Schon ein Tag würde genügen: Wie die Rechten aller Parteien ihren Sieg in Thüringen feiern – und dafür mobilisieren, ihn zu wiederholen

Internationale Wochen gegen Rassismus 2017 (13. bis 26. März): "100 Prozent Menschenwürde - Zusammen gegen Rassismus"„… „Nichts ist wieder in Ordnung“, sagt Konrad Erben von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland (ISD). Den Jenaer beruhigt es nicht, dass der durch die Stimmen der AfD frisch gewählte Ministerpräsident Thüringens Thomas Kemmerich (FDP) sein Amt nach knapp 24 Stunden wieder abgeben will. „Wir stehen vor den Trümmern dessen, was CDU, FDP und AfD angerichtet haben.“ (…) „Wir haben es immer geahnt: Wenn es hart auf hart kommt, dann sind alle politischen Ansagten nichtig“, sagt auch Mamad Mohamad. Er ist Vorstandsmitglied des Dachverbands Migrantenorganisationen in Ostdeutschland (DaMOst) und Geschäftsführer der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt. Die Wahl Kemmerichs mithilfe der AfD habe erneut gezeigt, „dass wir keine politische Lobby haben, dass unsere Sorgen nicht zählen“, sagt Mohamad. „Das verunsichert uns als Menschen, die wir hier in Ostdeutschland leben.“ (…) Nicht nur in Deutschland, auch in Europa und den USA nehme der Nationalismus zu. „Ob bewusst oder unbewusst – unsere Mitglieder wissen, dass eine Zunahme des Nationalismus immer mit Problemen für die Minderheiten verbunden ist.“ Besonders die jungen Leute überlegten nun, ob es nicht besser sei, nach Israel zu gehen, statt in Deutschland einen Studien- oder Arbeitsplatz zu suchen…“ so einige der zitierten Stimmen in dem Beitrag „„Wir stehen vor Trümmern““ von Dinah Riese am 06. Februar 2020 in der taz online externer Link über die Reaktion von Menschen, die zu den Zielobjekten jener Kräfte gehören, die sich da in Thüringen vereint haben. Siehe dazu eine kleine aktuelle Materialsammlung, die unter anderem Beiträge über die Reaktionen der (parteiübergreifenden) Rechten ebenso deutlich macht, wie Ansätze erster Analysen des Vorgangs – und jeweils einen beispielhaften Beitrag zu den Protesten gegen das Vorgehen der Thüringer Front und zur Problematik des „Bedienens der Mitte“ durch Linke…

„Thüringens CDU lehnt schnelle Neuwahlen ab“ am 07. Februar 2020 im Tagesspiegel online externer Link meldet unter anderem geschlossene Reihen bei den AfD-Partnern: „… Thüringens CDU lehnt rasche Neuwahlen ab – und stellt sich damit gegen den ausdrücklichen Wunsch der Bundespartei und CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Nach einer mehrstündigen Krisensitzung in Erfurt teilte Kramp-Karrenbauer mit, dass erst innerhalb des bestehenden Landtags eine Lösung gefunden werden solle. „Klar ist auch, sollten diese Gespräche scheitern, stehen am Ende unausweichlich Neuwahlen“, sagte sie zugleich. Zuvor hatte der CDU-Landesvorsitzende Mike Mohring eine Vertrauensfrage im Vorstand seines Landesverbandes überstanden. Auch der Thüringer FDP-Landesvorstand sprach seinem Vorsitzendem sich am Donnerstag hinter seinen Vorsitzenden Thomas Kemmerich…“

„Der Rechtsruck einer Großstadtpartei“ von Uwe Rada am 06. Februar 2020 in der taz online externer Link zu den Verteidigern des Vorgehens auch außerhalb von Thüringen: „Bereits um 15.16 Uhr meldete sich der Berliner CDU-Fraktionsvorsitzende Burkard Dregger zu Wort. „Das ist eine demokratische Entscheidung, die nicht zu kritisieren ist“, sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Auch wenn es in Thüringen nun doch Neuwahlen geben sollte, das Statement von Dregger ist von Dauer. Und es ist erstaunlich, weil sich die Unionsspitze ganz anders positioniert. Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag habe „ausdrücklich gegen die Empfehlungen, Forderungen und Bitten der Bundespartei“ gehandelt, betonte CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwochabend und sprach sich für Neuwahlen aus. Am Donnerstag sprach dann Angela Merkel von einem „unverzeihlichen Vorgang“. Doch die Mahnungen von Merkel und AKK sind Dregger schnuppe. Seine Linie stand schon vorher fest: „Einen Grund für Neuwahlen sehe ich nicht“, betonte er in seinem Statement um 15.16 Uhr. „Der Wähler hat entschieden, die Parteien müssen damit umgehen und haben das am Mittwoch im Landtag getan.“ Die CDU müsse nun mit der FDP über eine Regierungsbildung reden. Auch von Landeschef Kai Wegner gab es keine Distanzierung…“

