[Buch] Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage. Wie wir unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resilienter machen können

[Buch im oekom-Verlag, hrsg. von Tino Pfaff] Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage. Wie wir unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resilienter machen könnenDie Frage nach sozialer Gerechtigkeit bleibt aktuell – auch und gerade in »modernen« europäischen Gesellschaften. Denn der Kapitalismus erzeugt neben Wohlstand für wenige auch viel Armut und Leid, in Deutschland und der ganzen Welt. Diese Ungerechtigkeit ist heute eng verbunden mit der Zerstörung ökologischer Lebensgrundlagen. Als Folge droht ein sozialökologischer Kollaps, der vor Ort und weltweit schwerwiegende Konsequenzen hätte. Wie lässt sich so ein Zusammenbruch verhindern? Die Ungleichverteilung von Eigentum und Macht gilt als grundlegende Bedingung für den Kapitalismus: Wenige Mächtige treffen Entscheidungen, von denen sehr viele Menschen abhängig sind. Hier müssen wir ansetzen. Die Vergesellschaftung von lebenswichtigen Bereichen und profitgesteuerten Großkonzernen könnte dafür ein entscheidender Hebel sein. In diesem Buch setzen sich 50 Autor*innen in 34 Beiträgen mit der Frage auseinander, ob und wie Vergesellschaftungsformen einen Beitrag zur Bearbeitung oder gar Lösung der sozialökologischen Frage unserer Zeit leisten können.“ Klappentext des im oekom-Verlag erschienenen Sammelbands – siehe zum Buch u.a. die für uns verfasste Buchvorstellung des Herausgebers Tino Pfaff sowie seine Einleitung „Mit Vergesellschaftung die sozialökologische Frage beantworten“:

  • Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage. Wie wir unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resilienter machen können
    • Erscheinungstermin: 06.06.2024
    • ISBN: 978-3-98726-062-9
    • Softcover, 512 Seiten
    • Buch 36,00 €
    • PDF 0,00 €
    • DOI: https://doi.org/10.14512/9783987262937
    • CC-Lizenzart: CC BY-NC-ND 4.0
    • Spendenkampagne bis zum 30. Oktober 2024 bei startnext externer Link um die Verlags- und Erstellungskosten decken zu können
    • Siehe Bestellung und weitere Infos beim oekom-Verlag externer Link
    • In der Leseprobe beim Verlag externer Link finden sich:
      • Inhaltsverzeichnis
      • Plädoyer „Über das untrennbare Verhältnis von Kapitalismus und Faschismus. Vergesellschaftung als Bastion gegen die zweigliedrige Zerstörung des freien Lebens“ von Tino Pfaff
      • „Vergesellschaftung als Strategie gegen rechts? Annäherungen an eine ambivalente Beziehung“ von Tatjana Söding
      • „Vergesellschaftung, Sozialisierung, Gemeinwirtschaft. Lehren aus der Geschichte umkämpfter Begriffe“ von Christopher Schmidt

 

Vergesellschaftung oder Kollaps: nur Kollektivität kann den Neofaschismus verhindern

Im Juni 2024 erschien mein neuer Sammelband, „Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage“. Aufgrund meines Wirkens als Umweltaktivist habe ich zahlreiche Erfahrungen gesammelt, die sich darauf konzentrierten Forderungen an politische Entscheider*innen sowie Konzerne und Profitlobbyist*innen zu stellen. Wenn dabei auch Erfolge[1] zu verzeichnen waren, bleibt mein Resümee über die letzten sechs Jahre ernüchternd. Zu grundlegenden Kursänderungen in politischen und wirtschaftlichen Geschehen, ist es bis heute nicht eingetreten. Wenn auch über Jahre hinweg vehement kommunizierte klima- und sozialwissenschaftliche Sachlagen kommuniziert wurden und Millionen Menschen auf den Straßen waren.

Die Zerstörung planetarer und regionaler Ökosysteme schreitet weiter voran, die Erdatmosphäre erhitzt sich nach wie vor in rasantem Ausmaß und wachsende soziökonomische Ungleichheiten durchziehen die Gesellschaft. Das Gefühl des nicht-gehört-werdens ist groß und Resignation hin und wieder eine gedankliche Option: „ich könnte mich einfach in meine Lebenswelt zurückziehen und in  politisch passives Leben führen, der mehrheitlich appellative Aktivismus gleicht einem Kampf wie David gegen Goliath.“

Doch ist Resignation in diesem Falle mehr als das Zurückziehen. Es ist die Unterwerfung unter das ausbeuterische und zutiefst ungerechte neoliberal-kapitalistische System und würde eine Aufgabe meines politischen Habitus bedeuten.

