Angehörige der Opfer von Hanau: Die eigenen Ermittlungsergebnisse über die Untätigkeit der Polizei sind zusätzliche Motivation
Dossier
„… Wir, die Angehörigen der Opfer; die Überlebenden und Betroffenen; das Institut für Toleranz und Zivilcourage – 19. Februar Hanau e.V. und die Initiative 19. Februar Hanau rufen gemeinsam zur Demonstration und zum Gedenken auf (…) Wir erfahren nach und nach, was vor dem 19. Februar passierte, welche Warnungen nicht ernst genommen wurden und dass viele Polizisten – vor allem in Kesselstadt – seit Jahren lieber unsere Kinder und Freunde schikanieren, statt ihrer Pflicht nachzukommen, Nazis die Waffen wegzunehmen und für die Sicherheit für jeden zu sorgen. (…) Wir recherchieren und ermitteln selbst. Jeden Tag. Wir rekonstruieren nicht nur die Tatnacht, sondern auch die Jahre davor und finden immer mehr behördliches Versagen. (…) Unsere Frage an die Politik und die Behörden: Worauf wartet ihr eigentlich, wenn nicht auf den nächsten Anschlag? Heutzutage ist es bereits ein Erfolg, dass die Tat als das anerkannt wird, was sie war: Purer Rassismus. Kein verwirrter Einzeltäter…“ – aus dem Aufruf „Sechs Monate nach dem 19. Februar: Erinnerung – Gerechtigkeit – Aufklärung – Konsequenzen!“ am 19. Juli 2020 bei der Initiative 19. Februar Hanau zur Demonstration (drei Tage nachdem eine halbes Jahr der Vertröstungen und Ausreden nach dem Mord vergangen ist) in Hanau – siehe weitere Informationen:
- Polizeipräsident zum rassistischem Hanau-Massaker: „Wir haben Fehler gemacht“ – „Entschuldigung“ nach vier Jahren des Relativierens und Schweigens
- „Entschuldigung“ vier Jahre nach rassistischem Hanau-Massaker
„Neun Menschen wurden 2020 von einem deutschen Rassisten in Hanau ermordet. Nach Jahren des Relativierens und Schweigens kommt nun eine Entschuldigung des Polizeichefs.
In den Nachtstunden des 19. Februar 2020 massakrierte ein rassistischer Mörder neun als migrantisch gelesene Personen. (…) Bei dem Massaker von Hanau wurden Ferhat Unvar, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Gökhan Gültekin und Hamza Kurtović von dem rassistischen Killer umgebracht. Drei weitere Personen wurden durch die Schüsse des Täters schwer verletzt. Der Täter tötete anschließend seine Mutter und sich selbst. Das rassistische Massaker wurde in der Folge als Amoklauf eines „geistig Verwirrten“ bagatellisiert. Mehr als vier Jahre nach dem Massaker hat der heutige Polizeipräsident von Südosthessen, Daniel Muth, die Angehörigen der Opfer um Entschuldigung gebeten. Zuvor hatte bereits der Landesinnenminister Roman Poseck (CDU) sein „Bedauern“ geäußert. Muth kritisierte, dass bei einem politisch motivierten Anschlag „eine sogenannte Landeslage im Landeskriminalamt [hätte] ausgelöst werden müssen, bei welcher die Führung der Lage an einen besonders erfahrenen Polizeiführer mit dessen Führungsstab übergeben worden“ wäre. Muth weiter: „Das ist damals nicht geschehen.“ (…) Der damalige Innenminister Peter Beuth (CDU) hatte den Polizeieinsatz über den grünen Klee gelobt und das, obwohl der 43-jährige Täter mordend durch Hanau ziehen konnte. Dabei war schon früh klar, dass die Sicherheitskräfte auf vielen Ebenen versagt haben. (…) Man tausche nun die Worte Hanau mit Solingen aus und stelle sich vor, die Behörden hätten ähnlich reagiert. Rücktritte bis auf die Landesregierungsebene und möglicherweise sogar bis in die Bundesregierung wären denkbar. Aber nach dem Massaker von Hanau kamen Personen wie Friedrich Merz (CDU) nicht im Entferntesten auf die Idee, von einer „nationalen Notlage“ zu sprechen, die sich nur durch eine Veränderung der Politik bewältigen lasse. Das waren aber seine Worte, mit denen er vor wenigen Tagen nach den islamistischen Morden in Solingen für Rechtsbrüche plädierte. Dass er dabei das Feuer des Rassismus mit einem Generalverdacht gegen Schutzsuchende aus Syrien und Afghanistan und der Forderung nach einem Aufnahmestopp für Menschen aus diesen Ländern weiter anfachte, ist Ausdruck einer auf allen Ebenen verbreiteten Geisteshaltung, die nur als tief verinnerlichter Rassismus definiert werden kann. Die Reaktionen der Bundesregierung auf Solingen sind Ausdruck einer ähnlichen Haltung. Statt den Rassismus zu brandmarken und Islamismus politisch und gesellschaftlich zu bekämpfen, wird gegen Schutzsuchende gehetzt und es werden menschenrechtswidrige Gesetzesverschärfungen gegen Schutzsuchende vorbereitet. (…) Diese Politik hat viel mit Opportunismus und wenig mit der Bekämpfung des Islamismus oder sogenannten universellen Werten zu tun…“ Kommentar in AFN News vom 4. September 2024 , siehe auch: - Polizeipräsident über den Anschlag von Hanau: „Wir haben Fehler gemacht“
„Daniel Muth, Polizeipräsident von Südosthessen, spricht im FR-Interview über den Anschlag von Hanau, den Umgang mit den Opferfamilien, den Vater des Attentäters und weitere aktuelle Herausforderungen der Polizei…“ Interview von Pitt von Bebenburg und Gregor Haschnik vom 03.09.2024 in der FR online
- „Entschuldigung“ vier Jahre nach rassistischem Hanau-Massaker
- [Bericht des „ZDF-Magazin Royale bestätigt] “Chaos der Terrornacht in Hanau hatte nur für kritische Beamte Folgen
„Angebliche Mitarbeiter des LKA blockierten den Notruf mit Abfrage-Aufträgen – während viele Notrufe in der Nacht des Attentats in Hanau nicht durchkamen
Beim Polizeieinsatz in der Terrornacht von Hanau 2020 zeigten sich katastrophale Mängel, von einem nicht funktionierenden Notruf 110 bis zu defektem Funkkontakt mit Polizeibeamten in einem Hubschrauber. Nun wird klar: Disziplinarische Ermittlungen gab es nur gegen zwei Beamte – und zwar gegen jene, die in ihrem Hubschrauber an der technischen Ausstattung verzweifelten und dies entsprechend drastisch kommentierten.
Einen entsprechenden Bericht des „ZDF-Magazin Royale“ des Entertainers Jan Böhmermann bestätigte das Hessische Innenministerium der Frankfurter Rundschau am Wochenende. Dem Disziplinarverfahren habe der „Vorwurf des Verstoßes gegen die Wohlverhaltenspflicht“ zugrunde gelegen. Anders als von Böhmermann dargestellt sei ihnen jedoch nicht ein „Lästern über die technische Ausstattung“ zur Last gelegt worden. Welcher Vorwurf stattdessen im Raum stand, könne „aus personaldatenschutzrechtlichen Gründen“ nicht mitgeteilt werden, ließ das Ministerium wissen. Die Verfahren gegen die beiden Beamten seien im Dezember 2022 und Januar 2023 eingestellt worden.
Polizeipräsident Roland Ullmann wurde befördert
Böhmermann stellte fest, damit seien „die beiden Polizisten aus dem Polizeihelikopter ,Ibis 3‘ die beiden einzigen hessischen Polizisten, die in der Tatnacht offiziell irgendetwas falsch gemacht haben“. Er kontrastierte dies mit der Karriere des zuständigen Polizeipräsidenten Roland Ullmann, der nach der Einsatznacht von Hanau vom damaligen Innenminister Peter Beuth (CDU) zum Landespolizeipräsidenten befördert worden war. Das Innenministerium bestätigte: „Außer den beiden genannten und eingestellten Disziplinarverfahren wurden weder Disziplinarverfahren noch strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen am Einsatz in der Tatnacht in Hanau beteiligte Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamte wegen Vorfällen in der Tatnacht eingeleitet.“…“ Artikel von Pitt von Bebenburg vom 29.04.2024 in der FR online , siehe dazu:- ZDF Magazin Royale vom 26. April 2024: Das deutsche Versagen beim Anschlag von Hanau
„Am 19. Februar 2020 ermordete ein Rechtsextremist im hessischen Hanau neun Menschen mit Migrationsgeschichte. Die Nacht des Anschlags wirft viele Fragen auf, vor allem zur Arbeit der Polizei. Dazu kommt die lückenhafte Aufklärung nach dem Terroranschlag.“ Video des Beitrags beim ZDF (32 min, verfügbar bis 25.04.2025)
- ZDF Magazin Royale vom 26. April 2024: Das deutsche Versagen beim Anschlag von Hanau
- 4 Jahre Hanau und 2 Symbole: In Chemnitz wirft die Polizei Blumen und Kerzen weg, in Berlin greift sie das Hanau-Gedenken an
- Nach Hanau-Gedenken in Chemnitz: Polizei wirft Blumen und Kerzen weg
„Direkt nach einer Demo für Opfer des Anschlags warfen Polizisten Blumen und Kerzen in den Müll. Das wollen sie der Anmelderin sogar in Rechnung stellen. (…) Am Montagabend wollte die Initiative „Chemnitz Nazifrei“ ein würdevolles Gedenken mit Schweigeminuten und Redebeiträgen veranstalten – doch die Polizei störte dieses im Nachgang der Kundgebung. Denn noch vor den Augen von Teilnehmer*innen der Gedenkkundgebung in Chemnitz räumten am Montagabend Polizisten niedergelegte Kerzen und Blumen weg, schmissen diese in den Müll, wie auch ein Video belegt . Auf dem sammeln vier Beamte stumpf die Gegenstände ein und nehmen sie mit – zuvor hatten sie laut „Chemnitz Nazifrei“ bei der Anmelderin der Kundgebung angerufen und angekündigt, die Entsorgung in Rechnung zu stellen. „Wir sind wütend!“, hieß es anschließend auf X, ehemals Twitter, von „Chemnitz Nazifrei“ . „Wie würdelos ist es, die Blumen und Kerzen, die an ermordete Menschen erinnern sollen, noch an ihrem Todestag in den Mülleimer zu schmeißen?“ Am Dienstagmorgen äußerte sich erstmals die Polizei auf X zu den auch dort samt Video veröffentlichen Vorwürfen von „Chemnitz nazifrei“. Man habe die Auflagen durchgesetzt: „Die Versammlungsleiterin hätte nach Beendigung der Demo den Platz im ordnungsgemäßen Zustand hinterlassen müssen.“ „Ordnungsgemäß“ heißt bei der Polizei Chemnitz offenbar: ohne Mahnung an rechtsterroristische Morde, an denen auch Staat und Polizei Verantwortung tragen…“ Artikel von Gareth Joswig vom 20.2.2024 in der taz online - Von Hanau bis Berlin: Gedenken heißt auch kämpfen. Hanau-Gedenken und Demonstration wird von der Polizei angegriffen
„… Am S-Bahnhof Sonnenallee in Neukölln wurde am Montagabend den Opfern gedacht. An einem improvisierten Gedenkort wurden Kerzen und Blumen niedergelegt, musikalisch begleitet von Rap und Liedern von Ahmet Kaya. Von Beginn an wurde deutlich, dass die Polizei der Veranstaltung nicht positiv gesonnen war. So durfte die Gedenkkundgebung nicht wie geplant auf der Kreuzung stattfinden – um die Performance des Theater X aus Moabit zu sehen, mussten die Teilnehmer*innen in die Knie gehen. Das Gedenken wurde mehrmals von der Polizei gestört, die die Veranstalter zwang, die polizeilichen Auflagen wiederholt kurz hintereinander vorzulesen. (…) Es kam zu weiteren Angriffen der Polizei, Verletzte mussten von Demosanitäter*innen versorgt werden. Auch als die Veranstalter die Anwesenden aufforderten, nach Hause zu gehen, schubsten sich die Beamten weiter durch die Menschengruppen. Insgesamt wurden 15 Personen festgenommen, darunter laut Demo-Orga auch drei Ordner*innen…“ Artikel von Moritz Lang vom 20.02.2024 in ND online
- Nach Hanau-Gedenken in Chemnitz: Polizei wirft Blumen und Kerzen weg
- 19. Februar 2024 – 4 Jahre nach dem Nazi-Anschlag: Say Their Names. Erinnern heißt verändern! Gedenkdemonstration in Hanau am 17.2. und viele bundesweit
- Bundesweite Gedenk-Demonstrationen: Hanau ist heute überall
„In Hanau erinnerten 5000 Menschen an den Anschlag. Die Aufarbeitung ist mangelhaft, Angehörige der Opfer beklagen das rassistische Klima
Von A wie Aachen bis W wie Würzburg sind für Montagabend im ganzen Land Kundgebung im Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags vor vier Jahren geplant. Ihr Motto: Hanau ist überall. (…) Auf Polizei und Politik wollen sich in Hanau viele nicht mehr verlassen. Das wurde auch bei der Demonstration am Samstag deutlich. Said Etris Hashemi sprach davon, dass es nicht reiche, wenn Politiker*innen mit »Lippenbekenntnissen« an der Seite der Opfer stünden. Es brauche »konsequentes Handeln«. Ob die Politik konsequent gegen rechts und Rassismus vorgehen wird? Viele Rednerinnen äußerten Zweifel. Ebenso viele betonten aber auch, was sie stark macht: das gemeinsame Gedenken und die Solidarität untereinander.“ Artikel von Sebastian Weiermann vom 18.02.2024 in ND online - 4 Jahre Hanau: Wie Betroffene für Gerechtigkeit kämpfen (müssen)
„Initiativen von Angehörigen und Betroffenen haben in Hanau übernommen, wozu Stadt und Staat nicht fähig sind: würdiges Gedenken und Aufklärung. (…) Die Initiative 19. Februar Hanau und die Bildungsinitiative Ferhat Unvar werden dort aktiv, wo staatliche Stellen in schöner Regelmäßigkeit versagen. Sie haben nicht nur Räume für Gedenken, Bildung, Aufklärung und Trauer geschaffen. Sie setzen sich mit Beharrlichkeit öffentlich für die Aufklärung der Tat ein und gegen institutionellen und strukturellen Rassismus. Sie treffen sich an jedem 19. des Monats und organisieren Gedenkveranstaltungen – nach ihren Wünschen und Bedingungen. Ohne diesen Einsatz wären die Taten und die vielen Missstände im Polizeieinsatz, den Ermittlungen und nach der Tat nie öffentlich geworden. In detaillierter Kleinstarbeit und unter hohem persönlichen Einsatz – in einer Phase, in der die Angehörigen eigentlich Zeit und Ruhe zum Trauern gebraucht hätten – recherchierten sie den Tathergang vom 19. Februar. Ihrem Einsatz ist es zu verdanken, dass mittlerweile bekannt ist, dass der Notausgang der „Arena Bar“ verschlossen war, der Notruf der Polizei nicht zu erreichen, die medizinische Behandlung behindert wurde und 13 der Polizist*innen, die nach der Tat vor Ort waren, in rechtsextremen Chatgruppen waren. Die beiden Initiativen setzen sich immer wieder dafür ein, dass die Stimmen der Betroffenen gehört werden und keine Erinnerungsarbeit über ihren Köpfen hinweg praktiziert wird. So zeigt nicht nur das jüngste Theaterstück „And now Hanau“ von Tuğsal Moğul, dass diese starke Haltung angenommen wird: Das Stück wurde gemeinsam mit einigen Betroffenen erarbeitet und ist ein Beispiel partizipativer Gedenkpraxis.
Während die Initiativen bundesweit Menschen aufklären, sensibilisieren und so eine neue Praxis im Gedenken an rechtsextreme, rassistische, antisemitische und antiziganistische Gewalt gestalten, schafft es die Stadt Hanau in vier Jahren nicht, ein zentrales Mahnmal zu errichten. Zwei Betroffene haben ihre Erfahrungen mit den Behörden und der Stadt vor und nach dem Anschlag jetzt aufgeschrieben. Said Etris Hashemis jüngerer Bruder Said Nesar wurde am 19. Februar ermordet, er selbst schwer verletzt. Sein Buch heißt „Der Tag an dem ich sterben sollte”. Auch Çetin Gültekins Bruder gehört zu den Opfern. Sein Buch trägt den Titel „Geboren, aufgewachsen und ermordet in Deutschland”. Die beiden Autoren erzählen von ihrem Leben und das ihrer Angehörigen und Freund*innen in Hanau vor dem Anschlag und beschreiben die Missstände im Umgang mit den Angehörigen und auch in der Aufklärung als „zweiten Anschlag“…“ Artikel von Anna Warda und Duygu Gürsel vom 19. Februar 2024 in Belltower.News - Konsequenzen, nein danke. Vier Jahre nach den rassistischen Morden in Hanau fordern Überlebende und Angehörige weiter Aufklärung, die Behörden blockieren
„… Vier Jahre nach dem Anschlag gibt es also keinerlei personelle Konsequenzen von staatlicher Seite, kein Zeichen von Verantwortungsübernahme für Fehlverhalten. Das Informationsportal Frag den Staat veröffentlichte einen internen Bericht einer polizeilichen Arbeitsgruppe , aus dem hervorgeht, dass sich einige der Beamt*innen, die in der Tatnacht im Einsatz waren, personelle Konsequenzen in der Polizeistruktur wünschen.
Der damalige Leiter des Polizeipräsidiums Südosthessen, Roland Ullmann, war für die langjährige personelle Unterbesetzung der Dienststellen verantwortlich, die unter anderem dazu führte, dass in der Tatnacht eingehende Notrufe nicht angenommen wurden. Auch wusste er nicht, dass es keine Notrufweiterleitung gab, die dafür gesorgt hätte, dass ein nicht angenommener Notruf bei einer anderen Dienststelle ankommt. Ullmann wurde wenige Monate nach der Mordnacht zum Polizeipräsidenten des Landes Hessen befördert. Sein Kollege, der Leiter der Polizeidirektion Main-Kinzig, Jürgen Fehler, der für den Einsatz in der Tatnacht verantwortlich war, sieht keine Fehler bei der Polizei. Angesprochen auf die versäumte Überprüfung der Vitalfunktionen zweier »Patienten« an den Tatorten, Kaloyan Velkov und Ferhat Unvar, durch die Polizei, wie sie durch Videokameras belegt ist, antwortete er im Hessischen Rundfunk: »Im Ergebnis haben die Kollegen all das umgesetzt, was notwendig ist.« Seiner Meinung nach hätten auch mehr Notrufe nichts gebracht. Das behauptete er, obwohl Vili Viorel Păun, der den Täter vom ersten Tatort aus mit dem Auto verfolgt hatte, bevor er vor der Arena Bar erschossen wurde, mehrfach den Notruf wählte und nicht durchkam, so dass weder die Polizei durch ihn informiert wurde, noch die Polizei ihm hätte sagen können, was er tun soll.
