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Arbeiten: ja – Rechte: nein? Gegen Ausschluss und Kriminalisierung von EU-Bürger*innen – Existenzsichernde Leistungen für alle, die hier leben!
Dossier
„EU-Bürger*innen ohne deutschen Pass werden in Deutschland immer weiter von sozialen Rechten ausgeschlossen. In Notlagen haben sie oft keinen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen. Die Ausgrenzung fördert Verarmung, Obdachlosigkeit und prekäre Arbeitsverhältnisse. Auf wachsende Armut und verschärfte Ausbeutung reagieren Bund und Kommunen zunehmend kontroll- statt sozialpolitisch. Nun soll diese Entwicklung noch verschärft werden: 1) Ausschluss von sozialen Rechten: Das Bundesfinanzministerium möchte den Anspruch auf Kindergeld u. a. für EU-Bürger*innen, die nicht erwerbstätig sind, mit einem neuen Gesetz einschränken. Dies trifft vor allem diejenigen, die am meisten auf das Kindergeld angewiesen sind, wie z. B. alleinerziehende Frauen, und fördert Kinderarmut. 2) Vertreibung aus dem öffentlichen Raum: In vielen Städten werden Obdachlose in letzter Zeit vermehrt aus dem öffentlichen Raum vertrie- ben. Das neue Gesetz soll zudem ermöglichen, Menschen, die in Gruppen im öffentlichen Raum stehen, Platzverweise und Bußgelder zu erteilen, wenn Ihnen unterstellt wird, ihre Arbeitskraft für undokumentierte Arbeit anzubieten. Diese Vertreibungspolitik bekämpft die Mittellosen selbst, statt die Ursachen für deren Lage. Sie kann leicht von rassistischer Hetze vereinnahmt werden. 3) Generalverdacht: Die Bundesarbeitsagentur stellt EU-Bürger*innen, die Leistungen in Jobcentern beantragen, unter den Generalverdacht des Leistungsmissbrauchs. (…) 4) Der Fokus verschiebt sich von Sozial- zu Ordnungspolitik…“ Presseerklärung des Netzwerk „Europa in Bewegung“ vom 25.3.2019 bei ALSO, Arbeitslosenselbsthilfe Oldenburg e.V. , siehe auch den Aufruf zu Aktionstagen am 2.-5. April 2019 (zum mitzeichnen, wir haben bereits) und weitere Infos:
- Ein besonders gut ausgefüllter Antrag ist in den Augen der BA bereits verdächtig – Stellungnahme von 13 Dortmunder Organisationen
„Eine interne „Arbeitshilfe“ der Bundesagentur für Arbeit (BA) verdächtigt Zuwanderer aus Rumänien und Bulgarien pauschal des organisierten Leistungsmissbrauchs und hält die Mitarbeiter der Jobcenter zu besonders pingeliger Prüfung von Anträgen an. Die Absicht ist klar: Zugewanderte von Leistungsanträgen abzuschrecken. Seit anderthalb Jahren existiert eine unsägliche „Arbeitshilfe“ der Bundesagentur für Arbeit für Mitarbeiter*innen in den Jobcentern, die den Umgang mit Leistungsanträgen vor allem von BulgarInnen und RumänInnen regelt. Dieses Papier stellt u.E. eine neue Stufe von staatlichen Verdächtigungen und Diskriminierungen gegenüber einer Personengruppe dar, die in Deutschland eine lange und furchtbare Geschichte hat. Vor allem Sinti und Roma stehen im Fokus dieser amtlichen „Arbeitshilfe“. Sie werden pauschal des organisierten Leistungsmissbrauchs verdächtigt, was eine besonders sorgfältige Prüfung von Anträgen, der Lebensumstände des Antragstellers und – im Falle einer Leistungsbewilligung – auch später eine engmaschige Kontrolle rechtfertige. Die Liste möglicher Verdachtsmomente ist lang und enthält viele Absurditäten. So kann bereits ein besonders gut ausgefüllter Antrag ausreichen, einen Anfangsverdacht auf Leistungsmissbrauch zu begründen. Das Papier war nur für den internen Dienstgebrauch gedacht, wurde aber von verantwortungsvoll denkenden Kollegen in den Behörden „befreit“, sprich: geleakt, und ist seitdem ins Internet eingestellt. Unter folgender Adresse ist es aktuell zu finden: https://de.indymedia.org/node/30865
