Rassistische Messerattacke in Stralsund „für Deutschland“: Warum schwiegen die Behörden?

"Staatsversagen. Wie Engagierte gegen Rechtsextremismus im Stich gelassen werden. Ein Report aus Westdeutschland"„Ein Deutscher sticht Ende Mai einen ausländischen Staatsbürger nieder und soll vor Zeugen gesagt haben, er hätte das „für Deutschland gemacht“ (…) Es passierte an einem Sonntagmorgen in einer Bar in der Altstadt. Kurz nach zwei Uhr ist die Stimmung ausgelassen, die Tanzfläche voll von Menschen, auch Peter G. tanzt. Da fällt ihm ein Mann in einem stahlblauen Pullover auf, der an ihm vorbei Richtung Ausgang läuft. Vor ihm steht ein anderer Mann, den G. als „Araber“ beschreibt, der daraufhin seinen Pullover hochzieht und sagt: „Der hat zugestochen“. Die Wunde auf der Brust habe schrecklich ausgesehen und fing an zu bluten, so beschreibt es unser Augenzeuge. Nach Informationen des NDR hat das Opfer nur überlebt, weil die Messerklinge von einer Rippe abprallte. Zwei andere Bargäste, die den Vorfall beobachtet hatten, verfolgten den mutmaßlichen Täter im blauen Pulli und konnten ihn schließlich fassen und festhalten. Ein weiterer Gast hatte den Notruf gewählt, Polizei und Notarzt seien schnell vor Ort gewesen…“ Bericht von Frank Breuner beim NDR am 21. Juni 2024 externer Link und mehr daraus:

  • Weiter aus dem Bericht von Frank Breuner beim NDR am 21. Juni 2024 externer Link („Messerattacke in Stralsund: Warum schwiegen die Behörden?“) mit 4-minütigem Audio: „… Peter G. erzählt, dass er nach draußen vor die Tür der Bar gegangen sei und gesehen habe, wie der mutmaßliche Täter von der Polizei fixiert wurde. Dabei habe er deutlich gehört, wie der Mann „Das habe ich für Deutschland gemacht“ ausgerufen habe. Die Polizisten müssten das auf jeden Fall auch mitbekommen haben, meint G. Ein anderer Barbesucher habe die Beamten auch noch einmal aufgefordert, diesen Satz zu protokollieren. Bei der Durchsuchung des Tatverdächtigen sei ein Messer gefunden worden, ein Klappmesser mit Holzgriff, „größer als ein Brotmesser“, so schätzt Peter G. es ein. Dann seien Polizisten noch in die Bar gegangen, hätten sich kurz die Blutlache auf der Tanzfläche zeigen lassen. Das verletzte Opfer sei im Rettungswagen abtransportiert worden und danach sei „die ganze Truppe abgedampft“, so Peter G. Die Party in der Bar lief einfach weiter. Irgendwann hätten Mitarbeiter das Blut auf dem Boden weggewischt. (…) Nach einem ersten Hinweis zu dem Vorfall fragt der NDR am 5. Juni, also zehn Tage nach der Tat, zum ersten Mal bei der Staatsanwaltschaft Stralsund nach. Bis dahin hat es weder eine Polizeimeldung, noch eine Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft gegeben. Der Pressesprecher der Behörde, Oberstaatsanwalt Martin Cloppenburg, bestätigt den Vorfall. Das bisherige Schweigen der Behörde habe ermittlungstaktische Gründe, soviel aber wird uns mitgeteilt: Ein 64-jähriger Mann sei dringend verdächtig, in erheblich alkoholisiertem Zustand einen Gast der Bar mit italienischer Staatsangehörigkeit mit einem Messer angegriffen zu haben. Es sei davon auszugehen, dass der Beschuldigte aus niedrigen Beweggründen mit jedenfalls bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt habe. Von einem Ausspruch „Für Deutschland“ hätten weder das Opfer, noch Augenzeugen berichtet, so der Oberstaatsanwalt. (…) Einen Tag später, am 6. Juni, liefert die Staatsanwaltschaft weitere Informationen zu dem Fall. Eine Wohnungsdurchsuchung bei dem Tatverdächtigen habe keine Hinweise auf eine ausländerfeindliche Gesinnung erbracht. Man gehe auch nicht mehr von einem Tötungsvorsatz aus, da neu ausgewertete Zeugenaussagen ergeben hätten, dass der Beschuldigte nicht mehrfach zugestochen habe. Die Behörde geht deshalb nur noch vom Verdacht einer gefährlichen Körperverletzung aus. Inzwischen sei die Entlassung des mutmaßlichen Täters aus der Haft veranlasst worden. Peter G. kann das Vorgehen der Staatsanwaltschaft nicht verstehen: „Für mich war das versuchter Mord. Wenn ich mit einem Messer irgendwo hingehe, dann hab ich einen Vorsatz und wenn ich da auf einen zustürze und zusteche, dann ist das für mich versuchter Mord“. Peter G. findet, dass der Fall von den Behörden „verniedlicht“ wird. (…) G. berichtet auch, dass die Behörden erst gut fünfzehn Stunden nach dem Vorfall eine Tatortbegehung durchführten, um Spuren zu sichern – also nachdem die Blutspuren von Barmitarbeitern schon längst beseitigt worden waren. (…) Wir fragen auch beim Innenministerium in Schwerin an, ob es zu Ermittlungsfehlern gekommen ist. Die Pressesprecherin antwortet: „Sowohl die vor Ort eingesetzten Polizeivollzugsbeamten des Polizeihauptreviers Stralsund als auch der Kriminalpolizei haben alle notwendigen und unaufschiebbaren polizeilichen Maßnahmen getroffen, um den Sachverhalt zu erforschen.“
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