Den Rücktritt des hessischen Innenministers Peter Beuth (CDU) forderten die Hinterbliebenen bereits wenige Monate nach dem Anschlag. Im Januar ist Beuth freiwillig aus der Politik ausgeschieden – allerdings nicht als Konsequenz aus der Polizeiarbeit in Hanau. »Gravierende Fehler« sieht er nicht, eine Entschuldigung bei den Angehörigen wegen der polizeilichen Versäumnisse lehnt Beuth ab. Nach einer der schwersten rassistischen Gewalttaten in Deutschland nach dem Nationalsozialismus hat keine einzige Person Verantwortung für die »Kette des Versagens«, wie die Hinterbliebenen die Reihe an Fehlern nennen, übernommen. (…)
Seit dem Anschlag vor vier Jahren kämpfen die Hinterbliebenen nicht nur für Aufklärung und Konsequenzen, sondern auch für ein würdevolles Leben für sich. »Angehörige müssen sich Gedanken darüber machen, wie sie langfristig über die Runden kommen, wenn sie nicht arbeiten können. Außerdem ist die Bürokratie teilweise retraumatisierend und entwürdigend, da sie ihren Schmerz belegen müssen«, sagt Newroz Duman, Sprecherin der Initiative 19. Februar Hanau, die eng mit den Hinterbliebenen zusammenarbeitet, gegenüber dem Missy Magazine. Said Etris Hashemi, Überlebender des Anschlags, ergänzt: »Bei vielen Familien ist der Hauptverdiener nicht mehr da. Sie müssen nicht nur mit ihrer Trauer umgehen, sondern sich auch Sorgen machen, wie es überhaupt weitergeht.« Die langfristige finanzielle Unterstützung für die Familien ist unsicher. Wie sie angesichts der psychischen Belastung und des unbefriedigenden Umgangs der Verantwortlichen ein geregeltes Leben führen sollen, ist unklar. Ein Zurück zur Normalität gibt es für sie nicht, wie wir aus vielen ihrer Berichte wissen…“ Artikel von Amina Aziz am 19. Februar 2024 beim ak online - Hanau-Jahrestag: Vier Jahre nach dem rechtsextremistischen Anschlag
„Seit vier Jahren kämpfen die Hinterbliebenen des Terroranschlags von Hanau am 19. Februar 2020 gegen das Vergessen. Hanau steht für ein schweres Trauma. Jedenfalls in dem Deutschland jener Menschen, die aussehen und heißen wie Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Hanau, das ist großer Schmerz – und eine Erinnerung. Daran, dass wir nicht alle im selben Deutschland leben, kommentiert unsere Autorin Büşra Delikaya. Unsere Kollegin Joana Nietfeld und Kollege Moritz Valentino Matzner haben anlässlich des vierten Jahrestages des Attentats mit den Angehörigen von Sedat Gürbüz und Hamza Kurtović gesprochen. Zu dem Interview gelangt ihr hier: https://kurzelinks.de/pklg [paywall]“ Video vom 18.02.2024 von Tagesspiegel bei youtube - Die Nazis und ihre Helfer auf allen Ebenen und in allen Variationen bekämpfen!
„… In diesen 4 Jahren wurde mit großem Tamtam so getan, als würde alles aufgeklärt – alles Lüge! Entscheidende Punkte werden immer noch bewusst von der Polizei im Dunklen gelassen. Die Taktik des Innenministeriums besteht darin, alles in die Länge zu ziehen, zu dementieren, zu ignorieren – kurz: zu vertuschen. Es wurde zudem klar, dass solche Anschläge nicht aufhören. Eine Welle der Judenfeindschaft erfasst Deutschland. Und der mörderische Nazi-Anschlag auf die Synagoge in Halle am 9. Oktober 2019 mit anschließendem Angriff auf einen Döner-Imbiss und das siebenfache Nazi-Massaker in Hamburg am 9. März 2023 mit offen judenfeindlicher „Begründung“ zeigen deutlich: Die Nazis und ihre Helfer ermorden diejenigen, die sie als „Undeutsch“ einstufen – wegen des Nachnamens oder dem Aussehen, weil es muslimische oder jüdische Menschen sind, weil es Sinti oder Roma sind. Es sind eben Nazis. (…) Die Angehörigen der Ermordeten in Hanau trauern, erinnern, kämpfen! Ihnen gilt – nicht nur heute – unsere ganze Solidarität!“ Flyer von GewAntifa (GewerkschafterInnen und Antifa gemeinsam gegen Dummheit und Reaktion) zum 4. Jahrestag des Nazi-Massakers in Hanau 2020 - Vierter Jahrestag: Gedenken an Hanau-Anschlag unter besonderen Vorzeichen
Bundesweit gibt es derzeit zahlreiche Demonstrationen gegen Rechtsextremismus. An diesem Samstag ist eine Kundgebung geplant, die sich von anderen abhebt – in Hanau. Erinnert wird an den vierten Jahrestag des rassistisch motivierten Terroranschlags. Die Angehörigen der Opfer haben das Wort.
Nach Ansicht der Opferfamilien des Anschlags von Hanau steht die für diesen Samstag geplante Demonstration zum vierten Jahrestag des rassistischen Anschlags in der Stadt unter besonderen Vorzeichen. Grund dafür seien die zuletzt zahlreichen Kundgebungen gegen Rechts. „Wenn man gegen Rechtsextremismus auf die Straße geht, dann muss man auch für Hanau auf die Straße gehen“, sagt Newroz Duman, Sprecherin der Initiative 19. Februar, in der sich Angehörige und Betroffene des Anschlags sowie Unterstützer zusammengeschlossen haben. Der Anschlag habe gezeigt, wohin Hetze und Rassismus führen könnten. (…)
Zum vierten Jahrestag des Anschlags sind eine offizielle Gedenkstunde auf dem Hauptfriedhof am 19. Februar und eine Demonstration zwei Tage zuvor geplant, zu der die Initiative aufgerufen hat. Mit der Demonstration am Samstag (14.00 Uhr) solle an die Opfer erinnert und ein „starkes Zeichen gegen Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus“ gesetzt werden, heißt es in dem Aufruf. Für die Kundgebung hätten sich bereits viele Besucherinnen und Besucher aus ganz Deutschland angekündigt, berichtete Duman. Angemeldet wurde die Demonstration für 3.000 Menschen…“ Beitrag von Michael Bauer vom 15.02.2024 im Migazin - 4 Jahre nach dem rassistischen Anschlag in #Hanau: Wir trauern und erinnern:
Aufruf zur bundesweiten Gedenkdemonstration in Hanau am 17. Februar 2024 der Initiative 19. Februar Hanau – dort auch weitere Informationen zum Gedenken 2024, siehe auch: - 19.02.2024 – #HANAUISTÜBERALL
Übersicht der vielen Orte mit Kundgebungen, Demos und Gedenkveranstaltungen am und um den 19. Februar 2024 bei der der Initiative 19. Februar Hanau - 4. Jahrestag des Hanau-Anschlags: Keine Gedenkfeier für die Opfer
„2020 erschoss ein Rassist in Hanau zehn Menschen. Stadt und Land wollen der Opfer des Anschlags diesmal nur still gedenken. Angehörige sind irritiert.
Zum vierten Mal jährt sich in wenigen Tagen der Anschlag von Hanau: Am 19. Februar 2020 hatte ein Rassist erst in der Stadt neun Menschen und anschließend zuhause seine Mutter erschossen. Doch anders als im letzten Jahr werden die Stadt und das Land diesmal keine Gedenkfeier organisieren – und auch Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) wird, nach bisherigem Stand, nicht anreisen. Veranstaltet wird nur ein stilles Gedenken auf dem Hauptfriedhof, Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) und Hessens neuer Vizeministerpräsident Kaweh Mansoori (SPD) werden Kränze niederlegen. Reden sind nicht vorgesehen. (…) Bei einigen Angehörigen der Anschlagsopfer sorgt das diesjährige Vorgehen für Befremden. „Dass die Stadt und das Land dieses Jahr keine Gedenkfeier veranstalten wollen, ist schon irritierend“, sagte Çetin Gültekin der taz. Sein Bruder Gökhan war am 19. Februar 2020 erschossen worden. „Egal, was die Gründe sind: Ich finde, nach einer solchen Tat sollte das sein. Aber wir können natürlich niemanden zwingen.“
„Wir sollten bestimmen, wer kommt“
Emis Gürbüz, deren Sohn Sedat bei dem Hanau-Attentat starb, wird noch deutlicher. „Ich bin sehr enttäuscht“, sagte sie. „Die Stadt sollte sich schämen, das ist wirklich eine Schande.“ In Hanau seien neun Menschen ermordet worden, ein stilles Niederlegen von Blumen werde dem nicht gerecht. „Wir sollten bestimmen, wer kommt und wie es organisiert wird, aber leider ist es wieder nicht so“, kritisiert Gürbüz. Ein Sprecher der Stadt erklärte auf Nachfrage, dass es für den Gedenktag durchaus Absprachen mit Angehörigen der Opfer gegeben habe. Dabei sei es ein „ausdrücklicher Wunsch“ gewesen, dass es in diesem Jahr beim stillen Gedenken keine politischen Reden gebe. Zudem werde es viele weitere Aktionen rund um den 19. Februar geben, etwa Lesungen, Andachten oder eine Theateraufführung. Hintergrund des stillen Gedenkens ist aber wohl auch, dass im vergangenen Jahr Opferangehörige bei der offiziellen Gedenkfeier Polizei, Ministerien und die Stadt auf der Bühne teils scharf kritisiert hatten. Sie hatten mangelnde Aufklärung und ausgebliebene Konsequenzen nach dem Anschlag beklagt oder die Weigerung, ein Denkmal für die Ermordeten auf dem zentralen Hanauer Marktplatz zu errichten. In der Stadtverordnetenversammlung waren die Reden teils mit Unverständnis aufgenommen worden…“ Artikel von Konrad Litschko vom 6.2.2024 in der taz online
- Bundesweite Gedenk-Demonstrationen: Hanau ist heute überall
- Abschlussbericht zum Anschlag in Hanau: 642 Seiten und keine Konsequenzen – ein „Schlag ins Gesicht“ für Hinterbliebene
- Abschlussbericht zum Anschlag in Hanau: „Schlag ins Gesicht“ für Hinterbliebene
„Nach gut zwei Jahren beendet der Untersuchungsausschuss zum rassistischen Anschlag von Hanau seine Arbeit. Im Landtag wird heute der Abschlussbericht präsentiert und diskutiert. Hinterbliebene vermissen Zentrales. (…) „Was wussten die Behörden über den Täter und dessen Vater, und wie wurde mit diesen Informationen umgegangen?“, lautet eine der Fragen. Eine andere: „Warum war die Notrufnummer 110 am Tatabend nicht erreichbar? Wer in den Behörden und in der Politik wusste von der Notrufproblematik in Hanau?“ Auf die Fragen gibt es mittlerweile Antworten: auf den insgesamt 642 Seiten des Abschlussberichts. Die Mitglieder des Untersuchungsausschusses stellten ihn am Dienstag im Plenum im hessischen Landtag zur Diskussion. Said Etris Hashemi kannte den Bericht schon vorab und ist unzufrieden mit ihm. Zwar wird in dem Bericht festgehalten, dass es Versäumnisse gab rund um den Anschlag. „Das alles ist mittlerweile klar, keiner stellt das infrage“, weiß Hashemi, „aber es werden keine Konsequenzen gezogen.“
Hinterbliebene suchen weiter Antworten
Dabei waren Konsequenzen neben der notwendigen Aufklärung eine der Kernforderungen der Hinterbliebenen. Armin Kurtovic spricht mit Blick auf den Abschlussbericht auch von einem „Schlag ins Gesicht“: „Die Worte ‚Behördenversagen‘, ‚Staatsversagen‘ – die will niemand in den Mund nehmen. Aber es ist doch so offensichtlich“, findet er. (…) Die NSU-Mordserie, der Mord an Walter Lübcke, schließlich der Anschlag von Hanau – immer wieder hieß es: So etwas dürfe sich nie mehr wiederholen. Hanau sollte zur Zäsur werden. Viele Hinterbliebene sind sich sicher: Zur Zäsur könne der Anschlag von Hanau nur dann werden, wenn es ernsthafte Konsequenzen gibt. Doch eben diese fehlen ihnen…“ Beitrag von Heiko Schneider vom 05.12.2023 in tagesschau.de , siehe auch: - „Heute wurde im Landtag der Abschlussbericht des UNA Hanau vorgestellt. Wir Angehörigen und Überlebenden haben dafür gekämpft, dass es diesen Untersuchungsausschuss gab. Wir wollten Aufklärung in den 10 Fragen, die wir gestellt haben. Wir wollten aber auch Konsequenzen.
Vieles ist zwischenzeitlich unstrittig, der Notausgang war zu, das Notrufversagen ist auch nachgewiesen, der Umgang mit Angehörigen in der Tatnacht und darüber hinaus war entwürdigend. Trotzdem gab es keine richtigen Konsequenzen:
der Hessische Innenminister hat sich immer noch nicht entschuldigt. Auch der Ausschuss hat nicht in letzter Konsequenz aufgeklärt. Es gab einen internen Polizeibericht, der erst zum Ende der Befragungen hin an die Öffentlichkeit kam.
Dabei wurden davor schon sehr viele Polizeibeamte befragt, aber nicht auf diese kritische interne Aufarbeitung hin. Im Gegenteil wurden viele Polizisten, die in der Tatnacht verantwortlich waren, entweder befördert oder in Ruhestand geschickt.
Konsequenzen sehen für mich anders aus. Ich erwarte im Grunde auch keine große Entschuldigung, ich will einfach, dass sich an den Strukturen in Polizei, Politik und Gesellschaft etwas ändert, dass vor allem die Politik daraus lernt und nicht nur WIR! #hanau #UNA #saytheirnames“ Tweet von Said Etris Hashemi vom 5.12.23 - U-Ausschuss beendet Arbeit: An Hanau darf kein Haken gesetzt werden
„Der Abschlussbericht des Hanau-Untersuchungsausschusses listet zahlreiche Versäumnisse auf. Und doch steht dort: Zu verhindern sei der rechte Terrorakt nicht gewesen. Das passt kaum zusammen…“ kommentiert hr-Korrespondent Benjamin Holler am 05.12.23 in Hessenschau - Zentrale Versagenspunkte ohne Konsequenzen – Zur Verabschiedung des Abschlussberichtes des Untersuchungsausschusses zum Hanauer Anschlag
Pressemitteilung vom 16.11.2023 der Initiative 19. Februar Hanau - Kein Abschlussbericht – Keine Gerechtigkeit ohne Konsequenzen!
Aktionsseite von Angehörigen, Überlebenden, der Initiative 19. Februar Hanau und NSU-Watch Hessen zum Untersuchungsausschuss zum rassistischen Terroranschlag in Hanau am 19. Februar 2020 – noch ohne Reaktion
- Abschlussbericht zum Anschlag in Hanau: „Schlag ins Gesicht“ für Hinterbliebene
- Anschlag in Hanau: Neue Strafanzeige der Familie von Hamza Kurtović setzt Polizei unter Druck
„Nach dem Anschlag von Hanau gab es den Verdacht, dass der Notausgang am Tatort „Arena Bar“ verschlossen war. Jetzt gibt es eine neue Strafanzeige – mit schweren Vorwürfe gegen die Polizei. Nach Informationen des SWR hat die Familie von Hamza Kurtović heute eine Strafanzeige wegen des mutmaßlich verschlossenen Notausgangs an einem Tatort des Hanau-Attentats gestellt. Hamza Kurtović war am 19.02.2020 in der „Arena Bar“ in Hanau-Kesselstadt erschossen worden. Der Täter tötete damals in der Hanauer Innenstadt und im Stadtteil Kesselstadt neun Menschen aus rassistischen Motiven, anschließend erschoss er seine Mutter und sich selbst. Der Vorwurf der Strafanzeige: Der Notausgang der „Arena Bar“ sei in der Tatnacht verschlossen gewesen. Deshalb seien die Opfer des Anschlags nicht dorthin, sondern in den hinteren Teil der Bar geflüchtet. Dort hatten sie keine Möglichkeit, dem Täter zu entkommen.
Die neue Strafanzeige
Wer für das Verschließen des Notausgangs verantwortlich sei, könne wegen fahrlässiger Tötung strafbar sein, so die Strafanzeige. Die Anzeige enthält schwere Vorwürfe gegen den früheren Barbetreiber, aber auch gegen die Polizei. Laut der Strafanzeige, die dem SWR vorliegt, sei eine neue Zeugenaussage aufgetaucht. Ein Zeuge habe selbst mitangehört, wie die Polizei angeordnet habe, den Notausgang der „Arena Bar“ abzuschließen. Der Hintergrund: So habe die örtliche Polizei verhindern wollen, dass bei den häufigen Razzien in der Bar jemand durch den Notausgang entkommen könne. (…) Dieses Ermittlungsverfahren zum Notausgang wurde im August 2021 eingestellt. Begründung: Die „Verschlussverhältnisse des Notausgangs“ in der Tatnacht könnten nicht „mit hinreichender Sicherheit aufgeklärt werden“. Die Tür könne bei früheren Versuchen, sie zu öffnen, auch nur geklemmt haben und nicht verschlossen gewesen sein. Außerdem könne nicht sicher davon ausgegangen werden, dass den beiden in der Bar Ermordeten – Said Nesar Hashemi und Hamza Kurtović – eine Flucht durch einen offenen Notausgang geglückt wäre. An der Entscheidung der Staatsanwaltschaft, das Ermittlungsverfahren einzustellen, gibt es seit 2021 Kritik. Auch im Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags…“ Beitrag von Max Bauer, SWR, vom 28.09.2023 in tagesschau.de („Neue Strafanzeige setzt Polizei unter Druck“) - 7. Juli 2023 – letzter Tag des UNA Hanau: Keine Gerechtigkeit ohne Konsequenzen (Rücktritt des Landesinnenministers Beuth) – Demonstration in Wiesbaden
- Keine Gerechtigkeit ohne Konsequenzen – Demonstration 07.07.2023, Wiesbaden
„Zum letzten öffentlichen Sitzungstag des Untersuchungsausschusses (UNA) zum rassistischen Terroranschlag in Hanau rufen wir zur Demonstration in Wiesbaden auf. Am 7. Juli wird Peter Beuth im UNA zu allen Fragekomplexen und den polizeilichen Versäumnissen am 19. Februar 2020, sowie danach Rede und Antwort stehen müssen.
