Zynischer Plan: Flüchtlinge als (Mindest)Lohnbrecher?

Dossier

7,50 Mindestlohn? 3,50 reicht fürs Pack!„… Auch wenn die Horrorszenarien allesamt nicht wahr geworden sind, hält das die Kapitalseite nicht davon ab, den Mindestlohn weiter unter Beschuss zu nehmen. Das hat schließlich auch bisher schon gut geklappt: Die Ausnahmen haben die Mindestlohnregelung in einen löchrigen Käse verwandelt, die Kontrollen sind unzureichend, die Vorgaben zum Beispiel für die Erfassung der Arbeitszeiten lasch. Dieser Erfolg motiviert: Die Unternehmer und ihre medialen Lautsprecher nutzen jede Gelegenheit, um eine weitere Zerfaserung der Lohnuntergrenze zu erreichen – so auch die Debatte um den Umgang mit der wachsenden Zahl von Flüchtlingen. Wie stets vorne dabei: der Chef des ifo-Instituts, Hans-Werner Sinn. »Um die neuen Arbeitskräfte in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren, wird man den gesetzlichen Mindestlohn senken müssen«, erklärte er kürzlich in der Wirtschaftswoche. Und der Hauptgeschäftsführer des Deutsche Landkreistages, Hans-Günter Henneke, forderte in der Rheinischen Post, »für einen Zeitraum von zumindest drei Monaten die Beschäftigung von Asylbewerbern auch zu einem Entgelt unterhalb des Mindestlohns« zu ermöglichen…“ Artikel von Daniel Behruzi in junge Welt vom 16.09.2015 externer Link. Siehe dazu auch im LabourNet Los geht`s mit dem erwünschten Wettbewerb: Flüchtlinge und Hartz-IV-Bezieher um Niedriglöhne und hier:

  • Gibt es negative Lohneffekte durch Zuwanderung? New
    Dass von Seiten der AfD die Ursachen für negative Lohneffekte auf die Zuwanderer geschoben werden, kann nicht überraschen. Der Tritt nach unten, statt nach oben, ist dort Konsens. Wahrscheinlich auch deshalb war für die Macher*innen der Anstalt am 25. September die Frage der Lohnkonkurrenz Anlass eines Beitrags, in dem sie einen negativen Effekt auf die Löhne durch Zuwanderung verneinten. (…) Was die Studien über die Auswirkung von Zuwanderung (die Folgen der Abwanderung aus Deutschland werden übrigens meist vernachlässigt) mehr oder weniger adäquat wiedergeben, ist vor allem das Verhältnis von Arbeit und Kapital – im Land. Und es sollte eine Binsenweisheit für Linke sein, dass das Gegenmittel zur Lohnkonkurrenz und Konkurrenz um den Arbeitsplatz nur Solidarität sein kann. Jede Pauschalisierung von Zuwander*innen als Bedrohung der Löhne ist Diskriminierung – oder harmloser ausgedrückt: Übernahme kapitalistischer Ideologie. Denn was ist die ganze Problematisierung einer „Flüchtlingskrise“ anders als auch ein Spaltungsversuch des Kapitals? Wer durch Zuwanderung negative Lohneffekte unterstellt, bei dem verschwimmt nicht nur jede klare Unterscheidbarkeit zur AfD-Ideologie. Er macht auch das, was auch dem Kapital sehr entgegenkommt: Ablenkung von den Auseinandersetzungen, die im Land endlich geführt werden müssen – eben auch mit Immigranten und für Immigranten.“ Debattenbeitrag von Armin Kammrad vom 9. Oktober 2018  – wir danken!
  • Drücken Flüchtlinge die Löhne? [eine Antwort aus Unternehmersicht] New
    „Die Löhne sinken, weil viele Geflüchtete auf dem Arbeitsmarkt ankommen – diese Behauptung hört man immer wieder.“ Carsten Janke vom Mediendienst hat am 2. Oktober 2018 den Ökonomen Herbert Brücker gefragt externer Link, was die Forschung dazu sagt: „… Generell gilt: Wenn sich das Arbeitsangebot durch Zuwanderung ausweitet, bedeutet das nicht, dass die Löhne fallen. Denn mehr verfügbare Arbeitskräfte führen dazu, dass mehr investiert wird und die Wirtschaft wachsen kann. Die Kapital- und Gütermärkte passen sich an und das führt zumindest langfristig dazu, dass das Verhältnis von Kapital zu Arbeit und die Faktorpreise, also Löhne und Kapitalrenditen, gesamtwirtschaftlich konstant bleiben. Der zweite Grund ist, dass Geflüchtete selten mit Deutschen um dieselben Jobs konkurrieren. Salopp gesagt, arbeiten Neuzuwanderer eher im Schnellimbiss an der Ecke als an der Kasse im Supermarkt. Für letzteres braucht man nämlich gute Deutschkenntnisse, so dass dort eher deutsche Geringqualifizierte zum Zug kommen. Weniger salopp ausgedrückt: Der deutsche Arbeitsmarkt ist sehr stark zwischen Deutschen und Migranten segmentiert, so dass beide Gruppen wenig konkurrieren. (…) Wir haben berechnet, dass inzwischen 28 Prozent der Menschen, die seit 2015 aus den wichtigsten Asyl-Herkunftsländern zu uns gekommen sind, einen Job gefunden haben. Bis Ende des Jahres dürfte es gut jeder Dritte sein. Seit 2015 haben 215.000 Personen eine Beschäftigung gefunden, die aus den wichtigsten Asylherkunftsländern kommen. Im Verhältnis zu den 36 Millionen abhängig Beschäftigten in Deutschland ist das ein gutes halbes Prozent. Das dürfte weder zu sinkenden Löhnen führen noch zu einer spürbar gestiegenen Konkurrenz um Arbeitsplätze.“ (Prof. Herbert Brücker ist Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) an der Humboldt-Universität und Forschungsbereichtsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in Nürnberg.) – Was vor allem statt Ausgrenzung zu mehr gewerkschaftlicher Solidarität mit den hier arbeitenden Migranten führen sollte…
  • Solidarität aus Eigennutz: Der Heppenheimer Hiob über den Wert der Arbeit im System der Arbeitsteilung
    Nun also mal wieder der Mindestlohn. Besser gesagt geht es mal wieder um ein Hintertürchen, um diesen zu umgehen. Ein neuer Versuch, ihn via Geflüchtete wenigstens partiell auszuhebeln. Bei solchen Geflüchteten nämlich, die sich in ihrer Qualifikation nachschulen lassen müssen. Weil ihnen eine gewisse Anerkennung fehlt, nicht unbedingt Geschick oder volle Einsatzbereitschaft. Ein Papier dreier Bundesministerien bestätigte nun: Diesen Leuten muss man die ohnehin mageren 8,84 Euro in der Stunde nicht gewähren. Weil sie halt so eine spezielle Form von Praktikanten oder Azubis sind. (…) Der Mindestwert von Arbeit wurde nun auf 8,84 Euro taxiert. Das ist der Standard. Alles was man darunter zulässt, führt zu einer Schwächung des Wertes, den Werktätige Tag für Tag als ihr Äquivalent feilbieten. Und wenn man das einreißen lässt an einer Stelle, wenn man Schlupflöcher genehmigt, gibt man denen, die die menschliche Arbeitskraft für ihre Zwecke engagieren, eine Form von Legitimität, diesen Wert an sich zu verheizen. Zumal die Mindestlohnkontrollen ohnehin Seltenheitswert haben…“ Blog von Roberto J. De Lapuente vom 12. Januar 2017 bei neues Deutschland externer Link
  • Bundesregierung plant Ausnahmen für Flüchtlinge beim Mindestlohn
    „Die Bundesregierung erwägt Abweichungen vom Mindestlohn für Flüchtlinge und Zuwanderer, die sich nachqualifizieren müssen. Währenddessen sei ihre Arbeit wie ein Pflichtpraktikum zu werten und fiele damit „nicht unter die Mindestlohnpflicht“. Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) ist gegen Sonderregeln für Flüchtlinge. (…) Die BDA hat aber stets dafür plädiert, Einheimische genauso wie Zuwanderer in Ausnahmefällen vom Mindestlohn auszunehmen, zum Beispiel bei längeren Praktika, die notwendig sind, um fit für eine Ausbildung zu sein. Die drei Ministerien kommen nun mit ihrer Auslegung der BDA entgegen. In ihrem Papier werden mehrere Beispiele genannt, wann der Mindestlohn nicht gelten soll…“ Beitrag von Thomas Öchsner vom 2. Januar 2017 bei der Süddeutschen Zeitung online externer Link. Siehe dazu auch den DGB:

