Europa wird rechts: Von Finnland bis Spanien übernimmt die Rechte das Ruder. Fehler der Linken tragen dazu bei
Dossier
„… Mit dem Umfragehoch der AfD und dem Wählerschwund der Linken steht Deutschland nicht alleine da. EU-weit zeichnet sich ein Rechtsruck ab. Er zeigt sich nicht nur in Italien, wo die Postfaschistin Giorgia Meloni im Oktober 2022 Ministerpräsidentin wurde. Allerdings konnte sie in Brüssel durchsetzen, dass die EU ihre Agenda in der Einwanderungspolitik unterstützt. Gegenüber linken Regierungen wie der von Alexis Tsipras in Griechenland 2015 gab es weniger Entgegenkommen. Diese unterschiedliche Akzeptanz und Kooperationsbereitschaft Brüssels gegenüber den Regierungen der Mitgliedstaaten hat offenbar Auswirkung auf den grundsätzlichen politischen Kurs der Union. Denn während die Rechten Erfolge erzielen und Vereinbarungen mit Brüssel treffen, werden die Linken wie eben die damalige griechische Regierung ausgebremst und auch in geradezu entwürdigender Weise bloßgestellt…“ Beitrag von Wasilis Aswestopoulos vom 18. Juli 2023 in Telepolis , siehe dazu:
- Aufstieg der Rechten: Fragmentierung statt Globalisierung
„ Rechte Parteien werden in vielen Ländern stärker, die politische Mitte driftet nach rechts. Was das mit dem laufenden Weltwirtschaftskrieg zu tun hat
Donald Trump hat die Präsidentschaftswahl in den USA überlegen gewonnen und weltweit macht man sich auf die Suche nach den Gründen. Dabei vertieft man sich in die Sozialstruktur der Vereinigten Staaten, findet Arme und Abgehängte, Inflationsgeschädigte und Arbeitslose, die auf Trump setzen. Aber nicht nur in den USA, rund um den Globus ernten rechte Politiker*innen Zustimmung, von Marine Le Pen über Geert Wilders, von Giorgia Meloni bis Alice Weidel. Gleichzeitig rücken die Parteien der sogenannten Mitte nach rechts. »Etwas Größeres ist ins Rutschen gekommen«, schreibt der Journalist Sebastian Friedrich. Einigkeit herrscht darin, dass diese Entwicklung etwas mit der Ökonomie zu tun hat. Nur was? (…) Es ist naheliegender, dass der Trend von der Mitte selbst ausgeht. Viele soziale oder kulturelle Aspekte mögen dabei eine Rolle spielen. Aber wenn es um den ökonomischen Motor dieser Bewegung geht, ist dieser weniger die Armut der Menschen, sondern die Unzufriedenheit der Regierenden mit der Stellung ihrer Nation im globalen Wettbewerb um Geld und Macht. (…) Beinhaltete bei Marx der Begriff der Arbeiterklasse noch eine Kritik an der Unterwerfung der Arbeit unter die Vermehrung privaten Reichtums, so soll im Begriff der »(hart) arbeitenden Klasse« ein Lob ausgedrückt sein – Arbeit als Dienst an der Gemeinschaft – und ein berechtigter Anspruch – Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum muss man sich durch Arbeit verdienen. »Leistungsträger« werden gefeiert. Wer dagegen nicht arbeitet, gerät unter Verdacht. Es sei denn, die Person verfügt über ausreichend Geld, sodass sie nicht arbeiten muss, sondern andere für sich arbeiten lassen kann. Dieser Verdacht erhärtet sich in der Krise: Gelten vorgestellte Gemeinschaftsgüter wie »unser Wohlstand« oder »unsere Industrie« als bedroht – wie derzeit – so beginnt die Suche nach jenen, die Ressourcen erhalten, obwohl sie nicht oder nicht genug zur Produktion des Reichtums beigetragen und sich folglich als wenig nützlich erwiesen haben. Dabei geraten zum einen Bezieher von sozialen Leistungen wie Bürgergeld ins Visier; zum anderen jene, die nicht von hier sind, die Migrant*innen. Sie werden verschärft nach Nützlichkeit sortiert oder zur Nützlichkeit angehalten. (…) Der »subjektive« Rechtstrend, also die Einstellung und das Wahlverhalten der Menschen, ergibt sich nicht allein aus privaten wirtschaftlichen Sorgen der Menschen, sondern daraus, dass sie der Lagebestimmung der Regierenden folgen. Sie identifizieren ihre eigenen Nöte mit denen des Standortes, für sie haben ihre hohen Heizkosten und die Kostennachteile der heimischen Industrie die gleiche Quelle. Basis dieser Identifikation ist das – vertraute – Bild einer »Volkswirtschaft« als Gemeinschaftsaufgabe, in der nicht die Eigentumslosen den Reichtum der Eigentümer verwerten, dafür einen Lohn erhalten und gegebenenfalls entlassen werden, sondern in der jeder seinen Dienst leisten muss – und von deren Erfolg alle tatsächlich abhängig sind. Diese Abhängigkeit vom Bruttoinlandsprodukt und seinem Wachstum ist die materielle Grundlage dafür, dass die Klassengesellschaft als Produktionsgemeinschaft umgedeutet wird, um deren Wettbewerbsfähigkeit sich alle sorgen sollen und die durch Umverteilung von oben nach unten nur gefährdet würde. (…) In diesem Programm angelegt ist der Übergang zu purem Zwang und zur Gewalt – bis zum Krieg. Denn nicht nur die Verlierer des Weltmarktes sind nicht immer bereit, »das für sie ungünstige Marktergebnis friedlich zu akzeptieren«, so der Politologe Christoph Scherrer, »auch manche Gewinner sind sich ihres Gewinns nicht gewiss und versuchen, ihn mit nicht marktförmigen Methoden zu sichern«.“ Artikel von Stephan Kaufmann vom 15. November 2024 in Neues Deutschland online - [extreme Rechte in Europa] »Die Menschen wählen nicht nach ihren ökonomischen Interessen«
„Floren Aoiz, Leiter der linken baskischen Parteienstiftung Iratzar, über die extreme Rechte in Europa und das Nachleben des spanischen Faschismus
[Die Erfolge der extremen Rechten sind oft unbegreiflich: In Österreich beispielsweise folgte auf ein Extremwetterereignis mit schweren Überschwemmungen der Wahlsieg der FPÖ, die den Klimawandel leugnet.]