Der hessische Innenminister hatte wenige Wochen nach dem Anschlag von „exzellenter Polizeiarbeit“ fantasiert, was einer Verhöhnung der Angehörigen und Überlebenden gleichkam. Nachweislich hat er bezüglich des technisch unter ausgestatteten sowie personell unterbesetzten Notrufs gelogen und versucht dieses Organisationsversagen zu vertuschen. Beuth war und ist maßgeblich verantwortlich für rassistische Strukturen innerhalb der hessischen Polizei und damit auch für die 13 der 20 in der Tatnacht in Hanau eingesetzten SEK-Beamten, die an rechtsextremen Chats beteiligt waren. Peter Beuth wird sich auch am 7. Juli weigern, gravierende Versäumnisse und Fehlverhalten der hessischen Polizei einzugestehen und dafür die politische Verantwortung zu übernehmen. Bis heute hatte „Hanau“ trotz aller offensichtlichen Fehler und Skandale keinerlei juristische und personelle Konsequenzen.
Gesellschaftlich hat die hartnäckige Aufklärungsarbeit der Angehörigen und Überlebenden einiges bewirkt und die Überforderungen, die Fehler, sowie den strukturellen Rassismus bei Polizei und Behörden offengelegt. (…)
Am 7. Juli wird nun die letzte öffentliche Sitzung des Untersuchungsausschusses stattfinden. Auch wenn der Abschlussbericht noch bis in den Dezember hinein verschleppt werden soll, wollen wir den 7. Juli nutzen, um einmal mehr Gerechtigkeit zu fordern. Nehmt an dieser letzten Sitzungen im Landtag teil und lasst uns versuchen nochmal so viel wie möglich Öffentlichkeit herzustellen. Am 7. Juli wollen wir den ganzen Tag über in Wiesbaden präsent sein, sowohl innerhalb des UNA, mit Social Media, als auch vor dem Landtag, mit einer Mahnwache am Dernschen Gelände. Am frühen Abend rufen wir zu einer regionalen Demonstration auf, die zum Dienstsitz von Peter Beuth führen wird: zum hessischen Innenministerium. Das Ende des UNA bedeutet nicht das Ende des Kampfes um lückenlose Aufklärung. Ohne Konsequenzen wird es keine Ruhe geben.“ Aufruf der Initiative 19. Februar Hanau für den Freitag, 7. Juli 2023: 18.30 Uhr – Kundgebung Dernsches Gelände und 19.00 Uhr – Demonstration zum Innenministerium anlässlich der Aussage von Innenminister Beuth im Untersuchungsausschuss zum rassistischen Terroranschlag am 19. Februar 2020 in Hanau. Siehe auch: - Mobi-Video der Initiative 19. Februar Hanau auf youtube
- Anschlag von Hanau: Schleppende Aufarbeitung. Initiative kritisiert Arbeit des hessischen Untersuchungsausschusses zum rassistischen Anschlag
„… Zwei Jahre nach Aufnahme seiner Tätigkeit hält dieser an diesem Freitag seine letzte öffentliche Sitzung ab. Dabei soll Landesinnenminister Peter Beuth (CDU) befragt werden. Die Initiative 19. Februar Hanau, in der sich Überlebende sowie Angehörige und Freunde der Ermordeten zusammengeschlossen haben, forderte Beuth indes am Donnerstag erneut zum Rücktritt auf. »Wir erwarten, dass der Minister in der letzten Ausschusssitzung die Verantwortung für die polizeilichen Versäumnisse in der Tatnacht übernimmt«, sagte Newroz Duman, Sprecherin der Initiative, auf einer Pressekonferenz im Wiesbadener Landtag. Sie warf Beuth vor, die polizeilichen Fehler in der Tatnacht »schöngeredet« und keine Verantwortung dafür übernommen zu haben. Noch Wochen nach den Morden hatte Beuth von »exzellenter Polizeiarbeit« gesprochen. Das komme einer »Verhöhnung der Angehörigen und Überlebenden gleich«, kritisierte die Initiative in einer Erklärung. Sie erinnerte zudem daran, dass der Minister »maßgeblich verantwortlich« sei für »rassistische Strukturen innerhalb der hessischen Polizei und damit auch für die 13 der 20 in der Tatnacht in Hanau eingesetzten SEK-Beamten, die an rechtsextremen Chats beteiligt waren«. Said Etris Hashemi, der den Anschlag schwer verletzt überlebt hatte, zeigte sich enttäuscht von der Arbeit des PUA. Am Mittwoch kritisierte er im Kurzbotschaftendienst Twitter, dass der Ausschuss seinen Abschlussbericht erst nach der Landtagswahl im Oktober vorlegen will. »Sie legitimieren ihre Arbeitsverweigerung, indem sie uns als Hinterbliebene und Überlebende instrumentalisieren und behaupten, das sei nur zu unserem Schutz«, schrieb Hashemi, dessen Bruder Nesar bei dem Anschlag starb. (…) Die Initiative will während der Ausschusssitzung eine Mahnwache vor dem Landtag abhalten. Für den Freitagabend ruft sie zu einer Kundgebung und zu einer Demonstration vom Parlament zum Innenministerium auf. Der Druck der Initiative hatte seinerzeit maßgeblich dazu beigetragen, dass der Parlamentsausschuss überhaupt eingerichtet wurde.“ Artikel von Jana Frielinghaus vom 06.07.2023 im ND online
- Keine Gerechtigkeit ohne Konsequenzen – Demonstration 07.07.2023, Wiesbaden
- Vater des Hanau-Attentäters eskaliert erneut rassistisch: „Hoffentlich zieht er weg“
„Der Vater des Hanau-Attentäters belästigt immer wieder Angehörige der Opfer. Nun schickte er eine klare Botschaft an die Mutter eines der Ermordeten. Was tun die Behörden?
Die Botschaft ist unmissverständlich. Und sie bereitet Serpil Temiz Unvar Sorgen: „In aller Deutlichkeit, wenn Ihnen als Migrant das Land des Deutschen Volkes zuwider ist, dann verlassen Sie es bitte, aber auch zügig, und gehen Sie bitte dorthin zurück, wo Sie hergekommen sind.“ Der Satz stammt aus einem Brief, den Temiz Unvar Mitte Mai bekommen hat. Der Absender: Hans-Gerd R. Dessen Sohn hatte im Februar 2020 in Hanau aus rassistischen Motiven neun Menschen und anschließend seine Mutter und sich selbst erschossen. Unter den Getöteten war auch Ferhat, der Sohn von Serpil Temiz Unvar. Seit der Tat kommen sie und ihre Familie nicht zur Ruhe. Ihr Haus in Hanau liegt nur wenige Hundert Meter entfernt vom Haus des Attentäters, in dem dessen Vater weiterhin lebt. Immer wieder kommt es zu Belästigungen und Einschüchterungsversuchen durch Hans-Gerd R. Zuletzt schickte der 76-jährige Mann ihr gleich mehrere Briefe. Sie liegen dem ARD-Magazin Panorama vor. Darin schreibt er, Temiz Unvar „und ihre Gruppierungen“ seien „eine große Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit und für das Deutsche Volk“. (…) Für Temiz Unvar zeigen die Briefe, dass R. ähnlich rassistisch denke wie sein Sohn. Sie vermutet, dass R. sie für den Tod seines Sohnes und seiner Frau verantwortlich macht. „Das ist wahrscheinlich ein Grund, warum er immer wieder versucht, mich und meine Familie einzuschüchtern“, sagte Temiz Unvar im Gespräch mit Panorama. Die Situation sei für ihre Kinder und sie selbst schwer zu ertragen. Sie lebt seit 27 Jahren in dem Stadtteil. „Wir wollen nichts mit ihm zu tun haben. Hoffentlich zieht er weg und lässt uns endlich in Ruhe.“ Sie hofft, dass die Zuständigen alles unternehmen, um die Situation vor Ort zu klären.
Inzwischen hat Temiz Unvar den Brief von Mitte Mai, in dem R. er ihr die Ausreise nahelegt, der Polizei und auch Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) übergeben. Der zeigte den Vater daraufhin wegen Volksverhetzung an. Gegenüber Panorama bezeichnete er den Brief als „schriftlich dokumentierten Rassismus“ und „widerlich“. Dennoch: „Grundsätzlich gilt, dass die gesetzlichen Möglichkeiten begrenzt sind. Wir als Stadt Hanau sowie die Polizei müssen uns im rechtsstaatlichen Rahmen bewegen.“ Gegen den Vater des Attentäters hat die Stadt Hanau ein Betretungsverbot für die Hanauer Kitas und Schulen sowie das Rathaus ausgesprochen. (…) Die Hanauer Staatsanwaltschaft hat aufgrund der Anzeige mittlerweile ein Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung gegen Hans-Gerd R. eingeleitet. Darüber hinaus verhängte das Amtsgericht Hanau gegen ihn ein Annäherungsverbot. (…)
Nach Recherchen von Panorama hat die Staatsanwaltschaft Hanau mittlerweile insgesamt 48 Verfahren gegen Hans-Gerd R. eingeleitet. Dabei geht es um Beleidigung, Bedrohung, falsche Verdächtigung, Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Allein in 30 Fällen wird dem Vater vorgeworfen, gegen das Gewaltschutzgesetz verstoßen zu haben, weil er sich etwa Angehörigen der Opfer des Attentats genähert haben soll. Wegen sechs solcher Verstöße ist R. inzwischen rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt. Auch eine Geldstrafe wegen Beleidigung in zwei Fällen ist mittlerweile rechtskräftig…“ Beitrag von Robert Bongen, Julian Feldmann und Sebastian Friedrich, NDR, vom 18.06.2023 in tagesschau.de („Vater des Hanau-Attentäters: „Hoffentlich zieht er weg““) - Interner Bericht der Polizei Südosthessen: Das ist in der Terrornacht von Hanau wirklich geschehen
- Das ist in der Terrornacht von Hanau wirklich geschehen
„… Beim Polizeieinsatz in der Terrornacht von Hanau gab es viele dramatische Pannen, Fehler und Unklarheiten. Das geht aus einem internen Bericht der Polizei hervor, welcher der Frankfurter Rundschau vorliegt. (…) Völlig unzureichend war danach in der Nacht die Betreuung der Menschen, die um ihre Angehörigen fürchteten. „Eine zentrale Örtlichkeit für die Betreuung von Angehörigen existierte in den ersten drei Stunden nicht. Auch Fachkräfte, welche hier dringend von Nöten gewesen wären, waren nicht vor Ort“, heißt es in dem Bericht. Beamt:innen hätten „spontan“ einen Bus der Verkehrsbetriebe zu einer „Sammelstelle für Angehörige“ umfunktioniert. „Jedoch war anschließend nicht klar, wie nun weiter mit den Angehörigen verfahren werden sollte.“ (…) Kommunikationsprobleme gab es an allen Ecken und Enden. (…) Beteiligte Beamtinnen und Beamte beklagten ein „Informationsdefizit“. Über die „interne Kommunikation“ hätten die Kolleg:innen „weniger Informationen erhalten (…) als über das Internet und soziale Medien“. (…) Die eingesetzten Polizistinnen und Polizisten konnten nicht richtig miteinander kommunizieren, zum Teil wegen technischer Probleme, zum Teil wegen mangelhafter Organisation. So hätten die Kolleg:innen der bayerischen Polizei und der Bundespolizei sich nicht in die Funkgruppen der hessischen Kolleg:innen schalten können. (…) Auch für diejenigen, die eine Verbindung hatten, gab es Probleme. „Es entstand der Eindruck, dass die Mitarbeiter/-innen der Leitstelle selbst überfordert waren und bereits in der ersten Phase der Lage der Überblick verloren ging“, heißt es im Bericht. Eigentlich gab es Vorgaben für eine solche Lage. Doch wurden vorgeschriebene „Melde- und Entscheidungswege“, die in einem „Sonderlagenerlass“ niedergelegt sind, „nicht eingeleitet“. Bei dem Einsatz „musste in hohem Maße improvisiert werden“, hält der Bericht fest. „Insbesondere in der ersten Phase der anwachsenden Lage waren die Alarmierungswege und die Führungsstrukturen nicht sofort hinreichend klar.“ (…) Das Recherchenetzwerk „Forensic Architecture“ hatte weitere Versäumnisse thematisiert, etwa die Tatsache, dass das Haus des Täters über lange Zeit nicht vollständig von der Polizei überwacht wurde, so dass er es hätte verlassen und weitere Taten begehen können. Der CDU-Obmann im Ausschuss, Jörg Michael Müller, versucht bisher, solche Stimmen für inkompetent zu erklären. Die SPD-Obfrau Heike Hofmann beklagte daraufhin, es würden „Stimmen, die den Polizeieinsatz nur ansatzweise bemängeln, von der CDU im Keim erstickt“. Angesichts des aktuellen Berichts dürfte dies kaum gelingen – denn dieser lässt die beteiligten Beamtinnen und Beamten selbst zu Wort kommen, und das Ergebnis fällt ähnlich aus.“ Artikel von Pitt von Bebenburg vom 30. Mai 2023 in der Frankfurter Rundschau online über: - Interner Bericht der Polizei Südosthessen: „Diese zehn Toten sollten etwas ändern“
„Offiziell verteidigt die Hessische Landesregierung die Rolle der Polizei beim Anschlag von Hanau im Jahr 2020. Ein bisher unbekannter Bericht zeigt: Intern gab es von den eigenen Beamten heftige Kritik. Wir veröffentlichen das Dokument.
Die Polizei habe in der Tatnacht „ihr Bestes getan“ – gegenüber der Öffentlichkeit betont die Führung der Hessischen Polizei seit drei Jahren, beim rassistischen Anschlag von Hanau 2020 kaum Fehler gemacht zu haben. Der interne Bericht einer Polizei-Arbeitsgruppe zeigt jedoch ein anderes Bild: In der 50-seitigen „einsatztaktischen Nachbereitung“ des Anschlags übten Beamte der Polizei in Südosthessen neun Monate nach dem Anschlag teils heftige Kritik an den Polizeistrukturen. Wir veröffentlichen heute den lange unbekannten Bericht in voller Länge . Personenbezogene Daten darin haben wir überwiegend unkenntlich gemacht…“ Beitrag von Arne Semsrott vom 30. Mai 2023 bei FragDenStaat
- Das ist in der Terrornacht von Hanau wirklich geschehen
- Hanau-Anschlag: Experten attestieren Polizei zahlreiche Fehler
„… Die Recherchegruppe Forensic Architecture hat im Untersuchungsausschuss zu den rassistischen Morden in Hanau die Kritik der Gruppe an der Arbeit der Polizei erneuert. Es seien bei dem Einsatz am Täterhaus zahlreiche Versäumnisse festgestellt worden, sagte ein Mitglied der Gruppe am Montag im Wiesbadener Landtag. Die Gruppe Forensic Architecture war 2011 in London gegründet worden, die Mitglieder sehen sich als Recherchekollektiv und „Forschungsagentur“. Sie setzen moderne Technologien ein, um Daten auszuwerten und Spuren zu analysieren, etwa 3D-Modellierung, Geomapping und digitale Rekonstruktion, aber auch investigative Recherchen. Die Recherchegruppe war aus den Reihen der Opfer-Angehörigen beauftragt worden. Auch nach den „NSU“-Morden in Kassel war die Gruppe im Einsatz gewesen. Das Mitglied der Gruppe sagte im Ausschuss, unter anderem hätten laut ihren Erkenntnissen die ersten Polizeistreifen das Haus nicht richtig bewacht. Der Täter habe unbemerkt hinausgelangen und weiter morden können. Auf einem Polizeivideo sei zu sehen, wie nach dem Eintreffen der Streifen mutmaßlich ein Zivilist in der Nähe des Hauses des bewaffneten Extremisten gelaufen sei. Auch sei die Besatzung des Polizeihubschraubers über ihre Rolle im Unklaren gewesen. (…) Nach den Angaben des Ausschuss-Vorsitzenden hatte das Gremium erst durch die Gruppe von dem Video erfahren, zuvor sei es nicht bei den Akten gewesen. Bei seiner letzten Anhörung im vergangenen Herbst hatte das Mitglied von Forensic Architecture gesagt, die Menschen an einem der Tatorte, der Arena-Bar, hätten mutmaßlich fliehen können, wenn der Notausgang nicht verschlossen gewesen wäre…“ Meldung vom 22. Mai 2023 im MiGAZIN - Attentat von Hanau: Der „subtile Terror“ des Vaters
„Seit drei Jahren fällt der Vater des Hanau-Attentäters immer wieder mit Beleidigungen und Einschüchterungsversuchen der Überlebenden und Angehörigen auf. 46 Verfahren wurden gegen ihn bereits eingeleitet. (…) Drei Jahre ist es her, dass ein 43 Jahre alter Mann in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet hat. Doch seit der Tat kommen die Überlebenden und Hinterbliebenen nicht zur Ruhe. Der Grund: Sie fühlen sich vom Vater des Attentäters bedroht. Der Oberbürgermeister der Stadt, Claus Kaminsky, beschreibt die Situation um Hans-Gerd R. nun als eine „nachhaltig schwierige“: „Er übt eine Form von subtilem Terror aus“, so der SPD-Politiker im Interview mit dem ARD-Politikmagazin Panorama. Wo der 76-Jährige auftaucht, verstehe er es, die Menschen in Angst und Schrecken zurückzulassen, ohne dass es rechtsstaatlich zu fassen wäre. (…)Unter anderem war Hans-Gerd R. trotz eines Annäherungsverbots wiederholt vor dem Haus von Serpil Temiz Unvar aufgetaucht, der Mutter von Ferhat Unvar, den R.s Sohn am 19. Februar 2020 erschossen hatte. Minutenlang habe der Vater etwa im Oktober wenige Meter vor ihrem Küchenfenster gestanden, mit seinem Schäferhund, und sie in ein unangenehmes Gespräch verwickelt. Nachdem er am noch am selben Tag erneut vor ihrem Haus stand und nicht gehen wollte, rief sie die Polizei. „Er will mit unseren Schmerzen spielen“, sagt Temiz Unvar. „Er versucht, auf diese Art immer Teil unseres Lebens zu sein.“ Auch spielende Kinder auf einem Schulhof in Hanau-Kesselstadt habe Hans-Gerd R. eingeschüchtert. Ein zehnjähriger Junge berichtet, dass ein Mitschüler von ihm „Scheiß Marokkaner“ genannt worden sei: „Und bei den anderen hat er immer wieder gesagt: Du wirst schon sehen!“ Nach Informationen von Panorama und des Rechercheformats STRG_F (NDR/funk) leitete die Staatsanwaltschaft Hanau mittlerweile insgesamt 46 Verfahren gegen Hans-Gerd R. ein. Dabei geht es um Beleidigung, Bedrohung, falsche Verdächtigung, Hausfriedensbruch, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Verstöße gegen das Gewaltschutzgesetz. Allein in 30 Fällen wird dem Vater vorgeworfen, gegen das Gewaltschutzgesetz verstoßen zu haben, weil er sich etwa Angehörigen der Opfer des Attentats genähert haben soll. Wegen sechs solcher Verstöße ist R. inzwischen rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden. (…) Seit November wacht die Polizei täglich in der Nähe des Hauses von Serpil Temiz Unvar. Dafür sei sie dankbar und befürchtet trotzdem, dass der „subtile Terror“ von Hans-Gerd R. weitergehe. Warum sie nicht einfach wegziehe, wurde Temiz Unvar unlängst gefragt. „Das ist keine Option“, sagt sie. Dann habe der Vater ja sein Ziel erreicht. Der Sohn von Hans-Gerd R. hatte am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen und anschließend seine Mutter und sich selbst getötet. Auch der Vater ist wiederholt mit rassistischem Gedankengut aufgefallen. In einem Brief an die Behörden nannte er das Gedenken an die Opfer „Volksverhetzung“. Außerdem soll er die Angehörigen der Ermordeten als „wilde Fremde“ bezeichnet haben…“ Beitrag von Robert Bongen, Julian Feldmann, Sebastian Friedrich, Betül Sarikaya (NDR) und Heiko Schneider (HR) vom 16. März 2023 bei tagesschau.de- Siehe dazu auch den Panorama-Bericht vom 16. März 2023
- Und hier weiter unten frühere Meldungen zum Verhalten des Vaters
- Hanau: „Drei Jahre, aber Karneval“. Und statt Demo-Berichte weitere Beiträge zur fehlenden Aufarbeitung, dass „Deutschlands Sohn geschossen hat“
- Hanau: Drei Jahre, aber Karneval
„«Das Innenleben und die Entwicklung des Täters interessieren mich nicht», sagte am vergangenen Wochenende in Augsburg die iranisch-deutsche Schriftstellerin Asal Dardan an einer Gedenkveranstaltung für die Opfer des rassistischen Anschlags von Hanau. «Was mich interessiert, ist, wie geschickt der Täter aus Hanau zum Anderen gemacht wurde, ausgelagert wurde von einer Gesellschaft, die nun drei Jahre nach seiner Tat die Frage verdient: Warum seid ihr so sicher, dass er mit euch nichts zu tun hat?», fuhr sie fort und prangerte damit den tief verwurzelten Rassismus in Deutschland an. Sie ist mit ihren Gedanken nicht allein.