Wenn auch Proteste und zivilgesellschaftlicher Lobbyismus essentiell dafür sind Veränderungen einzufordern, bleiben sie in einem demokratischen System mit ausgereiften oligarchischen Tendenzen in ihrer Wirksamkeit in vielerlei Hinsicht marginal.

Mein Fazit: Kollektivität ist der Schlüssel, um der multiplen Katastrophenlage der Jetztzeit etwas entgegenzusetzen. Doch sollte dabei neben der appellativen Ebene tiefergehend angesetzt werden, in dem unmittelbarer Einfluss auf Systeme und Strukturen unserer Gesellschaft genommen wird. Vergesellschaftung erscheint dabei als eine vielversprechende Gestaltungsform, den profit- und machtgesteuerten Fehlentscheidung in Politik und Wirtschaft Einhalt zu gebieten. So entschied ich mich für eine Projekt, in dem Wissen und Erfahrung zusammengetragen werden sollten, die sich damit beschäftigen, wie wir die multipel gefüllte sozialökologische Frage unserer Zeit durch kollektive Anstrengung bearbeiten können. Das Ergebnis ist das neue Vergesellschaftungsbuch. In diesem Sammelband setzen sich 50 Autor*innen, unterschiedlichster Disziplinen und Lebenswelten, in 34 Beiträgen mit der Frage auseinander, wie wir durch Vergesellschaftung „unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resi­lienter machen können“.

Als Einblick in dieses Projekt bietet sich hier die Möglichkeit die Einleitung des Sammelbandes einzusehen.

[Tino Pfaff ist Sozialphilosoph, Publizist und Aktivist. Zuletzt hat er im Juni diesen Jahres den Sammelband „Vergesellschaftung und die sozialökologische Frage – Wie wir unsere Gesellschaft gerechter, zukunftsfähiger und resi­li­enter machen können“ veröffentlicht. Dort finden sich tiefergehende Einblicke in das Thema Vergesellschaftung als Instrument Ungleichheit und ökologische Zerstörung zu bekämpfen. Weiter hat er Sammelbände zu den Themen Ökozid und Soziale Arbeit publiziert.

Die Bücher von Tino Pfaff sind hier erhältlich: https://ko-fi.com/tinopfaff/shop externer Link

Zum aktuellen Vergesellschaftungsbuch läuft noch bis zum 30. Oktober 2024 eine Spendenkampagne, um die Verlags- und Erstellungskosten decken zu können: https://www.startnext.com/vergesellschaftungs-sammelband externer Link

Nötig ist diese Spendensammlung, da das Buch kostenfrei im open access erhältlich ist: https://www.oekom.de/buch/vergesellschaftung-und-die-sozialoekologische-frage-9783987260629 externer Link

 

Mit Vergesellschaftung die sozialökologische Frage beantworten

Einleitung

Tino Pfaff (Hrsg.)

Besitz schafft Macht: Wer besitzt, verfügt. Wer verfügt, entscheidet. Wer entscheidet, übt Macht aus. Die Beseitigung von Ausbeutungsverhältnissen sowie die damit verbundene Auflösung von sozioökonomischen[2] Ungleichheiten und die Beendigung der Zerstörung planetarer Lebensgrundlagen können nicht ohne eine Umstrukturierung bestehender Eigentumsverhältnisse bewältigt werden. Nur wenn diejenigen Menschen, die von ökonomischen und ökologischen Lebensgrundlagen abhängig sind, auch über diese verfügen und entscheiden, kann der kolonial-kapitalistischen Destruktivität ein gutes Leben entgegengestellt werden.

Worum geht es in diesem Buch?

Dieser Sammelband macht Möglichkeiten zur Überwindung von Ausbeutungs- und Zerstörungsverhältnissen sowie deren Ursachen in der ungerechten Verteilung von Besitz, Macht, Verfügung und Entscheidung aus. Der Fokus der folgenden Beiträge liegt also auf der Eigentumsfrage, denn Großkonzerne und (Super-)Reiche besitzen weiträumig für das Leben und Überleben notwendige Unternehmen, (kritische) Infrastrukturen, Einrichtungen und Dienstleistungen. Doch ihre Entscheidungen richten sich zum Großteil nicht danach, was für die Gesellschaft zuträglich ist, sondern nach kapitalistischen Wachstumszwängen.