Auf Initiative des Sozialforums ist jetzt eine gemeinsame Stellungnahme von 13 Dortmunder Organisationen zustande gekommen, darunter viele, die sich ganz praktisch um die Integration von Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien bemühen. In der Erklärung fordern sie die Rücknahme der genannten Arbeitshilfe und stattdessen mehr Hilfen für Angehörige der beiden Volksgruppen. Adressaten der Erklärung sind Bundesarbeitsminister Heil und der Vorstand der Bundesagentur für Arbeit. Diese werden die Erklärung noch vor Weihnachten unter ihrer Post finden.“ Meldung bei SoFo DO und die gemeinsame Stellungnahme:- Erklärung zur Arbeitshilfe “Bekämpfung von organisiertem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger” für Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit
„Die genannte “Arbeitshilfe” ist “nur für den internen Dienstgebrauch” und richtet sich an die Jobcenter, die Leistungsanträge von Personen aus Rumänien und Bulgarien zu bearbeiten haben. Auch wenn sie „Arbeitshilfe“ genannt wird, kann sie durchaus als „Arbeitsanweisung“ ausgelegt und umgesetzt werden. Im Näheren werden durchgängig ALG-II Anträge von Roma und Sinti zugrunde gelegt. Ihnen wird pauschal der Versuch organisierten Leistungsmissbrauchs unterstellt. Implizit wird ein verdecktes Zusammenwirken mit an Gewinnen interessierten Unternehmern und Vermietern vermutet (Schwarzarbeit, Mietwucher). Zu den Anträgen wird in allen Belangen – Herkunft und Familienstand, Arbeitnehmerstatus oder Selbständigkeit, Wohnsituation – detailliert angewiesen, wie restriktiv sie zu bearbeiten sind. Ein Erfordernis zu besonderer Behandlung der Personengruppe wird nicht erläutert oder gar begründet und widerspricht in Geist und Ausführung der Verfassung und nationalen wie internationalen Regelwerken. Es muss interpretiert werden, dass die Roma und Sinti aus der EU hier von Amts wegen diskreditiert werden und nicht wie alle anderen Menschen vorurteilsfrei behandelt werden sollen. In dieser “Arbeitshilfe” geht es um politisches, soziales und kulturelles Abschrecken der diffamierten ethnischen Gruppe. (…) Wir fordern die Bundesagentur für Arbeit auf, diese “Arbeitshilfe” zurückzuziehen. Wir fordern das Bundesministerium für Arbeit und Soziales auf, die Bundesagentur anzuweisen, diese Arbeitshilfe zurückzuziehen. Stattdessen fordern wir, den Betreffenden mehr Hilfen bei den Antragstellungen und während des Leistungsbezugs anzubieten, um sie besser vor Schleppern, skrupellosen Miethaien und Schwarzarbeitsfirmen zu schützen, etwa bei der Wohnungssuche, der Arbeitssuche oder der Suche nach vertrauenswürdigen Dolmetschern.“ Erklärung von Sozialforum Dortmund u.a. von Ende Dezember 2019
- Erklärung zur Arbeitshilfe “Bekämpfung von organisiertem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger” für Jobcenter der Bundesagentur für Arbeit
- Geheimes Jobcenter-Papier „befreit“: „Ein besonders gut ausgefüllter Antrag ist ein Verdachtsmoment!“ Eine geleakte interne Arbeitshilfe der Jobcenter kriminalisiert zehntausende EU-Bürger*innen
