Warum wählen immer mehr ArbeiterInnen in Deutschland die AfD?
Dossier
„… Arbeiter gehören zu den Berufsgruppen, die die AfD besonders stark unterstützen. (…) In der Parteienforschung wird seit geraumer Zeit diskutiert, ob der besondere Erfolg der AfD diese zu einer neuen Arbeiterpartei macht. Weitgehend unstrittig ist, dass ihr Wahlprogramm nicht unbedingt als arbeiterfreundlich bezeichnet werden kann. Dass sie dennoch unter Arbeitern überdurchschnittlich erfolgreich ist, wird unter anderem darauf zurückgeführt, wie sie Unzufriedenheit und Protest aufgreift. (…) Die Arbeitsbedingungen haben einen direkten Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung. Die Studie legt nahe, dass Unzufriedenheit im Arbeitsleben zu einer Hinwendung zu Parteien führt, die radikale Veränderungen versprechen, wie dies bei der AfD der Fall ist…“ Beitrag von Bernd Müller vom 03. Dezember 2023 in Telepolis („Warum wählen immer mehr Arbeiter in Deutschland die AfD?“) über die WSI-Studie zu AfD-Wählern – siehe mehr zu dieser und zum Thema:
- Die verlorene Ehre der Arbeiter: Wie Populisten die Problemrohstoffe der Gesellschaft ausnutzen
„Unter Arbeitern ist das Empfinden weit verbreitet, sozial benachteiligt, abgewertet und entehrt zu sein. Neurechte Ideologen und ihre politische Gefolgschaft wissen den Frust für sich zu nutzen und stoßen auf Resonanz. Klaus Dörre gibt eine Einschätzung, welche Gegenstrategien wirksam sein könnten. (…) Insgesamt lässt sich feststellen, dass es sich beim Gesellschaftsbild von Arbeiterinnen und Arbeitern, die zur extremen Rechten tendieren, vielfach bereits um relativ verfestigte Weltsichten handelt, die nicht leicht zu verändern sind. Offenkundig ist es den Vordenkern der Neuen Rechten und deren politischen Sprachrohren gelungen, eine Metaerzählung im Alltagsbewusstsein zu verankern, die geeignet ist, soziale (Klassen-)Konflikte zu ethnisieren. (…) Für einen erheblichen Teil derjenigen, die mit der AfD oder noch weiter rechts stehenden Organisationen sympathisieren, gilt noch immer, was die Soziologen Beaud und Pialoux über die Beschäftigten des untersuchten Peugeot-Werks schreiben: „Die Ausländer werden zum Kristallisationspunkt einer vielschichtigen Bedrohung, deren subjektive Seite aus der Angst besteht. Es ist die Angst vor der Zukunft und vor der gesellschaftlichen Marginalisierung und Nichtbeachtung.“ Während die französischen Soziologen allerdings noch von einer relativ offenen Situation ausgehen, haben sich in Frankreich wie in Deutschland inzwischen feste Bindungen an Parteien der extremen Rechten herausgebildet. Schon deshalb gibt es für erfolgreiche Gegenstrategien keine Patentrezepte. Unsere Forschungen verweisen jedoch auf Ansatzpunkte, die zu diskutieren sind: Erstens hängt vieles von der Grundhaltung und Konfliktbereitschaft betrieblicher meinungsbildender Persönlichkeiten ab. Davon zeugt das Beispiel einer Gewerkschafterin, die ihre sexuelle Orientierung in den alltäglichen Auseinandersetzungen mit rechtsaffinen Kolleginnen und Kollegen offensiv zum Thema macht. Die erfolgreiche Auseinandersetzung mit rechtslastigen Beschäftigten findet auf der Ebene