Der Prozess gegen den Nazi-Mörder von Halle beginnt. Mit: Einer Bühne für die Hasstiraden des Mörders
Dossier
„… Nun beginnt der Gerichtsprozess gegen Stephan B. vor dem Oberlandesgericht Naumburg. 43 Nebenkläger*innen haben sich dem Verfahren angeschlossen. Angeklagt ist der Attentäter u.a. wegen des Mordes in zwei Fällen, des 68-fachen versuchten Mordes sowie der gefährlichen Körperverletzung und versuchten räuberischen Erpressung mit Todesfolge. Darüber hinaus hat die Bundesanwaltschaft Anklage erhoben wegen besonders schwerer räuberischer Erpressung, Volksverhetzung und fahrlässiger Körperverletzung. Neben dem NSU-Prozess ist es eines der größten Gerichtsverfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte im Bereich Rechtsterrorismus, das mit erheblichem internationalem Interesse begleitet werden wird. (…) Fraglich bleibt auch, warum das Imageboard „Meguca“, auf dem der Täter das Attentat angekündigt hatte, so lange von den Behörden ignoriert wurde. Noch Tage nach dem Anschlag waren der entsprechende Post sowie B.s Nutzerdaten abrufbar. Erst später wurden sie durch einen Administrator des Forums gelöscht. Alle Daten von B., inklusive seiner Privatnachrichten und seiner Beiträge, die ein Schlaglicht auf seine Ideologie hätten werfen können, sind verloren. Wie konnte es zu einer solchen Panne kommen? Auch mit Blick auf die Behörden stellt sich die Frage, inwieweit Stephan B. schon vor der Tat hätte bekannt sein können. 2014 soll er an einer Veranstaltung in der ehemaligen NPD-Parteizentrale in Leipzig teilgenommen haben, seine Kontakte in die rechtsextreme Szene waren also offenbar nicht nur virtuell. Auch unmittelbar nach der Tat scheint es zu einigen Pannen gekommen sein. Beispielsweise zeigt das Video einer Überwachungskamera, dass die ermordete Jana L. auch nach dem Eintreffen der Polizei minutenlang ignoriert wurde. Weder kam es zu Wiederbelebungsmaßnahmen, noch zur Feststellung des Todes. Stephan B. soll auf dem Rückweg vom Kiez-Döner sogar nochmals an der Synagoge vorbeigefahren sein, vor der zu diesem Zeitpunkt Polizist*innen standen. Nach seinem Auto wurde zu diesem Zeitpunkt bereits gefahndet. Gestoppt wurde es nicht…“ – aus dem Beitrag „Viele Fragen sind offen“ am 21. Juli 2020 bei den Belltower News zum Prozessbeginn. Siehe dazu auch einen Beitrag über die Tiraden des Täters, einen Überblick über den ersten Prozesstag, eine Tweet-Sammlung zu Aktionen vor dem Gerichtsgebäude, ein ausgesprochen interessantes Video zur Begründung einer Nebenklage und den Hinweis auf einen neuen Blog, auf dem Beteiligte über den Fortgang informieren wollen:
- Kein Weihnachtswunder: Das Urteil im Prozess gegen den antisemitischen Attentäter von Halle vor einem Jahr weist viele Leerstellen auf
„Vor einem Jahr, am 21. Dezember 2020, wurde der Attentäter von Halle verurteilt. Presse und Politik zeigten sich erleichtert: Die »Süddeutsche Zeitung« lobte Richterin Ursula Mertens in den höchsten Tönen. Sie habe den Angeklagten stets unter Kontrolle gehabt, sei »mit schneidender Stimme« dazwischen gegangen, und er habe ihr gehorcht. Noch während der Urteilsverkündung teilte Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff via Twitter mit: Antisemitismus und Rassismus hätten, wie man ja am Prozessverlauf sehen könne, keinen Platz in Deutschland. Wie sehr diese und ähnliche Darstellungen reinem Wunschdenken entsprechen, konnte bei genauerem Hinschauen deutlich beobachtet werden. Zwar wurde, ein Novum in der bundesrepublikanischen Rechtsprechung, das misogyne Motiv des Mordes an Jana L. anerkannt. Das sagt allerdings mehr über die vergangene Praxis und den noch immer aktuellen Umgang mit frauenfeindlichen Strukturen aus, als dass es ein Grund zum Feiern wäre. Relevant ist vielmehr, was eben nicht verurteilt worden ist: Der rassistisch motivierte Mordversuch an Aftax I., der dem auf ihn zu fahrenden Täter noch ausweichen konnte, wurde als Verkehrsunfall abgetan, obwohl der Täter seine Absichten wiederholt kundgetan hatte. Auch Ismet Tekin, der außerhalb seines »Kiezdöners« mit der Waffe bedroht wurde, ist ausdrücklich nicht als Opfer anerkannt worden. Davon ziemlich unbeeindruckt stellten sich Gericht und Behörden als Hersteller:innen einer Wiedergutwerdung dar. Dabei brachte das Urteil eben keine Versöhnung pünktlich vor Weihnachten. Was von den Behörden an Anerkennung und Unterstützung fehlte, wurde durch selbstorganisierte Initiativen möglich gemacht. Durch die Spendenaktionen der Jüdischen Studierendenunion und der Soligruppe Kiezdöner sowie tatkräftige Unterstützung der letzteren beim Umbau des Kiez-Döners wurde dessen Wiedereröffnung als »Tekiez-Café« möglich. Der Kontrast zwischen solidarischer ehrenamtlicher Unterstützung und dem Umgangs der Behörden in Sachsen-Anhalt mit den Opfern des Anschlags ist beschämend. Denn die Ämter verweigerten zuletzt notwendige finanzielle Hilfe, ihre Vertreter erschienen aber zur großen Gedenkveranstaltung am 9. Oktober, dem zweiten Jahrestag des Anschlags, vor dem Tekiez mit Pressefotografen. »Alles muss man selber machen«, das erfahren wohl viele Engagierte der mittlerweile unzähligen Initiativen, die sich im Nachgang rechter Anschläge oder unaufgeklärter Morde in deutschem Polizeigewahrsam der letzten Jahrzehnte gegründet haben. Vielen von ihnen konnte man im September dieses Jahres auf dem von Überlebenden des Anschlags von Halle organisierten »Festival of Resilience« zuhören. Das war empörend und empowernd zugleich: Selbstorganisation in antifaschistischen Gruppen ist längst notwendig geworden und ermöglicht Raum für gegenseitige Anerkennung und Unterstützung…“ Kommentar von Arden Wein und Moritz Meier vom 20. Dezember 2021 in neues Deutschland online - Erste Kommentare zum Urteil und Redebeiträge auf der Kundgebung zur Urteilsverkündung