Möglicherweise wählen viele Menschen die Rechte genau deshalb – als Instrument der Realitätsverweigerung. Ich denke, wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, Menschen würden auf der Grundlage ökonomischer Interessen wählen. So als seien Ausbeutung und Gerechtigkeit Phänomene, die sich sofort durchschauen lassen. In Wirklichkeit hängt unsere Wahrnehmung stark von Werten und Einstellungen ab. Sie durchläuft einen Filter. Und die extreme Rechte versteht es, Muster bereitzustellen, mit denen Unzufriedenheit und Unsicherheit »erklärt« werden. Das wirft natürlich die Frage auf, warum der Linken das nicht gelingt. (…) Einerseits wird der Kapitalismus wegen seiner Krisen selbst immer autoritärer, andererseits machen sich die Rechten die gesellschaftliche Unzufriedenheit aufgrund der unerfüllten Zukunftsversprechen des Neoliberalismus zunutze und präsentiert sich als Gegenbewegung. Das gelingt ihnen auch deshalb so gut, weil aus emanzipatorischer Sicht keine glaubwürdigen Alternativen zum Kapitalismus formuliert werden. Und damit meine ich jetzt nicht utopische Entwürfe, wie die Welt aussehen sollte, sondern ein realistisches Projekt, wie sich die Gesellschaft radikal und doch konkret verändern ließe. (…) Die Rechte richtet die Spannung, die sich nicht vertikal gegen die Mächtigen artikuliert, horizontal als Hass auf den »Anderen« – gegen den Schwarzen, die Feministin, die Migranten. In dieser Hinsicht kanalisiert sie eine doppelte Unzufriedenheit: mit den Verhältnissen und mit den kleinen Fortschritten bei Feminismus, Antirassismus oder Klimaschutz. Auch wenn diese Arten von Unzufriedenheit völlig unterschiedlich sind, schafft es die Rechte, sie zusammenzubringen. (…) Das Wahlergebnis von Vox in meiner Heimatstadt Pamplona illustriert das: Nirgends hat die extreme Rechte bessere Ergebnisse erzielt als in dem Wahlbezirk, in dem sich die Wohnkasernen der Guardia Civil und der Armee befinden. Wir beobachten diesen Zusammenhang auch in der Autonomiepolizei, die gegen die Regierung rebelliert und teilweise offen mit spanischen Rechtsextremen kooperiert. Und insgesamt kann man wohl behaupten, dass die Polizei bei der Verschärfung des Rassismus in Europa eine aktive Rolle spielt. (…) Wer Gegenmacht gegen ökonomische und faktische Mächte ausüben will, braucht institutionelle Strukturen. Aber wenn die Debatte darum geht, wie die Rolle einer Polizei beschränkt und ihre Gewaltmittel begrenzt werden können, gibt es sicherlich viele Gemeinsamkeiten mit abolitionistischen Positionen. In diesem Zusammenhang sollten wir auch begreifen, dass sich der Neoliberalismus nie gegen den Staat als solchen gerichtet hat. Er war ein Projekt zur Kolonisierung des Staates, durch das sichergestellt werden sollte, dass die popularen Klassen den Staat nicht länger als Instrument gegen die Märkte einsetzen können. Der Neoliberalismus hat Sozialstaatsfunktionen zerschlagen und Gewaltorgane ausgebaut. Wo er erfolgreich war, sind Repression, Bellizismus und Kriegsbereitschaft gewachsen…“ Interview von Raul Zelik vom 25.10.2024 in ND online mit Floren Aoiz, 1966 in Tafalla/Navarra geboren, ist Leiter der Parteienstiftung Iratzar, die zum europäischen Transform-Netzwerk gehört und dem baskischen Linksbündnis EH Bildu nahesteht. - Aderlass bei Europas Linken: Mehrere Parteien kündigen Rückzug aus Bündnis an. Reformbemühungen sollen Zerfall verhindern „Ausgerechnet im Jahr ihres 20. Jubiläums gerät die Partei der Europäischen Linken (EL) in eine ihrer schwersten Krisen. Das Bündnis aus derzeit über 40 Mitglieds-, Beobachter- und Partnerparteien hat in den zwei Jahrzehnten seines Bestehens bereits mehrere Konflikte durch- und überlebt. Wie 2018 das Zerwürfnis zwischen französischen Linkskräften um Jean-Luc Mélenchon und der griechischen Syriza. Aus Paris wurde dem damaligen Syriza-Premier Alexis Tsipras vorgeworfen, die Austeritätsvorgaben von EU und Internationalem Währungsfonds