persönlicher Beziehungen statt. Nicht Zahlen, Daten, Fakten, sondern soziale Nähe und Freundschaft werden Ausgangspunkt einer Auseinandersetzung mit politischen Folgen. Möglich wird dies zweitens, weil die Gewerkschafterin darauf vertrauen kann, dass sie im Betriebsrat und seitens der IG Metall Rückendeckung erhält. Anders gesagt: Mitbestimmungsmöglichkeiten und aktive gewerkschaftliche Vertrauensleutekörper schaffen überhaupt erst die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Auseinandersetzung mit Arbeiterinnen und Arbeitern, die mit der AfD oder anderen Gruppierungen der radikalen Rechten sympathisieren. Das Hauptproblem sind daher nicht etwa rechtslastige Gewerkschaftsmitglieder, sondern die Tatsache, dass es sich beispielsweise in der klein- und mittelbetrieblichen Zulieferindustrie immer häufiger um mitbestimmungsfreie Zonen handelt. Bei Opel Eisenach oder VW Kassel-Baunatal treffen alle, die sich zur AfD bekennen, auf Gegenwind. Wo es weder Betriebsräte noch engagierte Gewerkschaftsmitglieder gibt, ist das nicht der Fall. (…) Das ändert sich drittens, wenn Klassensolidarität praktisch erlebt wird. Für Opel-Arbeiterinnen und Arbeiter ist ein Aktionstag, mit dem gegen eine befürchtete Werksschließung protestiert wurde, geradezu ein Festtag, weil er die Vergessenen und ihre Anliegen für einen kurzen Moment öffentlich sichtbar gemacht hat. Zu einem Höhepunkt der Veranstaltung wurde das Zusammentreffen der Eisenacher Opelaner mit einer Gewerkschafts-Delegation aus dem Peugeot-Werk von Sochaux. Dieses Beispiel lässt sich insofern verallgemeinern, als die einschneidenden Erfahrungen mit Arbeitskämpfen tatsächlich Grundhaltungen verändern können. Viertens schließlich ist Ehrlichkeit angesagt. Man mag sich über Arbeiterinnen und Arbeiter empören, die die „grüne Regierung“ als ihren Hauptgegner betrachten. Doch die Aufregung über solche Haltungen wird unglaubwürdig, wenn das Problem klassenspezifischer Entscheidungsmacht über das Was, das Wie, das Wozu und das Womit der Produktion ignoriert wird. (…) Nötig wäre eine radikale Demokratisierung von Produktionsentscheidungen, die gegenwärtig winzigen Eliten vorbehalten bleiben, denn nur so kann Verantwortung der Produzenten für ihre Produkte entstehen. (…) Dabei könnte eine emanzipatorische Bildung helfen, die der alltäglichen Gesellschafts- und Kapitalismuskritik von Arbeiterinnen und Arbeitern einen demokratischen Deutungsrahmen bietet. (…) Von einem Arbeiterbewusstsein, das eine Verantwortungsübernahme für das, was wir herstellen, offensiv einklagt, sind wir gegenwärtig weit entfernt. Es könnte Aufgabe einer Arbeiterbildung für das 21. Jahrhundert sein, ein solch anspruchsvolles, positives Freiheitsverständnis zumindest zur Diskussion zu stellen. Ein solcher Ansatz könnte hilfreich sein, um der Arbeiterschaft zurückzugeben, was sie am meisten vermisst – ihre Ehre und Würde nicht nur im Arbeitsprozess, sondern vor allem in der Gesellschaft.“ Aus dem Artikel von Klaus Dörre vom 20. November 2024 bei der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) - [Studie] Klassenbewusstsein und Wahlentscheidung: Klasse als politischer Kompass?
