Mord in Halle. Mordversuch in Bad Hersfeld. Mordversuch in Zülpich: Und wer soll vor den Nazibanden schützen?
Dossier
Zwei Menschen in Halle ermordet. Von einem Täter, der verkündet, er wolle möglichst viele umbringen (Hauptsache er hat Waffen und sie nicht), und dabei seine antisemitischen Hasstiraden in den Wulst gegen alle Undeutsche einbindet. In Bad Hersfeld schießt ein ebensolcher Typ auf einen Jungen aus Somalia, in Zülpich wird ermittelt, ob Schüsse auf eine Flüchtlingsunterkunft vielleicht irgendwie irgendetwas mit Rassismus zu tun haben könnten. Nazibanden greifen also in ihre bekanntermaßen vorhandenen Waffenarsenale. Was dagegen tun? An die Polizei appellieren, sie solle immer und überall sein? Sicher haben jene Recht, die sagen, der Skandal sei nicht, dass die Polizei nicht sofort da war, sondern dass Synagogen polizeilich geschützt werden müssen. Wobei: Von welcher Polizei eigentlich? Von jener, die – Beispiel Dortmund – Demonstrationen den Weg bahnt, die skandieren „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“? Die serienweise rechtsradikale Einzelfälle keineswegs nur im Osten oder in Nordhessen hat? Siehe dazu Stellungnahmen sowie aktuelle Beiträge zum Gesamtbild der faschistischen Mordkampagne:
- Hört die Sicht der Opfer, nicht die des Täters! / Framing Halle: Über verkürzte Darstellungen und übersehene Opfer
- Hört die Sicht der Opfer, nicht die des Täters!
„Anlässlich des heutigen zweiten Jahrestag des Anschlags auf die #Synagoge in #Halle 2019, hier nochmal die Stimmen der Nebenkläger_innen im Prozess gegen den Attentäter…“ Thread von Recherche-& Informationsstelle Antisemitismus RIAS - Framing Halle: Über verkürzte Darstellungen und übersehene Opfer
„Politik und Medien erinnern an den Halle-Anschlag – allerdings mit auffälligen Einschränkungen auf die antisemitische Motivation des Täters. Dass er maßgeblich auch aus islamfeindlichen Motiven handelte, wird ausgeblendet…“ Artikel von Prof. Dr. Sabine Schiffer vom 09.10.2021 beim Migazin - Unerschütterliche Versöhnlichkeit: Vor zwei Jahren wollte ein Neonazi in Halle einen Massenmord an Jüdinnen und Juden verüben. Er scheiterte damit, aber die Wunden des Tages sind offen.
„Vor zwei Jahren, am 9. Oktober 2019, kam İsmet Tekin gerade vom Einkaufen zurück zur Arbeit, dem Kiez-Döner in Halle, als er die Schüsse hörte. Schüsse, die auch Menschen wie ihm und seinem Bruder Rifat galten, die Ausländer genannt werden, Schüsse, die einen jungen Menschen, Kevin Schwarze, das Leben kosteten. Das ist nur ein Ausschnitt eines Tages, der viele Leben veränderte. Das rechtsextremistische Attentat von Halle zielte auf 52 Menschen, die das jüdische Versöhnungsfest Jom Kippur in der Synagoge begehen wollten. Es nahm Jana Lange, die die Straße vor der Synagoge entlangging, das Leben. Es nahm den Lebensmut eines Malers, der seinem Auszubildenden Kevin Schwarze ausgerechnet an diesem Tag vorschlug, Döner essen zu gehen. Es überforderte Polizist:innen, die niemand darauf vorbereitet hatte, im Kugelhagel eines Attentäters zu agieren. Das Attentat zerschmetterte das Knie und den verbliebenen Glauben eines Mannes, der als Schwarzer Mensch das Ausmaß der Rohheit rassistischer Anfeindungen in diesem Land schon zu kennen glaubte. Das Attentat forderte den Mut eines Ehepaars, das sich von einer vorgehaltenen Waffe nicht dazu bringen ließ, dem Täter ihr Auto zu überlassen, und ließ sie schwer verletzt zurück. Es zeigte die Geistesgegenwart der Mitarbeiter einer Autowerkstatt, die es der