„Das rechte Komplott“ von Konrad Litschko am 06. Februar 2020 in der taz online externer Link zur Reaktion der Rechtsradikalen: „… Und „Ein Prozent“ war nicht allein. Seit dem Trick der AfD – die Partei gab im dritten Wahlgang nicht mehr ihrem Kandidaten, sondern FDP-Mann Kemmerich alle Stimmen und verhalf ihm so zum Sieg – herrscht in der neurechten und rechtsextremen Szene Hochstimmung. Von einer „Sensation“ spricht der Identitäre Martin Sellner. Der neurechte Vordenker Götz Kubitschek preist seinen Vertrauten Björn Höcke, Thüringens AfD-Chef: „Das taktische Arsenal der AfD ist um eine feine Variante reicher.“ Und Philipp Stein, Kopf von „Ein Prozent“, jubelt über einen „Paradigmenwechsel“. Der Jubel kommt nicht von ungefähr. Denn all diese neurechten Protagonisten sind eng mit der AfD verbandelt – und sehen sich als gemeinsames Netzwerk. Die AfD als parlamentarischer Arm, Kubitscheks Institut für Staatspolitik als Denkfabrik sowie „Ein Prozent“ und die Identitären als außerparlamentarische Kraft. Ihr Ziel: eine Kulturrevolution von rechts. Mit dem Coup in Thüringen sieht man sich nun einen Schritt vorangekommen – auch wenn noch offen ist, wie viel der Sieg Kemmerichs ihnen am Ende tatsächlich nutzt, wenn es nun zu Neuwahlen kommt...“

Aus einem Tweet bei den Jungen Liberalen am 05. Februar 2020 externer Link zu ihrem Thüringer Ministerpräsidenten von AfDs Gnaden trotzig: „Er hat damit einen Landeschef von den Rändern verhindert – und das in dem Wissen, dass viele Linke nun versuchen werden, die FDP in die Nähe der AfD zu rücken. Kemmerich hat die Zukunft Thüringens vor das Ansehen der Partei gestellt“.

„PM: In der Hochschulpolitik ist Kooperation von AfD und FDP nicht neu“  am 06. Februar 2020 beim ZfS externer Link ist eine Pressemitteilung der StudentInnenschaften, in der es unter anderem heißt: „… Neben Anfragen wie z.B. in Sachsen, wo nach der im Bundesland lebenden Anzahl gebärfähiger Frauen gefragt wurde, häuften sich auch die Anfragen, die die Legitimität verfasster Student*innenschaften anzugreifen suchten. Hier zeigten sich laut fzs auch im Mikrokosmos Hochschule die Gründe für die Kooperation zwischen AfD und FDP. Insbesondere die antifaschistische Aufklärung über Burschenschaften wird von beiden kritisiert, die nicht selten selbst Teil von Verbindungen sind. Nur folgerichtig, dass sie nunmehr auch im Landtag mit ihren Verbindungsbrüdern gemeinsame Sache machen. Die Ablehnung von studentischer Selbstverwaltung als Teil der Hochschuldemokratie entspringt einem Verständnis von Politik, wonach generell Eigentumsrechte und Marktmechanismen demokratischen Entscheidungen vorzuziehen sind. Genauso wie die unternehmerische Hochschule also der Hochschuldemokratie vorgezogen wird, wird auch ansonsten ein Nachtwächterstaat befürwortet, der vor allem das Grundrecht auf Eigentum gewährleisten soll…“

„Durchbruch nach rechtsaußen“ am 06. Februar 2020 bei German Foreign Policy zu politischen Gemeinsamkeiten der Thüringer Front: „… Zu den Positionen der AfD gehören neben rassistischen, antisemitischen und völkisch-nationalistischen Haltungen auch militaristische Anschauungen. So heißt es in der Parteiprogrammatik, die Bundeswehr sei durch „geistig-moralische Reform“ wieder auf „deutsche Werte“ wie etwa „Ehre“ und „Treue“ zu verpflichten; zudem diene „das Traditionsbild der deutschen Streitkräfte … der Motivation jedes einzelnen Soldaten zum unerbittlichen Kampf im Gefecht“. Deutsche Militärs sind unter den Mitgliedern der Partei überdurchschnittlich stark vertreten. Der Durchbruch, der der AfD gestern gelungen ist, gilt auch einer besonders brutalen Variante der Außen- und Militärpolitik…“