umzusetzen. Zu dem geforderten Ausschluss von Syriza kam es nicht, Freude sind die griechischen und französischen Linken aber nicht geworden. Nun allerdings droht tatsächlich der Rückzug einiger wichtiger – und starker – Parteien. Kurz nach den Europawahlen im Juni habe den EL-Vorstand ein Brief des Linksblocks aus Portugal erreicht, in dem der Austritt des Bloco de Esquerda angekündigt wurde. Kurz darauf folgte ein analoges Schreiben der Linksallianz in Finnland, die unter den linken Parteien eines der besten Ergebnisse bei der Wahl eingefahren hatte. Für den EL-Präsidenten Walter Baier war dies ein abgestimmtes Vorgehen: »Das hängt damit zusammen, dass sich im Februar in Kopenhagen eine Reihe von Parteien getroffen und am Rande dieser Konferenz vereinbart hat, aus der EL auszutreten. Sie wollen den Versuch unternehmen, eine neue linke Partei in Europa ins Leben zu rufen.« Dies habe allerdings nur eine Minderheit, der in der dänischen Hauptstadt vertretenen Parteien unterstützt. Getroffen hatte sich die Gruppierung mit dem Namen Now the People nicht zum ersten Mal. Bereits seit der EU-Wahl 2019 gibt es den Zusammenschluss, der von Mélenchon initiiert wurde. Im November 2023 folgte eine weitere Zusammenkunft. Auf der Beratung im Februar verabschiedeten die acht Parteien vor allem aus skandinavischen Ländern, aber auch die deutsche Linke, ein Programm für ein »grünes linkes Europa«. Die Punkte darin unterscheiden sich allerdings kaum von der EL-Programmatik – von gerechten Löhnen über fairen Welthandel bis zum Recht auf Wohnen und natürlich Friedenskampf reicht die Palette. Das Zerwürfnis hatte sich bereits seit einiger Zeit abgezeichnet. Insbesondere nach Putins Überfall auf die Ukraine waren unter den EL-Parteien Differenzen zum Umgang mit dem russisch-ukrainischen Konflikt aufgebrochen – und in deren Folge auch zur Einschätzung der Nato. Während in den nordeuropäischen linken und linksgrünen Parteien angesichts ihrer Nähe zum Konflikt das Militärbündnis teilweise als Sicherheitsgarant wahrgenommen wird und Waffenlieferungen an die Ukraine befürwortet werden, sieht das bei den südeuropäischen Linksparteien ganz anders aus. Auf dem Wahlkongress Ende 2022 in Wien konnten diese internen Konflikte noch eingefangen werden. In der Schlusserklärung wurde mit der Verurteilung der russischen Aggression als Verbrechen und der Forderung nach einem sofortigen Waffenstillstand ein gemeinsamer Nenner gefunden. Die finnische Linksallianz, deren Parlamentsfraktion wenige Monate davor mehrheitlich dem Nato-Beitritts Finnlands zugestimmt hatte, erklärte jedoch vor diesem Hintergrund in Wien, künftig kein Vollmitglied, sondern Beobachterpartei der EL sein zu wollen. Ohnehin sei die Friedensfrage das zentrale Thema der Europäischen Linken, so Baier. Die Resolution des Europaparlaments, in der der Weg der Ukraine in die Nato für unumkehrbar erklärt und die Mitgliedsstaaten aufgefordert werden, mindestens 0,25 Prozent ihres Bruttoinlandsprodukts aufzuwenden, um ihren militärischen Sieg zu garantieren, hält der EL-Präsident für falsch, auch wenn ihr eine Reihe von Linksparteien zugestimmt haben. Umstritten sei dabei nicht die Verurteilung der russischen Aggression, denn darüber bestehe Einigkeit, und auch nicht die Rüstungslieferungen, da müsse man die Haltung der jeweiligen Parteien akzeptieren. »Die kritische Frage ist, ob dieser Krieg so lange fortgesetzt werden soll, bis die Ukraine den militärischen Sieg davonträgt. Das zeichnet sich nicht ab. Der Verlauf des Krieges mit seinen Opfern und Zerstörungen zeigt vielmehr, dass auf dem Schlachtfeld überhaupt kein Ende absehbar ist. Daher fordern wir eine politisch-diplomatische Lösung und ein Ende der Kämpfe.