„Welche Partei ist der „natürliche“ Anlaufpunkt für Arbeiter:innen? (…) Denn was wir in jüngsten Wahlen und Umfragen beobachten, ist eine Legitimationskrise des Parteiensystems, die ihr soziales Epizentrum in der Arbeiterklasse hat. Noch deutlich mehr als im Rest der Gesellschaft erodiert hier der Rückhalt der etablierten Parteien, inklusive der Parteien links der Mitte. Es ist vor allem die AfD, die in diese Lücke stößt. (…) Zunehmend gelingt es aber auch rechtsradikalen Parteien, eine nennenswerte und wachsende Minderheit der Arbeiterklasse für sich zu gewinnen. (…) Das Gefühl, materiell oder im Sinne der sozialen Anerkennung am unteren Rand der Gesellschaft zu stehen, scheint sich zunehmend mit einem politischen Drall zur radikalen Rechten zu verbinden. (…) Wir zeichnen den Zusammenhang von Klassenbewusstsein und Wahlabsicht zunächst für die Gesamtbevölkerung nach und schauen dann genauer auf die Klasse der Arbeiter:innen…“ Aus der Einleitung der Studie von Linus Westheuser und Thomas Lux vom September 2024 bei der Friedrich-Ebert-Stiftung- Siehe die Zusammenfassung im Thread von Linus Westheuser am 25. Sep.
- Die Kommunalwahlen in Ostdeutschland: Auf dem Weg zur ›Arbeiterpartei‹?
„… Ein Blick auf die Kommunalwahlen in Sachsen zeigt das bittere Bild einer »demobilisierten Klassengesellschaft«: Busfahrer, Lagerlogistiker, Altenpflegerin, Erzieher und Erzieherin, Zimmermannmeister oder Hotelfachmann geben die Kandidat:innen der AfD als Beruf an. Eine höhere Zahl der über 2000 Kandidat:innen sind Unternehmer. Nicht wenige Ingenieur:innen. Doch was mir als Mitglied der IG Metall vor allem ins Auge fällt, ist die hohe Anzahl an Mechanikern, Industriemechanikern, Kfz-Schlossern, Maschinenbauern, Ingenieuren im Maschinenbau. Andere geben an, Maschinenformer, Werkstoffprüfer, Industriemeister (Metall) oder Anlagenmechaniker in der Schweißtechnik zu sein. Insgesamt eine niedrige dreistellige Zahl an AfD-Kandidat:innen und Freien Sachsen, die sich in Sachsen dem Organisationsbereich der Industriegewerkschaften zurechnen lassen. In Sachsen-Anhalt kein anderes Bild: Im Bördekreis etwa geben die AfD-Kandidat:innen als Beruf Maschinenbauer, Schlosser, Elektroniker, Ingenieur oder Feinmechanik-Monteur an. Das wirft praktische Fragen auf. Was bedeutet es, wenn eine große Zahl an Kolleg:innen der Politik der AfD nicht nur zustimmt, sondern sich aktiv für eine autoritäre rechte Partei engagieren? (…) Der Wahlausgang in Sachsen hat gezeigt, dass die AfD errungene Mandate in einigen Kommunen nicht mal mit Kandidat:innen besetzen kann. Die kandidierenden »Kollegen Maschinenbauer und Industriemeister« werden nun also in den allermeisten Fällen nach der Arbeit in Belange der Gemeinde einbezogen, erlernen politisches Agendasetting und parlamentarisches Handwerkszeug. Sie beratschlagen über die politischen Programme der AfD, vernetzen sich mit den Größen der Partei und ihrem Vorfeld aus rechter Medienlandschaft, Identitärer Bewegung oder dem Verein Zentrum, der sich als Gewerkschaft ausgibt. Denn auch Zentrumsbetriebsräte wie Lars Bochmann und Jörg Reichenbach (VW Zwickau) treten für die AfD an oder wie Frank Neufert (ehem. BMW Leipzig) und Andre Krüger (ehem. BR bei VW Zwickau) für die Freien Sachsen.
Wie wirkt sich das auf die Betriebe aus? Werden rechte Listen zur BR-Wahl 2026 wie die Pilze aus dem Boden schießen? Haben sie womöglich Einfluss auch in den DGB-Gewerkschaften? Und was hat das mit uns zu tun? Wir werden uns diesen Fragen stellen müssen.