An unzähligen Veranstaltungen, verteilt übers ganze Land, wurde am Sonntag der neun jungen Menschen gedacht, die am 19. Februar 2020 ermordet worden waren. Und: Die Anwesenden forderten lückenlose Aufklärung der Taten und Konsequenzen, die daraus gezogen werden sollen. In Hanau selbst fand am Wochenende eine grosse Gedenkveranstaltung statt, an der sich 500 Teilnehmer:innen eingefunden hatten, darunter nahe Angehörige der Opfer, Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky, Bundesinnenministerin Nancy Faeser und der hessische Ministerpräsident Boris Rhein. In einer bewegenden Rede sagte Ajla Kurtović, Schwester des ermordeten Hamza Kurtović: «Wir vermissen klare Antworten, Aufklärung und Konsequenzen. Warum sorgt der Untersuchungsausschuss im Landtag nicht neutral für Aufklärung, statt immer wieder staatliche Behörden zu verteidigen?» Die sogenannte Mehrheitsgesellschaft scheint an diesen Fragen nicht sonderlich interessiert: Nach drei Jahren – coronabedingter – Unterbrechung fand in Hanau am Wochenende auch wieder der traditionelle Karneval statt…“ Artikel von Mona Molotov am 20. Februar 2023 in der WoZ online - Anschlag in Hanau: Doch, so etwas passiert in Deutschland
„Vili Viorel Păun starb, als er den Attentäter von Hanau stoppen wollte. Seine Eltern bereuen, jemals nach Deutschland gekommen zu sein. In Rumänien ist Vili nun ein Held. Niculescu Păun trägt jetzt den Namen seines toten Sohnes im Ausweis, er steht im Adressfeld. Die Vili-Viorel-Păun-Straße führt vorbei an seinem Elternhaus bis zum Friedhof, auf dem er begraben liegt. Man kann den Weg zu Fuß gehen, er ist nicht sehr lang. Straße, Elternhaus und Friedhof liegen in Singureni, einem Dorf in Rumänien. Eine halbe Stunde südlich von Bukarest, wenn der Verkehr das nicht in die Länge zieht. 1.800 Einwohner, man kennt sich. Vili Viorel Păun wurde hier geboren, am 10. September 1997. Als Vili 18 ist, gehen seine Eltern Niculescu und Iulia mit ihm nach Deutschland. „Wir dachten, in Rumänien hat Vili keine Zukunft“, sagt sein Vater heute. Er sagt auch: „Ich werde diese Entscheidung mein ganzes Leben lang bereuen.“ Vili Viorel Păuns Zukunft in Deutschland dauert etwa vier Jahre. Sie endet am 19. Februar 2020 in Hanau, auf einem Parkplatz vorm Lidl, mit drei Schüssen in Brust, Schulter und Kopf, hingerichtet von einem rechtsextremen Attentäter. Der tötet in dieser Nacht neun Menschen aus rassistischen Motiven, braucht dafür knapp zwölf Minuten. Anschließend erschießt er seine Mutter und schließlich sich selbst. Drei Jahre ist das jetzt her. (…) Sein Vater beschreibt Vili Viorel als bescheiden. Da ist zum Beispiel der Mercedes, den Niculescu ihm geschenkt hatte, gekauft von seinem Gehalt als Staplerfahrer in einer Logistikfirma in Dietzenbach. „Ich wollte ihm eine Freude damit machen, aber Vili war das peinlich.“ Zu teuer sei das Auto gewesen, wenn Vili sich mit Freunden getroffen habe, parkte er lieber eine Ecke weiter. Am Abend des 19. Februars steigt Vili in diesen silbernen Mercedes CLS 320, am Heumarkt in der Hanauer Innenstadt. Es ist der erste Tatort, an dem der Attentäter Menschen in einer Bar erschießt. Vili sieht den Täter, wie er mit einer Waffe in der Hand aus dem Lokal kommt. Der Täter zielt sogar mit der Pistole auf ihn, schießt vermutlich sogar. Sicher aufgeklärt ist das bis heute nicht. Dann steigt er in sein Auto und fährt weg, Vili nimmt die Verfolgung auf. Er wählt den Notruf, vertippt sich zunächst. Einmal wählt er die 11, einmal die 10. Um 21.57 Uhr, 21.58 Uhr und 21.59 Uhr wählt er die 110, aber kommt nicht durch. Gegen 22 Uhr erreicht der Attentäter den Kurt-Schumacher-Platz im Hanauer Stadtteil Kesselstadt. Der Täter steigt aus seinem Auto, sieht Vili, wie er vorm Lidl parkt, und feuert. Vili stirbt hinter seinem Lenkrad. (…) Vili Viorel Păun starb als Held, davon sind seine Eltern überzeugt, das sagen auch Angehörige der anderen Opfer. Auch Marian Pătuleanu, der Bürgermeister von Singureni, sagt das, er hat sich spontan ein paar Minuten Zeit genommen, um über Păun zu sprechen. Der 52-Jährige hat den Plan unterstützt, die Straße nach Vili umzubenennen. Gerade wird im Dorf ein neuer Fußballplatz gebaut, der Kunstrasen ist schon verlegt. Das Stadion soll „Vilis Arena“ getauft werden. Auch in Deutschland wurde Vili nach dem Tod für seinen Mut ausgezeichnet. Das Land Hessen verlieh ihm posthum die Medaille für Zivilcourage. An den beiden Tatorten in Hanau nennen Gedenktafeln die Namen der Opfer. Dort, wo Păun erschossen wurde, erinnern ein Stein und ein Kreuz an ihn. Auf die Idee kamen allerdings nicht zuerst die Stadt oder das Land, sondern die Angehörigen der Opfer selbst. Es ist maßgeblich ihr Verdienst, dass die Namen der Opfer weiterhin in der Öffentlichkeit präsent sind. Sie lauten Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. (…) Bis heute ist nicht wirklich aufgearbeitet, wie es dazu kommen konnte, dass die Notrufzentrale technisch und personell so schlecht aufgestellt war, dass sie Vilis Anrufe nicht entgegennehmen konnte. (…) Es hat sich auch niemand dafür entschuldigt, dass die Polizei den Eltern erst vom Tod ihres Sohnes berichtete, als sie am nächsten Vormittag bei der Polizeiwache nachfragten. Auch nicht dafür, dass die Polizisten den Păuns sagten, Vilis Leichnam werde in Frankfurt am Main aufbewahrt, obwohl Vili da noch tot im Auto auf dem Lidl-Parkplatz saß. Niemand hat um Entschuldigung dafür gebeten, dass den Angehörigen keinerlei psychologische Hilfe in den Stunden und Tagen nach der Tat angeboten wurde. Und es hat sich auch niemand dafür entschuldigt, dass die Behörden später Vilis Auto nur 50 Meter von der Wohnung der Păuns entfernt auf einem öffentlichen Parkplatz abstellten, mit sieben Einschusslöchern und samt den Markierungen der Polizei. (…) Die Wahrheit ist: So etwas passiert in Deutschland. Es ist in Hanau passiert. Es ist passiert, als der NSU sich durchs Land mordete. Es ist in Halle passiert, als ein Antisemit eine Synagoge angriff. Es ist passiert, als ein Rechtsextremist den Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke in seinem Garten hinrichtete. Es ist in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland immer wieder passiert. Menschen mit einem sogenannten Migrationshintergrund wurden erschossen, in Brand gesteckt und zu Tode geprügelt…“ Reportage von Christian Vooren vom 19. Februar 2023 in der Zeit online - Als Deutschlands Sohn geschossen hat
„Als Deutschlands Sohn geschossen hat, war Deutschland fassungslos. Deutschland konnte nicht begreifen, wie es so weit hatte kommen können. Deutschland hatte sich doch solche Mühe gegeben, hatte Reden gehalten und Kerzen angezündet, Hände geschüttelt und „Nie wieder“ gesagt, immer und immer wieder, bis Deutschland es langsam selbst nicht mehr hören konnte. An dem Tag, als Deutschlands Sohn geschossen hat, ist Deutschland nicht ans Telefon gegangen. Deutschland hätte Vili retten können, stellte sich später heraus, wäre Deutschland ans Telefon gegangen, als Vili Deutschland anrief, drei Mal, aber die Notrufzentrale war unterbesetzt an diesem Tag, wer rechnet schließlich damit, dass Deutschlands Söhne losziehen und auf Menschen schießen, wo hat es denn so etwas gegeben? Bedauerlich, ein schweres Versäumnis, aber juristisch betrachtet, nun, da sieht Deutschland beim besten Willen keinen Anlass, Deutschland einen Vorwurf zu machen. Einen Tag, nachdem Deutschlands Sohn geschossen hat, tanzte Deutschland auf den Straßen zu Karnevalsmusik. (…) Anderthalb Jahre, nachdem Deutschlands Sohn geschossen hat, stellte sich heraus, dass unter den Spezialeinsatzkräften, die Deutschland zum Tatort geschickt hatte, dreizehn Rechtsextreme waren. Bedauerlich, ein schweres Versäumnis. Aber wer rechnet denn damit, dass in den Uniformen, die Deutschland schickt, Deutschlands Söhne stecken? (…) Zwei Jahre, nachdem Deutschlands Sohn geschossen hat, ist Deutschland des Gedenkens müde geworden, denn Deutschland hat bereits ein ausreichendes Maß an Kerzen angezündet und die erforderliche Anzahl an Reden gehalten. (…) Wenn Deutschlands Söhne jetzt immer noch nicht begriffen haben, dass man nicht loszieht und auf Menschen schießt, kann das nicht Deutschlands Schuld sein. Überhaupt dieses Wort: Schuld. Das kann Deutschland langsam sowieso nicht mehr hören.“ Kolumne von Özge vom 21. Februar 2022 bei MISSION LIFELINE e.V. - Mölln, NSU, Halle, Hanau – Rechtsterror, Kontinuität und deutsche (Nicht-)Erinnerung
„… Rechte Gewalt hat eine lange Geschichte in Deutschland. Nicht zuletzt haben die Anschläge von Hanau und Halle und der Mord an Walter Lübcke die Kontinuität rechter Gewalt erneut schmerzlich sichtbar gemacht. Ebenso besteht jedoch auch eine lange Geschichte der Nicht-Erinnerung rechter Taten, des Nicht-Zuhörens, wenn es um die Geschichten Betroffener geht und der Nicht-Aufklärung von Anschlägen. Eine umfassende Auseinandersetzung mit strukturellem Rassismus und seinen politischen und gesellschaftlichen Implikationen ist weiterhin ausstehend, gleichermaßen die Rolle von Politik und Behörden. Rassismus und rechte Gewalt werden auch heute noch weitgehend aus der allgemeinen deutschen Geschichtsschreibung ausgeklammert, ebenfalls die Auswirkungen dieser Taten auf Betroffene rechter Gewalt. Doch wie kann eine Erinnerungspolitik aussehen, die diese Geschichten erzählt, sie dokumentiert und dadurch sichtbar macht? Zahlreiche Angehörige und Initiativen leisten seit Jahrzehnten unermüdliche Arbeit, damit die Geschichten Betroffener gehört und Teil des deutschen Erinnerungsnarrativs werden. Sie fordern, wie die Initiative 19. Februar Hanau es immer wieder betont «Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung und Konsequenzen.» Der folgende Beitrag setzt sich mit der Kontinuität rechter Gewalt und der Nicht-Erinnerung im offiziellen Narrativ auseinander, weist aber auch auf die Arbeit derjenigen hin, die versuchen diese Geschichtsschreibung zu verändern. (…) Eingewachsene Strukturen der Verleugnungen rassistischer Gewalt und damit einhergehender «Entwirklichungen von Erinnerungs- und Gedächtnisarbeit», prägen die Migrationsgeschichte in Deutschland. Die Migrationswissenschaftlerin Maria Alexopoulou spricht diesbezüglich von Ignoranz als wichtigem epistemologischem Moment. Diese ermögliche «den Privilegierten in diesem System, sich nicht bewusst machen zu müssen, worauf ihre Privilegien beruhen.» Weiterhin fügt sie hinzu, dass die Hemmnisse in der Transformation Deutschlands zur Einwanderungsgesellschaft in direktem Zusammenhang zum Einfluss rassistischen Wissens stehen, welches nur unzureichend thematisiert wird und bis heute prägend für zahlreiche systemische Strukturen ist. (…) Der Soziologe Maurice Halbwachs schreibt in seinem Buch «Das kollektive Gedächtnis», «dass die Vergangenheit im Gedächtnis stets aufgebaut und nicht aufgefunden wird […] und, dass das Gedächtnis der Gruppe sich verwirklicht und offenbart in den individuellen Gedächtnissen.» Für die Schaffung einer kollektiven Erinnerung ist daher von enormer Relevanz, Bedingungen zu schaffen, diese individuellen Gedächtnisse zum Teil des Kollektiven zu machen. Die Betroffenenperspektiven müssen Teil einer kritischen Geschichtsarbeit sein, die immer wieder das gängige Geschichtsparadigma herausfordert und es somit verändert. Mit den Worten von Michel Foucault gesprochen, geht es immer darum, das Wissen um die Taten freizulegen, aber gleichzeitig auch sich Gefahr der Rekuperation dieses Wissens entgegenzustellen. Denn erst, wenn diesen Erinnerungen zugehört wird, können sie sich in das kollektive Gedächtnis einfügen. Erst dann können diese Erinnerungen miteinander in Verbindung gebracht werden und sich aufeinander stützen. Nur so können sie Teil der gemeinsamen Geschichte werden und die Leugnung einer rassistischen Kontinuität durchbrochen werden.“ Beitrag von Efsun Kızılay bei der Rosa Luxemburg Stiftung im Februar 2023 aus dem Buch ‚Erinnerungskämpfe Neue deutsche Identität(en), neues deutsches Geschichtsbewusstsein‘, herausgegeben von Jürgen Zimmerer, das September 2023 bei Reclam erscheinen soll - [Gewantifa] „Über die Methoden, Naziverbrechen zu vertuschen“
„Wer, wie viele lokale Antifa-Gruppen, aufmerksam verfolgt, wie der Staat und auch viele Medien auf Naziverbrechen reagieren, wird bald merken, dass es bestimmte, immer wiederkehrende Methoden gibt, die ein System der Vertuschung der Naziverbrechen darstellen. Das spiegelt sich in politischen Erklärungen, in Stellungnahmen der Polizei/Geheimdienste und dann oft genug auch in den Medien wieder. Schließlich, und das ist oft der Hintergrund, geht es ja um das »Ansehen Deutschlands« und da muss die Realität, da müssen eben die Naziverbrechen so gut es geht vertuscht werden. Oft genug geht es auch um den direkten Schutz und die Unterstützung der Nazis…“ Überarbeiteter Flyer Nr. 51 der Gewerkschafter*Innen und Antifa gemeinsam gegen Dummheit und Reaktion
- Hanau: Drei Jahre, aber Karneval
- 19. Februar 2023: 3 Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau: Wir trauern und erinnern.
