Prüfsteine Gute Arbeit für Geflüchtete – auch für Geflüchtete aus der Ukraine – und warum diese Hilfen nötig sind
Dossier
„Die Prüfsteine für Gute Arbeit für geflüchteten Menschen aus der Ukraine hat das Beratungsnetzwerk Gute Arbeit zusammengestellt. Sie geben denjenigen die ehrenamtlich oder hauptberuflich geflüchtete Menschen bei der Arbeitsaufnahme begleiten, eine Orientierung mit dem Ziel, Risiken von Arbeitsausbeutung vorzubeugen. (…) Nach mehr als zehn Jahren Erfahrung in arbeitsrechtlicher Beratung von Zugewanderten sehen wir, dass die Wahrung arbeitsrechtlicher Mindeststandards allein in vielen Fällen nicht ausreichend vor ausbeuterischen Arbeitsverhältnissen schützt...“ Aus der Präambel der Prüfsteine des Beratungsnetzwerks Gute Arbeit , siehe weitere Hilfen und Belege ihrer Notwendigkeit:
- Das Geschäft mit ukrainischen Flüchtlingen: Ein Blick hinter die Fassade vermeintlicher Hilfsangebote – eine Reportage in 2 Teilen
- Teil 1: Wie die junge Ukrainerin Anastasiia von einem deutschen Unternehmer ausgebeutet wurde
„An einem Abend im Juli steht Anastasiia verloren auf einer Straße in Esslingen am Neckar. Sie will einfach nur weg. Deutschland hinter sich lassen und zu Menschen, die sie liebt. Mit der einen Hand hält sie ihren Koffer umklammert. Mit der anderen presst die 20-jährige Ukrainerin ihn fest zusammen, damit keine Kleidung herausfällt. Hinter ihr ein zweistöckiger Flachbau, in dem sie vier Wochen mit ihren zwei ukrainischen Kolleginnen gearbeitet und gelebt hat. Ihr bisheriger Arbeitgeber Maximilian H. hat sie gerade rausgeschmissen. (…) Für 92 Stunden Arbeit im vergangenen Monat soll er Anastasiia nur 300 Euro bezahlt haben, umgerechnet rund 3,30 Euro pro Stunde. 850 Euro weniger als ihr Maximilian H. versprochen hatte, sagt sie. Als sie sich beschwert, wird es dramatisch. „Maximilian H. schrie und schrie und schrie, dass wir verschwinden sollen“, erzählt Anastasiia über die Szenen kurz vor dem Rauswurf. Er habe gar nicht mehr aufgehört, zu schreien. Als sie sich vor ihm ins Schlafzimmer flüchtet, um sich schnell umzuziehen, macht er die Tür zu ihrem Zimmer einfach wieder auf. (…) Wir machen uns selbst ein Bild vor Ort und sprechen mit den Nachbarn. 2. November, 19 Uhr, gegenüber von Maximilian H.s Bäckerei in Esslingen. Ein Nachbar erzählt uns, er habe beobachtet, dass vor allem nachts in der Bäckerei gearbeitet worden sei, auch Frauenstimmen habe er gehört. (…) Und die Vermieterin verrät uns noch ein brisantes Detail: Für die gesamte Immobilie muss Maximilian H. im Monat 1100 Euro bezahlen, 1000 Euro Miete, 100 Euro Nebenkosten. Den Ukrainerinnen hingegen soll er später vom ohnehin niedrigen Lohn pro Kopf 600 Euro für die Miete abgezogen haben, so schreibt es Anastasiia in einer Nachricht an eine Beraterin von Faire Integration, die ihren Fall übernimmt. Am Ende bleiben Anastasiia damit 300 Euro übrig für 92 Stunden Arbeit…“ Reportage von Joana Lehner und Ekaterina Bodyagina vom 19. Dezember 2022 bei Business Insider online mit zahlreichen Material zum Fall - Teil 2: Wie Alexander Butenko aus der Ukraine illegale Jobs in Deutschland vermittelt
„… An einem Tag im Mai dieses Jahres läuft ein glatzköpfiger Mann mit blauer Regenjacke und eckiger Brille durch Dnipro, der viertgrößten Stadt der Ukraine. Vor ihm ein leerer Park, um ihn herum braune Plattenbauten, die an die Sowjetzeit erinnern. Nur 200 Kilometer südlich von ihm entfernt kontrollieren russische Soldaten Europas größtes Atomkraftwerk Saporischschja. Nördlich liegt die hart umkämpfte Region Charkiw. Der Mann heißt Alexander Butenko. Sein Geld verdient er mit dem Krieg und dem Leid seiner geflohenen Landsleute, hauptsächlich Frauen. Sie vermittelt er nach Deutschland in Schwarzarbeit. Gerade ist er dabei, ein neues Video für seine Instagram-Community aufzunehmen. „Was ist besser für Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen?“, fragt Butenko auf Russisch in die Kamera. „Für 380 Euro in einem Flüchtlingslager sitzen oder für 700 Euro in einer Familie arbeiten und zusätzlich 380 Euro bekommen?