Die AfD-Kandidat:innen in Sachsen sind keine Gewerkschaftsfunktionäre. Wie man hört, sind sie im Betrieb nicht besonders auffällig, trennen in den meisten Fällen die »kleine Welt des Betriebs« von der Welt der Politik »da draußen«. Auch in der IGM gibt es die Prämisse der »klaren Kante«, nach der AfD-Aktive von Entscheidungsmacht und Einfluss auf lokale und betriebliche Gremien fernzuhalten und betrieblich zu isolieren sind. Das ist Einzelfallarbeit. Doch mit Blick auf die hohe Zahl von AfD-Funktionären in den Industriebetrieben habe ich eine andere Sorge: Die Einheitsgewerkschaften sind auf Gegner in den eigenen Reihen und Betrieben nicht eingestellt. (…)
Die Tilgung dessen, was seit Jahren unter dem Stichwort »Postdemokratie« Phänomene bzw. Erfahrungen der halbierten Demokratie, betrieblicher Realitäten und multipler Krisen bezeichnet, aber auch die Tilgung von Erfahrungen sozialer und politischer Emanzipation erzeugt häufig eine Abwehrreaktion, ein starkes Misstrauen, dass diese Instrumente die Ordnungsmacht über die Arbeiter:innen vertiefen sollen. Oder anders gesagt: Der Kapitalismus, der die Masse der Menschen von zentralen demokratischen Entscheidungsprozessen fernhält, wird sich auch mit noch so breiten Kampagnen zur Verteidigung der Demokratie im »demokratischen Bewusstsein« des einzelnen Arbeiters nicht integrieren lassen. Gegen einen organisierten Gegner, der diese Widersprüche aufdeckt, werden bürgerliche Halbbildung und individualistische Ansätze nicht greifen. (…)
Während das Zentrum Automobil die DGB-Gewerkschaften offen angreift, ist das bei der AfD etwas differenzierter: Derzeit gibt es zwar noch weitgehend einen Waffenstillstand mit den Gewerkschaften, doch bei zunehmender Verankerung von AfD-Mandatsträger:innen in den Betrieben steigt die Wahrscheinlichkeit eines Umschlags von Quantität (Anzahl an Funktionären) in Qualität (offener Angriff). Was trennt Parteistrateg:innen davon, die Kolleg:innen für die nächste Kampagne abzurufen? Nehmen wir als Beispiel das Thema De-Industrialisierung: Was, wenn die AfD ihre Parteibasis auch in den Betrieben, auf Betriebsversammlungen oder in der Kantine zu einem Großangriff auf die Industriepolitik der Altparteien und der Gewerkschaften anfeuert? Motive einer Betriebsstrategie sind bei ihren neurechten Vordenkern nachzulesen. Im Betrieb würden Motive, Emotionen, Bindungen aufgebaut, die sich politisch wenden ließen. (…)
Wenn wir ehrlich sind, wird der Pfad der fossilen Produktion, der fossilen Gewerkschaft, der massenhaften Automobilproduktion als Grundlage des BRD-Sozialstaats zu Ende gehen. Das Unbehagen darüber ist im Industriebereich riesengroß. Die Politikverdrossenheit ist einer veritablen Systemverdrossenheit gewichen. Da ist Arbeitsleid, Monotonie und Entfremdung, da sind Absatzkrisen, Überproduktionskrisen, Inflation, Unsicherheiten, Verlagerungen und Umstrukturierungen, fehlende Anerkennung und Entqualifizierung von Erfahrungswissen. »Grüner Kapitalismus«, daran glaubt keiner. »Verbesserung der Standortbedingungen«, wem nützt das vor allem?
Konversion und Arbeiterselbstverwaltung sind für die meisten Arbeiter Worthülsen – wem sollte man übelnehmen, dass der Hungerstreik bei GKN in Florenz nicht als Erfolg bewertet wird? Vertrauen auf den Staat, der sich über Jahre zurückgezogen hat, gibt es nicht mehr – Beispiele, die nicht funktionieren, dagegen viele. Darüber können die Beschäftigten stundenlang diskutieren. Die stabilen Kolleg:innen, die sich dieser Auseinandersetzung stellen, verdienen jeden Respekt! Aber was sollen sie am Ende des Tages dagegenhalten? Auch ihnen fehlt der Plan. (…)
Die Angriffsflächen sind riesengroß. Selbst wenn die Rechten keine Mehrheiten organisieren werden, ist der Druck, den sie in Gremien, Betriebsversammlungen, als gegnerische Listen, in jedem einzelnen Betrieb auf die stabilen Kolleg:innen ausüben können, gewaltig – auch auf institutionelle Kompromisse, die sie anfechten und ausschlachten. Wir sollten uns auf einen Kampf einstellen. Die Gefahr, dass viele Kolleg:innen dabei resignieren, den Waffenstillstand suchen, ist derzeit groß. Im Sturmzentrum der Entwicklung ist es sehr einsam. Wo bleibt die Solidarität?