Polizei schlussendlich ermöglichte, dieses Verbrechen zu beenden. İsmet und Rifat Tekin wurden mit diesem Tag nicht nur zu Zeugen, sie wurden zu anderen gemacht. Ihr Dönerimbiss war fortan ein Mahnmal. Als der Laden nicht lief, wurde er ihnen vom bisherigen Chef großzügig überschrieben. Sie hatten kaum Gäste, aber viel Besuch. Sie begegneten ernsten Mienen. Sie bekamen Blumen. Sie bekamen große Worte. Ihnen wurden die Hände geschüttelt. Gewissen wurden an ihnen bereinigt. Sie wurden fotografiert. Der Dönerladen war nur noch ein Tatort und sie wurden als Opfer erklärt. (…) Von außen betrachtet gibt es an diesem Jahrestag nichts zu feiern. In diesem Jahr, am 9. Oktober 2021, werden vor dem Kiez-Döner wieder Kränze abgelegt und Fotos gemacht werden. İsmet Tekin wünscht sich ein Gespräch mit dem Ministerpräsidenten und dem Bürgermeister. Ihr habt versagt, will er sagen. (…)In wenigen Wochen wird das Frühstückscafé Tekiez eröffnen – ein Ort, der aus Trümmern gewachsen ist, sich von Fremdzuschreibungen gelöst und Dingen verschrieben hat, die diesem Land so häufig fehlen: dem Zusammenkommen und der Solidarität. Wenn das kein Grund zum Feiern ist.“ Artikel von Pia Stendera vom 9. Oktober 2021 in der taz online
- Hört die Sicht der Opfer, nicht die des Täters!
- Kundgebung zum 2. Jahrestag des Anschlags von Halle am 9. Oktober: Erinnern bedeutet Auseinandersetzung, Aufarbeitung verlangt Veränderung
- „Gemeinsam mit @MigrantVoicesHL und @niemand_wird organisieren wir am 09.10., 19 Uhr, am Steintor Halle eine Kundgebung zum 2. Jahrestag des Anschlags von Halle. #hal0910…“ Thread der Initiative 9. Oktober Halle auf Twitter samt Aufruf als Grafik, siehe auch:
- »Aufarbeitung verlangt Veränderung«
„Die »Initiative 9. Oktober« widmet sich dem Gedenken an die Opfer des rechtsterroristischen Anschlags 2019 in Halle. Die Gruppe organisiert unter anderem eine Vortragsreihe und veranstaltet am 9. Oktober, dem zweiten Jahrestag, eine Gedenkkundgebung, die um 19 Uhr am Steintor in Halle stattfinden wird. Veranstaltet wird sie gemeinsam mit den Gruppen »Migrant Voices« und »Niemand wird vergessen«. Im Aufruf zur Kundgebung heißt es: »Erinnern bedeutet Auseinandersetzung, Aufarbeitung verlangt Veränderung.« Die Jungle World sprach mit Lena Ulrich und Adrian Lauchengrund von der »Initiative 9. Oktober.«…“ Small Talk von Johannes Simon in der Jungle World vom 30.09.2021 mit Lena Ulrich und Adrian Lauchengrund von der »Initiative 9. Oktober« über den zweiten Jahrestag des Attentats in Halle
- Siehe unser Dossier: Der Prozess gegen den Nazi-Mörder von Halle beginnt. Mit: Einer Bühne für die Hasstiraden des Mörders
- Siehe auch: Nach den Morden von Halle wird von der Regierung gehandelt: Bevorzugt gegen das Internet und Gamer. Gegen die Nazis – das müssen andere übernehmen…
- „Rassismus tötet!“ am 09. Oktober 2019 bei Red Globe dokumentiert ist die Erklärung der VVN-BdA zu den Morden in Halle, worin es unter anderem heißt: „… Am jüdischen Friedhof wurde die erste Person getötet. Anschließend schossen der bzw. die Täter an einer Döner-Imbiss-Bude auf eine weitere Person. Zwei weitere Personen wurden mit Schussverletzungen in die Universitätsklinik eingeliefert. Ein Verdächtiger – laut Medien der 27jährige Neonazi Stefan Balliert – wurde festgenommen. Die Bundesanwaltschaft geht von einem extrem rechten Tatmotiv aus. Der Täter habe ein Video von seinem Überfall gedreht. Das erinnere an das Vorgehen des rassistischen Mörders vom neuseeländischen Christchurch. Seit