    • Mindestlohn und Flüchtlinge: DGB warnt vor Mindestlohn-Ausnahmen für Flüchtlinge
      „Die Bundesregierung will offenbar Abweichungen vom gesetzlichen Mindestlohn für Geflüchtete und Zugewanderte zulassen, die sich nachqualifizieren müssen. DGB-Vorstand Stefan Körzell warnt: Schon jetzt würden Unternehmen „Flüchtlinge, die sich mit ihren Rechten noch nicht auskennen, als billige Arbeitskräfte ausnutzen“, sagte er der Süddeutschen Zeitung…“ Stellungnahme des DGB-Bundesvorstandes vom 2. Januar 2017 externer Link
  • Unternehmer für noch mehr Ausnahmen beim Mindestlohn
    Das nennt man Zusammenspiel: Kaum hat die CDU angekündigt, ein Papier mit der Forderung vorzulegen, Flüchtlinge sechs Monate lang vom Mindestlohn auszunehmen, nimmt die Konzernlobby den Ball auf – und verlangt noch mehr Einschränkungen: So soll nach dem Willen eines Sprechers der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände »allen Menschen, die es am Arbeitsmarkt besonders schwer haben«, der Mindestlohn vorenthalten werden – und zwar für zwölf Monate. Die Konzernlobby formuliert das so: Man müsse diesen Menschen »eine von den strikten Bedingungen des Mindestlohngesetzes befreite Beschäftigung« ermöglichen…“ Meldung vom 15.02.2016 bei Neues Deutschland online externer Link. Siehe dazu

    • Bsirske: CDU-Vorstoß „verheerendes Signal“ Keinen Graben im Niedriglohnbereich aufreißen
      Der Vorsitzende der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) Frank Bsirske hat die CDU davor gewarnt, „einen tiefen Graben zwischen den Menschen im Niedriglohnbereich und den Flüchtlingen aufzureißen“. Der Vorschlag, Flüchtlinge vom Mindestlohn auszunehmen, mache sie wider Willen zu Lohndrückern und spiele sie gegen andere aus, die eine Beschäftigung im Niedriglohnbereich hätten und anstrebten…“ ver.di-PM vom 15.02.2016 externer Link
    • Ähnlich die IG BAU in der PM vom 15.02.2016 (noch nicht online): CDU-Maßnahmenpaket zur Integration – Ausnahmen vom Mindestlohn diskriminieren Geflüchtete
  • Mindestlohn und “Flüchtlingskrise”: Das deutsche Kapital pocht auf Dumpinglöhne
    Was steckt hinter den unterschiedlichen Vorschlägen von Arbeitgeberseite? Und wie gehen die Gewerkschaften damit um?
    Seit inzwischen Monaten dominiert die Ankunft von hunderttausenden Flüchtlingen die politischen Debatten der Bundesrepublik. Ein Großteil dieser Krise ist hausgemacht. Doch auf der Grundlage der behaupteten Überforderung kann jeden Tag eine neue Sau durchs Dorf gejagt werden. Dies wird unter anderem auch von unternehmerfreundlichen Experten genutzt, um bei Sozial- und Lohnstandards die Schraube anzuziehen. (…) Was wäre das zu befürchtende Resultat einer Allianz zwischen BDA und Gewerkschaften gegen die Scharfmacher? Wohl einer dieser für die Beschäftigten schlechten Kompromisse: Die Aufrechterhaltung des Status quo für einheimische Arbeitnehmer, nicht ganz so drastische Ausnahmeregelungungen für Flüchtlinge. Aber von Gewerkschaftsseite aus der Verzicht, um Erhöhung und Abschaffung der Ausnahmen beim Mindestlohn zu kämpfen. (…) Wenn wir also fragen, wer für die Kosten zahlt, dann ist das keine Vorbereitung darauf, Obergrenzen oder weitere Verschärfungen des Asylrechts zu fordern – wie das alle möglichen Personen und Institutionen seit einigen Wochen in immer schrilleren Tönen tun – sondern verweist darauf, dass sich die von Agenda 2010, Wohnungsnot und Erosion der Öffentlichen Dienste betroffenen Menschen bürgerliche Durchhalteparolen nicht leisten können. Wir müssen fragen: Schaffen wir es, die Reichen und Konzerne bezahlen zu lassen?.
    ..“ Artikel von Björn Kaczmarek vom 26. November 2015 bei lernenimkampf externer Link
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=86562
nach oben