- Erste Kommentare zum Urteil
- Die Taten einordnen
„»Die Gesellschaft geht einen Teil des Weges mit ihm«: Der Prozess gegen den Attentäter von Halle offenbart wieder einmal Defizite beim Bewusstsein über rechte Gewalt, der Einordnung der Tat und der Rolle von Staat und Gesellschaft. Mit veralteten Vorstellungen politischer Aktivitäten im Internet verfallen Staatsanwaltschaft und Gericht in den Reflex der Einzeltäterthese…“ Beitrag von Stefanos Kontovitsis, Caro Keller und Sebastian Schneider im Antifa-Magazin »der rechte rand« am 21.12.20 aus der Ausgabe 187 – November / Dezember 2020 – die Autor*innen waren im Prozess als Beobachter*innen von NSU-Watch - Lehren aus dem Halle-Prozess: Ein Armutszeugnis und ein Auftrag für die Ermittlungsbehörden
„Der Prozess über den Attentäter von Halle habe große Defizite des Bundeskriminalamtes offenbart, kommentiert Niklas Ottersbach. Journalisten hätten gegenüber den Ermittlern teilweise Wissensvorsprünge. Ermutigend sei hingegen das laute Auftreten der Nebenkläger gewesen…“ Kommentar von Niklas Ottersbach vom 21.12.2020 beim Deutschlandfunk - Thread von NSU Watch vom 21.12.2020 : „Das heutige Urteil im #HalleProzess hinterlässt viele Nebenkläger*innen enttäuscht und wütend: Die Mordversuche an İsmet Tekin und Aftax I. wurden juristisch nicht anerkannt, der rassistische und antisemitische Anschlag von #Halle nicht gesellschaftlich eingeordnet…“
- Die Taten einordnen
- Redebeiträge auf der Kundgebung zur Urteilsverkündung
- In Magdeburg wie in München: Das Urteil darf kein Schlussstrich unter die Aufklärung sein!”
„Am 21. Dezember 2020 wurde das Urteil im Prozess zum antisemitischen und rassistischen Anschlag von Halle verkündet.Der Angeklagte wurde zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt, die besondere Schwere der Schuld wurde festgestellt, die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. In der mündlichen Begründung des Urteils stellte die Vorsitzende Richterin Mertens zwar die Geschichten der Betroffenen in den Vordergrund, die Forderungen der Nebenkläger*innen, dass die Mordversuche an İsmet Tekin und Aftax I. juristisch anerkannt werden und dass der Anschlag selbst sowohl gesellschaftlich, als auch ideologisch und in die Kontinuitäten rechten Terrors eingeordnet werden muss, wurden nicht erfüllt. So blieb die Urteilsbegründung “mutlos, harmlos und entpolitisierend”, fasste Nebenklage-Vertreterin Kristin Pietrzyk bei der Pressekonferenz nach Ende des Verhandlungstages zusammen. Wir dokumentieren hier den Redebeitrag, den wir in den Tagen vor der Urteilsverkündung geschrieben haben und der am Tag der Urteilsverkündung auf der Kundgebung “Solidarität mit den Betroffenen – keine Bühne dem Täter!” vor dem Gerichtsgebäude in Magdeburg gehalten wurde…“ Redebeitrag am 21.12. von und bei NSW-Watch zur Urteilsverkündung im Prozess zum antisemitischen und rassistischen Anschlag von Halle - #Halleprozess: Igor Matviyets „Was bleibt, ist ein flaues Gefühl im Magen“
„Der Prozess gegen den Attentäter von Halle endete heute vorerst. Der Nebenklage ist es zu verdanken, dass in Ansätzen die gesellschaftliche Dimension des Anschlags im Prozess herausgearbeitet wurde. Fragt sich, was bleibt und wie die gesellschaftliche Aufarbeitung weitergeht. Diese Fragen stellte sich auch Igor Matviyets in seinem Redebeitrag auf der Kundgebung vor dem Landgericht Magdeburg. Minderheiten in Sachsen-Anhalt, seien sie jüdisch und muslimisch, könnten sich nach wie vor nicht sicher fühlen, meint er.“ Audio am 21. Dezember 2020 bei Radio Corax - #Halleprozess: „Keine Gerechtigkeit“ – Redebeitrag von Max Czollek
„In seinem Redebeitrag auf der Kundgebung zur Urteilsverkündung im Prozess um den Anschlag von Halle geht der Autor Max Czollek auf die lange Kontinuität von rechtem Terror in Deutschland ein. Sei die Gewalt antisemitisch, rassistisch oder frauenfeindlich motiviert, sie ist nicht neu und kommt auch nicht überraschend. Czollek (Jalta) benennt die gesellschaftlichen Verhältnisse, die solche Taten ermöglichen. Weiter geht er auf den Gerichtsprozess ein und auf dem Kampf um Anerkennung. Gerechtigkeit, die sei nicht in Sicht, dafür aber gegenseitige Unterstützung und Bestärkung.“ Audio am 21. Dezember 2020 bei Radio Corax
- In Magdeburg wie in München: Das Urteil darf kein Schlussstrich unter die Aufklärung sein!”