längerer Zeit müssen wir beobachten, dass die neofaschistische Szene sich zunehmend bewaffnet und gewaltbereitet agiert. Der Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke war dafür ein deutliches Zeichen. Nun scheinen erneut Neonazis ihre Gewaltbereitschaft unter Beweis gestellt zu haben. Wenn die Bundesanwaltschaft ein solches Verbrechen nun unter „Amokgefahr“ kategorisiert, verharmlost sie die von extremen Rechten ausgehenden Gefahren. Auch der Hinweis auf einen „Einzeltäter“ soll von dieser Gefahr ablenken. Es war erkennbar eine geplante Aktion, die am höchsten jüdischen Feiertag sich gegen jüdische Bürger unseres Landes und im nächsten Schritt gegen alle mit „Fremden“ verbundenen Menschen richtete. Solche Morde sind geplant und bewusst vorbereitet. Wie schon bei dem Angeklagten Stefan Ernst im Fall Lübcke scheinen auch hier die Sicherheitsorgane dieser gewaltbereiten neofaschistischen Szene viel zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt zu haben. Ob der Anschlag dadurch hätte verhindert werden können, steht nicht zur Debatte. Die Freigiebigkeit der Behörden bei der Ausgabe von Waffenbesitzkarten für extreme Rechte muss auch in diesem Falle untersucht werden…“
- „Gegen die nationalistische Instrumentalisierung der Opfer von Halle“ von der Initiative Rassismus bedeutet Spaltung am 10. Oktober 2019 bei de.indymedia unterstreicht unter anderem: „… Unsere Gedanken sind bei den Opfern und Hinterbliebenen dieser abscheulichen Tat. Doch um die Motivation des Täters in aller Konsequenz und politischen Breite zu verurteilen, helfen uns keine selektiven Solidaritätsbekundungen. Die ausschließliche Stigmatisierung des Täters als antisemitisch, ist eine verkürzte Darstellung seiner Motivation. Ja, er handelte aus antisemitischer Motivation und ja, er suchte sich bewußt eine Synagoge an einem hohen jüdischen Feiertag als primäres Anschlagsziel aus. Diese Auswahl ist Ergebnis seines rassistischen Weltbildes samt brutaler Mordlust, in dem auch Muslime, Linke und FeministInnen als Feindbilder markiert sind, die demnach als Erfüllungshilfe der angeblich jüdischen Herrschaft gelten. Er selbst beschreibt sich als weißer Mann und handelte aus diesem Selbstverständnis. Stephan B. ist Faschist und sein Ziel waren wir alle. Wäre auf der anderen Straßenseite eine Moschee gewesen, hätte er auch dort getötet. Vermutlich hätte B. sehr einfach ein linkes Kulturzentrum stürmen können, wenn er der linken Szene politischen Einfluss zugeschrieben hätte. Er verzichtete auf den Versuch, weil er Antisemit ist. Wie Antisemitismus modernisiert wird, lässt sich im vom Massenmörder Anders Breivik geprägten Begriffs des angeblichen “Kulturmarxismus“ ablesen. Breivik sprach über den „nation wrecking multiculturalist-jew“. Dieser sei das Problem, weil ein großer Teil aller Juden bereits in Europa durch Faschisten während der Shoah ermordet wurden. Deswegen tötete er 69 sozialdemokratische Jugendliche als angebliche „Kulturmarxisten“, welche er für die angeblich bevorstehende “Islamisierung“ mitverantwortlich sah. In seinen Augen waren eine zuwanderungsfreundliche Haltung und der Feminismus Wegbereiter einer fortschreitenden “Islamisierung“ Europas. Diese Weltanschauung vom Kulturmarxismus, Antisemitismus, Antifeminismus und Antiislamisums wird auch offen von der Identitären Bewegung in Europa und der AfD propagiert. Sie alle eint letztlich die Angst vor Zuwanderung und die Mahnung vor einer Gefahr einer angeblichen “Umvolkung“. Auch für den NSU, die Gruppe Freital oder Franco A (Hannibal-/Uniter-Netzwerk) waren Juden ein legitimes Ziel in ihrer zistischen Ideologie. Sie alle ließen in ihren Darstellungen Antisemitismus als Teil ihrer faschistischen Ideologie und der Angst vor „Umvolkung“ erkennen...“