Das Vergesellschaften ökonomischer und kultureller Strukturen und Systeme wird im vorliegenden Band als eine Möglichkeit diskutiert, sozial gerechtes und ökologisch verträgliches Wirtschaften und Zusammenleben realpolitisch umzusetzen. Mittels einer Umstrukturierung von Eigentums-verhältnissen – hin zu einem besseren, würdevollen, emanzipierten, gesunden und zukunftsaffinen Leben und Arbeiten – ist eine Re-Demokratisierung sowohl von Wirtschaft, Politik, Kultur als auch von gesellschaftlichem und individuellem Leben möglich.

Dabei geht es nicht um das unrechtmäßige Entwenden von alltäglichem Besitz: Im Gegenteil zielt Vergesellschaftung darauf ab, die Mitbestimmungs-möglichkeiten jeder einzelnen Person zu vervielfältigen und damit die direkte Einflussnahme sowie Entscheidungs- und Handlungsmöglichkeit auf das eigene Leben betreffende Lebensgrundlagen zu erweitern.

Die erste Annahme des Bandes

Die Verteilung von Macht beziehungsweise der etablierten Form von Eigentum ist ursächlich für die menschengemachte ökologische Zerstörung und die vorherrschende sozioökonomische Ungleichheit. Das deutsche Regierungs-system definiert sich durch eine oligarchische Demokratie, in der wenige über die große Mehrheit der Menschen weitestgehend bestimmen.

Die zweite Annahme des Bandes

Das Neu- beziehungsweise Umdefinieren der Eigentumsfrage ist eine zentrale Quelle für Momentum auf der Suche nach Lösungswegen zur Bearbeitung der ökologischen Katastrophe und sozioökonomischer Ungleichheitsverhältnisse.

Schlussfolgerung

Die Ursache für vielerlei ökologische, ökonomische und folglich gesellschaftliche Missstände liegt in der Eigentumsverteilung. Vergesellschaftung als Neukonstellation von Eigentumskonzepten muss in den Mittelpunkt der lösungsorientierten Bewältigung aktueller Missstände gestellt werden.

Eine Entmachtung von Großkonzernen ist damit eng an die Selbstermächtigung der Gesellschaft beziehungsweise an die in ihr lebenden Einzelpersonen und Kollektive gebunden. Frei nach Robin Hood: den Reichen nehmen, um es den Armen zu geben – den Ausbeutenden nehmen, um es der Gesellschaft zu geben.

Auftrag der Autor*innen in diesem Band

Welchen Beitrag kann Vergesellschaftung leisten, um die sozialökologische Frage zu bearbeiten oder gar aufzulösen?

Die sozialökologische Frage Die soziale Frage

Seit der Etablierung kapitalistischer Ausbeutungsverhältnisse und insbesondere seit der industriellen Revolution (Mitte des 19.Jahrhunderts) sind von kapitalistischen Wachstumszwängen ausgesaugte Gesellschaften mit einer sozialen Frage konfrontiert.

Damals entstanden aufgrund rasanter technischer Entwicklungen immer mehr Fabriken in den Städten. Vom Land zog es die Menschen auf der Suche nach Arbeit in diese urbanen Räume, sodass es dort zu einem beschleunigten Bevölkerungswachstum kam. Ein Mangel an Arbeitsplätzen, schlechte Bezahlung und untragbare Arbeitsbedingungen führten zu einer extremen Verschlechterung der Lebensumstände. Die Folgen waren soziale Missstände in einer Gesellschaft, die einer zunehmenden Verarmung und daraus resultierendem Elend ausgesetzt war.

Mit der Etablierung des Sozialstaates (Versicherungen, Daseinsfürsorge, Wohlfahrtsstaat) galt die soziale Frage Ende des 19.Jahrhunderts dann als weitestgehend gelöst. Darüber lässt sich heute allerdings streiten: Was blieb, waren kapitalistische Ausbeutungsverhältnisse, die die Menschen von unwürdiger Arbeit oder vom Sozialstaat abhängig machten. Die soziale Frage wurde also nicht gelöst, vielmehr definierte sie sich durch andere (neue) Problembegegnungen.