„Es sind 1065 Tage vergangen. 1065 Tage – das sind 2 Jahre und 11 Monate. Tage, die wir zählen, seitdem wir Ferhat, Hamza, Said Nesar, Vili Viorel, Mercedes, Kaloyan, Fatih, Sedat und Gökhan verloren haben durch einen rassistischen Mörder. Jahre, Monate und Tage vergehen, aber der Schmerz wächst weiter. (…) In diesen drei Jahren haben wir mit allen politisch Verantwortlichen gesprochen. Wir waren in Frankfurt, in Wiesbaden, in Berlin. Wir sind auf offene Türen und Ohren gestoßen. Aber nicht auf offene Herzen. Uns wurde Gerechtigkeit versprochen. Und doch müssen wir auch zum dritten Jahrestag weiterhin nach Konsequenzen fragen, die es immer noch nicht gibt. Der Untersuchungsausschuss, der unsere Fragen beantworten sollte, wird seinem Auftrag nicht gerecht. Wir fragen uns, wie lange wollen hessische Sicherheitsbehörden noch vertuschen, wie lange noch schweigen, wie lange noch ignorieren? Heute, fast drei Jahre später, wissen wir: die Grenze der Gerechtigkeit heißt Konsequenzen. Ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt es bis heute nicht, wir kämpfen weiterhin darum, dass es ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt. Wir haben selbst recherchiert und aufgeklärt und unsere gemeinsame Ausstellung mit Forensis wird ab dem 1. Februar bis zum 18. März im Hanauer Rathaus sein.
Am Jahrestag am 19.02.2023 werden wir in Hanau, Offenbach und Dietzenbach auf den Friedhöfen im Stillen gedenken. Am Marktplatz wird es das offizielle Gedenken geben. Wir werden zusammen mit dem Hanauer Jugendbündnis ab 16 Uhr demonstrieren. Ab 21:30 Uhr versammeln wir uns mit euch an den Tatorten am Heumarkt und in Kesselstadt, um nicht alleine zu bleiben. Wir fordern euch für den 19. Februar wieder dazu auf, an unserer Seite zu stehen. Organisiert auf den Straßen und Plätzen eurer Städte und Dörfer Kundgebungen, Demonstrationen, Gedenkaktionen. Erinnern heißt verändern.“ Aufruf und Plakate zum dritten Jahrestag am 19.02.2023 der Initiative 19. Februar Hanau , siehe auch:- [Hamburg] Drei Jahre nach Hanau: kein Vergeben, kein Vergessen – gemeinsam gegen Rassismus und Faschismus!
Aufruf zur Demonstration am 19.02.2023, 13 Uhr auf dem Wilhelmsburger Platz, Veddel beim Hamburger Bündnis gegen Rechts - [Frankfurt/M.] 3 Jahre nach Hanau: Demonstration – 19.02.23 – 13 Uhr – Frankfurt, Friedensbrücke. Aufruf der VVN-BdA Frankfurt a.M. auf Twitter
- [Düsseldorf] Hanau-Gedenken am 18.2. in Düsseldorf ab 14 Uhr Oberbilker Markt (siehe Aufruf der IL Düsseldorf auf Twitter )
- [Bundesweit] #hanauistüberall – Überblick der Initiative im Thread
- #hanauistüberall #hanau1902 #saytheirnames #erinnernheißtverändern
- [Hamburg] Drei Jahre nach Hanau: kein Vergeben, kein Vergessen – gemeinsam gegen Rassismus und Faschismus!
- Hanau-Morde: Generalbundesanwalt muss Akten an Ausschuss herausgeben – ungeschwärzt. Hätten beim Anschlag in von Hanau Menschen gerettet werden können?
„… Der Generalbundesanwalt in Karlsruhe muss den weitaus größten Teil der Akten zu dem rassistischen Anschlag von Hanau dem dazu eingesetzten Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags ungeschwärzt herausgeben. Einer entsprechenden Klage des Ausschusses hat das Bundesverwaltungsgericht stattgegeben, wie der Ausschuss-Vorsitzende Marius Weiß (SPD) am Montag in Wiesbaden mitteilte. Bei der Tat am 19. Februar 2020 in Hanau hatte ein 43-jähriger Deutscher neun Menschen aus rassistischen Motiven erschossen. Danach tötete er seine Mutter und sich selbst. Der Untersuchungsausschuss des Landtags soll klären, ob es vor, während und nach der Tat zu einem Behördenversagen gekommen war. Das Gremium hatte sich Mitte 2021 konstituiert. Der Ausschuss-Vorsitzende Weiß teilte mit, der Antrag vor dem Bundesverwaltungsgericht gegen den Generalbundesanwalt auf Herausgabe von ungeschwärzten Akten sei in fast allen Punkten erfolgreich gewesen. Dazu gehörten insbesondere auch die Obduktionsergebnisse und toxikologischen Gutachten zu Opfern und Täter. (…) Auf Anfrage des „Evangelischen Pressediensts“ sagte Weiß, diese Akten seien etwa zur Bestimmung des genauen Todeszeitpunkts und damit zur Beurteilung der Frage wichtig, ob Menschen noch hätten gerettet werden können, wenn zum Beispiel der Notruf in der Nacht funktioniert hätte. Lediglich die Akte über den Gesundheitszustand des noch lebenden Vaters des Attentäters bleibe nach der Gerichtsentscheidung aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes weiter gesperrt. In seiner Begründung habe das Gericht festgestellt, dass der Generalbundesanwalt nicht substantiiert genug vorgetragen habe, warum er Teile der Akten zurückhalte. Es sei zudem Sache des Untersuchungsausschusses, wie tief er innerhalb des Untersuchungsauftrags ermittele und in welchem Umfang er dafür Beweise erhebe.“ Meldung vom 8. Februar 2023 im MiGAZIN - Terroranschlag von Hanau: Klage wegen geschwärzter Akten
„… Im Streit um geschwärzte Ermittlungsakten hat der Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau entschieden, vor dem Bundesverwaltungsgericht einstweiligen Rechtsschutz gegen den Generalbundesanwalt (GBA) in Anspruch zu nehmen. Das teilte der Ausschussvorsitzende Marius Weiß (SPD) am Dienstag nach einem einstimmigen Beschluss des Landtagsgremiums mit. In dem Verfahren wird Klaus F. Gärditz, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bonn und Kommentator des Untersuchungsausschussgesetzes des Bundestags, den Ausschuss vertreten. Er habe wiederholt Kontakt zur Bundesanwaltschaft aufgenommen, um eine „einvernehmliche Lösung“ zu suchen, sagte Weiß, da die „Übersendung von – unberechtigt – vorgenommenen Schwärzungen“ eine „Versagung der Herausgabe von Akten“ darstelle und das Gremium dabei behindere, seinen Auftrag zu erfüllen. Der Untersuchungsausschuss soll nach den rassistisch motivierten Attentaten mit neun Opfern klären, ob und welche Fehler hessische Behörden gemacht haben. (…) Der GBA hatte die vielen geschwärzten Passagen bislang vor allem mit Opferschutz und Persönlichkeitsrechten begründet. Ausschussmitglieder entgegneten, dies sei in vielen Fällen nicht nachvollziehbar. So seien zum Beispiel die von Angehörigen kritisierten Obduktionen aufzuklären – was im Sinne der Betroffenen sei. Ein Vorschlag bestand darin, Aktenteile für die Mitglieder lesbar zu machen, aber als geheim oder vertraulich einzustufen und nicht öffentlich zu behandeln.“ Artikel von Gregor Haschnik vom 1. November 2022 in der Frankfurter Rundschau online - Schlampige Ermittlungen: Massive Kritik an der Arbeit der Polizei – durch die Staatsanwaltschaft
„Die Staatsanwalt zeichnet die „bescheidene“ Arbeit der Polizei nach Anschlag in Hanau nach und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Einsatzkräfte. Die Polizei hat bei der Tatortaufnahme in der Terrornacht von Hanau nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft schwere Fehler begangen. Das hat der Hanauer Staatsanwalt Martin Links bei seiner Vernehmung im Hanau-Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags am späten Freitagabend deutlich gemacht. So wurde die Situation am Tatort Arena-Bar nur sehr nachlässig dokumentiert, wie Links berichtete. Auf die Frage des Ausschussvorsitzenden Marius Weiß (SPD), wie er die Tatortaufnahme bewerte, zögerte Links zunächst, um dann mit einem Wort zu antworten: „Bescheiden.“ Der Staatsanwaltschaft sei nie ein vollständiger Tatortbericht vorgelegt worden, sondern nur ein vorläufiger Bericht mit einer „nicht maßstabsgerechten Skizze, wo nicht einmal zu erkennen war, dass eine der Türen ein Notausgang ist“, schilderte Links. Die „Notausgangproblematik“ habe „in der Tatnacht überhaupt keine Rolle gespielt“. (…) Eine FR-Recherche Anfang September hatte festgestellt, dass etwa 15 Personen nicht vernommen worden waren, die zur Aufklärung hätten beitragen können. Darunter waren vier Polizeibeamte, die direkt nach dem Anschlag am Tatort waren.“ Artikel von Pitt von Bebenburg und Yağmur Ekim Çay vom 17.10.2022 in der FR online - Hanau-Untersuchungsausschuss: Aktenschwärzungen und gekürzte Videos „mehr als befremdlich“
„Der Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags zu den rassistisch motivierten Morden in Hanau 2020 streitet mit Generalbundesanwalt Peter Frank über die Unterstützung der parlamentarischen Aufklärungsbemühungen. Der Ausschussvorsitzende Marius Weiß (SPD) hat den Chef der Karlsruher Ermittlungsbehörde für den 4. Juli zu einer nicht öffentlichen Sitzung des Gremiums in Wiesbaden geladen. Weiß zog am Montag eine Zwischenbilanz der bisherigen Tätigkeit des im Juli 2021 eingesetzten Gremiums. Nach Angaben des SPD-Politikers geht es im Streit mit Frank vor allem um eine umfangreiche Schwärzung in Akten, die die Bundesanwaltschaft dem Ausschuss überlassen hat, um dem Gremium vorenthaltene Videosequenzen sowie Bilder aus einer Überwachungskamera. Letztere waren bei einer Ausstellung im Frankfurter Kunstverein zu sehen, liegen nach Angaben von Weiß aber dem Ausschuss nicht vor. (…) Bislang hätten die Abgeordneten von 14 Behörden insgesamt 369 Aktenordner mit rund 175.000 Blatt Papier erhalten und gesichtet. Als wichtigste noch zu klärende Fragen gelten, warum der Täter eine Waffenbesitzkarte hatte, der Notausgang in einem Lokal trotz vorheriger Hinweise der Behörden verschlossen blieb und der polizeiliche Notruf an dem Abend nicht erreichbar war. Dass aufgrund Personalmangels ein Verschulden vorliege, stehe fest, erklärte Heike Hofmann (SPD), Obfrau im Untersuchungsausschuss. „Dafür verdienen die Angehörigen ein Fehlerbekenntnis und eine öffentliche Entschuldigung. Wir sind darüber erschüttert, dass bis zum heutigen Tage der hessische Innenminister Beuth nicht das aufrichtige Gespräch mit den Angehörigen und Überlebenden gesucht hat und sich auch nicht für Fehler, die passiert sind, entschuldigt“, kritisiert die SPD-Politikerin.“ Meldung vom 20. Juni 2022 von und bei MiGAZIN - Recherche-Agentur zeigt Versäumnisse: Gutachten zu Hanau-Anschlag: „Die Polizei hat versagt“
„Beim rassistischen Anschlag von Hanau hat es offenbar weitere Einsatzpannen der Polizei gegeben. Ein neues Gutachten der Forschungsagentur Forensic Architecture zeigt: Die Polizei hat das Haus des Attentäters in den Stunden nach dem Anschlag nicht richtig bewacht.
Es sind beeindruckende Bilder – die Aufzeichnungen eines Polizeihubschraubers. Sie zeigen den Hanauer Stadtteil Kesselstadt in der Nacht des Anschlags von oben: den Tatort am Kurt-Schumacher-Platz, reges Treiben vor der „Arena-Bar“, in der wenige Minuten zuvor tödliche Schüsse fielen, und die Nachbarschaft des Hauses des Attentäters. Die Aufzeichnungen zeigen: Beim Einsatz der Polizei in der Tatnacht hat es weitere Pannen gegeben. „Die Polizei hat in der Tatnacht versagt“, sagt Bob Trafford, Projektleiter der Forschungsagentur Forensic Architecture. Die Rechercheure haben die Bilder ausgewertet und sich nach eigenen Angaben durch tausende Seiten Ermittlungsakten gearbeitet. (…) In ihrem Gutachten zeigt Forensic Architecture, dass die Polizei das Haus des Attentäters nach dessen Tat über einen längeren Zeitraum nicht oder nicht richtig bewacht hat – obwohl klar war, wer er war und wo er sich aufhielt. Durch die mangelnde Bewachung hätte der Attentäter fliehen und weitermorden können. Demnach waren drei Polizei-Einheiten damit beauftragt, das Haus beziehungsweise einen Fluchtweg zu sichern. Doch die Einheiten waren teils falsch positioniert oder haben ihren Standpunkt verlassen. Laut Gutachten hätte der Attentäter zwischen 23.21 Uhr und 0.25 Uhr, also mehr als eine Stunde lang, das Haus unbemerkt verlassen können. Demnach hatte in dieser Zeit kein einziger Beamter weder die Vordertür des Hauses noch die Hintertür im Garten im Auge.
„Jeder Bürger und jede Bürgerin in Hessen und in Deutschland sollten von diesem nachlässigen Umgang mit einem gewalttätigen Extremisten schockiert sein“, kritisiert Trafford. „Sie haben es nicht geschafft, wichtigste Informationen zum Einsatz und der Ermittlung intern weiterzugeben.“ Auch das belegen die Aufzeichnungen des Polizeihubschraubers: Die Polizei hat offenbar teilweise nicht richtig miteinander kommuniziert. (…)
Das neue Gutachten der Forensiker ist Teil der Ausstellung „Three doors“ . Darin zeigt Forsensic Architecture weitere Punkte rund um den Anschlag auf: So geht es auch um die möglicherweise verschlossene Notausgangstür am Tatort Arena Bar. Die Staatsanwaltschaft Hanau hatte entsprechende Ermittlungen eingestellt, unter anderem mit dem Hinweis, es sei nicht klar, ob die Opfer es überhaupt bis zu dieser Tür geschafft hätten. In einem Gutachten, das Angehörige im Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag präsentierten, kommt Forensic Architecture zum Schluss: Sie hätten es zum Teil schaffen können. Zwei der Opfer hätten demnach überleben können. Die Ausstellung, die sich auch mit dem Fall Oury Jalloh befasst, wird heute im Frankfurter Kunstverein eröffnet…“ Text und Audio des Beitrags von Heiko Schneider vom 2.6.2022 bei hessenschau.de - Beileidstourismus in Hanau: Starke Reden, große Versprechen, Fotos mit Opfern. Warum sahen so viele Politiker in Hanau aus wie Beileidstouristen?
„Über Hanau gäbe es so viel zu sagen: über Rassismus, Rechtsextremismus, das erneute Versagen der Sicherheitsbehörden, den Umgang mit den Opfern und ihren Hinterbliebenen, über Versprechen, über „lückenlose Aufklärung“, über Einzeltäter… Hanau ist aber viel mehr als alles, was darüber jemals geschrieben oder gesagt werden könnte. Sie sprengt jeden Wortschatz, bringt jede Sprache an ihre Grenzen – insbesondere Deutsch –, ähnlich wie nach NSU, Rostock-Lichtenhagen, Solingen, Mölln, Halle, München… Die Gedenkveranstaltungen wirken nicht mehr. Es sind zu viele geworden. Zu viele Nazi-Morde wurden seit dem ersten „Nie wieder“ nicht verhindert. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel 2012 lückenlose Aufklärung der NSU-Morde versprach, hat das noch Erwartungen geweckt. Dasselbe Versprechen in Hanau klang bedeutungslos. Vielleicht war Helmut Kohl 1993 einfach nur ehrlich. Viele Politiker gestern in Hanau sahen aus wie Beileidstouristen. Serpil Temiz Unvar, Mutter des in Hanau ermordeten Ferhat Unvar: „Es reicht nicht, dass man Interviews führt, dass man uns die Hände schüttelt, uns Beileid ausspricht und sich Politiker mit uns fotografieren lassen. Es ist noch nichts geschafft.“ Nichts.“ Kommentar von Ekrem Şenol vom 21. Februar 2022 im MiGAZIN - »Niemand will zugeben, welche Behörden und Strukturen versagt haben«. Die Opfer und ihre Namen ins Zentrum rücken: #SayTheirNames. Das gelingt der »Initiative 19. Februar Hanau« seit zwei Jahren
„Doch mit der Erinnerung müssen sich Aufklärung und Konsequenzen verbinden, „sagt Newroz Duman, Sprecherin der Initiative im Interview von Pro Asyl am 19. Februar 2022 : „Behörden und Gesellschaft müssen die Existenz von strukturellem Rassismus anerkennen und bekämpfen. (…) Die Initiative hat sich damals sehr schnell nach dem rassistischen Anschlag gebildet und auch diese zentralen Forderungen entwickelt. Seitdem arbeiten wir parallel an Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit und Konsequenzen. Wir erinnern an den 19. Februar und an die Tat. Aber mit der Erinnerung müssen sich Aufklärung, Aufarbeitung und Konsequenzen verbinden, sonst ist sie nicht vollständig. Wir müssen uns klar machen, was passiert ist, warum es nicht verhindert wurde und was die Gesellschaft damit zu tun hat. Und wir haben schon früh, 48 Stunden nach dem Anschlag, mit #SayTheirNames darauf gedrungen, die neun Opfer in den Mittelpunkt zu stellen, nicht den Täter. (…) Niemand hat sich zurückgezogen, seit zwei Jahren kämpfen sie kontinuierlich für Aufklärung, sprechen bei Veranstaltungen, geben Interviews, leisten Lobby-Arbeit und haben den Untersuchungsausschuss im Hessischen Landtag mit erkämpft. Und sie haben immer wieder Fragen gestellt an Politikerinnen und Politiker, Behörden und andere Beteiligte. Aber sie haben keine Antworten bekommen, niemand will zugeben, dass Fehler passiert sind, welche Behörden und Strukturen versagt haben: schon bei der ganzen Reihe von rassistischen Anschlägen vor Hanau, am Tatabend selbst und in den Wochen und Monaten danach. Deshalb ist die Öffentlichkeit unser stärkstes Instrument, alles, was wir inzwischen wissen, ist durch die Angehörigen und die Medien ans Tageslicht gekommen. (…) Der Umgang mit den Opfern und Angehörigen hat strukturelle Hintergründe. Struktureller Rassismus existiert, das müssen wir nicht mehr belegen…“ - [19.02.2022 – #HANAUISTÜBERALL] Zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen!
