Grenzräume: Für einen Grenz-Abolitionismus – ein Aufruf
„… Mit meiner letzten Kolumne dieses Jahres möchte ich ein Zeichen setzen und die Debatte um die Abschaffung von staatlichen Gewaltinstitutionen, wie dem Grenzschutz, in die breitere Öffentlichkeit holen. Denn auch der Regierungswechsel im letzten Jahr hat nichts an den sich verschärfenden Tendenzen des europäischen Grenzregimes geändert. Mickrige zwei Millionen Euro gibt die Bundesregierung nächstes Jahr an zivile Seenotrettungsorganisationen, während die Zäune und Mauern weiter befestigt werden. (…) Ich fordere alle dazu auf, sich an einer breiten Diskussion, um die Abschaffung aller Grenzen zu beteiligen. Und ich will, dass sich endlich mehr Menschen mit den Möglichkeiten eines Grenz-Abolitionismus auseinandersetzen…“ Kolumne von Lukas Geisler vom 11. Dezember 2022 im MiGAZIN und mehr daraus:
- Weiter in der Kolumne von Lukas Geisler vom 11. Dezember 2022 im MiGAZIN : „(…) Abolitionismus meint wörtlich Abschaffung. Im Folgenden beziehe ich mich auf die Ausführungen von Vanessa E. Thompson und Daniel Loick, die im Sommer 2022 einen Reader zum Abolitionismus herausgaben, in dem sie erstmals die wichtigsten Stimmen dieser internationalen Diskussion in deutscher Sprache zugänglich machen. (…) Thompson und Loick schreiben: „In der Tradition des Kampfes gegen die Versklavung schwarzer Menschen betonen Abolitionist:innen die rassistische Geschichte staatlicher Gewaltapparate und ihre Komplizenschaft mit Formen kapitalistischer Ausbeutung und patriarchaler Unterdrückung“. Dabei verweist der Zusatz „von unten“ darauf, dass gerade widerständige Praktiken hervorgehoben werden, die von den Unterdrückten selbst ausgehen. Abolitionistische Praktiken umfassen dann zwei Prinzipien: Zum einen die Abwehr, der Entzug oder die Flucht aus den rassifizierten Ausbeutungsverhältnissen. Zum anderen die Bildung von neuen gesellschaftlichen Verhältnissen, Rationalitäten, Beziehungs- und Produktionsformen. In den letzten Jahren wurden diese Prinzipien aktualisiert und die Themenfelder erweitert. (…) Dabei ist vor allem zu betonen, dass abolitionistische Kritik nicht einfach die „Abschaffung von…“ fordert, sondern Alternativen bietet, die bereits in Form von existierenden Projekten, Experimenten und Initiativen gelebt werden. Loick und Thompson schreiben: „Abschaffung ist kein Ereignis in der Zukunft, sondern eine Praxis in der Gegenwart: etwas, das Menschen auch bereits im Kleinen tun“. (…) Darin liegt das sozialrevolutionäre Potential des Abolitionismus, denn ihm geht es darum, eine radikale Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu erreichen. (…) Das derzeitige Grenzregime formiert sich immer wieder neu und verbleibt krisenhaft in Widersprüchen verwickelt. Dies wird auch wieder zu einer neuen emanzipatorischen Praxis führen, die Mauern niederreißt und Grenzen überwindet. In der Zwischenzeit gilt nach wie vor, sich von der eigenen Ohnmacht nicht dumm machen zu lassen. Auch wenn bisher nur ein Streif am Horizont zu sehen ist, kann nur die Abschaffung aller Grenzen, ein radikaler Grenz-Abolitionismus, das Ziel sein.“
- Mit der Anmerkung des Autors: „Die Kolumne stützt sich auf den Reader „Abolitionismus“ von Vanessa E. Thompson und Daniel Loick sowie die Arbeit, die in meiner Kolumne „Grenzräume“ hier im MiGAZIN sowie meinem Buch „Die Willkommensgesellschaft. Eine konkrete Utopie“ stecken. Dabei ist die Kampagne „Abolish Frontex“ ein guter erster Schritt. Lasst uns diese wertvolle Arbeit auf vielfältigen Ebenen fortführen.“
Siehe auch unser Dossier: #AbolishFrontex: Internationale Bewegung zur Abschaffung der EU-Grenzpolizei Frontex