Erneuter Anschlag auf Taranta Babu – die Dortmunder Stammkneipe des LabourNet Germany
„In der Nacht vom 25. auf den 26. Oktober 2022 gingen wieder mal die Schaufenster von Taranta Babu zu Bruch. Maskierte Täter haben sie um kurz vor Mitternacht mit mitgebrachten Backsteinen eingeworfen. Einer von ihnen konnte festgehalten und an die Polizei übergeben werden. Am Mittwoch morgen gingen dann zwei anonyme Anrufe ein. Eine Männerstimme teilte in barschem Ton mit: „es ist noch nicht vorbei.““ Meldung vom 26.10.2022 auf der Homepage von Taranta – siehe mehr Infos:
- Urteil nach dem Anschlag auf Taranta Babu wegen „gemeinschaftlicher Sachbeschädigung“: Was selbst für die Polizei rechte Gewalt war, spielt vor Gericht als Motiv keine Rolle, die Angst bleibt
„Ein Angriff auf einen multikulturellen Buchladen: für die Polizei ein Fall rechter Gewalt. Vor Gericht spielt das Motiv keine Rolle. Darunter leiden die Opfer zusätzlich. (…)
Knapp ein Jahr nach der Attacke, im August 2023, steht der Täter vor dem Amtsgericht Dortmund. Die Richterin versichert dem Angeklagten, ein Geständnis werde sich strafmildernd auswirken. Daraufhin gibt der Mann den Angriff zu. Er wird zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 40 Euro wegen gemeinschaftlicher Sachbeschädigung verurteilt – ein Maß knapp unter dem, was einen Eintrag im Vorstrafenregister mit sich bringt. Nach weniger als einer Dreiviertelstunde ist die Angelegenheit erledigt.
Von dem rechten Hintergrund ist in dem Verfahren jäh keine Rede mehr. Der Verteidiger des Angeklagten teilt mit, sein Mandant wolle sich nicht zum Tatmotiv äußern. Weitere Nachforschungen ersparen sich Staatsanwaltschaft und Gericht. Unterstützer des Taranta Babu, die den Prozess von der Zuschauerbank aus verfolgt haben, sind ratlos. Hasan Sahin, der Gründer des Cafés und der Buchhandlung, macht seinen Ärger in einem Blogartikel Luft: „Dürfen wir fragen, warum wir wochenlang den Staatsschutz und die Polizei zu Besuch hatten, wenn es doch nur um eine unpolitische Sachbeschädigung ging? Fragen dürfen wir, Antworten werden wir wohl nicht erhalten.“ (…)
Hasan Sahin sagt, er fürchte das, was als Nächstes kommen könnte: „Die Idioten, die heute hier Steine werfen, vielleicht werfen sie irgendwann Feuer da rein und was weiß ich.“
Charlotte Langenkamp vom Verein Gesicht Zeigen!, der sich für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzt, kritisiert, Täter kämen in Fällen, in denen die politische Motivation einer Straftat nicht thematisiert wird, mit zu niedrigen Strafen davon. Gerichte könnten dafür sorgen, dass es Betroffenen besser oder schlechter gehen kann – je nachdem, ob sie in ihrer Opferrolle anerkannt werden oder nicht. „Die Justiz hat also eine wichtige Aufgabe, weshalb die Sensibilisierung für Juristinnen und Juristen so wichtig ist.“
„Es ist noch nicht vorbei!“
Rechtsextreme Gewalt wird vor Gericht vor allem dann als solche eingestuft, wenn direkte Bezüge zum Nationalsozialismus bestehen oder allgemein leicht erkennbare Signale vorliegen. Solche offensichtlichen Zeichen, wie Hakenkreuze an der Fassade, fehlten im Fall des Taranta Babu. Trotzdem müsse die Motivlage vor Gericht immer genau erörtert werden, auch wenn offensichtliche Zeichen für politisch-motivierte Gewalt fehlen, sagt Ulrich Schellenberg, Rechtsanwalt und ehemaliger Präsident des Deutschen Anwaltvereins. „Da gibt es überhaupt kein Vertun, das gehört zum Einmaleins eines jeden Strafprozesses, dass man die möglichen Hintergründe vollständig aufklärt.“ So verlangt es auch das Strafgesetzbuch – laut Paragraph 46 sollen „besonders auch rassistische, fremdenfeindliche“ Motive die Strafe schärfen.