- Erste Kommentare zum Urteil
- Anschlag auf Synagoge: Höchststrafe für Halle-Attentäter
„Im Prozess zum rechtsterroristischen Anschlag von Halle ist der Angeklagte zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt worden. Die Entscheidung traf auf breite Zustimmung. Im Prozess um den rechtsterroristischen Anschlag auf die Synagoge in Halle an der Saale hat das Oberlandesgericht Naumburg die Höchststrafe verhängt. Der Angeklagte Stephan B. wurde in Magdeburg zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Das Urteil erging unter anderem wegen zweifachen Mordes, vielfachen Mordversuchs und Volksverhetzung. Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. Mit dem Urteil folgten die Vorsitzende Richterin Ursula Mertens und die vier weiteren Richter der Forderung von Bundesanwaltschaft und Nebenklage. Gegen das Urteil kann vor dem Bundesgerichtshof Revision eingelegt werden…“ Meldung vom 21.12.2020 bei tagesschau.de – Bewertungen der Betroffenen folgen - Aufruf “Solidarität mit den Betroffenen – keine Bühne dem Täter” – 21.12.2020: Kundgebung am Tag der Urteilsverkündung im #HalleProzess vor dem Landgericht in Magdeburg
„… Nach 25 Prozesstagen werden die Verhandlungen nun zu einem Ende kommen. Der Gerichtsprozess wird mit der Urteilsverkündung abgeschlossen sein, einen Schlussstrich kann und darf es dennoch weder bei der Aufarbeitung des Attentats im Speziellen noch bezüglich einer Auseinandersetzung mit rechter, neofaschistischer Gewalt im Allgemeinen geben. Wie auch an den anderen Prozesstagen wird zum Abschluss des Verfahrens eine größere Kundgebung vor dem Landesgericht in Magdeburg stattfinden. Es soll damit ein Raum der Solidarität mit den Überlebenden, Hinterbliebenen und Nebenkläger:innen des rechten Anschlags geschaffen werden, aber auch ein Raum für kritisches Hinterfragen und Beleuchten der gesellschaftlichen Zustände, der staatlichen Strukturen und der medialen Berichterstattung im Kontext rechter Gewalt. Juristisch gesehen ging es dem Gericht im Prozess vor allem um die individuelle Schuld des Angeklagten. Diese ist bewiesen, er hat seine Taten weder geleugnet noch bereut. Es ist damit zu rechnen, dass er zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wird. Trotzdem bleiben nicht wenige Fragen unbeantwortet. (…) Diese und viele weitere Fragen wollen wir am 21. Dezember vor dem Landgericht in Magdeburg im Rahmen einer Kundgebung thematisieren. Dabei werden die Perspektiven der Betroffenen und Nebenkläger:innen im Fokus stehen. Auch soll nochmals ein Raum des Gedenkens an Jana Lange und Kevin Schwarze geschaffen werden. Darüber hinaus werden Expert:innen, die den Prozess begleitet haben, Resümee ziehen. Das Attentat von Halle steht nicht allein. Vielmehr reiht es sich in eine politische Kontinuität rechter Gewalt ein. Auf den Anschlag in Halle folgte kurze Zeit später im Februar 2020 der rassistische Anschlag in Hanau, bei dem 10 Menschen ermordet wurden. Faschistoide, antisemitische, rassistische, frauenfeindliche und antifeministische Einstellungen sind bis weit in die sogenannte Mitte dieser Gesellschaft verbreitet. Der Attentäter von Halle hat in die Tat umgesetzt, was in diesem Land ohnehin nicht wenige Menschen zu denken scheinen. Keine Einzelfälle – Keine Einzeltäter! Schließt euch der Kundgebung am 21. Dezember an und setzt ein Zeichen: Solidarität mit den Betroffenen – keine Bühne dem Täter!...“ Aufruf vom 9. Dezember 2020 von AK Antira Magdeburg zur Demo von 8:00 bis 18:00 Uhr - Thread der Initiative 9. Oktober Halle am 21.12.2020 : „In diesem Thread berichten wir aus dem Gericht, wo heute die #Urteilsverkündung im #HalleProzess erfolgen soll. Gegen 11 Uhr soll die Sitzung beginnen…“
- Schlussworte der Überlebenden im Halle-Prozess – „Mindestens ein Mensch ist hier schuldig. Aber Verantwortung trägt die ganze deutsche Gesellschaft.“ (Jeremy Borovitz)