„Deutschland, wir glauben nicht mehr an dich“ ist der Beitrag von Amna Franzke, Vanessa Vu, Sara Tomšić, Mohamed Amjahid und Nadire Biskin am 17. Februar 2021 in der Zeit online getitelt. Der Untertitel lautet: „Ein Staat, der nicht schützt, eine Polizei, die nicht hilft, eine Gesellschaft, die nichts ändert. Hanau hat in vielen Menschen etwas zerstört – ihr Vertrauen.“ In den darn gesammelten Erlebnissen heißt es u.a.: „… Aber wie viel Kraft können solche Worte entfalten, wenn absolut nichts daraus folgt? Ich habe kein Vertrauen mehr in diese Worte. Ein halbes Jahr nach dem Terroranschlag in Hanau wurde den Opfern und Angehörigen ein angemessenes Gedenken verwehrt. Es sollte eine Großdemo durch Hanau ziehen. Das Ordnungsamt sagte kurzfristig mit Blick auf die steigenden Infektionszahlen ab. Am nächsten Abend spielte ein deutscher Popstar ein Konzert in Leipzig. In anderen Städten zogen in den Tagen Corona-Leugner durch die Straßen. Beim nächsten Attentat, denn es wird natürlich ein nächstes geben, werde ich nicht versuchen, Trost in leeren Worten zu suchen. Amna Franzke“
Vor diesem Hintergrund sind die im Dossier gesammelten aktuellen Informationen zum Gedenken am 19.02.2022 in Hanau und bundesweit zu betrachten:- Zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen!
„Say their names! Am 19. Februar ist der rassistische Anschlag in Hanau zwei Jahre her. Wir haben unsere Forderungen in die Öffentlichkeit getragen und mit euch gemeinsamen Druck entwickelt, um sie durchzusetzen. Für angemessene Erinnerung, soziale Gerechtigkeit, lückenlose Aufklärung und politische Konsequenzen. Aktuell sprechen wir im Untersuchungsausschuss vor dem Hessischen Landtag über das Versagen der Behörden vor, während und nach der Tat, über die Schwerfälligkeit der Ämter bei der Unterstützung und Hilfe, über die Kälte der Bürokratie. Wir sprechen über das unverzeihliche Fehlverhalten der Sicherheitskräfte in der Tatnacht, über die Unwilligkeit und Schludrigkeit von Staatsanwaltschaft und Polizei bei den Ermittlungen, bei der Verfolgung von Spuren, bei dem Ernstnehmen neuer Bedrohungslagen, bei unserem Schutz. Wir sprechen über die wiederkehrenden Respektlosigkeiten und herabwürdigenden Gesten von Beamt:innen, Vertreter:innen von Behörden und Polizei gegenüber Angehörigen und Überlebenden und selbst gegenüber den Toten. Wir sprechen über den Normalzustand von institutionellem Rassismus. (…) Schluss damit! Damit wir keine Angst mehr haben müssen, muss es politische Konsequenzen geben. Rassismus, egal in welcher Form, darf nicht mehr geduldet, verharmlost oder ignoriert werden. Wir geben keine Ruhe! (…)Wir fordern euch für den 19. Februar wieder dazu auf, an unserer Seite zu stehen! Wegen der Pandemie können wir nicht mit allen zusammenkommen, so wie wir es brauchen und uns wünschen. Organisiert deshalb auf den Straßen und Plätzen eurer Städte und Dörfer Kundgebungen, Demonstrationen, Gedenkaktionen! Für politische Konsequenzen! Wir stehen zusammen und kämpfen gemeinsam. Gegen die Angst. Für das Leben. Erinnern heißt verändern!“ Aufruf vom 19. Januar 2022 der Initiative 19. Februar Hanau und:- TWO YEARS. Mobi-Video der Initiative 19. Februar Hanau bei youtube
- Jahrestag 2022
„Am 19. Februar ist der rassistische Anschlag in Hanau zwei Jahre her.
Wir haben unsere Forderungen in die Öffentlichkeit getragen und mit euch gemeinsamen Druck entwickelt, um sie durchzusetzen. Für angemessene Erinnerung, soziale Gerechtigkeit, lückenlose Aufklärung und politische Konsequenzen…“ Aktionsseite der Initiative 19. Februar und ebd.: - 19.02.2022 – #HANAUISTÜBERALL
„An folgenden Orten finden am und um den 19. Februar 2022 Kundgebungen, Demos und Gedenkveranstaltungen statt. Diese Übersicht wird fortlaufend aktualisiert. Wenn ihr noch weitere Veranstaltungen plant oder Infos ergänzen wollt, meldet sie uns gerne via info (at) 19feb-hanau.org!…“ Überblick der Aktionen - Statement zum offiziellen Gedenken am 19.02.2022 in Hanau: „Wer eingeladen wird und wer nicht, das haben wir, die Familienangehörigen, nicht entscheiden können“
„Am 19. Februar wird um 11 Uhr am Hanauer Friedhof beim offiziellen Gedenken an Ferhat Unvar, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin erinnert.
Die Zahl der Anwesenden wird auf einen kleinen Kreis beschränkt sein. Wir werden am Samstag nicht mit allen, die wollen, gemeinsam auf dem Hanauer Friedhof sein können. Viele, die sonst an jedem 19. an unserer Seite sind, bleiben durch die Auflagen des Landes Hessen ausgeschlossen. Uns erreichen seit der kurzfristigen Bekanntgabe der Auflagen zahlreiche Nachfragen. Darauf zu reagieren fällt schwer und schmerzt. Wer eingeladen wird und wer nicht, das haben wir, die Familienangehörigen, nicht entscheiden können.
Die Veranstaltung auf dem Hanauer Friedhof wird im Hessen Fernsehen live übertragen.
In unseren Gedanken werden wir in diesem Moment bei unseren ermordeten Liebsten sein, die wir so sehr vermissen. Ihr alle, die vielen Freundinnen und Freunde, die den Verlust zusammen mit uns betrauern, werdet in Gedanken bei uns sein.
Wir hätten uns das anders gewünscht und wir werden trotzdem mit Euch zusammen kommen. Mit unseren Wortbeiträgen werden unsere Stimmen an den vielen Orten zu hören sein, an denen Gedenken stattfindet. Auf den Friedhöfen in Offenbach und Dietzenbach werden wir gemeinsam gedenken. Am Nachmittag ab 16 Uhr organisiert das Hanauer Jugendbündnis eine Demonstration, die am Marktplatz beginnt. Vor allem abends von 21:30 bis 22:30 Uhr an den beiden Tatorten am Heumarkt und am Kurt-Schumacher-Platz werden wir zusammen sein.“ Statement der Initiative 19. Februar Hanau vom 17. Februar 2022
- TWO YEARS. Mobi-Video der Initiative 19. Februar Hanau bei youtube
- Hört ihr noch zu? Zwei Jahre nach Hanau kämpfen die Hinterbliebenen weiter für ihre zentralen Forderungen: Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit, Konsequenzen
„Am 19. Februar jährt sich der rassistische Anschlag von Hanau zum zweiten Mal. Die Familien kamen in den vergangenen zwei Jahren so gut wie nie zur Ruhe. Immer wieder kritisierten die Angehörigen und Überlebenden die Kette des behördlichen Versagens unter der Leitfrage, ob der Anschlag hätte verhindert werden können. Die Frage ist rhetorisch. Denn: Ja! Der Anschlag hätte verhindert werden können. Wenn die rassistischen Anzeigen des Täters ernst genommen, ihm die Waffenbesitzkarte abgenommen worden wäre, wenn die Polizei Notrufe am Tatabend angenommen hätte, wenn wenn wenn … Über diese vielen »Wenns« haben wir Journalist*innen und Aktivist*innen schon ausführlich geschrieben und gesprochen. Noch wichtiger ist, den Angehörigen, den Hinterbliebenen genau zuzuhören, ihre zentralen Forderungen zu verstehen und diese zu unterstützen: Erinnerung, Aufklärung, Gerechtigkeit, Konsequenzen. Diese Forderungen stehen dabei in engem Zusammenhang mit der Thematisierung von strukturellem und institutionellem Rassismus. (…) Mit ausgestelltem Mitleid und Kränzen an Gedenktagen bleibt Unterstützung indes nur formell. Der Anschlag von Hanau war rassistisch motiviert. Daher wollen die Familien kein Mitleid, sondern dass sich etwas verändert, damit Rassismus und Rechtsextremismus nicht mehr toleriert und akzeptiert werden und potenziell tödliche Folgen haben können. Solidarität mit den Hinterbliebenen und Überlebenden von Hanau heißt, ihnen zuzuhören und ihre Forderungen als unsere eigenen anzusehen. Es bedeutet aber noch mehr: Nur dann, wenn den Familien weitere Sorgen erspart bleiben und ihnen auch in ihrem zerrütteten Alltag und in Zukunft Erleichterung und Unterstützung zuteil wird – psychosozial wie finanziell – kann für Gerechtigkeit gesorgt werden. Finanzielle Unterstützung benötigen auch die nach dem Anschlag entstandenen Selbstorganisierungen: die Initiative 19. Februar selbst und die von Ferhats Mutter Serpil Unvar gegründete Bildungsinitiative Ferhat Unvar, die allen Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und deren Eltern, die rassistische Erfahrungen im Alltag oder in der Schule machen, eine Anlaufstelle bieten soll. Auch das ist eine Art des selbstbestimmten Erinnerns: Mit ihrer Arbeit möchte Serpil Unvar das Gedenken an ihren Sohn aufrechterhalten…“ Artikel von Dîlan Karacadağ vom15. Februar 2022 aus dem ak 679 – siehe und nutze: 19feb-hanau.org/spenden/ - Zwei Jahre nach Hanau: Über Aufklärung hinaus kämpfen!
„Vor zwei Jahren, am 19. Februar 2020, wurden Vili Viorel Păun, Said Nesar Hashemi, Gökhan Gültekin, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov und Sedat Gürbüz von einem Rassisten ermordet. Zwei lange Jahre sind seitdem vergangen. Jetzt, kurz vor dem 19. Februar 2022, sind die Medien wieder voll mit Beileidsbekundungen und dem Ruf nach mehr Toleranz und “Diversity”. Der Antirassismus (Antira) ist im Mainstream angekommen. Die Antira-Bewegung der letzten Jahrzehnte hat ihn mit Beharrlichkeit und Kraft dorthin geschoben. Das ist aber gleichzeitig Fluch und Segen. Zeit also, die Linse zu schärfen. (…) Gerade beim Attentat in Hanau zeigt sich, wie wenig Menschen wirklich verstanden haben, wenn selbst diejenigen, die politisch für den Anschlag mitverantwortlich sind, unreflektiert zum Gedenken aufrufen. Für sie bedeutet Gedenken ein bloßes Erinnern und einen Kranz niederzulegen. Sie sehen nicht, dass Hanau Ursache einer Klassengesellschaft und eines Systems ist, in dem zwangsläufig ein oben und unten existieren. Hanau steht in einer Kontinuität zum Anwerbeabkommen, zum Asylrechtskompromiss und zum NSU-Komplex. Sie verstehen nicht, dass Hanau nicht als einzelner, abgekoppelter Einzelfall betrachtet werden kann, den es zu “lösen” gilt. Jeder einzelne Fall rassistischer und rechter Gewalt könnte wahrscheinlich umfangreicher aufgeklärt werden, wenn der Wille da wäre – doch selbst wenn, würden zu jedem aufgeklärtem Fall zehn neue dazu kommen. (…) Wir dürfen jedoch nicht glauben, dass das Zurücktreten von Politiker*in X oder die Versetzung von Beamt*in Y die Revolution herbeiführen wird. Wir dürfen uns nicht der Illusion hingeben, dass das System in sich gut funktioniert und nur hier und da sind noch ein paar Schönheitsfehler durch neues Personal oder Zusatzparagraphen zu beheben. Es kann nicht bei bloßer Aufklärung bleiben. Wir müssen für eine Gesellschaft kämpfen, die rechte Ideologien und Gewalt an den Wurzeln bekämpft – und die sitzen im Herzen des kapitalistischen Systems…“ Gastbeitrag der Migrantifa Berlin vom 18. Februar 2022 beim Lower Class Magazine - Zwei Jahre nach Hanau: Politische Bildungsarbeit auf dem Prüfstand
„… Im Gegensatz zu den vielen rassistischen Anschlägen und tödlichen Angriffen der Vergangenheit wurden die Opfer von Hanau und ihre Angehörigen jedoch nicht von den Medien unsichtbar gemacht, nicht stigmatisiert und – wie im Fall der NSU-Mordserie während der 2000er Jahre – vor allem nicht selbst zu Täter*innen erklärt. Auch wurde der eigentliche Täter diesmal nicht medial als verwirrter unpolitischer Einzelgänger abgetan. Und es gab diesmal weniger Versuche die Motive des Täters identifikatorisch nachvollziehbar zu machen, wie es im Fall des weiblichen NSU Mitglieds bis zur Absurdität betrieben wurde. Dies ist zum größten Teil der Verdienst der Angehörigen und Initiativen vorheriger Anschläge, die diese akribisch recherchiert und öffentlich skandalisiert hatten und dabei zu Bewusstsein brachten, welche zentrale Stellung den Stimmen der Betroffenen in der Aufarbeitung gebühren müsste. (…) Passiert ist auch dies: Am dritten Tag nach dem Anschlag wurde eine weitere Bühne auf dem Freiheitsplatz in Hanau errichtet. Im Anschluss an eine bundesweite Demonstration mit mehreren tausend Teilnehmenden sprachen dort bereits Freund*innen und Familienmitglieder der Opfer und teilten ihren Schmerz mit der solidarischen Öffentlichkeit vor Ort. Was bei vergangenen Anschlägen Jahre, manchmal gar Jahrzehnte an Durchsetzungskämpfen brauchte, schien nun innerhalb von wenigen Tagen möglich: Die Stimmen der Betroffenen standen zentral, sie wurden nicht wie İbrahim Arslan es schrieb zu «Statist*innen ihrer eigenen Geschichte» gemacht. Sie fanden zusammen. Und nicht nur sie. Betroffene anderer Anschläge meldeten sich, wie etwa der Betreiber des Kiez-Döners in Halle, dem Tatort des Naziterroranschlags von Oktober 2019; ebenso Candan Özer, die Witwe eines später verstorbenen Opfers der NSU-Nagelbombe auf der Kölner Keupstraße; es sprachen Überlebende des rassistischen Brandanschlags von Duisburg 1984; ein migrantischer Aktivist und Betroffener rassistischer Gewalt aus Berlin-Neukölln; eine migrantische Sprecherin des Netzwerks Kein Schlussstrich; jemand von der Hamburger Initiative für die Aufklärung des Mordes an Süleyman Taşköprü; Vertreter*innen der DIDF-Jugend; zwei Mitglieder von der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland; ebenso ein aktivistischer Rom von Amaro Drom; außerdem Vertreter*innen der Initiative 6. April in Kassel sowie desTribunal NSU-Komplex auflösen. Es ist deutlich: Die migrantischen Gruppen und Akteur*innen, die sich in den vorausgegangenen Jahren um die Perspektive der Betroffenen organisiert hatten, waren vor Ort und machten aus ihren Erfahrungen heraus die Haltung stark, dass jedes Gedenken und alles antirassistische und antifaschistische Handeln nicht die Täter*innen zentral zu stellen habe, sondern jene, gegen die sich die Gewalt richtet und die sich seit jeher gegen diese wehren… „ Beitrag von Feben Amara, Rebecca Gotthilf, Efsun Kızılay, Lydia Lierke und Massimo Perinelli bei der Rosa Luxemburg Stiftung am 18. Februar 2022
- Zwei Jahre nach dem rassistischen Anschlag in Hanau: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen!