Weil die Lage so ist, wie sie ist, wird dieser Text kein versöhnliches Ende finden. Die Industriegewerkschaften und die Sozialdemokratie stehen am Rande einer Niederlage. Der fossile Weg geht zu Ende. Die technologischen und sozialen Fortschrittsversprechen verfallen tendenziell. Da die industrielle Wertschöpfung nach wie vor dominiert, hängt auch der Dienstleistungsbereich an einer immer prekäreren Umverteilung. Der Sozialismus, der notwendig wäre, ist gesellschaftlich diskreditiert, seine Anhänger:innen isoliert. Am Horizont: die ökologische Katastrophe und eine neue Barbarei…“ Artikel von Alf Anschütz in der Soz Nr. 09/2024 - [Klaus Dörre im Interview] Welche spezifischen Gründe gibt es für Beschäftigte in der Automobilindustrie, AfD zu wählen?
„… In manchen Betrieben der Automobilindustrie wählt ein Drittel der Beschäftigten die AfD. Der Jenaer Soziologie-Professor Klaus Dörre hat sich eingehend mit dem Thema beschäftigt und für eine Studie zur Transformation der Autoindustrie auch Beschäftigte des VW-Werks in Baunatal befragt. Am Dienstag diskutiert er bei einer Veranstaltung im Kasseler DGB-Haus über „Rechtsradikalismus in den Betrieben“. Im Interview erklärt der 66-Jährige, warum die Forderung von CDU-Chef Friedrich Merz nach einer Abkehr vom Verbrenner-Aus die AfD weiter stärkt. (…)
Rechtspopulisten und Nationalradikale gewinnen Wähler in allen Gruppen und Schichten der Gesellschaft, aber bei Arbeitern gibt es diesen Überhang, vor allem bei Männern. Neu ist, dass selbst aktive Gewerkschaftsmitglieder Sympathien für die AfD haben können. Begründet wird das oft mit dem Argument: Wenn Rechte und Linke zusammenkommen, könnten die Gewerkschaften richtig stark sein. (…) Die Automobilindustrie hat sich lange gegen die notwendige sozialökologische Transformation gewehrt. Mittlerweile setzt auch das VW-Management auf grünes Wachstum. Doch bei vielen, die am Band arbeiten, gibt es eine große Skepsis gegenüber der E-Mobilität. Sie verweisen auf die schmutzige Produktion der Batterien und möchten glauben, mit E-Fuels könne man einfach so weitermachen wie bisher. Viele ziehen nicht mit, wenn das Baunataler Komponentenwerk auf nachhaltige Mobilitätskonzepte setzt. Und wenn Politiker wie CDU-Chef Friedrich Merz und Sahra Wagenknecht die Abkehr vom Verbrenner-Aus fordern, fühlen sie sich bestätigt. (…) Die AfD verbreitete schon immer die These, es sei eine Verschwörung gegen die deutsche Industrie, wenn es den vermeintlich sauberen Diesel nicht mehr gibt. Das wiederholen Merz, Wagenknecht und die FDP jetzt. Das Umsetzen ihrer Forderung hätte verheerende Folgen. Während im Baunataler VW-Werk unterschiedliche Komponenten hergestellt werden, hängen in Zwickau zehntausend Beschäftigte auf Gedeih und Verderb von der E-Mobilität ab. (…) Bei Opel in Eisenach wählt etwa ein Drittel der Belegschaft AfD. In Baunatal wird der Anteil nicht ganz so hoch sein. Es gibt wenige, die sich offen zur AfD bekennen, aber viele artikulieren ihre Wut gegenüber Grün. 80 Prozent der Beschäftigten des Baunataler Werks wohnen auf dem Land und haben zum großen Teil lange Anfahrtswege. Mit Bus und Bahn wären viele sehr lang zur