„Schlusswort von Jeremy Borovitz: Der berühmte amerikanische Rabbiner Abraham Joshua Heschel schrieb im 20. Jahrhundert einmal über seine Arbeit für die Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten: „In einer freien Gesellschaft sind einige schuldig – aber alle tragen Verantwortung.“ Während dieses Prozesses habe ich zunehmend ein Verständnis dafür entwickelt, was das bedeutet. Vor dem Anschlag in Halle hatte ich Sorge, auf der Straße die Kippah zu tragen. Seit dem Anschlag in Halle trage ich die Kippah fast überall. Und ich werde jeden Monat mehrfach mit Antisemitismus konfrontiert: meist in Form hasserfüllter Kommentare unter Bezugnahme auf Stereotypen oder Israel oder – am häufigsten – den Widerhall des Nationalsozialismus, gelegentlich auch in Form von offen gezeigter Aggression. Dabei muss ich sagen – es sind gar nicht diese Bemerkungen, die mir am meisten zu schaffen machen. Ja, es zermürbt mich. Manchmal zehrt es an den Kräften. Aber was mir wirklich keine Ruhe lässt, ist die Tatsache, dass mir nur ein Mal nach einer solchen Bemerkung jemand zu Hilfe gekommen ist. (…) In seinem Schlussvortrag stellte der Staatsanwalt die Frage: Was ist in der Erziehung des Täters schiefgelaufen? Ich möchte das so beantworten: Hat ihm denn jemals jemand deutlich gemacht, dass die Dinge, die er sagte, falsch waren? Ist ihm irgendjemand aus seiner Familie oder seinem Freundeskreis jemals im Hinblick auf seinen Hass, seine menschenverachtenden Überzeugungen entgegengetreten? Gewalt entsteht nicht einfach so aus dem Nichts – sie schwelt im Inneren, baut sich auf. Je mehr dieser Täter mit seinen Bemerkungen durchkam, desto näher kam er der aktiven Umsetzung seiner schrecklichen Ideologie und abscheulichen Überzeugungen. (…) Mindestens ein Mensch ist hier schuldig. So viel ist offenkundig. Aber Verantwortung trägt die ganze deutsche Gesellschaft. (…) „Du darfst nicht Teil von unserer Gesellschaft sein. Wir schließen dich aus.“ Schlusswort von Conrad Rößler (…) „In diesem Prozess wurden wir ein ums andere Mal enttäuscht.“ Schlusswort von Jessica Wax-Edwards (…) „Wer von denen, mit denen ich aufgewachsen bin, wäre auch zu so einer Tat im Stande?“ Schlussstatement von I. B. (…) „Wir glauben, dass die Seelen von beiden Mordopfern – Jana und Kevin – bei diesen Festen des Lichtes uns von Himmel leuchten werden.“ Schlussstatement von Max Privorozki, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde zu Halle (…) „In diesem Gerichtssaal, werde ich beständig daran erinnert, dass Recht und Gerechtigkeit nicht dasselbe sind.“ Schlusswort von Talya Feldman (…) „Warum habe ich seit über einem Jahr Alpträume davon, dass er mich töten wollte und alles so schmerzhaft ist?“ Schlusswort von İsmet Tekin (…) Die Idee des „Nie wieder“ ist schon gebrochen. Schlusswort einer Überlebenden aus der Synagoge (…) „Was aus dem Elend jenes Tages erwuchs, ist Solidarität.“ Schlusswort von Naomi Henkel-Guembel (…) „Deutschland hat ein Antisemitismus- und Rassismusproblem.“ Schlusswort von Christina Feist (…) „Bei dem Attentat hat es mich als Jüdin getroffen. Aber die vom Angeklagten repräsentierte Gesinnung trifft mich auch als Migrantin, als Frau und als Teil der deutschen Gesellschaft (…).“ Schlusswort von Anastassia (…) Pletoukhina…“ Dokumentation in Deutsch und Englisch veröffentlicht von VBRG am 18. Dezember 2020 , siehe auch Schlussworte der Überlebenden im Halle-Prozess bei halle-prozess-report - Der Prozess gegen den Attentäter von Halle steht vor dem Abschluss: Zeit der letzten Worte
„Nach 25 Verhandlungstagen steht der Prozess gegen den Attentäter von Halle kurz vor dem Abschluss. (…) Im Verfahren gegen den Angeklagten, das seit Juli im Magdeburger Landgericht läuft, wird am 21. Dezember das Urteil erwartet. Nachdem am 21. Verhandlungstag Mitte November die Richterin Ursula Mertens die Beweisaufnahme geschlossen hatte, gingen die durch insgesamt 23 Anwälte vertretenen Nebenkläger in ihren Plädoyers und Schlussworten auf den Anschlag und seine Folgen für die Betroffenen ein. Die Nebenklägerin Jessica W. kritisierte, dass die Hintergründe und der Kontext der Tat nicht ausreichend thematisiert worden seien. In einer Stellungnahme, die ihr Anwalt Alexander Hoffmann verlas, hieß es, dass der Prozess die Chance geboten hätte, »den rechtsextremen Terror endlich einmal nicht kleinzureden, sondern zuzugeben, dass seine Wurzeln weit über diesen einen Mann, diesen einen Gerichtssaal, dieses Land hinausreichen«. Diese Chance sei nicht ergriffen worden. Stattdessen habe der Prozess gezeigt, welch inkompetente und unerfahrene Polizisten mit der Arbeit betraut worden seien und dass das Bundeskriminalamt auch strukturell nicht in der Lage sei, derartige Taten aufzuklären oder zu verhindern. Die Nebenklägerin Christina Feist und ihre Anwältin Kati Lang betonten, dass es nicht etwa die Ermittler der Polizei, sondern Sachverständige wie die Journalistin Karolin Schwarz, der Leiter der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin, Benjamin Steinitz, und der Rechtsextremismusforscher Matthias Quent sowie recherchierende Betroffene gewesen