„Es gibt sie noch, die solidarischen und ethisch verantwortungsvoll denkenden Kollegen und Kolleginnen im Jobcenter und bei der Arbeitsagentur. Trotzdem waren wir überrascht und erfreut zugleich, als im Laufe des vergangenen Jahres gleich mehrere Erwerbsloseninitiativen auf eine geheime Arbeitshilfe „Bekämpfung von organisiertem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger“ der Bundesagentur für Arbeit aufmerksam gemacht wurden, in dem in unsäglicher Weise gehetzt wird gegen zugewanderte Menschen vor allem aus Südosteuropa. Diese Anleitung zur Verfolgung und zum Verhungern lassen ist jetzt der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden, am Montag gab es eine Pressekonferenz dazu. Das Papier erinnert fatal an die ersten Jahre mit Hartz IV, als Minister Clement 2006 von einer „Missbrauchsquote von 20 bis 25%“ sprach und Jagdanleitungen mit dem Titel „Empfehlungen zur Vermeidung und Aufdeckung Ungerechtfertigten Leistungsbezuges von Praktikern für die Praxis“ erschienen. Jetzt stellt die Bundesarbeitsagentur EU-Bürger*innen, die Leistungen in Jobcentern beantragen, unter den Generalverdacht des Leistungsmissbrauchs. Die „Arbeitshilfe“ vom April 2018 schlägt eine Sonderbehandlung von EU-Bürgerinnen vor. Sie zielt dabei explizit insbesondere auf Menschen aus Bulgarien und Rumänien und bedient antiziganistische Stereotype. Verdächtigte Unionsbürger*innen sollen ihren Anspruch mit besonders vielen Nachweisen belegen – jeder Nachweis wird aber gleichzeitig auch verdächtig gemacht…“ Pressemitteilung von Norbert Hermann für Bochum-Prekär vom 4. April 2019
- Willkommen im Jobcenter? „Sie lügen, lügen lügen…!“
„Besonders nicht deutschsprachige Menschen haben Probleme ihren Antrag im Jobcenter zu stellen. Hier ein paar Geschichten über diie Schwierigkeiten und kleine Hilfestellungen für die Praxis!“ Ein nettes Video dazu, ganz frisch von BASTA Berlin bei youtube (3 Min.)
- Organisierte Leistungsverweigerung. Beratungsstellen und Betroffene verwahren sich gegen einen pauschalen Betrugsverdacht gegen EU-Migranten
„Viele Arbeitskräfte, die in Deutschland Tiere schlachten und Fabriken putzen, alte Menschen pflegen oder Spargel stechen, stammen aus einem anderen Land der Europäischen Union. Oft sind es harte, schlechte bezahlte Jobs, die Deutsche nicht mehr machen wollen. Doch geraten diese Migranten in eine Notlage, werden sie krank oder arbeitslos, beantragen sie einen Mietzuschuss oder Kindergeld, schlägt ihnen von Sachbearbeitern ein pauschaler Betrugsverdacht entgegen, kritisieren Beratungsstellen und Betroffenenorganisationen. In dieser Woche machen sie mit Aktionen in verschiedenen deutschen Großstädten auf den zunehmenden Ausschluss von existenzsichernden Leistungen aufmerksam. Eine Reihe von Verschärfungen ist bereits beschlossen worden. Seit 2016 dürfen EU-Bürger erst nach fünf Jahren Aufenthalt in Deutschland Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe beantragen. »Nun soll auch noch die Axt ans Kindergeld gelegt werden«, sagt Claudius Voigt, der in Münster in der Migrations- und Flüchtlingsberatung tätig ist. Am Donnerstag berät der Bundestag zum ersten Mal über einen Gesetzentwurf »gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch« aus dem Hause von SPD-Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Dieser sieht neben der Stärkung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit einen Ausschluss von nichterwerbstätigen Unionsbürgern von der Kindergeldzahlung in den ersten drei Monaten ihres Aufenthalts vor. »Die Einschränkung wird zu einer noch stärkeren Prekarisierung führen«, prognostiziert Voigt. Der Sozialarbeiter formuliert es drastisch: »Menschen werden durch Verweigerung sozialer Rechte ausgehungert.