« Genau dieser Ansatz aber fehle in der EU, wie auch die »Bewerbungsrede« der alten und neuen Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen gezeigt habe. »Aus all dem folgt für mich, dass die EL ein Friedensbündnis sein muss und sich nicht spalten sollte«, betont Präsident Baier. Hinter den Differenzen um den Ukraine-Krieg liegt aber auch ein Strukturproblem der EL. Ihre Arbeitsmechanismen entsprechen nicht mehr dem aktuellen Zustand und Zuschnitt des Bündnisses, wie beispielsweise das starre Einstimmigkeitsprinzip. Kritik gibt es laut Baier daran, dass gerade die kommunistischen Parteien, die nun bei den EU-Wahlen schlechter abgeschnitten haben als ihre nationalen Konkurrenten, in den Gremien der EL überrepräsentiert sind…“ Artikel von Uwe Sattler vom 9. August 2024 in Neues Deutschland online
- Rotes Rätsel in Nordeuropa: Entgegen dem Trend haben linke Parteien in Dänemark, Finnland und Schweden bei den Europawahlen gut abgeschnitten – zu ihrer eigenen Überraschung
„Während in einigen Ländern, nicht zuletzt in Deutschland, rechte Kräfte bei den EU-Wahlen Anfang Juni die leider erwarteten Erfolge einfuhren, haben sie im Norden Europas eine Schlappe eingesteckt. Wahlgewinnerinnen waren dort linke Parteien. Das ist erfreulich. Noch erfreulicher wäre es, wenn irgendjemand wüsste, warum. Für die Linken selbst war der Erfolg mindestens so überraschend wie für alle anderen. In Schweden steigerte sich die Linkspartei im Vergleich zu den EU-Wahlen 2019 von 6,8 auf elf Prozent. Das finnische Linksbündnis machte einen Sprung von 6,9 auf 17,3 Prozent. Die 37-jährige Parteivorsitzende Li Andersson erhielt beinahe 250.000 Stimmen und stellt damit einen neuen Rekord bei finnischen EU-Wahlen auf. In Dänemark wurde die Sozialistische Volkspartei mit 17,4 Prozent gar stärkste Partei. Im Vergleich zu den Wahlen 2019 legte sie um 4,2 Prozent zu. Auch die links-grüne Einheitsliste, die die letzten Kommunalwahlen in der Hauptstadt Kopenhagen gewann, steigerte sich von 5,5 auf sieben Prozent. Die Wahlergebnisse bedeuten nicht nur im Vergleich zu den letzten EU-Wahlen einen großen Zuwachs. Die linken Parteien im Norden haben nicht nur gegenüber den letzten EU-Wahlen zugelegt, auch im Vergleich zu den letzten nationalen Parlamentswahlen konnten sie ihren Stimmenanteil beinahe verdoppeln. (…) Während in einigen Ländern, nicht zuletzt in Deutschland, rechte Kräfte bei den EU-Wahlen Anfang Juni die leider erwarteten Erfolge einfuhren, haben sie im Norden Europas eine Schlappe eingesteckt. Wahlgewinnerinnen waren dort linke Parteien. Das ist erfreulich. Noch erfreulicher wäre es, wenn irgendjemand wüsste, warum. Für die Linken selbst war der Erfolg mindestens so überraschend wie für alle anderen. (…) Für die Rechten ging es hingegen bergab. Die Schwedendemokraten, die seit 2023 eine auf ihre Unterstützung angewiesene bürgerliche Minderheitsregierung vor sich hertreiben, haben zum ersten Mal seit ihren Einzug ins schwedische Parlament 2010 einen Rückgang zu verbuchen. Kamen sie bei den EU-Wahlen 2019 noch auf 15,3 Prozent, waren es diesmal nur 12,4. Die Wahren Finnen, Teil der gegenwärtigen finnischen Regierungskoalition, sackten von 13,8 auf 7,6 Prozent ab. Und die Dänische Volkspartei, die einst den Weg für rechte Parteien im Norden bahnte und bei nationalen Parlamentswahlen über 20 Prozent erreichte, kam nur noch auf 6,4 Prozent. (…) Schwerer als all das mag jedoch ein Identitätsverlust wiegen. Der Wandel von vorbildlichen Wohlfahrtsstaaten, die sich durch Progressivität, Weltoffenheit und diplomatisches Geschick auszeichneten, zu Recht und Ordnung, Privatisierung, Abschottung und Nato-Beitritt ist manchen in den letzten Jahren vielleicht doch zu schnell gegangen. Einst als Mittelweg zwischen Kapitalismus und Staatssozialismus gepriesen, zählen die nordischen Länder mittlerweile zur Speerspitze der rechten Offensive in Europa. Es wäre schön, wenn die EU-Wahlen ein Zeichen dafür sind, dass sich die Bewohner*innen der nordischen Länder mit dieser Rolle nicht anfreunden wollen.“ Artikel von Gabriel Kuhn aus ak 705 vom 18. Juni 2024 - Europäische Union: Eine oder mehrere extreme Rechte?