seien, die die Hintergründe und Folgen der Tat analysiert hätten. Die Rechtsanwältin Kristin Pietrzyk sah es als erwiesen an, dass der Angeklagte keineswegs ein isolierter Einzeltäter gewesen sei, sondern sich über seine Ideologie online ausgetauscht und diese mit terroristischen Vorbildern und deren Unterstützern geteilt habe. Um auszumachen, wie man persönlich und gesellschaftlich der Verbreitung von Antisemitismus, Rassismus und Frauenfeindlichkeit entgegenwirken könne, müssten diese auch vor Gericht analysiert werden, forderte der Nebenklageanwalt Alexander Hoffmann. Die Ideologie und die Motive des Angeklagten seien schließlich mitbestimmend für das Strafmaß. Die weitverbreitete rechtsextreme Hetze habe der Angeklagte als Legitimation und Auftrag verstanden, selbst zur Tat zu schreiten. Besonders deutlich kritisierten mehrere Nebenkläger, dass die Bundesanwaltschaft die Taten gegen Aftax Ibrahim und İsmet Tekin, den Betreiber des angegriffenen »Kiez-Döners«, noch immer nicht als rassistische Mordversuche anerkannt habe. (…) Während der Angeklagte in seinem Schlusswort den Holocaust leugnete und die Richterin nach Protest der Nebenklage die Sitzung unterbrach, schilderten die Nebenkläger die Solidarität, die zwischen ihnen im Laufe des Prozesses entstanden sei. Zwar habe die Vorsitzende Richterin Mertens in der Verhandlung das letzte Wort, sagte die Nebenklägerin Christina Feist in ihrem Schlusswort. Aber: »Das letzte Wort da draußen haben wir alle.«“ Beitrag der Democ/Zentrum Demokratischer Widerspruch e. V. vom 17. Dezember 2020 aus Jungle World 17. Dezember 2020 - Erste Schlussplädoyers am 22. Verhandlungstag: Halle-Prozess – Solidarität ist eine Waffe
„Der Halle-Prozess neigt sich dem Ende zu: Am 1. Dezember 2020 hielt die Nebenklage ihre ersten Schlussplädoyers. Sie betonte dabei die Online-Vernetzung des Angeklagten – und fand für den Generalbundesanwalt scharfe Worte. Unser Bericht aus dem Gerichtssaal. Endspurt im Halle-Prozess: Die Beweisaufnahme wurde bereits am 18. November abgeschlossen. Der Generalbundesanwalt fordert in seinem Plädoyer die höchste Strafe für den rechtsextremen und antisemitischen Attentäter: lebenslange Haft. Vor Weihnachten ist ein Urteil erwartet. Am 1. Dezember 2020, dem 22. Verhandlungstag des Prozesses, darf nun die Nebenklage das Wort ergreifen. Dafür sind mehrere Tage eingeplant: Denn die 43 zugelassenen Nebenkläger*innen werden von 21 Rechtsanwält*innen vertreten. Heute wird in deren Schlussvorträgen der Generalbundesanwalt scharf kritisiert. Auch die Polizei kommt nicht gut weg…“ Bericht von Nicholas Potter vom 1. Dezember 2020 bei Belltower News – siehe dazu auch den Twitter-Thread von Valentin Hacken vom 1.12.2020 und immer noch die Berichterstattung im Blog „Halle nach dem Anschlag“ sowie bei Radio Corax - Bundesanwalt: Halle-Anschlag zielte auf alle Menschen
„… Die Bundesanwaltschaft hat im Prozess gegen den Synagogen-Attentäter von Halle am Mittwoch in ihrem Plädoyer eine lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung für Stephan B. gefordert. B. sei vollumfänglich schuldfähig, sagte Bundesanwalt Kai Lohse vor dem Oberlandesgericht Naumburg und plädierte für eine Verurteilung wegen Mordes in zwei Fällen und versuchten Mordes in mehreren Fällen sowie weiterer Straftaten wie Volksverhetzung und Körperverletzung. Zudem sei nach der Haft eine Sicherungsverwahrung anzuordnen, weil B. für die Allgemeinheit gefährlich sei. Aus Sicherheitsgründen findet der Prozess in Magdeburg statt. Lohse sagte, der Angeklagte sei zwar geständig, habe aber weder Einsicht noch Reue gezeigt, sondern seine Taten gerechtfertigt. In gut einer Stunde habe Stephan B. eine Vielzahl schwerster Delikte begangen. Die Motive seien zutiefst menschenverachtend. Der Bundesanwalt sprach von einem der „widerwärtigsten antisemitischen Akte seit dem Zweiten Weltkrieg“. Dieser Terroranschlag stelle einen Einschnitt für alle in Deutschland lebende Menschen dar: „Der von unbändigem Hass und Vernichtungswillen angetriebene Attentäter wollte in der Synagoge ein Blutbad anrichten.“ B. sei an der Tür der Synagoge gescheitert, aber habe am Ende zwei Menschen ermordet, zahlreiche weitere verletzt und traumatisiert. (…) „B. zielte auf jüdisches Leben und damit auf uns alle“, sagte der Bundesanwalt: „Jüdisches Leben ist und bleibt ein unverzichtbarer Teil Deutschlands.“ Die in der Anklageschrift benannte rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Motivation habe sich in der Hauptverhandlung in vollem Umfang bestätigt. Im juristischen Sinn sei B. ein Einzeltäter, doch er habe sich auf den Nationalsozialismus bezogen und sich „bewusst in eine Reihe der Täter an der Rampe von Auschwitz gestellt“. Anfang Dezember folgen die Plädoyers der Anwälte der Nebenklage und der Verteidigung. Es gibt 45 Nebenkläger, die von 21 Anwälten vertreten werden. Mit einem Urteil wird noch in diesem Jahr gerechnet…“ Meldung vom 19. November 2020 von und bei MiGAZIN - Experte: Anschlag passierte nicht im gesellschaftlichen Vakuum
