Die BRD hat ein rassistisches „Eliten“-Problem: Nicht nur beim Milliardär Tönnies
Wie oft waren bei Sportübertragungen jene Reporter zu hören, die sich mutig zeigen und die „Idioten, die Bengalos abbrennen“ beschimpfen? Ein bisschen weniger billig wäre aktuell der Mut gewesen von „Idioten, die rassistische Parolen verbreiten“ zu sprechen – aber den Mut brachte, unserer Kenntnis nach, keiner auf. Bengalos sind eindeutig weniger gefährlich als etwa Sylvester-Feuerwerk – und erst recht als rassistische Hetzparolen. Nun haben die Schalker Fans am Wochenende Stellung bezogen, mit der Forderung dem Rassismus die rote Karte zu zeigen – und sie haben diese Forderung keineswegs unpersönlich gelassen. Dagegen geredet haben keine der mutigen Reporter, aber immer artig darauf verwiesen, dass es natürlich auch Fans gebe, die das ganz anders sehen – womit sie sicher einerseits ausnahmsweise einmal recht haben, aber man hätte vielleicht auch auf die ganze Fußball-„Prominenz“ verweisen können, die das ebenfalls ganz anders sieht, als die aktiven und antifaschistischen Schalker Fans… Einmal abgesehen davon, dass sich bisher keiner der Unternehmer, die „Tönnies live“ erlebt hatten, auch nur im Ansatz distanziert hätte. Einmal abgesehen davon, dass sich von uns aus gerne jede und jeder zur Elite zählen kann, wenn das befriedigend wirkt – und was es auch immer sei – hat offensichtlich eben gerade diese vor allem das Rassismus-Problem… Siehe dazu zwei aktuelle Kommentare, einen Beitrag über das Schweigen der Gesinnungsfreunde – und den Hinweis auf unsere erste kleine Materialsammlung zum Thema:
- „Kein Wunder, dass Clemens Tönnies ganz Afrika verachtet“ von Daniel Kothenschulte am 11. August 2019 in der FR online kommentiert: „… Dennoch ist er auch für Tagesschau- und Tagesthemen-Chef Kai Gniffke kein Rassist. „Wieder definiert ein weißer Mann, was Rassismus ist“, war der spontane Kommentar einer afrodeutschen Bekannten. Gniffkes Begründung ist haarsträubend: „Wenn wir alles in die Schublade Rassismus einsortieren, was man für gedankenlos, gestrig und Altherrengewäsch hält, dann erklärt man sehr viele Menschen in Deutschland zu Rassisten.“ Das verharmlost unverhohlenen Rassismus und sagt auch gleich, warum. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf: dass dieses Land ein Rassismusproblem hat. Tönnies’ Äußerung und die ausgebliebene Distanzierung von circa 1600 Gästen der Handwerkskammer in Paderborn beweist es wie ein Lackmustest. Aber Tönnies ist nicht nur Fußballfunktionär. Mit einem geschätzten Vermögen von 1,42 Milliarden Euro ist er einer der reichsten Menschen der Welt. Sein Privatjet, eine knapp sechs Millionen Euro teure Cessna Citation 4, empört wegen ihres Lärms viele Anwohner des Bielefelder Flughafens. Und als Exporteur subventionierter Fleischprodukte ist er mitverantwortlich für den Überlebenskampf afrikanischer Landwirte. Kein Wunder, dass er ganz Afrika verachtet. Das lässt die Selbstdarstellung des Unternehmens auf der Webseite fast zynisch klingen: „Unser Team Tönnies, das sich speziell auf die Aktivitäten am Weltmarkt konzentriert, kennt sich nicht nur mit den kulinarischen Gepflogenheiten der Kontinente aus.“ Tönnies’ Äußerung ist das Symptom eines moralischen Verfalls der Unternehmerkultur…“
- „Wer das Kicken liebt, hat Macht“ von Martin Kraus am 11. August 2019 in der taz online ist ebenfalls ein Kommentar zum Thema, in dem es unter anderem heißt: „… Doch was die Schalker Fans tun, ist gerade kein albernes Überstülpen fußballerischer Begriffe auf die Politik. Ihnen geht es nur um den Fußball und wie er sein muss, damit sie ihn weiter lieben können: ganz wesentlich antirassistisch nämlich. Ein Sport für alle und nicht der Fußball der Tönnies’ und wie die in anderen Klubs so heißen. (…) Die Botschaft lautet nicht nur, ganz liberal und kapitalistisch, dass jeder seine Chance hat, die mancher auch nutzt. Die Botschaft trägt auch dieses subversive Moment in sich, dass der Fußball allen die Chance gibt, einen Vorgeschmack aufs bessere Leben zu zeigen. Womit das anfängt? Mit einem Platzverweis für Clemens Tönnies zum Beispiel...“
- „Wie sich Eliten selbst entlarven – die Tönnies-Signatur“ von Wilhelm Heitmeyer am 10. August 2019 bei Spiegel online fasst die Entwicklung seit Tönnies Tirade so zusammen: „… Im Versammlungskontext ist zwar von „Irritationen“ die Rede, aber der Beifall ist nicht ausgeblieben. Es hat niemand gepfiffen, was bei den Honoratioren kaum zu erwarten war. Ein lautloses Aufstehen wäre ein symbolmächtiges Zeichen gewesen. Nichts geschah. Eine Selbstentlarvung, die auch den anwesenden Erzbischof von Paderborn betrifft. Denn die Aufforderungen zu Zivilcourage – an jeweils andere gerichtet – werden in den Predigten im Paderborner Dom nicht lange auf sich warten lassen. Aber vielleicht wollte es sich die Kirchenelite nur nicht mit der Handwerkerelite im eigenen Bistum verderben; die Handwerkerschaft des Kreises Paderborn nicht mit dem Großunternehmer im nahegelegenen Rheda-Wiedenbrück. Selbstentlarvung durch Opportunismus. Die ausbleibende „aufstehende“ Reaktion des Auditoriums ist der Effekt des Geredes von „gesamtgesellschaftlicher Verantwortung“. Sie ist die vollendete Verantwortungsdiffusion. Stimmt deshalb die These noch, dass es in der Weimarer Republik zu wenig aufrechte Demokraten gegeben habe und jetzt alles anders sei? Selbst im politisch risikolosen Kontext im heutigen Paderborn war kein öffentlich sichtbares Aufstehen – im moralischen wie körperlichem Sinne – registrierbar. Selbstentlarvung durch fehlende Zivilcourage. Insgesamt sind Nicht-Reaktionen immer auch „schweigende Parteinahmen“, nicht selten auch klammheimliche Zustimmungen. Dies müssen nicht identische Wortwahlen sein, sind aber gleichwohl ähnliche Denkmuster...“
- Siehe dazu zuerst: „Tönnies als Beispiel: Wie Rassismus salonfähig gemacht wird“ am 09. August 2019 im LabourNet Germany
- Siehe zu Tönnies auch:
- Unser Dossier: Schwarzer Freitag13. September 2019: Was sind deutsche Horror-Jobs?: Aktionen gegen Tönnies-Fleisch in Supermärkten und Stadien. Zentrale Demonstration in Rheda-Wiedenbrück.