Die neue soziale Frage

Seit der zweiten Hälfte der 1970er-Jahre verbreitert sich die Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Besitzenden und zu Besitz verdinglichten Menschen, zwischen den Verlierenden und den Nutznießenden einer endlosen Spirale des zutiefst ungerechten kapitalistischen Leistungsprinzips: Wenige Reiche und (transnationale) Großkonzerne verfügen über den Großteil von Strukturen und Systemen, die für das individuelle und kollektive (Über-) Leben unverzichtbar sind. Auch wenn es einen sozialstaatlichen Rahmen gibt, sind Arbeitslosigkeit, (Alters-)Armut, aber auch Wohnungsnot und die Ausgrenzung gesellschaftlicher Gruppen weit verbreitet und nehmen gar zu. Die neue soziale Frage ist also eine Fortsetzung gesellschaftlicher beziehungsweise ökonomisch bedingter Missstände.

Was jedoch nach wie vor bei der Definition dieser Frage – und folglich auch bei den Versuchen, sie zu überwinden – auf der Strecke bleibt, ist die menschengemachte ökologische Katastrophe. Dabei liegt es unübersehbar auf der Hand: ohne intakte Ökosysteme keine funktionierende(n) Gesellschaft(en). Die neue soziale Frage unserer Zeit ist untrennbar an die längst in Gang gesetzte Zerstörung planetarer und lokaler Ökosysteme gekoppelt, deren Funktionen für die Aufrechterhaltung menschlicher Lebensgrundlagen unverzichtbar sind.

Da die Ausbeutung und Unterdrückung von Menschen stets mit der Ausbeutung und Zerstörung der zur Ressource abgewerteten Umgebung einherging, war die ökologische Komponente zwar schon immer Teil der sozialen Frage, doch die Zuspitzung der ökologischen Katastrophe und das damit verbundene Artensterben, die Erhitzung der Erdatmosphäre sowie die Verödung, Verseuchung, Vergiftung und unwiederbringliche Zerstörung der Natur waren nie so weit fortgeschritten wie heute.

So muss – nicht resignierend, aber mindestens ernüchternd – der Schluss gezogen werden, dass die (Welt-)Gesellschaft von einem fortlaufenden Zusammenbruch der ökologischen und sozialen Systeme durchzogen ist. Ursächlich dafür ist die kolonial-kapitalistische Wachstumsideologie. Um die sozialökologische Frage adäquat zu bearbeiten, erscheint es also unumgänglich, die Systemfrage zu stellen: System Change oder Kollaps.

Der sozialökologische Kollaps

Die Weltgesellschaft ist in der heutigen Zeit komplexen ökonomisch bedingten sowie ökologisch und sozioökonomisch wirkenden Krisenphänomenen[3] ausgesetzt. Deren Ursachen liegen in der fortlaufenden Zerstörung planetarer Lebensgrundlagen und der Ungleichverteilung von Macht, Zugangsmöglichkeiten, Entscheidungsgewalt und Ressourcen. Spätestens seit der europäischen Kolonisierung weiter Teile der Welt und der damit einhergehenden Ausbreitung sowie Etablierung kapitalistischer Wertschöpfungslogik und patriarchaler Ideologie sind ökologische Zerstörungsakte und sozioökonomische Ungleichheitsverhältnisse bestimmend für welt- und innergesellschaftliche Machtgefüge. Zunehmend führen diese Krisenphänomene zum Kollabieren (welt-)gesellschaftlicher (Sub-)Systeme, was sich in einer Gesamtbetrachtung als sozialökologische Kollapserscheinungen bezeichnen lässt.

Die neue soziale Frage ist also als sozialökologische Frage auszumachen. Wobei der Aspekt des Verhinderns in manchen Belangen bereits in den Hintergrund rückt. Vielmehr ist die Weltgesellschaft dem sozialökologischen Kollaps bereits ausgesetzt, wobei sich die Möglichkeiten zur Bewältigung und die Ausmaße der Auswirkungen auf Regionen und Länder im Globalen Süden und im Globalen Norden stark voneinander unterscheiden.