„… Im Prozess um den Anschlag auf die Synagoge in Halle vor über einem Jahr hat ein Experte auf die Verbreitung von Antisemitismus in Deutschland hingewiesen. Der Geschäftsführer des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e.V. (RIAS), Benjamin Steinitz, sagte am Dienstag vor dem Oberlandesgericht Naumburg, es sei eine weitere Tat in einer langen Kette gewesen. Antisemitismus und gezieltes Töten von Juden habe nach 1945 nicht aufgehört. Zudem berichtete er über die Auswirkungen des Anschlags auf das jüdische Leben in Deutschland. Antisemitismus sei ein den Alltag von Juden prägendes Problem, sagte Steinitz weiter und berichtete von unzähligen Vorfällen, die nur in wenigen Fällen auch zur Anzeige gebracht würden. Der Anschlag in Halle habe unmittelbar Auswirkungen gehabt. Mit Bezug auf das Attentat seien Gedenkveranstaltungen gestört worden und das Denkmal für die ermordeten Juden Europas beschmiert worden. Das Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung habe sich durch den Anschlag in den jüdischen Gemeinden verstärkt, sagte Steinitz. Es habe aber auch eine enorme Welle der Solidarität für die Betroffenen gegeben…“ Meldung vom 18. November 2020 von und bei MiGAZIN - #Halleprozess: Rückblick auf das Prozessgeschehen am 18. November
„Mit der Aussage des Rechtsextremismusforschers Matthias Quent wurde am 21. Prozesstag die Beweisaufnahme beendet. Daran schloß das Plädoyer des Generalbundesanwalts an, das die Auflistung der einzelnen Tatkomplexe und Forderungen zum Strafmaß beinhaltet. Außerdem wies der Generalbundesanwalt in seinem Plädoyer die von verschiedenen Seiten geäußerte Kritik an den Ermittlungen des Bundeskriminalamts zurück. Radio Corax berichtet in Kooperation mit Halle gegen Rechts und dem AK Protest des Stura der Uni Halle über den Prozess gegen den Attentäter des Anschlags am 9. Oktober 2019. Alle Beiträge, weiterführende Artikel und Veranstaltungshinweise finden sich auf https://anschlag.halggr.de/ “ Radio Corax-Beitrag vom 18.11.2020 - #Halleprozess: Rückblick auf das Prozessgeschehen am 17. November
„Am 20. Prozesstag entschied das Gericht über mehrere Anträge, die unter anderem die Verteidigung des Angeklagten eingebracht hatte. Außerdem sprach Benjamin Steinitz, Vorsitzender des Bundesverbandes RIAS über die Lebensrealitäten von Jüd*innen in Sachsen-Anhalt vor und nach dem Anschlag. Ein Interview mit Benjamin Steinitz zur vom RIAS erarbeiteten „Problembeschreibung: Antisemitismus in Sachsen-Anhalt“ ist hier online.“ Radio Corax-Beitrag vom 17.11.2020 - Ein Jahr nach dem Halle-Anschlag: Aufstand der Überlebenden
„Ein Jahr nach dem Terroranschlag von Halle kommt in Sachsen-Anhalt die Debatte über die Folgen der Attacke erst ins Rollen. Das liegt vor allem an den Überlebenden. Sie schmieden neue Allianzen – und lassen sich nicht in die Rolle der schweigenden Opfer drängen. (…) In Berlin, in einem Biergarten am Gleisdreieck, ist in dieser Woche etwas geschehen, das es in Deutschland so bisher noch nicht gab. Ein Jahr nach dem Anschlag von Halle verbinden sich die Überlebenden rechtsextremen Terrors, sie stützen sich gegenseitig in ihrer Trauer. Und sie verbünden sich gegen die Gleichgültigkeit von Politik und Mehrheitsgesellschaft, sind nicht mehr Opfer, Überlebende oder Hinterbliebene, sondern Akteure, die lautstark Taten einfordern. Sie nennen es das “Festival of Resilience”, das Festival der Widerstandsfähigkeit. Organisiert wird es von der jüdischen Gemeinschaft Base Berlin, zeitgleich mit dem Laubhüttenfest. Die Rabbiner von Base Berlin sind Rebecca Blady und Jeremy Borovitz, zwei junge Amerikaner aus Brooklyn, die ebenfalls vor einem Jahr in Halle waren und im Prozess gegen den Attentäter auch als Nebenkläger ausgesagt haben. An diesem Freitag wird das offizielle Gedenken in Halle stattfinden. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird sprechen, Josef Schuster, Vorsitzender des Zentralrats der Juden, Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Sie alle waren vor einem Jahr, direkt nach dem Anschlag, schon einmal in Halle und haben der jüdischen Gemeinde der Stadt ihre Solidarität erklärt. Sie werden es wieder tun. Aber wird sich dadurch etwas ändern? Erst am Sonntag geschah vor einer anderen deutschen Synagoge eine Gewalttat, die für die Überlebenden von Halle ein traumatisches Déjà-vu gewesen sein muss: Ein Mann in Armeekleidung attackierte einen Gläubigen in Hamburg…“ Artikel von Jan Sternberg vom 09.10.2020 bei RND - Von Reue keine Spur. Am 9. Oktober jährt sich das Halle-Attentat