„Das sind die Spitzenkandidat*innen der wichtigsten rechtsextremen Parteien für die Europawahlen: In Frankreich erlebt Jordan Bardella vom Rassemblement National einen starken Aufschwung. In Italien kandidiert Ministerpräsidentin Meloni mit den Fratelli d’Italia. In Deutschland scheint der Stimmenzuwachs der AfD mit Maximilian Krah wieder rückläufig. Welche Gegensätze weisen die Parteien auf?“ Video der arte-Sendung vom 21.05.2024 „Mit offenen Karten – Im Fokus“ – dort weitere Videos zu „Rechtsruck in Europa?“ - Europa auf dem Weg nach rechts (II): Eine internationale Konferenz in Ungarn versammelt Politiker konservativer mit extrem rechten Parteien
„Eine internationale Konferenz in Ungarn versammelt Politiker konservativer mit extrem rechten Parteien und stützt Bestrebungen im Europaparlament, den antifaschistischen cordon sanitaire endgültig zu durchbrechen. (…) Die CPAC Hungary ist unter anderem deshalb von Bedeutung, weil sie dazu beiträgt, den cordon sanitaire einzureißen, der in Europa jahrzehntelang die Zusammenarbeit konservativer Parteien mit Parteien der extremen Rechten tabuisierte. Er ist ohnehin nur noch punktuell vorhanden: In diversen EU-Mitgliedstaaten sind Parteien der extremen Rechten bereits an der Regierung beteiligt bzw. beteiligt gewesen (Österreich, Finnland), stellen sogar die Ministerpräsidentin (Italien mit Giorgia Meloni/Fratelli d’Italia) oder haben die Regierung zumindest per Duldung unterstützt (Dänemark, Schweden). Seit geraumer Zeit sind derartige Bestrebungen auch im Europaparlament zu beobachten. So führt die konservative EVP schon seit Jahren einen „Dialog“ mit der ECR (European Conservatives and Reformists), der neben Polens ehemaliger Regierungspartei PiS (Prawo i Sprawiedliwość) auch als extrem rechts eingestufte Parteien wie Die Finnen sowie die französische Partei Reconquête des rechts von Marine Le Pens RN stehenden Journalisten Éric Zemmour angehören. ECR-Mitglied sind zudem die Fratelli d’Italia der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, mit der EU-Kommissonspräsidentin Ursula von der Leyen vor allem in der Flüchtlingsabwehr äußerst eng kooperiert (…) Vor dem Hintergrund offenkundiger Annäherungsbestrebungen zwischen Konservativen und Teilen der extremen Rechten hat eine Abstimmung im Europaparlament vom Mittwoch dieser Woche für Aufmerksamkeit gesorgt: Ein Antrag, der Maßnahmen gegen die Belästigung von Mitarbeitern durch Abgeordnete durchsetzen sollte, wurde durch ein gemeinsames Votum von EVP, ECR und der ultrarechten ID-Fraktion (Identity and Democracy) zu Fall gebracht. Damit ist ein breiter Rechtsblock zutage getreten, wie er – freilich informell – auch auf der CPAC Hungary zu beobachten ist (…) Darüber hinaus arbeitet laut Berichten Melonis Partei Fratelli d’Italia daran, das in Italien praktizierte Regierungsmodell – dort regieren die Fratelli d’Italia (ECR) mit der Forza Italia (EVP) und der Lega (ID) – auf die EU-Ebene zu übertragen.“ Beitrag der Redaktion German-Foreign-Policy vom 26. April 2024 bei ISW - Europa auf dem Weg nach rechts: Enge Kooperation mit einigen Rechtsaußenparteien unter Kommissionschefin von der Leyen ist für die Zeit nach der Wahl im Gespräch
„Bei der Europawahl im Juni drohen Parteien der äußersten Rechten laut Umfragen in einem Drittel der Mitgliedstaaten zur stärksten, in einem weiteren Drittel zur zweit- oder drittstärksten Kraft zu werden. Dies zeigt eine Analyse des European Council on Foreign Relations (ECFR), einer EU-weit vernetzten Denkfabrik. Im EU-Parlament wären die Rechtsaußen-Fraktionen ECR und ID nach aktuellem Umfragestand gemeinsam stärker als die Fraktion der Sozialdemokraten und als die der konservativen EVP. EVP und Sozialdemokraten stehen laut Umfragen vor Verlusten und könnten gemeinsam mit der liberalen Fraktion Renew Europe zwar noch rechnerisch eine knappe Mehrheit bilden; diese wäre aber in der parlamentarischen Praxis nicht stabil. Entsprechend dauert die Debatte an, ob unter EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen nach der Wahl nicht auch Kräfte der äußersten Rechten zu einer intensiven Kooperation herangezogen werden sollen – vor allem aus der Fraktion ECR, der unter anderem die Schwedendemokraten und Vox aus Spanien angehören. Angeführt wird diese Fraktion von den ultrarechten Fratelli d’Italia unter Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni. (…) Meloni wiederum hat im vergangenen Jahr insbesondere im Rahmen der Flüchtlingsabwehr sehr eng mit von der Leyen kooperiert; sie reiste gemeinsam mit der Kommissionspräsidentin im Sommer 2023 nach Tunis und kürzlich nach Kairo , um dort jeweils Deals zur Abschottung des Mittelmeers gegen Bootsflüchtlinge, die sie zuvor in die Wege geleitet hatte, zu unterzeichnen. Von der Leyen hat sich im Februar erstmals klar zu möglichen Koalitionen nach ihrer wahrscheinlichen Wiederwahl geäußert. Dabei zog sie drei „rote Linien“: Sie werde lediglich mit Kräften kooperieren, die erstens „proeuropäisch“ seien, zweitens „den Rechtsstaat“ achteten und drittens die Ukraine unterstützten bzw. „gegen Putins Versuch“ kämpften, „Europa zu schwächen und zu spalten“. Wie das Beispiel Meloni zeigt, schließt dies zumindest Teile der ECR ein. Während die polnische PiS sowie der ungarische Fidesz durch die Verweise auf den „Rechtsstaat“ bzw., im Fall des – zur Zeit fraktionslosen – Fidesz, auf die Unterstützung der Ukraine ausgeschlossen werden, ist das bei anderen ECR-Parteien nicht unbedingt der Fall. Unklar ist zudem, ob die Formel womöglich den RN einschließt, dessen Führung sich von Russland losgesagt hat und nicht mehr auf einen Austritt aus der EU orientiert. Tatsache ist jedenfalls, dass der cordon sanitaire, mit dem in Europa die extreme Rechte lange Zeit ausgeschlossen wurde, auch im Europaparlament zu bröckeln beginnt.