Doch diese Erkenntnis sollte nicht dazu führen, den Kopf in den Sand zu stecken. Nötig für eine konstruktivere Perspektive ist eine deutliche Abgrenzung von apokalyptischen Weltuntergangsszenarien. Der sozialökologische Kollaps ist nicht gleichzusetzen mit einer Apokalypse; zugleich ist es kein singuläres Ereignis wie ein Tsunami oder ein Terroranschlag. Es ist ein komplexer Prozess, der dadurch definiert ist, dass menschliche Grundbedürfnisse unzureichend befriedigt werden: Wasser-, Lebensmittel-, Energie- und Gesundheitsversorgung (Lieferketten), Mobilität und Infrastruktur, Kultur und öffentliches Leben, Sicherheit und Freiheit.

Es geht beim sozialökologischen Kollaps also nicht um ein Endzeitszenario oder um Untergangsfantasien, sondern um globale Veränderungen und deren Einflüsse auf die (Welt-)Gesellschaft, was als Einstürzen zivilisatorischer Leitplanken bezeichnet werden kann.

Der sozialökologische Kollaps – beziehungsweise sozialökologische Kollapserscheinungen – sind als Zusammenbrüche verschiedener Subsysteme zu verstehen. Diese Zusammenbrüche werden ausgelöst, da ökologische, ökonomische sowie kulturelle und soziale Subsysteme (innergesellschaftlich und global) eng miteinander verbunden und abhängig voneinander sind. Diese Interdependenz erreichte insbesondere durch die Globalisierung in den letzten Jahrzehnten eine noch tiefergehende und fragilere Komplexität. Dies führte wiederum dazu, dass (Sub-)Systeme nicht nur regionale, nationale und internationale Abhängigkeiten von anderen Systemen und Faktoren eingegangen sind, sondern Lieferketten und Stoffkreisläufe gar zu komplexen globalen Geflechten herangewachsen sind, deren Einsturz durch wenige Risse bedrohliche Krisenphänomene nach sich ziehen könnte:

»Diese scheinbar unaufhaltsame Tendenz der Gesellschaften zu einem höheren Grad an Komplexität, Spezialisierung und soziopolitischer Kontrolle ist sogar eine der Hauptursachen für den Zusammenbruch von Gesellschaften.«[4]

Das kapitalistische Wetteifern nach unendlichem Wachstum verursacht in Verbindung mit der Endlichkeit unserer materiellen (Um-)Welt eine Verwundbarkeit in sämtlichen gesellschaftlichen Subsystemen. Denn das Wachstum eines Systems ist unmittelbar an die Schrumpfung und Zerstörung der dafür genutzten beziehungsweise ausgebeuteten Ökosysteme gekoppelt.

Viel mehr als das Aufheizen der Erdatmosphäre

Die »ökologische Katastrophe« wird noch immer zu häufig auf die menschengemachte Klimaerhitzung reduziert. Auch wenn der Zusammenhang (in der Wirkung und auch so mancher Bearbeitung) zu weiteren planetaren Grenzen[5] gegeben ist, bleibt eine Vielzahl an Krisenphänomenen auch nach einem Stoppen der Klimaerhitzung bestehen. Ganz besonders das menschengemachte Massensterben der Arten und die Degradation der Böden stellen derart überdimensionale Bedrohungen dar, dass sie zwingend mehr beachtet und bedacht werden müssen.

Der vorliegende Band möchte also auch dazu beitragen, jener Fatalität, die durch die beschriebene Reduzierung der tatsächlichen ökologischen Bedrohung gegeben ist, entgegenzuwirken, indem er die Lesenden dazu motiviert, die sozialökologische Katastrophe breiter zu denken und folglich auch ent-sprechend zu bearbeiten.

Gestalten statt bekämpfen

Sich gedanklich und emotional auf mögliche und bereits stattfindende Zusammenbrüche einzulassen, kannmituntersehr kräftezehrend, verstörend, beängstigend und lähmend sein. Insbesondere dann, wenn der sozialökologische Kollaps als ein (feindliches) Gegenüber verstanden wird. Doch der einzige Feind, den es in dieser Angelegenheit zu definieren gibt, ist die zutiefst ungerechte kolonial-kapitalistische Ausbeutungsideologie.

Die adäquateste Antwort auf diese Situation ist gestalterischen Ursprungs: Umgestalten statt Bekämpfen. Denn Überdimensionales wie den derzeit statt-findenden sozialökologischen Kollaps zu bekämpfen, löst womöglich drastische Maßnahmen aus, wie wir in der Abschottungspolitik der Europäischen Union gegenüber Fluchtbewegungen – die zum Teil auf die verheerenden Folgen des Klimakollapses zurückzuführen sind – bereits sehen können.