Zumindest Hinweise auf ein derartiges Motiv gibt es. Die Polizei hat dem Täter Kontakte in die Dortmunder Neonazi-Szene nachgewiesen. Demnach ist er ein enger Freund des Neonazi-Influencers Steven Feldmann. Dieser postete Ende März mehrere Fotos mit dem Angreifer auf Instagram und feierte damit deren 20-jährige Freundschaft. Der Täter nahm außerdem an einem illegalen Kampfsportevent namens Schlagabtausch – abgekürzt „SA“ – teil. Zwei Tage nach dem Angriff durchsuchte die Polizei seine Wohnung in Duisburg und fand Hinweise auf Sympathien für die Rockergang Hells Angels, Verbindungen zum Nationalsozialismus hingegen nicht.
Aspekte, die ein Richter womöglich hätte abwägen sollen. Doch in den Gerichtssälen dieser Republik machten sich oft die knappen Ressourcen der Justiz bemerkbar, sagt Björn Elberling, Strafverteidiger in Kiel und Leipzig und Teil einer Unterstützungsorganisation für Betroffene rechter Angriffe des Republikanischen Anwaltvereins: „Dass die Justiz aus tatsächlicher oder gefühlter Überlastung heraus Verfahren abkürzt und nur relativ oberflächlich aufklärt, ist ein allgemein bekanntes Phänomen.“ In Fällen von Alltagskriminalität möge das verkraftbar sein, doch „hier wirkt es sich für die Betroffenen negativ aus, weil oft der beschriebene Botschaftscharakter der Tat verdeckt bleibt“.
Dass dieser Angriff zugleich eine Botschaft war, daran hat Taranta Babu-Chef Hasan Sahin keinen Zweifel. Am Morgen nach der Tat klingelt das Telefon in der Buchhandlung. „Es ist noch nicht vorbei!“, sagt eine Männerstimme und legt auf. Hasan meldet sich bei der Polizei, Mitarbeitende vom Staatsschutz kommen vorbei. Am nächsten Tag kommt wieder ein Anruf. Die gleiche Stimme, die gleiche Aussage: „Es ist noch nicht vorbei!“
Fehlte der Ermittlungswille?
Das Amtsgericht Dortmund erklärt auf Nachfrage von ZEIT ONLINE, die Beweislage für eine politisch motivierte Tat sei nicht aussagekräftig genug gewesen. Lorenz Blumenthaler von der Amadeu Antonio Stiftung stellt infrage, ob die Staatsanwaltschaft den Fall überhaupt ausermitteln wollte. „Mich hat es ganz schön schockiert, dass die Justiz hier mit rechtsextremer Gewalt gefühlt so umgegangen ist wie in den Neunzigern“, sagt er. „Warum ist die Staatsanwaltschaft nicht viel weiter sensibilisiert, wenn die Polizei schon diese Vorarbeit leistet und zu so einer Einstufung kommt?“ (…)
Hasan Sahin geht mit den Folgen der Tat offen um. „Natürlich habe ich da auch Angst. Ich bin kein Übermensch.“ Er sorge sich vor allem um seine Mitarbeitenden: „Das ist Gewalt. Auch am seelischen Zustand der Personen, die hier arbeiten. Das belastet. Diese Angst. Da entstehen neue Fragen: Soll ich in Deutschland leben? Soll ich zurückgehen?“
Ayhan, der den Täter in der Tatnacht gestellt hatte, kann nicht verstehen, warum jemand das Taranta Babu angreift. „Wir sind verschieden, aber wir müssen einen Weg finden, verschieden zusammenzuleben“, sagt er. Sahin sagt, wegzuziehen komme für ihn nicht infrage. Dortmund sei seine Liebe und sein Leben. Die Scheiben im Taranta Babu hat er längst erneuert.“ Artikel von Ellen Waldeyer, Dortmund, vom 24. Juli 2024 in der Zeit online („Rechte Gewalt: Nach den Scherben kam die Angst“) - 80 Tagessätze à 40 Euro: Amtsgericht spricht mildes Urteil für einen der Angreifer auf das links-alternative „Taranta Babu“
