[Besprechung] Eine kurze Geschichte des DGB und der Arbeitsmigration – Flüchtlinge inklusive
Die Geschichte von bundesdeutschen Gewerkschaften und Arbeitsmigration/Flucht ist heute rund 60 Jahre alt, seitdem die ersten „Gastarbeiter“ kamen und die BRD noch – sehr lange – verleugnete, Einwanderungsland zu sein. In dem Artikel „Germany’s Willkommenskultur: Trade Unions, Refugees and Labour Market Integration“ von Mark Bergfeld in der Ausgabe 1/2017 des Global Labour Journal wird diese Geschichte skizziert, weil sie eben auch in engem Zusammenhang mit heutigen Haltungen zu Flüchtlingen steht. Es werden darin sowohl die politischen Positionen und die Aktivitäten diverser Einzelgewerkschaften analysiert, als auch ihre jeweilige Entwicklung kommentiert, vor dem Hintergrund der Bedeutung der MigrantInnen in den diversen Sektoren – und der wenig überraschenden Wünsche der Unternehmerverbände, jede Zuwanderung, aktuell die Fluchtbewegung, u.a. zum Aushebeln des Mindestlohns zu nutzen. LabourNet Germany macht hier eine – sehr knappe – deutschsprachige Zusammenfassung des lesenswerten Beitrages, samt bescheidenen Kommentaren:
„Germany’s Willkommenskultur: Trade Unions, Refugees and Labour Market Integration“
Was den Artikel in erster Linie lesenswert macht, ist die Zusammenschau der ganzen Entwicklung von Gewerkschaften und ihrer Haltung zu Migration und Flucht, die aber anhand konkreter Ereignisse geschieht, die mehrfach Umbrüche signalisierten oder einleiteten. So steht etwa am Anfang einer neuen Haltung von Gewerkschaften den MigrantInnen gegenüber – deren Aufbegehren: Die Streiks in der ersten Hälfte der 70er Jahre, in erster Linie Pierburg in Neuss und Ford in Köln, waren dafür ein überdeutliches Signal.
Diese Art, anhand konkreter Ereignisse die Tendenzen aufzuzeigen, wird bis in die Gegenwart fortgeschrieben, etwa mit den diversen, eher missglückten, Versuchen, der Tatsache entgegen zu steuern, dass auch unter Gewerkschaftsmitgliedern der Anteil der AfD – WählerInnen, also rassistische und nationalistische Haltungen, mindestens ebenso weit verbreitet ist, wie in anderen gesellschaftlichen Sektoren.
Dabei wird ein knapper Einblick in die Aktivitäten der Gewerkschaften gegeben, die darauf abzielen, eine „Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt“ zu erreichen. Ein durchaus kritischer Einblick, wenn etwa unterstrichen wird, dass dies immer auch bedeute, Menschen auf ihre Arbeitskraft zu reduzieren. Und, obwohl einzelne solcher Maßnahmen und Vorstellungen sich durchaus im Gegensatz zu gültigen Gesetzen und Bestimmungen befinden, sei dies eben dennoch eine Konzeption mit mehreren Fragwürdigkeiten. Eine Haltung, die aus dem traditionellen Selbstverständnis als Sozialpartner in einem Dreiergefüge resultiere, was sich dann eben auch an der Unterstützung von faktischen Verbotsmaßnahmen zeige: Die Ablehnung der Freizügigkeit für Menschen aus Osteuropa etwa, als deutlichstes Beispiel.
Die verschiedenen konkreten Angaben über einzelne Aktivitäten und Beratungsangebote runden das vielschichtige Bild ab, das da gezeichnet wird.
Nicht zufällig sind dabei jene Gewerkschaften am umfangreichsten vertreten, in deren Branchen Migration und Flucht die größten Veränderungen mit sich gebracht haben, was die Zusammensetzung der jeweiligen Beschäftigten betrifft. Was diverse Dienstleitungsbereiche ebenso betrifft, wie die meisten Branchen, die von der NGG organisiert werden, aber selbstverständlich auch für IG Metall und IG BCE gilt.
Schließlich wird noch hervorgehoben, wie die Haltung der Unternehmerverbände sich verändert hat: Von der Unterstützung der „Willkommenskultur“ zur Forderung nach Ausnahme vom Mindestlohn ist es kein weiter Weg – und, wie oben angedeutet, gibt es da Überschneidungen, wenn es eben etwa vor allem um die „Bereitstellung“ von Menschen für den sogenannten Arbeitsmarkt geht…
Man kann von solch einem denn doch relativ kurzen Artikel nicht erwarten, alles zu berücksichtigen, was diese und jene Entwicklungen beeinflusst hat. Wozu als erstes einfällt: Die regelrechten Großversammlungen in mehreren Städten, vor allem des Ruhrgebiets, im Anschluss an die Veröffentlichung von Wallraffs „Ganz unten“, die eine ganz wesentliche Veränderung einleiteten – nachzusehen etwa an den darauf folgenden Kandidatenlisten für Betriebsratswahlen. Was auch deswegen eine Rolle spielt, weil das ja zunächst Aktivitäten waren, die von eher gewerkschaftsoppositionellen Kreisen ausgingen, die ohnehin in diesem Artikel etwas kurz kommen.
In jedem Falle aber kann die Debatte auch um diesen Beitrag, Ausgangspunkt sein einer umfassenderen Diskussion gesellschaftlicher Veränderungen durch Migration, Flucht – und dem Wirken gesellschaftlicher Akteure…
- Siehe dazu auch: Don’t mourn – organize. Oder: Was sollten Gewerkschaften für Flüchtlinge tun – und was lassen? Artikel von Susanne Rohland, Helmut Weiss & Mag Wompel, LabourNet Germany, für und in ak – analyse & kritik – zeitung für linke Debatte und PraxisNr. 614 vom 15.3.2016