Vergesellschaften bedeutet Gestalten

Mit Bezugnahme auf das oben Dargelegte lässt sich der Akt der Vergesellschaftung als eine aktive gestalterische Chance verstehen, um eintretende Krisenphänomen abzufedern und Strukturerhalt zu ermöglichen.

Die Erhitzung der Erdatmosphäre und die Zerstörung planetarer Ökosysteme ist von Menschen verursacht: Sie wurden also aktiv »gestaltet«. Statt ein »Dagegen« zu konstruieren, bedarf es daher einer Kehrtwende im Denken, Handeln und Wirken. Die teilweise Unumkehrbarkeit verursachter Krisenphänomene erfordert darüber hinaus Ansätze, die nicht nur auf Verhinderung, sondern auch auf Abmilderung fokussiert sind.

Doch wie können diese überdimensionalen Problembegegnungen angegangen werden, und was bedeutet das für die deutsche Gesellschaft? An erster Stelle stehen für die Umgestaltung in Deutschland die Entmachtung der Unfähigen und die gesellschaftliche Wiederaneignung von Strukturen und (Sub-)Systemen. Im Mittelpunkt muss dabei das Eigentum stehen.

Die Eigentumsfrage – wer entscheidet?

Die Vergesellschaftung des sozialen Überschusses, die Wiederaneignung unseres gemeinsamen Reichtums, um öffentlichen Luxus für alle zu schaffen, bedarf einer Entmachtung des Kapitals zugunsten einer demokratischen Wirtschaft. Sie muss daher im Mittelpunkt einer gesellschaftlichen Transformation stehen, die unterschiedliche, aber untrennbar miteinander verbundene Kämpfe vereint.[6]

Die historisch manifestierte kolonial-kapitalistische Ausbeutung und Unterdrückung von als minderwertig eingestuften Individuen, Gruppen, Gemeinschaften, Völkern und Ethnien ist unter anderem durch die Definition von Eigentum ermöglicht worden. Eigentum fungiert – vor allem seit der Auflösung der Allmende[7] – als Mittel, Mensch und Natur zu beherrschen, zu unterwerfen, bis zur Bedingungslosigkeit über sie zu verfügen und Vorangegangenes auszulöschen.[8] Angelehnt daran, sollen in diesem Sammelband die Eigentumsfrage neu gestellt sowie Auswirkungen, Möglichkeiten und Chancen von Vergesellschaftungsformen skizziert werden, die dazu beitragen können, den sozialökologischen Kollaps abzumildern.

Statt Eigentum für wenige braucht es eine Vergesellschaftung zur Schaffung von Gemeineigentum, die auf drei zentrale Anliegen[9] abzielt: demokratische Partizipation; soziale Gerechtigkeit, ökologisch verträgliche Nutzung und fairen Zugang zu Naturvorkommen; sowie Gemeinwohlorientierung.

Ohne Enteignung keine Vergesellschaftung

»Enteignung ist der Weg und Vergesellschaftung ist das Ziel. Enteignung ist das Mittel und Vergesellschaftung ist der Zweck.«[10] Bini Adamczak

Durchatmen, setzen und zuhören: Nicht wenige erleben die affektive Abwehr im Verwandten- oder Freund*innenkreis, wenn das Thema Vergesellschaftung aufkommt. Spätestens dann, wenn das Schlagwort »Enteignung« fällt, kochen die Emotionen hoch und machen eine faktenbasierte Debatte oft unmöglich. Bilder von der Enteignung des eigenen Hab und Gutes rasen durch die Köpfe, Erinnerungen an die DRR-Diktatur kommen auf, Verlust- und Existenzängste gewinnen die Oberhand über das Denken.

Doch werden mit dieser Reaktion grundlegende Dinge durcheinandergebracht. Die Enteignung von profitorientierten Konzernen hat nichts mit der Enteignung von Privatpersonen zu tun (allenfalls mit Ausnahme von Superreichen, deren Reichtum auf ebendieser profitorientierten Ausbeutungsidologie des Kapitalismus beruht). Ebenso bedeutet Vergesellschaftung nicht Verstaatlichung.