„Am 9. Oktober jährt sich einer der schlimmsten antisemitischen Anschläge der deutschen Nachkriegsgeschichte. Der Attentäter, ein 28-jähriger Sachsen-Anhalter, der zwei Menschen erschoss, muss sich seit Ende Juli vor Gericht verantworten…“ Beitrag von Romy Richter vom 08.10.2020 beim Migazin (leider im Abo) - Kritische Stimmen zum Gedenken an den Anschlag in Halle
„Am 9. Oktober jährt sich der antisemitische und rassistische Anschlag von Halle zum ersten Mal. Der Jahrestag wird von zahlreichen Veranstaltungen unterschiedlicher Akteure begleitet. Vor allem das öffentliche Gedenken von Stadt und Land ist umstritten. Zu wenig Einbindung von Betroffenen, wenig Sensibilität gegenüber jüdischen Feiern und keine dauerhafte Auseinandersetzung mit Antisemitismus und rechter Gewalt und Hetze in der Stadt. So einige der Kritikpunkte. Die Kritik von Betroffenen zeigt: es bleibt kompliziert und noch viel ist zu tun. Radio Corax sprach darüber mit der Anschlags-Überlebenden Christina Feist, dem Vorsitzenden der jüdischen Gemeinde Halle Max Privorozki, dem Opernregisseur Michael von zur Mühlen.“ Beitrag vom 8. Oktober 2020 beim Radio Corax - Aufarbeitung des Anschlags. Initiative 9. Oktober Halle: „Ein ‚Weiter so‘ darf es gesellschaftlich nicht geben“ / Veranstaltungen zum ersten Jahrestag des Anschlags von Halle
„In Magdeburg läuft der Prozess nach dem Anschlag in Halle. Doch der Prozess ist keine gesellschaftliche Aufarbeitung des Vorgefallenen. Die Initiative 9. Oktober Halle will daher die Stimmen der Betroffenen stärken – und gegen Antisemitismus und Rassismus vorgehen. Seit Juli läuft in Magdeburg der Prozess nach dem Attentat von Halle am 9. Oktober. Vor jedem Verhandlungstag organisieren zivilgesellschaftliche Gruppen Mahnwachen für die Betroffenen. Das Ziel: Der Prozess soll nicht vom mutmaßlichen Attentäter als Bühne für seine Ideologie genutzt werden können. Eine der Gruppen hinter den Mahnwachen ist die Initiative 9. Oktober Halle…“ Interview von von Maria Hendrischke vom 30. September 2020 beim MDR- Die Initiative 9. Oktober Halle listet auf Twitter alle Veranstaltungen in Halle und bundesweit auf , wird ständig aktualisiert im Thread, darunter auch ein migrantischer Aufruf des Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt : „Demoaufruf für diesen Do., 08.10.2020, in #Halle vor dem #KiezDöner: „Jetzt reden wir! Kundgebung von Migrant*innen ein Jahr nach dem #Anschlag““
- Zum Jahrestag des Anschlags, am 9. Oktober 2020, plant die Stadt Halle eine Demokratiekonferenz
- „Attentäter von Halle offenbart sein rechtsextremes Weltbild“ von Annette Ramelsberger am 21. Juli 2020 in der Süddeutschen Zeitung online zu den Tiraden des Nazimörders vor Gericht: „… Er habe kein Interesse daran, die Richterin zu überzeugen. Er habe kein Interesse daran, über seine Kindheit zu reden. Er will auch nicht über seine Familie sprechen. Offensichtlich hat er nur an einem Interesse: über „die Eroberer“ zu reden, die angeblich Europa überrennen. Und über jene, die die Flüchtlingsströme der Welt seiner Meinung nach direkt nach Deutschland lenken: die Juden – so sagt es der Angeklagte Stephan B. aus dem Dorf Benndorf in Sachsen-Anhalt, der am 9. Oktober 2019 versucht hat, einen Anschlag auf die Synagoge von Halle zu begehen. Er hat kein Interesse, aber er redet. Über Stunden. Abgehackt, überzeugt von sich selbst, gefangen in einer eigenen Welt. Der Welt, in der er als weißer Mann für die weiße deutsche Heimat kämpft, gegen Muslime, gegen alle Menschen anderer Hautfarbe und gegen Frauen, die wegen der Emanzipation nicht genug Kinder bekommen. Eine davon hat er erschossen. „Es tut mir sehr leid, dass ich sie erschossen hab“, sagt er, eine „Kurzschlussreaktion“ sei das gewesen. Und einen jungen Mann hat er getötet, den hatte er für einen „Nahöstler“ gehalten...“