“ Bericht vom 26. März 2024 von und bei German-Foreign-Policy.com - Befragung in acht europäischen Ländern enthüllt (und wird beim Burgtheater online vorgestellt): Steigendes Verlangen nach einem autoritären Führer
- Neue Studie enthüllt: Steigendes Verlangen nach einem autoritären Führer
„Eine aktuelle Studie zeichnet eine düstere Zukunft für die Demokratie. Autoritäre Einstellungen erstarken in Europa. Auch Deutschland ist betroffen.
Immer mehr Menschen in Europa wünschen sich eine Ablösung des demokratischen Systems und den Wechsel zu autoritären Staatsformen. Vor allem in den südeuropäischen Ländern Italien und Frankreich geht die Stimmung in diese Richtung, aber auch in Osteuropa. In Deutschland vertritt ein geringerer Teil der Bevölkerung diese Auffassung – aber auch hierzulande wird dieser größer. Das belegt nun eine groß angelegte Befragung in acht Ländern, die von dem Wiener Historiker Oliver Rathkolb geleitet wurde. Aus Deutschland zählte die Frankfurter Historikerin und Politikwissenschaftlerin Sybille Steinbacher zu der Forschungsgruppe. Sie leitet das Fritz-Bauer-Institut und lehrt an der Goethe-Universität. (…) Besonders dramatisch ist die Lage der Demokratie den Ergebnissen nach in Italien und Frankreich, wo jeweils mehr als 40 Prozent der Befragten sich eine autoritäre Herrschaftsform wünschen. Weitere rund 20 Prozent sprechen sich teilweise dafür aus. In Deutschland und Österreich liegen diese Zahlen deutlich niedriger, doch auch hier sind sie gestiegen. Bei der vorangehenden Befragung 2019 befürworteten in Deutschland noch 13 Prozent einen ‚starken Führer‘, bei der von 2022 waren es 17 Prozent. Die Zahl der Gegnerinnen und Gegner eines solchen Regimes gingen um fünf Prozentpunkte von 44 auf 39 Prozent zurück. Es sei „auffallend, dass in allen Ländern, die auch 2019 untersucht wurden, die Zustimmung zum starken Führer steigt“, fassen Petra Ziegler und Andreas Schulz-Tomancok die Ergebnisse im Namen der Autor:innen zusammen. (…) Parteien und Politiker:innen genießen nach der jüngsten europaweiten Studie kein gutes Ansehen. In sämtlichen acht Ländern befanden mehr als die Hälfte der Befragten, dass die meisten Politiker:innen sich „nur um die Interessen der Reichen und Mächtigen“ kümmerten. In Großbritannien und Italien erreichte diese Aussage Werte von fast zwei Dritteln, in Deutschland stimmte ihr etwas mehr als die Hälfte der Befragten zu. Ein Grund für die Verdrossenheit mit der parlamentarischen Demokratie zeigt sich darin, wie viele Menschen der Aussage zustimmen: „Leute wie ich haben kein Mitspracherecht darüber, was die Regierung tut.“ In allen Staaten wird dieses Statement von mehr Menschen geteilt als verneint. In Deutschland glauben 45 Prozent der Befragten, sie hätten nichts zu sagen – rechnet man diejenigen hinzu, die teilweise zustimmen, sind es sogar drei Viertel der Teilnehmenden…“ Artikel von Pitt von Bebenburg vom 18. März 2024 in der Frankfurter Rundschau online - Interessant darin: „Die Präsentation der Studie im Burgtheater erfolgte auf ungewöhnliche Weise – nämlich eingebunden in literarische Annäherungen. Neun namhafte Autorinnen und Autoren, darunter Kathrin Röggla (Deutschland), Gerhild Steinbuch (Österreich) und Terézia Mora (Ungarn), hatten Texte zum Thema verfasst, die von Schauspielerinnen und Schauspielern des Burgtheaters vorgetragen wurden.“ – siehe dazu:
- WEBSERIE: Onlinelesungen zu Demokratie & Autoritarismus
Eine neunteilige Webserie beim Burgtheater präsentiert Texte europäischer Autor*innen zum Thema Demokratie & Autoritarismus. Mit Annamária Láng, Tobias Moretti, Martin Schwab & Marie-Luise Stockinger - Siehe zu der Befragung in acht europäischen Ländern:
Autoritarismus, historische Wahrnehmungen und demokratische Dispositionen in Österreich, der Tschechischen Republik, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Italien, Polen und dem Vereinigten Königreich: Methodik und vergleichende Ergebnisse der Online-Umfragen 2019 und 2022. Vorabdruck eines Artikels von Petra Ziegler, Andreas Schulz-Tomancok und Jana Jodlbauer vom März 2024 aus der Studie des Wiener Instituts für Kultur- und Zeitgeschichte (VICCA), in Kooperation mit dem Fritz Bauer Institut und Goethe-Universität Frankfurt/Main Oliver Rathkolb (ed.), Authoritarian Trends and the Rebirth of Parliamentary Democracy in Europe, erscheint im Herbst 2024.