„„Nun wächst zusammen, was zusammen gehört““ von Albrecht Müller am 05. Februar 2020 bei den Nachdenkseiten externer Link ist eine dokumentierende Zitatensammlung, die folgendermaßen eingeleitet wird: „So kommentiert unser gelegentlicher Autor Hans Bleibinhaus die Wahl des FDP-Politikers Kemmerich zum Ministerpräsidenten von Thüringen. Die Unterschiede zwischen CDU/CSU und FDP einerseits und der AfD andererseits sind sowieso nicht groß. Sie sind sich in jedem Fall im Kampf gegen alles Linke einig…“

„Thüringen: Vom Hufeisen zum Steigbügel“ von Jane am 06. Februar 2020 beim Lower Class Magazine externer Link dazu: „… Wenn Neoliberale es vorziehen, mit Faschisten zu paktieren, um einen gemäßigten, bürgerlichen Linken zu verhindern, können wir immer noch den Anfängen wehren, nicht wahr?  Was ist eigentlich, wenn doch alle aus der Geschichte gelernt haben und genau das unser aller Verhängnis wird? Das ewige, mediale Rezipieren der Hufeisentheorie über rechten und linken Extremismus hat dystopische Zustände etabliert. Connewitz, Umweltsau, von Faschisten aus dem Amt gemobbte Bürgermeister, radikal verschärfte Polizeigesetze, Überwachungsgesetze, FDP. 2020 ist vom Hufeisen zum Steigbügel fortgeschritten in nur wenigen Wochen. Susanne Hennig-Wellsow wirft Kemmerich nach seiner Wahl die Blumen vor die Füße und macht einen Knicks, Bodo Ramelow zitiert Hitler, und Kevin Kühnert glaubt (vermutlich ernsthaft), dass er in einer antifaschistischen Partei ist. Was würde ich tun mit politischer Immunität… „

„Thomas Kemmerich: Alles, nur nicht „blass und indifferent““ von Tobias Peter am 05. Februar 2020 in der FR online externer Link zum Frontkandidaten unter anderem: „… Wer ist der Mann, der nun zum Ministerpräsidenten gewählt worden ist? Und der sichtlich tief durchgeatmet hat, bevor er am Mittwochmittag im Thüringer Landtag aufgestanden ist – und sagte: „Ich nehme die Wahl an.“ Kemmerich – seit vier Jahren Landesvorsitzender der FDP – hat eine ungewöhnliche Biografie. Als die Mauer fiel und viele Menschen vom Osten in den Westen gingen, da zog es den gebürtigen Aachener nach Thüringen. Der damals 24-Jährige hatte gerade sein erstes Staatsexamen in Jura abgeschlossen und ein paar Kurse in Betriebswirtschaft an der Uni besucht. In Erfurt machte er sich als Unternehmensberater selbstständig und beriet landwirtschaftliche Betriebe und Unternehmen aus dem Handwerk. Dann baute der Mann, dessen Glatze heute eines seiner Markenzeichen ist, eine Friseurkette in Thüringen auf. Er ist Vater von sechs Kindern. Im Thüringer Wahlkampf setzte sich der Unternehmer gern als unkonventioneller Macher in Szene. Er inszenierte sich in Cowboystiefel, einer seiner Wahlkampfslogans lautete: „Endlich eine Glatze, die in Geschichte aufgepasst hat.“ Mit diesen Plakaten, für die Kemmerich seinen kahlen Kopf von hinten fotografieren ließ, warb er um Aufmerksamkeit für seine Partei, die in ganz Thüringen etwa 1300 Mitglieder hat. Den Slogan dürfte ihm noch mancher vorhalten – jetzt, da er auch mit Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten gewählt wurde. Kemmerich war nie einer, der Angst hatte, anzuecken – übrigens auch nicht gegen Parteichef Christian Lindner. „Häufig zu blass und indifferent – das sind die Attribute, die der FDP in den aktuellen politischen Debatten von der Bevölkerung zugeschrieben werden“, mahnte er nach den verlorenen Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen in einem Schreiben an Lindner. Es las sich damals, als wolle er den Parteichef wachrütteln. Kemmerich findet, das hat er damals deutlich gemacht, die FDP müsse den Fokus auf Kernthemen wie die Wirtschaftspolitik legen. In der Migrationspolitik gab er sich als Law-and-Order-Mann. Zudem trat er für bessere Beziehungen zu Russland ein. Das war ein Portfolio, das auf die Wähler in Ostdeutschland zugeschnitten war. Und so hievte er die Partei als Spitzenkandidat knapp über die Fünf-Prozent-Hürde – mit nur 73 Stimmen mehr als notwendig. Für die FDP war es ein Riesenerfolg, dass sie es überhaupt mal wieder in einem ostdeutschen Bundesland in ein Parlament schaffte. „Wenn die FDP ins Parlament kommt, haben Rot-Rot-Grün und Ramelow definitiv keine Mehrheit mehr“, hatte Kemmerich im Wahlkampf angekündigt…