- Serpil Unvar hat vor dem Hanau-Untersuchungsausschuss gesprochen: „Es darf nicht bei Worten bleiben“
„Fast zwei Jahre ist der rechte Anschlag in Hanau her: Am 19. Februar 2020 wurden neun Menschen aus rassistischen Motiven getötet. Sie hießen: Ferhat Unvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kaloyan Velkov, Vili Viorel Păun und Fatih Saraçoğlu. Anschließend tötete der Täter seine Mutter und sich selbst. Seit dem Sommer 2021 beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des hessischen Landtags mit der sicherheitspolitischen Dimension des Falls. Sein Ziel ist es, herauszufinden, ob die Landesregierung und die Sicherheitsbehörden Fehler gemacht haben. Am Freitag, den 21. Januar, findet die 9. Sitzung des Untersuchungsausschusses statt, bei der auch drei Zeug*innen aus dem Kreis der Angehörigen der Hanauer Mordopfer zu Wort kommen. Die Rede von Serpil Unvar, der Mutter von Ferhat Unvar, veröffentlichen wir hier…“ Die Rede von Serpil Unvar am 21.1.2022 in der taz online – siehe zum Untersuchungsausschuss auch #UNAhanau auf Twitter - Täter-Opfer-Umkehr beklagt: Überlebende und Angehörige vor Untersuchungsausschuss zum Anschlag von Hanau. Gutachten widerlegt Darstellung der Staatsanwaltschaft
„Said Etris Hashemi ist sich sicher: »Wenn der Notausgang nicht verschlossen gewesen wäre, hätten wir eine Chance gehabt, dem Täter zu entkommen.« Gemeinsam mit seinem Bruder Said Nesar hatte Hashemi am 19. Februar 2020 in der »Arena-Bar« in Hanau gesessen und Fußball geschaut, als der faschistische Attentäter Tobias Rathjen zuerst in den benachbarten Kiosk feuerte und anschließend in die Shishabar stürmte. Der 21jährige Nesar Hashemi wurde von zwei Kugeln tödlich in den Rücken getroffen, auch zwei weitere Barbesucher starben. Etris Hashemi überlebte schwerverletzt mit einem Schuss in den Hals. Am Montag sagte er als Zeuge bei der dritten öffentlichen Anhörung des parlamentarischen Untersuchungsausschusses des Hessischen Landtags in Wiesbaden aus. Als der Täter in den angrenzenden Kiosk zu schießen begann, habe es zwei Optionen für die Menschen in der »Arena-Bar« gegeben, führte Hashemi aus: sich nach hinten in den Barraum zurückzuziehen oder in Richtung des Notausgangs. »Aber wir wussten: Der Notausgang ist zu.« Hashemi legte dem Ausschuss ein Gutachten der an die Universität London angebundenen Rechercheagentur Forensic Architecture vor. Die Zeit hätte ausgereicht, dass vier der fünf Menschen, die in der Bar waren, sicher hätten fliehen können und der fünfte wahrscheinlich, wenn der Notausgang offen gewesen wäre. So lautet das Fazit des Gutachtens, für das eine Rekonstruktion des Tathergangs in der »Arena-Bar« vorgenommen worden war. Dies widerspricht der Darstellung der Hanauer Staatsanwaltschaft. Diese hatte gemutmaßt, die Gäste seien beim Erkennen der Gefahr nicht in Richtung Notausgang geflohen, aus Angst, dem Täter in die Arme zu laufen oder im Gang angegriffen zu werden. Mehrere Überlebende und Hinterbliebene hatten wegen des versperrten Ausgangs Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung gestellt. So kursierte unter Besuchern der Bar das Gerücht, der Barbetreiber habe den Ausgang in Absprache mit der Polizei verriegelt, um im Falle von Polizeirazzien oder Kontrollen des Ordnungsamtes einen Fluchtweg zu versperren. Die Staatsanwaltschaft fand für solche Absprachen keine Belege und stellte im August 2021 ihre Ermittlungen wegen des versperrten Notausgangs ein, da kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten festzustellen sei. Etris Hashemi berichtete dem Untersuchungsauschuss, wie er kurz nach seiner Entlassung aus dem Krankenhaus einer sogenannten Gefährderansprache durch die Migrationsbeauftragte des Polizeipräsidiums Südosthessen unterzogen wurde. Dabei ging es um den angeblich notwendigen Schutz von Hans-Gerd R., dem Vater des Attentäters. Er frage sich, wer in diesem Land eigentlich wen schütze, beklagte Hashemi eine Täter-Opfer-Umkehrung. Er fühle sich vielmehr von Hans-Gerd R. bedroht, der sich mehrfach drohend geäußert habe und das rassistische Weltbild seines Sohne teile. Auch Armin Kurtovic, Vater des ermordeten Hamza Kurtovic, berichtete dem Ausschuss von einer solchen Gefährderansprache, in der seine Familie von der Polizei ermahnt worden sei, keine Rache an Hans-Gerd R. zu nehmen. (…) Vergangene Woche hatte die Generalbundesanwaltschaft ihre Ermittlungen wegen des rassistischen Anschlages von Hanau eingestellt…“ Artikel von Nick Brauns in der jungen Welt vom 21. Dezember 2021 - Der Tod des Ferhat Unvar: Hätte er gerettet werden können? Staatsanwaltschaft sieht kein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten von PolizeibeamtInnen
„… Es ist der 19. Februar 2020, kurz nach 22 Uhr, als der Attentäter von Hanau neun junge Menschen erschießt. Er tötet auf der Straße, auf einem Parkplatz, in drei Bars, in einem Kiosk. Sechs weitere Personen verletzt er. Zu Hause erschießt der 43-Jährige seine Mutter und sich selbst. Zurück bleiben Überlebende und Hinterbliebene, die Zweifel haben und Misstrauen hegen. Sie stellten Strafanzeige, weil der Notruf in jener Nacht besetzt und ein Notausausgang versperrt gewesen sei. In beiden Fällen stellte die Staatsanwaltschaft Hanau die Ermittlungen ein. Nun erklärt sie auch die Ermittlungen, die den Tod des Ferhat Unvar näher beleuchten sollten, für abgeschlossen. Der 23-Jährige wurde im Kiosk 24/7 am Kurt-Schumacher-Platz von Schüssen getroffen und konnte sich hinter den Tresen ziehen. So belegen es Aufzeichnungen einer Videokamera. Ferhat Unvar blieb dort regungslos liegen. Hätte er gerettet werden können? (…) Angehörige und Überlebende erhoben im März Dienstaufsichtsbeschwerde. Die Polizeibeamten, die als Erste das Geschäft betraten, seien einfach davon ausgegangen, dass Ferhat Unvar tot sei. In der Beschwerde heißt es: »Weder überprüften sie die Vitalfunktionen von Ferhat Unvar, noch trafen sie lebensrettende Maßnahmen zur Erstversorgung, noch alarmierten sie zeitnah unter Hinweis auf seine äußerst lebensbedrohliche Situation (Brust-/Bauchdurchschussverletzung) den Sanitätsdienst.«Einer der Polizisten sei zudem dreimal über Ferhat Unvar hinweggestiegen, um das Fenster gegen Blicke von außen abzuschirmen, »ohne sich auch nur einmal kurz über seinen Zustand zu vergewissern«. Der Notarzt, der eine Prüfung der Vitalfunktionen vorgenommen habe, habe für eine Erstversorgung zu spät nach Ferhat Unvar gesehen, sagen die Hinterbliebenen und Überlebenden. (…) Nach dem Ergebnis der Vorermittlungen bestehe jedoch »kein Anfangsverdacht einer Straftat«, sagt Oberstaatsanwalt Dominik Mies. Ein »strafrechtlich relevantes Fehlverhalten von Polizeibeamtinnen und -beamten« könne nach »umfangreicher Prüfung« der Staatsanwaltschaft Hanau und des Hessischen Landeskriminalamtes nicht festgestellt werden…“ Artikel von Julia Jüttner vom 18. November 2021 beim Spiegel online - Hanau: Verfahren wegen verschlossenen Notausgangs der Shisha-Bar eingestellt
„Die Staatsanwaltschaft Hanau hat ein Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem rechtsextremistischen Anschlag vom 19. Februar 2020 eingestellt. Die Behörde hatte wegen eines zum Tatzeitpunkt verschlossenen Notausgangs in einer Shisha-Bar ermittelt. Dieses Verfahren wurde nun mangels eines hinreichenden Tatverdachts eingestellt, wie die Staatsanwaltschaft Hanau am Donnerstag mitteilte. Weil der Notausgang der Shisha-Bar verschlossen war, konnten sich die Gäste nicht vor dem rechtsextremen und rassistischen Hanauer Attentäter in Sicherheit bringen. (…) Zwei Überlebende des Anschlags und drei Angehörige eines Opfers hatten Anzeige wegen des versperrten Notausgangs gestellt. Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten der beiden Beschuldigten sei nach umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft und des Hessischen Landeskriminalamtes nicht festgestellt worden, teilte die Staatsanwaltschaft weiter mit. Die Anzeigeerstatter hatten den Vorwurf der fahrlässigen Tötung erhoben. In der Bar habe es nach baulichen Veränderungen an einem Fluchtweg gefehlt, der vom Eingang weg und nicht zum Eingang hinführe. Darüber hinaus sei der Notausgang am Abend des Anschlags wie in den zwei vorangegangenen Jahren von innen so abgeschlossen gewesen, dass er nicht ohne einen Schlüssel habe geöffnet werden können. Zudem gebe es Anhaltspunkte dafür, dass Polizeibeamte von dem zugebauten ursprünglichen Fluchtweg und dem verschlossenen Notausgang der Bar gewusst hätten. Anschuldigungen zufolge war die Tür sogar auf Anordnung der Polizei hin verschlossen…“ Meldung vom 27.08.2021 beim Migazin - „Hanau-Untersuchungsausschuss“ zu rassistischen Morden nimmt Arbeit auf
„Das Gremium im Hessischen Landtag soll klären, was die Behörden über den Attentäter wussten, wieso er legal an Waffen kam und warum die Notrufnummer nicht erreichbar war (…) Das Gremium soll nicht nur klären, warum der Notruf nicht erreichbar war, sondern beispielsweise auch, wieso Tobias Rathjen legalen Zugang zu Waffen hatte und was die Sicherheitsbehörden zu welchem Zeitpunkt über ihn und seinen Vater wussten…“ Artikel von Claudia Wangerin vom 14. Juli 2021 in Telepolis - Die Opfer von Hanau klagen an. Es gibt Hinweise auf polizeiliches Fehlverhalten nach dem Anschlag. Nun kommt ein Untersuchungsausschuss
„… Nun wird sich ein Untersuchungsausschuss im Wiesbadener Landtag näher mit den Hintergründen beschäftigen. Dazu werden die Oppositionsfraktionen von SPD, FDP und Linkspartei am Mittwoch einen Antrag einbringen. »Seit der schrecklichen Tat sind immer mehr Details bekannt geworden, die Fragen aufwerfen. Vieles ist bisher unklar und widersprüchlich«, erklärte dazu die SPD-Fraktionsvorsitzende Nancy Faeser. Man schulde den Angehörigen der Ermordeten diese parlamentarische Aufklärung, damit sie wenigstens die Chance erhalten würden, mit dem grauenvollen Geschehen zurechtzukommen, sagte die Sozialdemokratin. Nicht mit dabei ist die rechte AfD, die immerhin 17 Abgeordnete stellt. Politiker der AfD wie der Bundestagsabgeordnete Gottfried Curio hatten gesagt, dass der Täter eine Psychose habe. Deswegen habe er nicht »wahnfrei« aus politischen Motiven handeln können. Dabei hatte der Attentäter in einer Art Manifest geschrieben, dass ganze »Völker« vernichtet werden sollten. Die Fraktionen der Regierungsparteien CDU und Grüne haben nach den Worten von Nancy Faeser bereits Zustimmung zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses signalisiert, obwohl dann auch Politiker aus den eigenen Reihen unter Beschuss stehen werden. (…) Noch schwerer wiegt, dass es viele Hinweise auf ein rechtsradikales Netzwerk in der hessischen Polizei gibt. Im Juni verkündete Beuth, dass das Spezialeinsatzkommando (SEK) Frankfurt am Main aufgelöst wird. Denn es war eine Chatgruppe mit mehr als 20 Frankfurter Beamten aufgeflogen, in der rechtsradikale Inhalte geteilt worden sind. Später teilte Beuth dann bei einer Sitzung des Innenausschusses des Landtags mit, dass 13 der beschuldigten SEK-Polizisten am Tatabend des rassistischen Anschlags von Hanau in der Stadt im Dienst waren. Der Ausschuss wird diesen Polizeieinsatz genauer unter die Lupe nehmen. Ebenso wollen die Abgeordneten wissen, welche Informationen die hessische Landesregierung und die Behörden über den Täter und dessen Vater hatten und wie damit umgegangen wurde...“ Artikel von Aert van Riel vom 06.07.2021 im ND online - Anschlag von Hanau: Kein Ermittlungsverfahren gegen Polizei, obwohl Notruf nicht erreichbar war
„Der Notruf war bei dem Anschlag von Hanau zeitweise unterbesetzt. Trotzdem leitet die Staatsanwaltschaft kein Ermittlungsverfahren gegen die Polizei ein. Sie sieht keinen Zusammenhang mit dem Tod von Vili Viorel Păun, der den Attentäter verfolgt hatte. (…) Der Vater des Anschlagsopfers Vili Viorel Păun wirft den verantwortlichen Beamten fahrlässige Tötung vor. Sein Sohn hatte den Attentäter verfolgt und dabei immer wieder erfolglos versucht, die Polizei zu alarmieren. Păun wurde von Tobias R. in seinem Auto erschossen. Ein von der Staatsanwaltschaft eingeleitetes Prüfverfahren kommt jetzt zu dem Ergebnis: Ein strafrechtlich relevantes Fehlverhalten von Polizisten der Station Hanau I könne nicht festgestellt werden. Die Behörde lehnte vor anderthalb Wochen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens wegen der „Nichterreichbarkeit des polizeilichen Notrufes am 19. Februar 2020 mangels eines strafprozessualen Anfangsverdachtes“ ab, wie sie am Montag mitteilte…“ Meldung vom 06.07.21 bei hessenschau.de - Konsequenzen! Familien konfrontieren das Hessische Innenministerium
„Anwälte der Familien der Opfer, sowie von mehreren Verletzten des 19. Februar in Hanau konfrontieren das Hessische Innenministerium: Amtspflichtwidrige Versäumnisse und Entscheidungen von Polizeibehörden und Staatsanwaltschaft werden detailliert aufgelistet; Dienstaufsichtsbeschwerde wurde erhoben und Amtshaftung geltend gemacht. Im Auftrag der Familien der Opfer und mehreren Verletzten des rassistischen Terroranschlages vom 19. Februar 2020 in Hanau haben der ehemalige hessische Justizminister, Rechtsanwalt Rupert von Plottnitz, sowie der Staatsrechtler Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg am vergangenen Montag gemeinsam ein Aufforderungsschreiben an das Hessische Innenministerium gerichtet. In dem Schreiben werfen sie Polizeikräften und Polizeibehörden in Hessen vor, die Mordtaten des Täters in Hanau durch amtspflichtwidrige Versäumnisse begünstigt bzw. nicht verhindert zu haben. (…) Vor dem Hintergrund dieser Vorwürfe erheben die Vertreter der Familien Dienstaufsichtsbeschwerde und setzen dem Hessischen Innenministerium eine Frist bis 23. April 2021, die durch die genannten Versäumnisse verursachten materiellen und immateriellen Schäden auszugleichen…“ Pressemitteilung vom 24. März 2021 bei der Initiative 19. Februar Hanau , siehe auch:- Absage an Hessen: Die Angehörigen und Überlebenden von Hanau legen Beschwerde gegen Hessen ein. Sie werfen den Behörden Uneinsichtigkeit und mangelnde Aufklärung vor.
„Es war Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der im vergangenen Jahr eine „lückenlose Aufklärung“ der rassistischen Morde in Hanau forderte. Doch es sind wieder die Familien der neun Opfer und die Überlebenden des Anschlags selbst, die diese Aufklärung weiter antreiben müssen, damit sie nicht in Vergessenheit gerät. Denn zu viele Fragen sind immer noch offen. Eine ganz zentrale lautet: Warum wurde die Tat von den Sicherheitsbehörden nicht verhindert? Diese Frage liegt nun auch der Dienstaufsichtsbeschwerde zugrunde, die die Familien an diesem Montag gegen das Land Hessen erhoben haben. In einem Schreiben ihrer Anwälte an das hessische Innenministerium werden die polizeilichen Versäumnisse detailliert aufgelistet, welche die Tat nicht nur nicht verhindert, sondern teilweise auch begünstigt haben: Der unterbesetzte Polizeinotruf etwa, den Vili Viorel Păun dreimal angerufen und nicht erreicht hatte, bevor er den Täter selbst verfolgte und von diesem erschossen wurde. Der verschlossene Notausgang der Arena Bar, von dem die Behörden wussten und durch den sich mehrere Menschen hätten retten können. Die Videoaufzeichnung aus dem Arena Kiosk nebenan, welche zeigt, dass die eintreffenden Polizisten die Vitalfunktionen des anscheinend zu diesem Zeitpunkt noch lebenden Ferhat Unvar nicht überprüften, sondern einfach über seinen Körper hinwegstiegen. Hinzu kommt die Verletzung des Totenfürsorgerechts der Familien, die ihre toten Angehörigen weder vor der Obduktion sehen durften noch darüber informiert wurden, wo die Leichname sich befanden und dass diese obduziert werden würden. (…) Doch ungeachtet der Konsequenzen, die aus der Dienstaufsichtsbeschwerde folgen oder nicht folgen werden: Dieser Schritt der Familien und Überlebenden ist auch als eine Art Absage zu lesen. Eine Absage an das Land Hessen, welches sich mit dem Fokus auf den Einzeltäter aus der eigenen Verantwortung zu ziehen versucht. Und eine Absage an den Glauben, dass mit groß inszenierten Gedenkfeiern und Kranzniederlegungen die Opfer ausreichend gewürdigt worden seien. Die einzig akzeptable Würdigung dagegen – so betonen es die Angehörigen immer wieder – wäre, dafür Sorge zu tragen, dass sich Hanau nicht wiederholen kann. Und solange die Behörden ihre Fehler nicht sehen und aufarbeiten, wollen sie auch nicht aus ihnen lernen.“ Artikel von Fatma Aydemir vom 24. März 2021 in der taz online
- Absage an Hessen: Die Angehörigen und Überlebenden von Hanau legen Beschwerde gegen Hessen ein. Sie werfen den Behörden Uneinsichtigkeit und mangelnde Aufklärung vor.
