kein ziviles Seenotrettungsschiff im Mittelmeer im Einsatz.« Alleine in den vergangenen acht Wochen hätten die zivilen Aufklärungsflugzeuge von Sea-Watch im zentralen Mittelmeer mehr als 2.100 Personen in Seenot dokumentiert, erklärten die Hilfsorganisationen. »In vielen dieser Fälle wurden die Menschen durch die sogenannte libysche Küstenwache völkerrechtswidrig nach Libyen zurückgebracht.« Die europäischen Rettungsleitstellen seien ihrer Verpflichtung, Seenotfälle zu koordinieren und den Überlebenden einen sicheren Hafen zuzuweisen, wiederholt nicht nachgekommen: »Dabei haben europäische Behörden billigend in Kauf genommen, dass hunderte Menschen in den letzten Monaten auf dem Mittelmeer ertrunken sind.« Meldung vom 4. August 2020 in neues Deutschland online - [Rückkehr zur schlechten „Normalität“] Seehofer kündigt Wiederbeginn humanitärer Aufnahmen an
„Mit dem Ende der Reisebeschränkungen will Innenminister Seehofer auch wieder Flüchtlinge aus anderen EU-Ländern aufnehmen. Aus Griechenland sollen 243 Kinder mit Angehörigen kommen, aus Italien und Malta 160 aus Seenot gerettete Migranten. (…) Darüber hinaus hat Seehofer nach eigenen Worten Italien und Malta angeboten, jeweils 80 aus Seenot gerettete Migranten zu übernehmen. Die Aufnahmen werden jeweils „Ende Juni, Juli“ erfolgen, sagte der Innenminister, ohne konkrete Daten zu nennen. Seehofer betonte am Mittwoch auch erneut seinen Wunsch nach mehr Solidarität unter den EU-Ländern. Während sich bei der Aufnahme aus Griechenland rund ein Dutzend anderer Staaten beteilige, sei es bei der Aufnahme der aus Seenot Geretteten „allenfalls ein halbes Dutzend“. Während der Corona-Pandemie war die Seenotrettung privater Organisationen im Mittelmeer zum Erliegen gekommen…“ epd-Meldung vom 10.06.2020 - Bundesinnenminister gegen erleichterte Aufnahme von Geflüchteten
„Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) will den Bundesländern keine zusätzlichen Kompetenzen bei der Aufnahme von Geflüchteten zubilligen. Seehofer wies damit einen entsprechenden Vorstoß seines Berliner Amtskollegen Andreas Geisel (SPD) zurück, wie der Spiegel am Mittwoch berichtete. Geisel plädierte zuvor in einem Schreiben an Seehofer für eine Gesetzesänderung, durch die auf Länderebene leichter Geflüchtete aufgenommen werden können – beispielsweise aus den völlig überfüllten Lagern in Griechenland. In seiner dem Spiegel vorliegenden Antwort vom 7. Mai verweise der Bundesinnenminister darauf, dass die Aufnahme der Kinder und Jugendlichen durch die »Humanitäre Klausel« in der sogenannten Dublin-III-Verordnung erfolgte, mit dem Ziel eines »ergebnisoffenen« Asylverfahrens in der Bundesrepublik. Auf Anfrage des Magazins sei Geisel bei seiner Forderung geblieben. Ursprünglich wollte er das Vorhaben einer Gesetzesänderung in der nächsten Bundesratssitzung Anfang Juni auf die Tagesordnung setzen lassen.“ Meldung der jungen Welt vom 27. Mai 2020
Siehe auch:
- Dossier: Flüchtlingspolitische Maßnahmen angesichts der Corona-Pandemie: Abschiebungen aussetzen, Duldungen verlängern, Dezentrale Unterbringung…
- Dossier: Lasst sie ertrinken! Wegen Coronagefahr: Das Bundesinnenministerium bittet in einem Schreiben private Seenotretter, ihre Arbeit im Mittelmeer einzustellen
- Dossier: UN verurteilt Zurückdrängen von Flüchtlingsbooten und Aussetzung der Seenotrettung