“ (…) Was er in diesem Video nicht verrät: Viele seiner Jobs sind illegal – ohne Verträge, ohne Sozialversicherungen, zu Löhnen unter dem gesetzlichen Mindestlohn. Interessenten müssen erst mehrere Hundert Euro Vermittlungsprovision für einen Job zahlen. (…) Wären Gehälter ab 2000 Euro brutto eigentlich üblich, sollen ukrainische Geflüchtete für 800 Euro im Monat schwerkranke, alte, russischsprachige Menschen pflegen. Oder für 1000 Euro als Nanny im Berliner Nobelviertel Wilmersdorf auf die Kinder russischsprachiger Familien aufpassen. (…) Daneben wirbt Butenko mit „einzigartigen Angeboten, speziell für Ukrainer“, bei denen Überstunden und Arbeit am Wochenende möglich seien. (…) Butenko ist längst nicht der Einzige, der Viber nutzt, um im Verborgenen ukrainische Geflüchtete für Jobs unter dem Mindestlohn anzuwerben….“ Reportage von Joana Lehner und EkatErina Bodyagina vom 19. Dezember 2022 bei Business Insider online mit zahlreichen Material
- Teil 1: Wie die junge Ukrainerin Anastasiia von einem deutschen Unternehmer ausgebeutet wurde
- Zwei neue Flyer der Servicestelle gegen Zwangsarbeit: Schutz vor Menschenhandel – Informationen für ankommende Menschen aus der Ukraine & Unterstützer*innen
„Die militärische Invasion Russlands dauert bereits über drei Monate an und hat viele Menschen dazu veranlasst, aus der Ukraine in die EU zu fliehen. Unter den Geflüchteten gibt es viele verletzliche Menschen, die besonders gefährdet sind, Opfer von Ausbeutung, Zwangsarbeit oder Menschenhandel zu werden. Laut des kürzlich erschienenen Rapid Assessment-Berichts von La Strada International und The Freedom Fund zählen hierzu in erster Linie Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen keinen Zugang zum vorübergehenden Schutz durch die EU haben (bspw. ohne ukrainische Staatsangehörigkeit oder Menschen, die sich aufgrund von Fehlinformationen nicht registrieren lassen möchten), aber auch Frauen und Mädchen, unbegleitete Kinder und bereits von Marginalisierung betroffene Gruppen, wie z.B. Roma, LGTBQI+, behinderte, ältere oder chronisch erkrankte Menschen.
Entlang der Fluchtrouten wurden bereits unseriöse Anwerbeversuche beobachtet. Menschen werden u. a. über Soziale Medien in ausbeuterische Arbeitsverhältnisse oder Zwangsarbeit gebracht. In der aktuellen Situation übernehmen private Unterstützungsstrukturen staatliche Aufgaben, wie Wohnungs- und auch Arbeitsangebote. Die private Unterstützung kann ein Risiko bergen, dass Menschen die Hilflosigkeit Geflüchteter ausnutzen und diese ausbeuten.
Viele ankommende Menschen möchten sich schnell aus der Hilflosigkeit lösen und suchen nach Möglichkeiten auf dem Arbeitsmarkt. Auch hier besteht die Gefahr, aufgrund noch fehlender Sprach- und Systemkenntnisse in Abhängigkeitsverhältnisse zu geraten und ausgebeutet zu werden. Um Personen vor Ausbeutung zu schützen, ist der Zugang zu Informationen und das Wissen über die eigenen Rechte und Beratungsangebote zentral.“ Die Servicestelle gegen Arbeitsausbeutung, Zwangsarbeit und Menschenhandel hat zwei neue Flyer erstellt:- SCHÜTZEN SIE SICH VOR MENSCHENHANDEL – Informationen für aus der Ukraine ankommende Menschen (auf Ukrainisch , Russisch , Deutsch und Englisch )
- SCHUTZ VOR MENSCHENHANDEL – INFORMATIONEN FÜR UNTERSTÜTZER*INNEN (auf Ukrainisch , Deutsch und Englisch )
Wie nötig diese Hilfen sind, wird auch an folgenden Beispielen Im LabourNet deutlich:
- Schwarzarbeit im Hotel: Geflüchtete aus der Ukraine als Reinigungskräfte ausgenutzt
- Wildwest auf Schienen: Lokführer aus der Ukraine werden nach Deutschland rekrutiert und hier unter geradezu ausbeuterischen Bedingungen eingesetzt
- Tönnies bietet ukrainischen Frauen in Polen Mitfahrten in Bussen an, wenn diese sich verpflichten, in den Tönnies-Werken zu arbeiten
- Menschenhandel: Ukrainische und polnische Arbeiter:innen werden in niederländischen Gewächshäusern ausgebeutet und mit Abschiebe-Androhung erpresst
- Und unser Dossier: Es sind zuerst Geflüchtete: Es ist jetzt nicht die Aufgabe von Ukrainer*innen, den deutschen Fachkräftemangel zu beheben