« (…) »EU-Bürgerinnen und -Bürger müssen in Jobcentern besonders viele Nachweise erbringen, die für sie oft schwer zu beschaffen sind«, berichtet Lisa Riedner vom Netzwerk »Europa in Bewegung«. Sie verweist auf eine Handreichung der Bundesagentur für Arbeit »zur Bekämpfung von organisiertem Leistungsmissbrauch durch EU-Bürger«. Darin werde Jobcentern geraten, insbesondere bei Menschen aus Rumänien und Bulgarien ganz genau hinzuschauen. Vorannahmen über herkunftsbezogene Gruppenmerkmale beeinflussen die Entscheidung über Leistungen, kritisiert Riedner. Diese rassistische Praxis werde nun von dem Scholz-Gesetz legalisiert…“ Bericht von Ines Wallrodt und Marie Frank vom 03.04.2019 beim ND online
- Macht mit! Beteiligt euch an unserer Aktionswoche vom 1. – 5. April!
„Arbeiten: ja – Rechte: nein? Das Recht auf eine menschenwürdige Existenzsicherung gilt für alle Menschen – Gegen organisierte Leistungsverweigerung deutscher Behörden! (…) Diese menschenverachtende Politik ist nicht neu: In ähnlicher Weise wird z. B. Geflüchteten Missbrauch unterstellt in Bezug auf die Anerkennung von Elternschaften und die Eheschließung. Ein komplexes System an ausgrenzenden Gesetzen teilt zwischen ‚Asylsuchenden‘, ‚EU-Bürger*innen‘, ‚Inländer*innen‘ und weiteren Statusgruppen. Wir fordern die Rücknahme dieser menschenverachtenden Maßnahmen und Gesetzesentwürfe! Alle Menschen, die in Deutschland leben, sollen Anspruch auf existenzsichernde Leistungen haben – unabhängig von Aufenthaltsstatus und Erwerbstätigkeit! Sozialbehörden sollen Antragsstellende bei der Inanspruchnahme ihrer Rechte unterstützen und ihre Existenzsicherung garantieren!“ Aufruf beim Netzwerk „Europa in Bewegung“
- »Leitfaden zur Ausgrenzung«. Small Talk mit Pauline Wagner von der »Kampagne gegen organisierte Leistungsverweigerung«
„Der Gang zum Jobcenter ist schon für deutsche Staatsbürger kein Vergnügen. EU-Bürger, die in Deutschland auf Sozialleistungen angewiesen sind, haben es noch deutlich schwerer. Die »Kampagne gegen organisierte Leistungsverweigerung« veranstaltet die Aktionswoche »Arbeiten ja – Rechte nein?!«, um auf diese Zustände aufmerksam zu machen. (…) Wir sind ein Netzwerk verschiedener Gruppen von Erwerbslosen, EU-Migranten, prekär Beschäftigten und Roma-Organisationen. Wir haben für die erste Aprilwoche bundesweit Veranstaltungen geplant. Am Montag wollen wir eine Pressekonferenz mit Gruppen aus Berlin und Oldenburg abhalten, in München, Oldenburg und Berlin wird es konkrete Aktionen geben. Interessierte können sich per E-Mail an uns wenden: europainbewegung@posteo.de. Unser Hashtag ist #europainbewegung.“ Small Talk von Markus Ströhlein in der Jungle World vom 28.3.2019
- Siehe bei Twitter: #EuropainBewegung
- Siehe zum Hintergrund: [8. und 9. Juni 2018 in Berlin] Vernetzungstreffen „Europa in Bewegung“ – die Vierte…