- Neue Studie enthüllt: Steigendes Verlangen nach einem autoritären Führer
- Rechte Wahlerfolge in EU: Wie braun wird Europa? Kommunistisches Erfolgsrezept in Österreich heißt: Kümmern!
„Vom Aufstieg der Rechtspopulisten: Eine kritische Betrachtung europäischer Wahlen. Für die bürgerliche Mitte wird es eng. Linke hat Erfolg, wenn sie ein Prinzip beachtet.
Am 22. November triumphierte in den Niederlanden der Rechtspopulist Geert Wilders mit seiner Ein-Mann-Partei bei den Parlamentswahlen. Die Partij voor de Vrijheid (PVV) gewann mit 23,5 Prozent 37 von insgesamt 150 Parlamentssitzen. Nun scheint sogar eine Regierungsbeteiligung des rechtsradikale Narrative bedienenden Wilders möglich. Auf den ersten Blick scheint es, als wäre es ein unaufhaltsamer europäischer Trend. Gibt es wirklich keinen Ansatz für einen gegenläufigen Trend? (…)
Biegt die gesamte EU auf die Schnellstraße nach rechts ab? Oder steckt vielleicht noch mehr dahinter? In seiner Analyse zur Wahl in den Niederlanden betont der ARD-Korrespondent Andreas Meyer-Feist aus Brüssel, dass dies eine ernste Warnung für die Ampel in Berlin sei. Meyer-Feist sieht im Wahlergebnis einen Protest der Bürger: „Das Wahlergebnis ist eine radikale Absage an das, was war. Es zeigt überdeutlich: Die Wählerinnen und Wähler haben zuletzt wenig bis nichts von ihren politischen Führungskräften gehalten, die sie mit Sprunghaftigkeit und Nichtstun enttäuscht haben.“ Eine Feststellung, die vor allem nach der jüngsten Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz am vergangenen Dienstag für Deutschland noch aktueller sein dürfte. Die Umfragen für die kommenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen deuten auf ein ähnliches Szenario als Wahlergebnis wie in den Niederlanden hin. (…)
Offenkundig konzentriert sich der Protest in den vielen EU-Staaten hauptsächlich nach rechts. Auch die Umfragen in Österreich dokumentieren, dass die dortige FPÖ aktuell stärkste Partei ist. (…)
Auch in Österreich zeigt sich jedoch, dass es eine zaghaft wachsende Opposition von links gibt. Die kommunistische Partei (KPÖ) holte im April bei der Landtagswahl in Salzburg mit 11,7 Prozent den vierten Platz und überholte die Grünen. Bei den vorherigen Wahlen lag sie bei nur 0,4 Prozent. (…) Das gute Abschneiden der KPÖ wird von Beobachtern mit der Glaubwürdigkeit Spitzenkandidaten Kay-Michael Dankl erklärt. Politisch startete Dankl bei den Grünen, verließ sie aber 2017. In Salzburg gewann Dankl mit der gleichen Strategie, mit der seine Parteikollegin Elke Kahr in der steirischen Landeshauptstadt Graz im November 2021 den Bürgermeisterposten gewann. Die KPÖ kümmert sich um Bürger und ihre sozialen Probleme. Sie bietet kostenlose Mieterberatung an. Auch für die Nationalratswahlen gibt es in den Umfragen, die der Partei im Mittel 3,3 Prozent geben, Anzeichen, dass es mit dem Überspringen der Sperrklausel von vier Prozent klappen könnte.