Also bleibt stark, aber auch verständnisvoll für die Ängste, selbst wenn sie auf fehlenden oder falschen Informationen basieren.

Was kommt nach der Enteignung?

Das Ziel von Vergesellschaftung ist die gemeinschaftliche und selbstorganisierte Verfügung und Verwaltung von Ressourcen und Gütern. Privatgüter (Eigentum von Unternehmen) werden durch den Prozess der Enteignung zu sogenannten Commons (Gemeineigentum). Der Prozess der gemeinschaftlichen Verfügung und Verwaltung (Aneignung, Pflege, Verwaltung, Produktion und so weiter) wird als Commoning bezeichnet. Dabei geht es um nicht weniger als eine individuell und kollektiv selbstbestimmte Gestaltung des eigenen Lebens; bedürfnis- und gerechtigkeitsorientiert.

Also lasst uns zurückholen, was uns gehört! Damit wir bestimmen, wie wir leben!

Anmerkungen

[1] Erfolge waren dabei u.A.: Öffentliche Stellungahmen zu thematisierten Missständen oder eingereichten Petitionen, die Aufnahme von Forderungen in Parteiprogramm oder Koalitionsverträge, Gesetzesänderungen oder -beschlüsse.

[2] Sozioökonomisch meint soziale Zusammenhänge (gesellschaftliche, politische, demografische, ökologische und räumliche Faktoren), die durch wirtschaftliches Handeln beeinflusst sind.

[3] »Krisenphänomen« meint die Folgen der menschengemachten ökologischen Zerstörung sowie die Ungleichverteilung von Macht, Zugang, Entscheidungsgewalt und Ressourcen. So ist beispielsweise ein Extremwetterereignis oder strukturelle Armut ein Krisenphänomen, das wiederum zahlreiche Problemstellungen nach sich zieht.

[4] Servigne, Pablo/Stevens, Raphaël (2020): How everything can collapse. A Manual for Our Times, Polity Press, S.86.

[5] Es gibt neun sogenannte planetare Grenzen, die das Ökosystem Erde und als Folge daraus die sozialen Gefüge von Gesellschaften aus dem Gleichgewicht bringen können. Zu nennen sind das Massensterben der Arten, chemische Verschmutzungen, industrielle Landnutzung/Entwaldung, die Störung des Phosphor- und Stickstoffkreislaufes, die Versauerung der Ozeane, der Abbau des Ozons in der Stratosphäre, der Einfluss von Aerosolen auf die Atmosphäre und der Verbrauch von Süßwasser. Sechs dieser planetaren Grenzen gelten als »bereits überschritten«. Siehe PIK (2023): Schwindende Widerstandskraft unseres Planeten. Planetare Belastungsgrenzen erstmals vollständig beschrieben, sechs von neun bereits überschritten [https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/schwindende-widerstandskraft-unseres-planeten-plane tare-belastungsgrenzen-erstmals-vollstaendig-beschrieben-sechs-von-neun-bereits-ueberschritten-1].

[6] Fraser, Nancy (2023): Mit öffentlichem Luxus gegen Allesfresser, Vorwort, in: communia&BUNDjugend (Hrsg.): Öffentlicher Luxus, Karl Dietz Verlag Berlin, S.17.

[7] Die Tragödie der Allmende ist eine in Ökonomie und Ökologie weithin akzeptierte Metapher, mit der veranschaulicht werden soll, dass zahlreiche rationale Akteur*innen, die ungehinderten Zugang zu einer endlichen Ressource (in diesem Fall dem Meer) haben, dazu neigen, diese übermäßig auszubeuten. Da freiwillige Zurückhaltung keine rationale Entscheidung ist, führt dies zur Zerstörung der Ressource und damit zu einem vorhersehbaren Ergebnis: einer Tragödie für alle. Siehe: Hardin, Garrett (1968): The tragedy of the commons, in: Science, 162(3859), S.1243–1248.

[8] Von Redecker, Eva (2020): Revolution das Leben. Philosophie der neuen Protestformen. S. Fischer Verlag, S.19–41.

[9] Vgl. Goethe Institut: Die Commons verstehen [https://www.goethe.de/prj/com/de/ 21753958.html].

[10] Vergesellschaftungskonferenz Eröffnungspanel: Bini Adamczak, Minute 12:50 [https:// youtu.be/jKme9Cf_4zE].

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=223507
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