- „Killer ohne Reue“ von Susan Bonath am 22. Juli 2020 in der jungen welt zum ersten Prozesstag: „… Bundesanwalt Kai Lohse verlas zunächst die Anklage. Neben den Morden an Jana L. und Kevin S. wirft seine Behörde Balliet 68fachen versuchten Mord vor. Die Motive seien unter anderem Hass auf Juden, Ausländer und die »Unterschicht« gewesen, er habe den »Nationalsozialismus« verherrlicht. Auf die Fragen der Richterin antwortete der Angeklagte einsilbig. Er erklärte beispielsweise, dass er keine Freunde gehabt und nur mit seinen Eltern, seiner Schwester und im Internet kommuniziert habe. Ab 2015 habe er sich entschieden, »nichts mehr für diese Gesellschaft zu tun«. Im selben Jahr habe er auch begonnen, sich zu bewaffnen – als Grund gab er »Selbstverteidigung gegen Muslime und Schwarze« an. Immer wieder beleidigte Balliet dunkelhäutige und muslimische Menschen, nutzte die Anklagebank als Bühne: »Juden wollen schon lange das Land übernehmen«, sagte er. Flüchtlinge nannte er »Eroberer aus dem muslimischen Kulturkreis«. Richterin Mertens drohte dem Angeklagten angesichts seiner Hasstiraden mehrmals, ihn des Saals zu verweisen. Dann wiederum versuchte sie, ihm Mitleid in den Mund zu legen: »Aber der Mutter ihres Opfers geht es jetzt sehr schlecht, können Sie das nachfühlen?« 43 Nebenkläger mit 21 Anwälten gibt es in dem Verfahren. Der Inhaber des »Kiez«-Dönerimbisses in Halle, Ismet Tekin, wo Balliet den 20jährigen Kevin S. erschossen hatte, wurde in letzter Minute auf Antrag noch als Nebenkläger zugelassen. Für das Verfahren sind zunächst 18 Verhandlungstage bis Mitte Oktober angesetzt. Vor dem Landgericht demonstrierte gestern auch das »Bündnis 9. Oktober Halle«, ein Zusammenschluss aus mehreren Initiativen, für Solidarität mit den Opfern des Anschlags. An der Kundgebung nahmen auch antikapitalistische Gruppen teil, u. a. »Zusammen kämpfen« aus Magdeburg…“
- „Auf der ganztägigen Kundgebung vor dem Gericht wurden dagegen heute die Perspektiven von Überlebenden, Betroffenen und ihren Nebenklagevertreter*innen in den Vordergrund gestellt“ am 21. Juli 2020 Twitter-Kanal von NSU-Watch ist Bestandteil des Tages-Threads zum Prozess, worin sowohl über die Aktionen vor dem Gericht berichtet wird, als auch Anmerkungen zur Propagandaoffensive des Täters gemacht werden.
- „Der Prozess gegen den Attentäter von Halle beginnt am 21. Juli 2020. Eine Zeugin und Nebenklägerin spricht von dem Tag selber, dem medialen Umgang danach und ihren Perspektiven auf den Anschlag, die Hintergründe und den anstehenden Prozess“ am 21. Juli 2020 im Twitter-Kanal von LeftVision ist ein Video über den Beitrag der Klägerin, die in runden sechs Minuten die Sachlage pointiert und passend zusammen fasst
- „Prozess Report Halle“ ist der Blog, auf dem verschiedene Beteiligte ihre Sicht des Prozesses und seiner Entwicklung verbbreiten werden. Der Blog wird dabei in der Vorstellung so charakterisiert: „… Dieser Blog und die damit verbundenen visuellen Ressourcen sind mit Bedacht von Anwälten, im Dialog mit Nebenklägern und Aktivisten ausgewählt, erstellt, und veröffentlicht worden. Der Blog bietet detaillierte und tägliche Berichte des Prozesses, welcher am 21. Juli 2020 beginnen wird. Dieser Blog strebt auch an, den Angriff sowohl in den Kontext des erstarkten globalen, als auch den lokalen, deutschen Rechtsextremismus und weißen Suprematismus zu setzen, welcher sich in der Ermorderung Walter Lübckes im Juni 2019 und in dem verheerenden Angriff in Hanau im Februar 2020 manifestiert hat. Der Angreifer von Halle ist unbestreitbar mit der online “alt-right“ community vernetzt, die auch schon die Terrorangriffe von Christchurch, Poway, El Paso, und Oslo und zahllose weitere Angriffe auf Juden, Muslime, BIPoC, und Frauen weltweit inspriert und angeregt hat. Diese Angriffe werden in diversen sozialen Medien durch die Community weiterhin gefeiert und ermutigt, und wir halten diese für die Verbreitung von Hass und Fanatismus verantwortlich. (…) Dieser Blog wird Beiträge von Rechtsanwält_innen, Aktivist_innen, Wissenschaftlern und Nebenkläger_innen beinhalten. Es wird daher darauf hingewiesen, dass keiner der hier veröffentlichten Beiträge den gemeinsamen Standpunkt der gesamten Nebenklage-Gruppe darstellt...“
- Siehe auch die Berichterstattung von Solidarisches Magdeburg auf Twitter und Fragen und Antworten zum Gerichtsprozess gegen Halle-Attentäter am 22.07.2020 im Migazin
- Siehe zu Halle im LabourNet u.a.: Nach den Morden von Halle wird von der Regierung gehandelt: Bevorzugt gegen das Internet und Gamer. Gegen die Nazis – das müssen andere übernehmen…