„Im Prozess gegen einen der „Taranta Babu“-Angreifer haben Staatsanwaltschaft und Amtsgericht Milde walten lassen: Der zuvor nicht straffällig gewordene Duisburger wurde zu 80 Tagessätzen à 40 Euro verurteilt und gilt somit nicht als vorbestraft. Kritik am Urteil war unmittelbar nach dem Prozess zu vernehmen. (…) Die Aktenlage war eindeutig, die Schuld des Angeklagten ohne Zweifel, und dennoch konnte sich der Täter erst nach Prozessunterbrechung und Rücksprache mit seinem Anwalt zu einem kurzen Geständnis überwinden. Zahlreiche Unterstützer:innen des „Taranta Babu“ waren gekommen, um den Prozess zu begleiten. Für Unverständnis sorgte die Nicht-Thematisierung des Motivs des Angreifers, der selbst dazu keine Angaben machen wollte. Nach einer kurzen Verhandlung das Urteil: 80 Tagessätze à 40 Euro. In der Vergangenheit wurde das Café und Literaturhaus immer wieder Ziel von Neonazi-Angriffen – auch einen Tag nach der Tat erhielten Mitarbeiter:innen Drohanrufe: „Es ist noch nicht vorbei!““ Meldung von Julius Obhues am 22. August 2023 bei den Nordstadtbloggern - Attacke gegen das links-alternative Café und Literaturhaus „Taranta Babu“ im Klinikviertel. Einer der Täter konnte von Café-Gästen festgehalten werden
„In den Jahren 2012 und 2013 war das links-alternative Café und Literaturhaus „Taranta Babu“ im Dortmunder Klinikviertel im Visier von Neonazis. Ein halbes Dutzend Mal gab es Attacken und Sachbeschädigungen. Jahrelang war Ruhe – nun gab es erneut einen Anschlag. Der polizeiliche Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen.
Täter rechneten offenbar nicht damit, dass noch Gäste im Café waren
Zwei maskierte Täter zerstörten in der Nacht zu Mittwoch (26. Oktober 2022) mit Backsteinen zwei große Schaufensterscheiben am Buchladen und schlugen dann zwei kleinere Fenster an der Cafétür ein. Allerdings hatte sie wohl nicht damit gerechnet, dass dort gegen Mitternacht noch Gäste und Personal waren. Ein Mitarbeiter rief sofort die Polizei und Gäste übernahmen die Verfolgung der Flüchtenden. Einer der Täter stolperte auf der Flucht in der Amalienstraße und konnte von einem Gast festgehalten werden. Die schnell eintreffende Streifenwagen-Besatzung nahm den Täter in Gewahrsam. Der zweite Täter ist noch unbekannt und flüchtig. Die Ermittlungen laufen. Betreiber Hassan Sahin erstattete Anzeige. (…) „Das Taranta Babu war wurde ja früher schon Ziel eines Anschlags“, sagt der Foto-Designer. Er vermutet einen rechtsextremen Hintergrund. Das scheint auch nach Ansicht der Polizei nicht abwegig. Wegen der Vorgeschichte mit dem „Taranta Babu“ hat sich der polizeiliche Staatsschutz in die Ermittlungen eingeschaltet. Sie überprüft derzeit die polizeiliche und politische Vorgeschichte des gefassten Beschuldigten und fahndet nach dem zweiten Täter.“ Artikel von Alexander Völkel vom 26. Oktober 2022 bei den Nordstadt-Bloggern
Das Taranta war die Stammkneipe von Helmut Weiss, hier haben wir uns oft getroffen, hier haben auch einige unserer Mitgliederversammlungen und einige unserer Veranstaltungen stattgefunden – für letztere gib einfach Taranta in unsere Volltextsuche ein