„Nürnberg: Alle zusammen gegen den Faschismus! „ am 05. Februar 2020 bei der ANF externer Link soll hier lediglich als Beispiel stehen für viele entsprechende Berichte aus zahlreichen Orten: „… Wie in vielen anderen deutschen Städten versammelten sich auch in Nürnberg spontan Menschen gegen die Normalisierung des Faschismus durch die „bürgerliche Mitte“. Als Reaktion auf die Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich zum neuen Regierungschef in Thüringen mit Hilfe der Stimmen von AfD, CDU und FDP sind heute Abend in ganz Deutschland kurzfristig viele Menschen auf die Straße gegangen....“  Siehe z.B. auch: FDP. Gelb ist das neue Braun. Bericht und Bilder von den Protesten vor der FDP-Zentrale am 05.02.2020 in Berlin von und bei Umbruch Bildarchiv externer Link

„“Straight to Hell“ und „NSDAP-Methoden“ – Wenn ein Ministerpräsident Antifaschisten als Arschlöcher bezeichnet“ von Alexander Nabert am 04. Mai 2016 bei Vice externer Link zu einem Vorgang, der deutlich macht, wie wenig es sich auszahlt, wenn man „mittig“ erscheinen möchte: „… Aber nur weil drei Antifa-Gruppen in irgendeinem kleinen Ort eine Demonstration veranstalten, interessiert sich noch lange niemand dafür. Es braucht schon Auseinandersetzungen mit Neonazis, Polizei oder Anwohnern, damit berichtet wird. Bleiben solche Auseinandersetzungen aus, druckt die Lokalpresse den Bericht vom entsendeten Praktikanten lieber doch nicht ab, weil die Geschichte über den Zirkus, der gerade im Nachbarort ist, spannender ist (da gibt es nämlich einen Löwen). Die Demo, die diesen Donnerstag, also Christi Himmelfahrt, unter dem Motto „Straight to Hell“ dort stattfinden soll, bekommt allerdings erstaunliche Aufmerksamkeit. Neben Thüringer Landespresse berichten auch überregionale Medien wie Die Zeit oder die Bild, noch bevor ein einziger Antifa-Reisebus die Dorfgrenze erreicht hat. Und das hat einen Grund: Bodo Ramelow. Bodo Ramelow ist seit 2014 der Ministerpräsident von Thüringen. Das Besondere daran ist vor allem: Er ist der erste Ministerpräsident, der der Linkspartei angehört. Wenn es überhaupt eine Partei gibt, die Antifa-Demonstrationen eher sympathisch als unsympathisch findet, ist es die Linke. Von der geplanten Demo in Bornhagen hält Bodo Ramelow allerdings nichts. Am 10. April reagierte er auf Twitter auf eine kurze Meldung in der Thüringer Landeszeitung, nach der die Antifa eine Demo vor Höckes Wohnhaus planen würde. Davon ist zwar im Aufruf der Demo nichts zu lesen, und mittlerweile hat ein Aktivist des Demonstrationsbündnis in einem Interview mit der linken Wochenzeitung Jungle World auch klargestellt, dass Höckes Privathaus nie das Ziel der Demonstration war, aber die Meldung war so nun schon einmal in der Welt. Es war dieser Tweet von Ramelow, der die Demonstration überhaupt erst zu einem Thema machte. Wäre man ein Schelm, könnte man meinen, Ramelow wollte den Demonstranten einen Gefallen tun und möglichst viel Aufmerksamkeit auf die Demonstration lenken (denn wie ginge das besser als mit den Worten „Nazi Methoden“?), aber Ramelow machte in Dutzenden Folge-Tweets klar, dass er die Demo tatsächlich ziemlich blöd findet. Doch wenn ein Ministerpräsident, der ausgerechnet der Linkspartei angehört, einer Antifa-Demo „Nazi Methoden“ vorwirft, kann man sich auf wochenlange Debatten einstellen...“

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