Arbeit unterwegs. Und trotzdem hören sie, wie Politiker oft über den ÖPNV reden, der für sie selbst keine Alternative sein kann. Die Betroffenen klagen über doppelte Standards. Das schafft Wut. Viele halten die AfD zudem für eine demokratische Partei, denn sie ist ja nicht verboten. Sie finden es falsch und undemokratisch, dass sich alle gegen sie zusammentun. (…) Bei Opel in Eisenach gibt es eine queere Vertrauensfrau im Betriebsrat. Gespräche mit Kollegen fängt sie manchmal mit der Frage an: „Magst du mich?“ Dann erklärt sie den Kollegen, welches Familienbild die Partei propagiert und was das für Menschen wie sie bedeutet, die nicht in dieses Weltbild passen. Damit ist sie oft erfolgreich. Man sollte den Menschen auf Augenhöhe begegnen und sie nicht nur mit Fakten und Zahlen konfrontieren. Auch in Baunatal gibt es großartige Gewerkschafter, die mit den Menschen sprechen, ohne sie abzustempeln…“ Interview von Matthias Lohr vom 8.07.2024 in hna.de („Soziologe erklärt: Darum wählen so viele Arbeiter die AfD“)- Anlaß ist die Veranstaltung in Kassel: „Rechtsradikalismus in den Betrieben – Ursachen und Folgen für die Demokratie“, Diskussion mit Klaus Dörre und Orry Mittenmayer (Gewerkschafter, SPD): Dienstag, 9. Juli (18 Uhr), DGB-Haus (Spohrstraße 6-8). Moderation: Michael Lacher. Veranstalter: Initiative Nachgefragt, DGB, Arbeit und Leben, GEW, Evangelisches Forum. Siehe Infos beim DGB Nordhessen
- Treffen zum Thema „Antifaschismus und Klassenkampf“ in Berlin im Juni 2024 debattierte über die „Rebellion gegen den Mainstream und das System“
„Die Wahlergebnisse sind in den Nachrichten, die rechtsgerichtete AFD konnte in Deutschland viele Stimmen gewinnen, insbesondere unter jüngeren Wählern in den östlichen Teilen Deutschlands, die aus der Arbeiterklasse stammen – was ist da los? Diese Notizen von einem kürzlich stattgefundenen Treffen werfen ein Licht auf die aktuellen Bedingungen in den Betrieben und Arbeitergemeinschaften sowie auf die Situation der politischen Linken. Weitere Debatten sind notwendig: Ist ein „ehrlicher Syndikalismus“, d.h. ein kämpferischer Syndikalismus an der Basis, ausreichend, um der Rechten etwas entgegenzusetzen? Brauchen wir alternative politische Positionen, wenn es um Krieg, Krise, die neoliberale Zerstörung von Arbeiterklassengemeinschaften geht – wozu auch die Zunahme von Gewalt und Kriminalität von Armen gegen Arme gehört? Wie können wir der Falle entgehen, die Demokratie zu verteidigen, wenn bestimmte Rechte und erkämpfte Freiheiten wie das Recht auf Abtreibung oder die Freiheit, seinen gleichgeschlechtlichen Partner auf der Straße zu küssen, angegriffen werden? Sind die „Faschisten“, z.B. die Regierung Meloni in Italien, tatsächlich Faschisten oder eher autoritäre Neoliberalisten? Wie können wir über die „kommunistische Revolution“ als realistische und pragmatische gesellschaftliche Alternative diskutieren, damit die Rebellion der Arbeiterklasse in Zeiten, in denen die „Rebellion gegen den Mainstream und das System“ von der Rechten gekapert wird, eine tatsächliche Richtung hat? Vielen Dank an unsere Genossinnen und Genossen von den Angry Education Workers, die uns