Griechenland: KKE als „am meisten gewürdigte“ Oppositionspartei
So kommunistisch wie der Parteiname ist die sozialdemokratisch linke KPÖ nicht. Das trifft eher auf die griechische kommunistische Partei (KKE) zu. Auch Mitglieder unterstützen Bürger an den Arbeitsplätzen, bei drohenden Pfändungen, bei Mietproblemen und bei anderen Problemen im Alltag. (…)
Unabhängig von der politischen Ausrichtung zeigt sich, ob in Österreich oder Griechenland, dass die Wähler eine konsequente Oppositionsarbeit im Sinne ihres Blickfelds auf Bürgerrechte und die Bewältigung von Alltagsproblemen würdigen. Hier müssten die Parteien des viel zitierten „demokratischen Spektrums“ im übrigen Europa ansetzen, um einen weiteren Rechtsruck Europas effektiv einzugrenzen. Das bloße Kopieren rechter Parolen dürfte dagegen das sicherste Rezept für eine Niederlage sein.“ Beitrag von Wassilis Aswestopoulos vom 01. Dezember 2023 in Telepolis - Eine Mehrheit der Europäer glaubt nicht, in einer Demokratie zu leben – autoritäre Einstellung haben sich verfestigt, wenn auch Solidarität an Boden gewinnt
„Die Ergebnisse einer neuen Studie sind alarmierend. Autoritäre Einstellung haben sich verfestigt. Über demokratisches Misstrauen und undemokratische Politik. In Deutschland, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, wird zurzeit heftig über die wachsende politische Entfremdung großer Teile der Bevölkerung von den etablierten Parteien diskutiert. (…)
In manchen EU-Staaten haben sich zugleich in den letzten beiden Jahrzehnten mehr oder weniger autoritäre politische Systeme entwickelt, vor allem in Polen und Ungarn. In fast allen Ländern des Kontinents sind rechtsextreme Parteien auf dem Vormarsch. Kritisiert werden die Regierungen und Parlamentarier als korrupt, während sie Interessen und Bedürfnisse der einfachen Menschen nicht im Blick haben.
Eine neue Untersuchung zeigt, wie weit die Kluft mittlerweile gewachsen ist zwischen der politischen Elite und ihrer Demokratie-Rhetorik einerseits und der Einschätzung der Bevölkerungen in den EU-Staaten andererseits. Das alarmierende Ergebnis: Nur ein Drittel der Europäer glaubt, dass ihr Land demokratisch regiert wird, und nur 20 Prozent sind mit der Funktionsweise des politischen Systems zufrieden. Das deutet auf eine schwere Krise der Repräsentation hin.
Dagegen steht ein anderer Befund. So zeigen die Daten , dass Solidarität langsam an Boden gewinnt, ungeachtet der Versuchungen des individualistischen Rückzugs. Nahezu alle Europäer bejahen das demokratische System, und drei Viertel halten es für wichtig, in einem auf dieser Grundlage organisierten Land zu leben. 57 Prozent wünschen sich ein größeres Mitspracherecht in Bezug auf ihre Bedürfnisse am Arbeitsplatz und in ihrem täglichen Umfeld. Doch auch dieser positive Befund hat seine Schattenseite. Nur 38 Prozent können als sogenannte „ausschließliche Demokraten“ bezeichnet werden, die die Demokratie als gut und alle andere Systeme als schlecht deklarieren. So würden 52 Prozent der Befragten eine Regierung akzeptieren, die aus Experten besteht, die die Entscheidungen treffen (Technokratie), 32 Prozent haben nichts gegen einen autoritären Führer und 14 Prozent würden sogar ein Militärregime unterstützen. (…) Man sieht an den Studienergebnissen, dass die Bindung der Bürger:innen an das demokratische System schwindet, je stärker der Eindruck entsteht, dass Parlamente und Regierungen nicht für die Bevölkerung arbeiten, sondern primär für Lobbys und Eliten mit Machtzugang. Das ist eine Gefahr, insofern es den Wunsch befördert, dass jemand kommen sollte, um das Land autoritär anzuführen, damit es wieder „funktioniert“. Das gilt nicht nur für Europa, sondern auch, siehe Donald Trump, in den USA. Der Grund für das wachsende Misstrauen gegenüber der real-existierenden Demokratie ist durchaus nachvollziehbar und besitzt eine Basis. So hat der Politikwissenschaftler Martin Gilens mit einem Team von der Princeton University für die Vereinigten Staaten herausgearbeitet , dass die unteren 70 Prozent der Bevölkerung keinerlei Einfluss auf die Politik haben, während der Einfluss zunimmt, je höher man die Einkommensleiter aufsteige. Eine Untersuchung für den Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung hat 2016 ähnliche Ergebnisse für Deutschland ergeben. (…)
Damit sich die real-existierenden Demokratien wiederbeleben können, muss sich also zuerst einmal die Politik ändern: weg von den Spezialinteressen der oberen Schichten, hin zu den gemeinwohlorientierten Bedürfnissen einer Mehrheit der Bürgerinnen. Das würde Vertrauen schaffen…“ Beitrag von David Goeßmann vom 18. September 2023 in Teleolis („Eine Mehrheit der Europäer glaubt nicht, in einer Demokratie zu leben“)
Siehe auch unser Dossier: Am autoritären Kipppunkt: In Deutschland werden autoritäre Ereignisse mehr, politische Räume enger. „Law and Order“-Politik hat Konjunktur