Liebe, Frieden, Volksverräter. Rechte und verschwörungsideologischen Strategien während der Corona-Pandemie
„… Zeitgleich mit diesen ersten linken Reaktionen auf die Krise, formierte sich aber ausgehend von Städten wie Berlin und später Stuttgart auch eine ganz andere Bewegung, die sich das Thema Corona für Forderungen und Positionen zunutze machte, die zunächst deutlich schwerer zu erkennen waren. Dass es bei dieser neuen Bewegung allerdings nicht um „Liebe“ oder „Frieden“ ging, sondern sich hinter den neuen Namen wie „Nicht ohne uns“ und „Hygiene Demo“ ein altbekanntes Querfront-Konzept zu verstecken versuchte, das immer wieder in neuen Formen und Themenbereichen auftaucht und mal mehr, mal weniger erfolgreich dazu dient reaktionäre, autoritäre bis faschistische Konzepte für ein neues, breiteres Publikum anschlussfähig zu machen, war spätestens nach den ersten Demonstrationen auf dem Berliner Rosa-Luxemburg-Platz im April 2020 klar. Dennoch tat sich die Linke lange schwer, dieser neuen rechten Massenmobilisierung eine angemessene antifaschistische Antwort auch auf der Straße entgegenzusetzen. (…) Unser Text richtet sich zum einen an Menschen, die sich einen groben Überblick über den aktuellen Zustand der sogenannten „Corona-Proteste“ und ihre wichtigsten Akteure sowie die dahinterstehenden Verschwörungserzählungen verschaffen möchten. Zum anderen richtet sich der Text an Antifaschist*innen, die aktuell zunehmend den Umgang der Linken mit dieser Bewegung und den, durch die Corona-Pandemie hervorgerufenen, Krisen und Verwerfungen analysieren und mit uns gemeinsam Gegenstrategien diskutieren wollen…“ Intro zur online-Broschüre von North East Antifa vom Dezember 2020 „Liebe, Frieden, Volksverräter. Zustandsbericht und Analyse zu rechten und verschwörungsideologischen Strategien während der Corona-Pandemie und antifaschistischen Interventionen“ – siehe zum Thema auch:
- Feinde finden: Sozialdarwinismus – Ökofaschismus – Verschwörungsideologien. Die extreme Rechte reagiert in verschiedener Weise auf die Coronakrise
„… Krankheit kommt in der extremen Rechten dann vor, wenn sie als von außen hereingeschleppt dargestellt werden kann, wie es die FPÖ auch noch zu Beginn der Coronakrise tat. Krankheit und Seuche werden auch als Metaphern für unliebsame Menschengruppen verwendet. In beiden Fällen geht es nicht um den medizinischen Hintergrund einer Krankheit, sie dient vielmehr als Leinwand oder Sprachbild für Rassismus oder Verschwörungstheorien. Beides erleben wir auch in der aktuellen Krise. Das ist nicht neu, sondern Teil rassistischer und antisemitischer Agitation seit vielen Jahrhunderten. Es gibt noch einen dritten Diskussionsstrang, bei dem die medizinische Realität zumindest anerkannt wird. Statt die Krise zu bekämpfen, wird sie affirmiert: Hier stirbt das Schwache, und das Starke behauptet sich. (…) Sozialdarwinismus beschreibt die Idee, dass unproduktive beziehungsweise schwache Mitglieder einer Gemeinschaft kein Anrecht auf Schutz haben oder sogar aktiv beseitigt werden müssen. In einer grotesken Verzerrung der Erkenntnisse Charles Darwins werden so gesellschaftliche und politische Imperative geformt. Schwäche ist im sozialdarwinistischen Denken nichts Schützenswertes, sondern ein verachtenswerter Zustand. Mit Schwäche ist sowohl körperliche wie auch geistige oder psychische »Schwäche« gemeint. Darunter fallen Menschen mit Behinderungen und chronischen Krankheiten, aber auch Menschengruppen, denen in rassistischen und antisemitischen Zuschreibungen »Schwäche« eingeschrieben wird. Schwäche ist dementsprechend immer etwas selbst Verursachtes oder genetisch Bedingtes. Das führt dazu, dass sie gemäß dieser Ideologie klar bestimmten Gruppen zuzuordnen ist und so mitsamt diesen Gruppen ausgerottet werden kann. Marktradikale Ideologen treibt vor allem die Verachtung der Armen um. Der Maßstab ist nicht (nur) das »Volk«, sondern »die Wirtschaft«. Gemeint ist damit immer das kapitalistische Wirtschaftssystem. Die schwächsten Teile dieses Wirtschaftssystems, das an einen kapitalistischen Staat gekoppelt ist, müssen beseitigt werden, damit die starken Teile nicht leiden. Die schwächsten Teile sind Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Frührentner und so weiter. All jene, die mehr kosten, als sie produktiv beitragen. (…) Neoliberalismus ist dementsprechend eine Spielart des Sozialdarwinismus. Die parallele Entwicklung zweier verschiedener sozialdarwinistischer Stränge (eines völkischen und eines wirtschaftsliberalen) ist nur eine scheinbare. Vielmehr ist Sozialdarwinismus dort populär, wo diese beiden Spektren aufeinandertreffen: Wirtschaftsliberale, die völkisch denken. Sie unterscheiden sich somit sowohl von gesellschaftsliberalen Wirtschaftsliberalen als auch von wirtschaftsprotektionistischen Faschisten. (…)»Ökofaschismus« meint indessen (…) eine Ideologie, die den Menschen einer (oft mythologisierten) Natur unterordnet. Diese Naturvorstellung findet sich schon bei den Nazis, in der Rede vom mythischen Band zwischen Volk und Land (»Blut und Boden«) und im agrarromantischen Bild der ruralen Gebiete Deutschlands. Diese ökofaschistischen Ideen spielen auch im modernen Neofaschismus eine wachsende Rolle. (…) Im Rahmen der Pandemie tauchten sehr schnell in den sozialen Netzen Memes und Beiträge mit ökofaschistischen Logiken auf. Prägend war dabei der Satz »We are the virus«. Der Mensch sei das Virus, von dem sich die gebeutelte Natur nun befreie. (…) In politischen Krisenzeiten haben Verschwörungsideologien Hochkonjunktur. (…) Ein Merkmal von Verschwörungsideologien ist, dass sie sehr flexibel aktuelle Ereignisse aufnehmen können. (…) Verschwörungsideologien bieten also (genauso wie extrem rechte und faschistische Ideologien an sich) eine Heldenerzählung an. Das Individuum ist nicht mehr Resultat seiner Umstände und komplexer Realitäten, sondern Teil einer heroischen Gruppe. (…) Verschwörungsideologien haben eine lange Geschichte und dienen immer wieder als Mobilisierungsmoment für die Straße. Alle bieten sie einfache Antworten auf die Krise. Sie markieren den Feind und liefern die emotionale Begründung, ihn zu entfernen.“ Vorabdruck eines Beitrags von Natascha Strobl bei der jungen Welt vom 8. Januar 2021 aus dem von D. F. Bertz herausgegebene Sammelband »Die Welt nach Corona. Von den Risiken des Kapitalismus, den Nebenwirkungen des Ausnahmezustands und der kommenden Gesellschaft«, Bertz und Fischer, Berlin 2021, 732 Seiten, 24 Euro