bei der Redaktion des Textes geholfen haben…“ Einleitung zum Protokoll vom 25. Juni 2024 der AngryWorkers („Notizen von einem Treffen zum Thema „Antifaschismus und Klassenkampf“ in Berlin im Juni 2024″, engl., maschinenübersetzt), zu Wort kommen ein Elektroingenieur, ein Anarcho-Syndikalist aus Ostdeutschland, ein Gewerkschaftssekretär der Lebensmittelgewerkschaft NGG Ost und eine Gewerkschaftssekretärin der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi aus Jena - DAS UMFRAGEHOCH DER AFD. Aktuelle Erkenntnisse über die AfD-Wahlbereitschaft aus dem WSI-Erwerbspersonenpanel
„Der vorliegende Report analysiert anhand von zehn Erhebungswellen des WSI-Erwerbspersonenpanels die AfD-Wahlbereitschaft vor dem Hintergrund des aktuellen Umfragehochs der AfD. Neben den Wähler*innen-Wanderungen werden die AfD-Wählenden im Profil sowohl hinsichtlich ihrer demografischen und arbeitsbezogenen Merkmale als auch ihrer Sorgen, ihres Vertrauens und ihrer Perspektive auf die Pandemie und auf den Krieg in der Ukraine vorgestellt. Zudem wird analysiert, wie sich neu hinzugekommene Wählendengruppen der AfD von etablierten Stammwählenden in diesen Punkten unterscheiden. Es zeigt sich, dass die AfD zuletzt auch Wählendengruppen ansprach, die sie bisher kaum erreichen konnte und die sich von etablierteren AfDWählenden unterscheiden. AfD-Wählende zeigen sich jedoch einheitlich als hochbelastet, misstrauisch und hochbesorgt. Die Zuwanderungsbegrenzung scheint das einende Thema zu sein, mit dem auch neu hinzugekommene Wählendengruppen angesprochen werden, die sonstige AfD-Positionen weniger stark teilen und auch bisher noch kein allzu großes Vertrauen in die AfD aufgebaut haben…“ Studie von Andreas Hövermann als WSI-Report Nr. 92 vom November 2023 - In der umfangreichen WSI-Pressemitteilung vom 30.11.2023 dazu heißt es u.a.: „… „Die Studie zeigt, dass es der AfD gelungen ist, noch stärker als bisher in die gesellschaftliche Mitte vorzudringen. Dabei wird diese Partei nicht trotz, sondern wegen ihrer migrationsfeindlichen Positionen gewählt. Gleichzeitig wird deutlich, dass Erfahrungen mangelnder sozialer und demokratischer Teilhabe, vor allem im Kontext von Erwerbsarbeit, ebenso wie materielle Sorgen mit der Wahl der AfD in Zusammenhang stehen“, ordnet Prof. Dr. Bettina Kohlrausch, wissenschaftliche Direktorin des WSI, die neuen Ergebnisse ein. (…) „In der Studie wurden verschiedene Dimensionen von Würde im Arbeitskontext untersucht, zum Beispiel, stolz auf die eigene Arbeit zu sein oder eine abwechslungsreiche Tätigkeit ausüben zu können. Es wird deutlich, dass neben der Erfahrung von materieller Sicherheit auch diese Erfahrungen ebenso wie das Erleben sozialer Anerkennung und demokratischer Teilhabe im Kontext von Erwerbsarbeit einen Einfluss darauf haben, ob Menschen sich dafür entscheiden, ihre Stimme der AfD zu geben“, sagt WSI-Direktorin Kohlrausch. „Erwerbsarbeit ist ein wichtiger Mechanismus sozialer Integration. Wenn Menschen dort dauerhaft Erfahrungen von Desintegration machen, schadet das der Demokratie.“…“
Siehe die einzelnen Meldungen zu den Wahlergebnissen in der Rubrik Gewerkschaften gegen Rechte/Nazis