- „Bad Hersfeld: 28-Jähriger schießt am Bahnhof auf Somalier – Zeugen rannten in Panik über Gleise“ am 06. Oktober 2019 in der Hersfelder Zeitung online meldete: „… Demnach soll ein 28-jähriger Deutscher gegen 19.15 Uhr auf Gleis 2 in Höhe des Aufzugs mit einer Gasdruckpistole auf einen 18 Jahre alten Somalier geschossen haben, der dabei aber nicht verletzt wurde. Beobachtet wurde das Ganze zufällig von zwei Polizisten der Landespolizei in Zivil, die gerade auf dem Nachhauseweg waren. Die beiden konnten den Täter stellen und festnehmen. Sie brachten ihn anschließend zur Polizeistation in Bad Hersfeld. Sowohl der Somalier als auch Zeugen des Geschehens sollen in Panik davongelaufen und teilweise auch über die Gleise gerannt sein. Der Festgenommene ist laut Bianca Jurgo als Sprecherin der zuständigen Bundespolizei wegen Gewaltdelikten bereits hinreichend polizeilich bekannt. Gegen ihn werde nun wegen Bedrohung und versuchter gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Ob ein fremdenfeindliches Motiv zugrunde liegt, sei noch nicht bekannt. „Wir schließen nichts aus und ermitteln in alle Richtungen“, so Jurgo…“
- „Betroffenheit nach mutmaßlichen Schüssen in Zülpich“ am 10. Oktober 2019 bei Radio Euskirchen meldete: „… Am späten Mittwochabend waren offenbar Schüsse auf eine Flüchtlingsunterkunft abgefeuert worden. Das hat die Bonner Polizei mitgeteilt. Der Staatsschutz hat die Ermittlungen übernommen. Betroffen ist die kommunale Zuwandererunterkunft in der Theodor-Heuss-Straße. Nach Radio Euskirchen Informationen leben in der Unterkunft 27 Menschen in acht Familien. Die Unterkunft ist als solche von außen nicht erkennbar. Drei Bewohnerinnen hatten dort gegen 21.45 Uhr zwei schussähnliche Geräusche wahrgenommen. Die Frauen hatten sich im ersten Obergeschoss in der Küche aufgehalten und an einem Fenster dort anschließend auch Beschädigungen festgestellt. Verletzt wurde bei dem Vorfall niemand. Die Ermittler suchen Zeugen, die Mittwoch zwischen 21 und 22 Uhr etwas Verdächtiges beobachtet haben…“
- „Razzien wegen Drohschreiben“ am 10. Oktober 2019 in der jungen welt meldet: „… In mehreren Bundesländern haben Einsatzkräfte der Polizei am Mittwoch Razzien gegen Neonazis durchgeführt. Grund dafür waren mehrere Drohschreiben mit islamfeindlichen Inhalten, die sich unter anderem gegen Moscheen, »Anker-Zentren«, Parteizentralen und Medienhäuser richteten, wie die Leipziger Volkszeitung am Mittwoch online berichtete. Objekte von insgesamt sieben Beschuldigten wurden demnach in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Baden-Württemberg und Bayern durchsucht, wie die Generalstaatsanwaltschaft München und das bayerische Landeskriminalamt (LKA) mitteilten. Die Verfasser der Schreiben sollen auch mit Sprengstoffanschlägen gedroht haben. Laut Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) seien sechs der sieben Beschuldigten vorläufig festgenommen und nach Abschluss der Razzia wieder freigelassen worden. Der siebte Beschuldigte sei zunächst nicht angetroffen worden. Sichergestellt worden seien dem Bericht zufolge Datenträger wie Computer, Mobiltelefone und Festplatten. »Sämtliche Beschuldigte stehen schon länger im Fokus polizeilicher Ermittlungen«, sagte ein LKA-Sprecher…“