Was beim NSU-Terror nicht untersucht wurde: Beispielsweise Nazi-Nachbarn – und die Verbindungslinien zum Mord am Kasseler Regierungspräsidenten
„… Bei den Verbrechen des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) kommt dem Mord an Halit Yozgat am 6. April 2006 in Kassel eine besondere Bedeutung zu. Denn es war ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes zum Tatzeitpunkt am Tatort. Und danach hörte die rassistische „Ceska-Mordserie“, der zwischen 2000 und 2006 neun Menschen zum Opfer gefallen waren, auf. Es liegt nahe, zwischen diesen beiden Fakten einen Zusammenhang zu vermuten. Vor allem, weil der Verfassungsschützer, namentlich Andreas Temme, nach den Schüssen Hals über Kopf geflüchtet war und nachfolgend den Ermittler:innen, den parlamentarischen NSU-Untersuchungsausschüssen sowie im Münchner NSU-Prozess Geschichten auftischte, die hinten und vorne nicht stimmten. So sind zum Mord an Halit Yozgat noch viele Fragen offen. Nur durch investigative und antifaschistische Recherchen kommen immer wieder neue Fakten ans Licht, die von den ermittelnden Behörden bis dato „übersehen“ oder unterschlagen wurden. Beispielhaft für die Versäumnisse und Vertuschungen stehen drei Personen aus der Kasseler Neonaziszene, die mit Halit Yozgat oder dem Tatort in Verbindung standen und zu denen sich keine oder nur spärliche Ermittlungen finden. So wohnte M. K. zum Zeitpunkt des Mordes zwei Häuser neben dem Internetcafé, in dem Halit Yozgat erschossen wurde. M. K. war zu dieser Zeit als neonazistischer Gewalttäter bekannt. In einem Gespräch, das Antifaschist:innen im Januar 2020 mit ihm führten, betonte er, er sei niemals von einer Behörde („obwohl ich genau nebenan gewohnt habe“) auf den Mord an Halit Yozgat angesprochen worden…“ – so beginnt „Nicht verfolgte Spuren im Mordfall Halit Yozgat – Verbindungen zwischen dem NSU-Mord & dem Mord an Walter Lübcke“ am 01. März 2020 bei Exif Recherche – worin sehr ausführlich und ausgesprochen konkret nichtbeachtete Spuren der NSU-Mordbande berichtet werden, die von den Behörden „übersehen“ wurden und bis heute werden. Siehe dazu auch einen Beitrag der eine der Schlussfolgerungen dieser Recherche-Arbeit weiter verbreitet:
- „NSU-Morde: Neonazi wohnte neben Yozgat in Kassel“ von Pitt v. Bebenburg am 01. März 2020 in der FR online stellt diese Untersuchung vor und notiert dabei abschließend: „… Exif Recherche deutet an, dass dieses Desinteresse damit zu tun haben könnte, dass H. als Geheimdienstquelle tätig gewesen sein könnte. Die Internetplattform verweist auf die Befragung einer Vertreterin der Bundesanwaltschaft im Innenausschuss des Bundestags im Januar 2020. Sie habe ausweichend auf die Frage geantwortet, ob Markus H. Informant einer Behörde gewesen sei, während ihr Kollege dies in Bezug auf Stephan E. klar verneint habe. Einen ähnlichen Verdacht äußert Exif Recherche mit Blick auf Corryna Görtz, die der militanten Neonaziszene angehört hatte. Erst 2017 war durch ihre Aussage im hessischen NSU-Untersuchungsausschuss bekannt geworden, dass sie nach eigenen Angaben kurze Zeit vor dem Mord mehrfach im Internetcafé von Halit Yozgat gewesen war. Dennoch habe sich auch zu ihr bis dahin „kein nennenswerter Ermittlungsstrang“ gezeigt, beklagt Exif Recherche. Im hessischen Untersuchungsausschuss sagte ein Neonaziaussteiger, der früher mit Görtz befreundet war: „Es würde mich auch nicht wundern, wenn irgendwann mal rauskommen würde, dass Corryna Görtz auch für irgendeinen Geheimdienst gearbeitet hat.“ Die antifaschistische Plattform fragt nun, ob „polizeiliches Handwerk tatsächlich so miserabel sein“ könne oder die Ermittlungen ausgebremst worden seien…“