- Angehörige und Überlebende fordern unabhängige Untersuchungskommission
„… Im Namen der Familien der Opfer von Hanau fordern wir eine unabhängige Untersuchungskommission, um den Komplex des terroristischen Anschlags vom 19. Februar 2020 in Hanau unabhängig von der Landesregierung zu untersuchen und dazu einen faktenorientierten Abschlussbericht für die Öffentlichkeit zu erstellen. Diese Kommission sollte mit Fachleuten aus den Bereichen Kriminologie, Forensik, Strafrecht, öffentliches Recht, sowie mit unabhängigen Vertreter:innen aus Anwaltschaft und Medien, aus Polizeigewerkschaft, Staatsanwaltschaft oder ehemalige Richter:innen und auch Parlamentarier:innen, die aber nicht aus Hessen kommen sollten, besetzt sein. (…) Begründung: Von den verantwortlichen Stellen in Hessen wird bislang jegliche ernsthafte Aufklärung von bekannten und noch nicht öffentlich bekannten, jedoch offensichtlichen Fehlern und Unzulänglichkeiten vor, während und nach der Tat abgelehnt, jedes mögliche Behördenversagen negiert sowie entsprechende Aufklärung aktiv blockiert. Dieses Verhalten der hessischen Landesregierung von Ministerpräsident Volker Bouffier und Innenminister Peter Beuth sowie die Verweigerung einer geordneten Aufklärung grenzt an Vertuschung. Die Motive für dieses in einem Vorfall dieser Größenordnung hoch ungewöhnlichen Verhaltens ist unerklärlich und verstärkt den Verdacht, dass die hessische Landesregierung Vorgänge und Sachverhalte vor der Öffentlichkeit verbergen will, die durch diesen Anschlag ans Tageslicht kommen und die hessische Landesregierung politisch und rechtlich schwer belasten könnten. Die hessische Landesregierung und die ihr untergeordneten Behörden sind in diesem Verfahren Partei, da es um ihre möglichen Versäumnisse geht, und da sie an Aufklärung erkennbar nicht interessiert sind. Deshalb ist es unumgänglich, dass Fachleute und Institutionen, die keinerlei Abhängigkeiten von oder Beziehungen zu der Landesregierung Hessen haben, den Komplex des Terroranschlags von Hanau aufarbeiten. Der Landesregierung muss angesichts ihrer Untätigkeit über ein Jahr nach dem schrecklichen Anschlag weitgehendes Versagen und mögliches Vertuschen attestiert werden. Denn viele offenen Fragen bezüglich der im Ergebnis tödlichen Kette behördlichen Versagens sind seit Monaten bekannt, und dennoch wird von der Landesregierung alle Kritik totgeschwiegen, bagatellisiert oder aktiv abgeblockt. So verstärkt sich der Verdacht, dass hier in Hessen einmal mehr etwas vertuscht werden soll, wie es in Hessen seit den Taten des NSU, immer wieder zu erleben und zu beklagen ist. Dieses Mal allerdings wollen und werden wir es nicht zulassen, dass unsere berechtigten Fragen und unsere sachliche Kritik ignoriert werden und dass behördliches sowie polizeiliches Versagen unter den Teppich gekehrt werden kann. Mit der geforderten unabhängigen Untersuchungskommission setzen wir uns für ein weiteres, von Hessen unabhängiges Gremium ein, damit die Fehler dieses schrecklichen Anschlages ohne Rücksicht auf mögliche schwere Versäumnisse der Landesregierung aufgearbeitet werden kann. Das Ziel ist, dass keine Familie erneut erleben muss, was wir erleiden müssen.“ Forderung der Initiative 19. März Hanau vom 9. März 2021 - Hinterbliebene fordern lückenlose Aufklärung. Angehörige von Hanauer Opfer: „Verhalten der Polizei macht fassungslos“
„In wenigen Tagen jährt sich der rassistische Terroranschlag von Hanau. Die Hinterbliebenen der Opfer machen der Polizei schwere Vorwürfe: Sie informiere sie noch immer nicht umfassend über die Tatnacht. Die Schwester des aus rassistischen Motiven in Hanau ermordeten Hamza Kurtovic, Ajla Kurtovic, hat die Ermittlungsbehörden aufgefordert, ihrer Verantwortung voll nachzukommen: „Wir Angehörigen wünschen, dass die Tat lückenlos aufgeklärt wird“, betonte sie am Donnerstag bei einer Veranstaltung des Mediendienstes Integration. (…)Die Angehörigen wollen nach Aussage von Kurtovic erfahren, was in der Tatnacht genau passierte; was davor geschah, als der Täter ein Manifest im Internet veröffentlichte; und wie er ein Schießtraining in der Slowakei abhalten konnte, ohne dass deutsche Behörden das registrierten. Überlebende berichteten außerdem, die Polizei sei damals überfordert gewesen. „Ich vertraue auf den Rechtsstaat, dass er alles tut, um solche Taten zu verhindern“, sagte Kurtovic: „Aber das Vertrauen wird immer wieder auf eine sehr harte Probe gestellt.“ Beamte hätten ihren Eltern in der Nacht vom 19. auf 20. Februar vergangenen Jahres auf Nachfrage zudem nicht mitgeteilt, dass ihr Bruder tödlich verwundet in einem Krankenhaus lag und schon kurz nach Mitternacht gestorben war. Auf Anfragen habe die Polizei abweisend reagiert. Stattdessen habe sie die Angehörigen der Getöteten im Unklaren gelassen. „Das war eine unmenschliche Art und Weise, wie mit uns und den anderen Familien umgegangen wurde“, betonte Kurtovic. Den Leichnam ihres Bruders hätten sie erst eine Woche später in der Gerichtsmedizin sehen dürfen. „Bisher hat es kein Gesprächsangebot der Polizei und keine Entschuldigung gegeben“, sagte Kurtovic. „Das macht mich fassungslos.“ Nur die Generalstaatsanwaltschaft und das Bundeskriminalamt hätten im vergangenen Juni ein Gespräch mit den Angehörigen der Opfer geführt…“ Beitrag vom 11.02.21 bei hessenschau.de , siehe auch:- Das Problem heißt Rassismus! Der RAV gedenkt der Opfer von Hanau und fordert die lückenlose Aufklärung des Anschlags
„… Der Anschlag von Hanau ist kein Einzelfall. Er fügt sich ein in eine lange Reihe von rassistischen und antisemitischen Gewalttaten. Seit 1990 sind mindestens 213 Menschen Opfer dieses rechten Terrors geworden. Der Nährboden für Hass und Ausgrenzung wird in der Mitte der Gesellschaft gelegt. Die Erkenntnisse zu rechtsradikalen Strukturen in Polizei und Bundeswehr sind hierfür ein Beispiel. Rassismus ist kein Alleinstellungsmerkmal von AfD und anderen rechtsradikalen Organisationen. Solange Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und alle anderen Ideologien der angeblichen Ungleichwertigkeit von Menschen nicht in jeder Erscheinungsform geächtet werden, können sich auch zukünftig Täter als Vollstrecker eines mutmaßlichen ›Volkswillens verstehen. Schweigen ist keine Option. Wir wissen, dass in Hanau nicht nur individuelle, sondern auch strukturelle Fehler ursächlich dafür waren, dass der Täter so viele Menschen ermorden konnte. So war der polizeiliche Notruf für die Betroffenen nicht erreichbar; eine Rufumleitung war nicht eingerichtet, niemand wurde zurückgerufen, auch nicht Herr Păun, der den Täter verfolgte. Der Notausgang der Arena Bar war zudem verschlossen, wobei es jedenfalls Hinweise darauf gibt, dass dies auf polizeiliche Anordnung hin geschah. Sowohl der Täter als auch sein Vater hatten zuvor bereits mehrere Strafanzeigen erstattet, in denen sie etwa von »ständiger Ausländerkriminalität« und »Hochverrat an Deutschen« faselten. Beobachtet wurden sie nicht. Im Gegenteil: Der Täter war Mitglied in Schützenvereinen und erlaubterweise im Besitz von drei Schusswaffen. Der RAV fordert die lückenlose Aufklärung aller behördlichen Fehler und eine entschiedene Bekämpfung jeglichen staatlichen und strukturellen Rassismus. Den Angehörigen müssen alle Möglichkeiten gegeben werden, die Erlebnisse verarbeiten und ihr Leben neu aufbauen zu können. Ihnen und den Freund*innen der Ermordeten gilt unsere unbedingte Solidarität. Auch das heißt: Hanau ist überall.“ RAV-Pressemitteilung vom 12. Februar 2021 - Zu ein Jahr nach dem rassistischen Terroranschlag siehe unser Dossier: Nach Hanau: Weiter wie bisher. Rechte Banden sowieso, die „Mitte“ – auch
- Das Problem heißt Rassismus! Der RAV gedenkt der Opfer von Hanau und fordert die lückenlose Aufklärung des Anschlags
- Ein Jahr nach dem Attentat von Hanau: Tödliche Versäumnisse?
„Am 19. Februar 2020 tötete ein rassistischer Attentäter in Hanau neun Menschen. Die Politik versprach danach lückenlose Aufklärung und besseren Schutz. Doch ein Jahr später sind immer noch viele Fragen offen: Warum wurde eine Bar zur tödlichen Falle? Hat die Polizei rechtzeitig reagiert? Und wie kann es sein, dass der Täter, ein polizeibekannter psychisch kranker Anhänger von Verschwörungsideologien, legal Waffen besitzen konnte? Recherchen von MONITOR und HR offenbaren eine Kette von Pannen und Versäumnissen, die möglicherweise Menschenleben kosteten…“ Text und Video des Berichtes von Jochen Taßler, Herbert Kordes, Adrian Oeser und Marcin Wierzchowski im MONITOR vom 28.01.2021 beim WDR , siehe dazu: - Mord an neun Menschen: Attentäter von Hanau besaß zwei Waffenbesitzkarten – trotz Zwangseinweisung
„Beim Terroranschlag von Hanau ermordete ein Mann aus rassistischen Motiven neun Menschen. Die Ermittlungen werfen Fragen auf: Wie kam der Täter an die Waffen? Gingen Notrufe ins Leere? Warum war der Notausgang am Tatort geschlossen? Als ein rassistischer Attentäter am 19. Februar 2020 in Hanau neun Menschen ermordete, war der polizeiliche Notruf überlastet und nicht ausreichend besetzt. Das zeigen Recherchen des SPIEGEL, des ARD-Magazins »Monitor« und des Hessischen Rundfunks. Zahlreiche Zeugen kamen unter der Notrufnummer 110 nicht durch, darunter ein späteres Opfer. Die Ermittlungsakte der Bundesanwaltschaft dokumentiert zudem, wie der Täter, obwohl psychisch krank und polizeibekannt, über die Jahre drei waffenrechtliche Berechtigungen ausgestellt bekam…“ Artikel von Özlem Gezer, Bertolt Hunger und Timofey Neshitov vom 28.01.2021 beim Spiegel online - Hanau: Shisha-Bar-Notausgang war versperrt – offenbar auf Anordnung der Polizei
„Als der Hanau-Täter in der Shisha-Bar in Hanau wahllos Menschen erschoss, konnten die Gäste nicht fliehen. Jetzt wurde bekannt, dass der Notausgang versperrt war – offenbar auf Anordnung der Sicherheitsbehörden, damit Gäste bei Polizeikontrollen nicht fliehen. SPD fordert Aufklärung. (…) Brisant dabei ist, dass die Sperrung auf Anordnung der Polizei erfolgt sein soll, damit Gäste bei Polizeikontrollen keinen Fluchtweg haben. An diesem Tatort hatte der rechtsextremistische Attentäter im Februar 2020 zwei seiner insgesamt neun Opfer mit Migrationshintergrund erschossen. Angehörige der Opfer haben mit Hinweis auf den verschlossenen Notausgang Anzeige wegen fahrlässiger Tötung erstattet, weil sich die Gäste der Shisha-Bar deshalb nicht vor dem Todesschützen in Sicherheit bringen konnten. (…) In Medienberichten wurden Stammgäste der Bar mit der Aussage zitiert, die Tür sei auf Geheiß der Polizei verriegelt gewesen, um zu verhindern, dass sich Gäste bei Polizeikontrollen unbemerkt entfernen. Das zuständige Polizeipräsidium Südosthessen hat eine solche Anordnung aber dementiert…“ Meldung vom 20.01.2021 beim Migazin - Mehr Schutz gefordert: Mahnwache vor Haus des Hanau-Attentäters
„Angehörige und Freunde der Opfer des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau haben vor dem Haus des Täters protestiert. Sie forderten mehr Schutz durch die Polizei. Ein beschmiertes Gedenk-Graffiti in Frankfurt wurde inzwischen repariert. Dutzende Menschen demonstrierten am Dienstagnachmittag in Hanau vor dem früheren Wohnort des Attentäters des rassistisch motivierten Anschlags im Februar. Tobias R. hatte in Hanau neun Menschen mit Migrationshintergrund erschossen, danach seine Mutter und sich selbst. In dem Wohnhaus im Stadtteil Kesselstadt lebt noch immer sein Vater Hans-Gerd R. Die Redner, unter ihnen Angehörige und Freunde der Getöteten, forderten mehr Schutz durch die Polizei. Sie bezogen sich auf Medienberichte, wonach sich Hans-Gerd R. ebenfalls rassistisch geäußert und Verschwörungstheorien verbreitet hat. (…) Redner kritisierten, dass die Behörden die Angehörigen nicht über die Gefahr informiert hätten, die offenkundig vom Vater des Attentäters ausgehe. Sie warfen den Behörden Untätigkeit vor. Es sei schwer zu ertragen, dass gegen den Vater nicht entschieden vorgegangen werde. Hans-Gerd R. gilt in dem Verfahren als Zeuge. „Wenn sich das nicht ändert, müssen wir von 5 Uhr morgens bis 21 Uhr hier stehen, weil irgendwer dafür sorgen muss, dass sich ein rassistischer Anschlag nicht wiederholt“, sagte ein Redner. Man denke über eine Dauermahnwache vor dem Haus nach. (…) Hans-Gerd R. hatte unter anderem gefordert, dass alle Gedenkstätten, die an die Opfer des Anschlags erinnern, entfernt werden – Gedenktafeln in Hanau und das riesige Graffiti unter der Frankfurter Friedensbrücke. Er sieht darin Volksverhetzung. Dieses Graffiti war beschmiert worden, wie am Montag bekannt wurde. Aus dem ursprünglichen Schriftzug „Rassismus tötet“ machten Unbekannte „Kiffen tötet Gehirn!“. Die Polizei ermittelt wegen Sachbeschädigung. Inzwischen ist das Graffiti repariert, wie das verantwortliche Künstlerkollektiv am Dienstag auf Twitter mitteilte…“ Bericht vom 28. Dezember 2020 von und bei hessenschau.de mit kurzem Video - „Es gab oder gibt ein bundesweites Netzwerk“ hinter dem NSU-Trio
Caro Keller von NSU-Watch im Interview von Dominik Irtenkauf bei Telepolis am 28. Dezember 2020 „über die Arbeit der Organisation, rechtsextreme Strukturen und warum man sich auf die Behörden nicht verlassen kann: (…) Neonazis streben danach, ihre Ideologie gesamtgesellschaftlich umzusetzen, also ihre autoritäre, rassistische und antisemitische Vision einer „Volksgemeinschaft“ zu verwirklichen. Seit dem Nationalsozialismus gelingt ihnen das in Deutschland nicht mehr durch eine Massenbewegung oder durch Wahlen. Also gibt es bereits seit Ende des Nationalsozialismus Konzepte, die einen anderen Weg suchen, einen Weg über besonders krasse Gewalt und eben Terror. Jede Tat soll eine Botschaft sein an die Betroffenen aber auch an weitere Menschen, die bereit sind, rechten Terror auszuüben. Letzteren soll diese Tat zeigen, es ist Zeit loszuschlagen. Durch so eine Kettenreaktion möchte man, wie es immer heißt, „bürgerkriegsähnliche Zustände“ oder den sogenannten „Race war“ herbeiführen. Diesen gewinnt die extreme Rechte dann, so geht das Konzept weiter, und am Ende steht dann die „Volksgemeinschaft“. (…) Wie das Netzwerk genau funktioniert hat, wissen wir nicht. Das wurde von der Bundesanwaltschaft beim Prozess einfach ausgeblendet. Wir glauben nicht, dass es nur einige wenige Helfer für das NSU-Trio gegeben hat. Wir denken vielmehr, dass es ein bundesweites Netzwerk gab oder gibt. Aber, wie es genau funktionierte, wer was wusste, wie die Informationen weitergegeben wurden, wie die Ausspionierung funktioniert hat – das blieb ungeklärt. Aber eigentlich bin ich ganz optimistisch, dass wir das in den nächsten Jahren herausfinden werden. Wir reden von zehn Morden, von drei Sprengstoffanschlägen, von fünfzehn Banküberfällen, da muss es sich doch bei mindestens einem herausfinden lassen, wie das ganz konkret im Detail funktioniert hat, wer daran beteiligt war. Das wird der Schlüssel sein, das ganze Netz aufzuschließen. Da sind wir und andere dran. (…) Sollte man meinen. Ich sehe uns nicht in Konkurrenz mit den Behörden und ich sehe uns auch nicht an einem Strang ziehen, sondern wir sind unterschiedliche Akteur*innen. Aber wir stellen natürlich fest, dass die Behörden ihre Aufgabe – und als Aufgabe meine ich mal ganz grob: Leute davor zu schützen, dass sie in ihren eigenen Läden, Gotteshäusern oder auf der Terrasse erschossen werden -, dass sie diese Aufgabe nicht erfüllen. Und wenn sie das schon nicht schaffen, muss zumindest die Aufklärung umfassend sein. Der Prozess zum antisemitischen und rassistischen Anschlag von Halle zeigt wieder einmal, dass da Teile der Analyse von rechtem Terror immer noch fehlen. Wir können uns nicht auf die Behörden verlassen. Wir, auch als Gesellschaft, müssen Aufklärung und Solidarität mit den Betroffenen selbst in die Hand nehmen. Mit Appellen an den Staat kommt man nicht weit. Deshalb stecken wir unsere Aufgabe unabhängig von den Behörden ab. (…) Der NSU-Komplex ist ein Riesenbeispiel für institutionellen Rassismus. Das ist der Punkt unserer Arbeit: Wir beobachteten den NSU-Prozess, wir beobachten jetzt Prozesse, wir beobachten Untersuchungsausschüsse und sammeln dort das Wissen, schreiben auf, was in den Urteilen und Berichten dann vielleicht fehlt und geben dieses Wissen weiter…“ - Anschlag in Hanau: Vater des Attentäters stellt rassistische Anzeigen – und fordert Tatwaffen zurück
„Das Gedenken an die Opfer nennt er »Volksverhetzung« und will die Tatwaffen seines Sohnes zurück: Der Vater des Attentäters von Hanau erstattet mehrere Anzeigen rassistischen Inhalts gegen Behörden. Der Vater des Attentäters von Hanau hat in den vergangenen Monaten zahlreiche Anzeigen zum Teil rassistischen Inhalts gestellt, wie aus Unterlagen hervorgeht, die dem SPIEGEL vorliegen. So fordert der Mann, dass sämtliche Gedenkstätten, die an die Opfer erinnern, entfernt werden, da er darin »Volksverhetzung« sehe. Auch fordert H.-G. Rathjen, 73, die Tatwaffen und Munition seines Sohnes zurück und verlangt, dass dessen Internetseite wieder freigeschaltet wird. (…) Zurück in seinem Elternhaus erschoss er seine Mutter und sich selbst. Der Vater wurde kurz danach in dem Haus festgenommen, war kurz in psychiatrischer Behandlung und wurde verhört. Es fanden sich jedoch keine Anhaltspunkte für eine Verwicklung in die Tat seines Sohnes. Nun zeigt sich allerdings sehr deutlich, in welchem Ausmaß offenbar auch der Vater des Attentäters rechtsextrem inspirierten Verschwörungstheorien anhängt. Laut den Vernehmungsprotokollen, die dem SPIEGEL vorliegen, behauptet Rathjen senior, sein Sohn sei das Opfer einer weltweit agierenden Geheimdienstorganisation geworden. Agenten hätten seinen Sohn im Wald getötet und seine Leiche im Haus der Familie abgelegt. Währenddessen habe ein als sein Sohn verkleideter Agent die neun Morde begangen. (…) Wie bei seinem Sohn fällt bei Rathjen senior nicht nur der Verfolgungswahn auf, sondern auch seine rassistischen Äußerungen: Bereits im März 2017 verlangte er im Bürgerbüro der Stadt Hanau, nur von deutschen Mitarbeitern betreut zu werden. Er fragte, ob man hier in der Ausländerbehörde sei. Zu seiner Frau sagte er laut einem Vermerk in der Akte: »Stell dir mal vor, jetzt arbeiten hier Afrikaner, Polen und Türken!« Zur gleichen Zeit stellte Rathjen einen Antrag auf einen Schutzhund – er wolle sich gegen Ausländer schützen. Bereits wenige Wochen nach dem Attentat ging beim Generalbundesanwalt die erste Beschwerde von Rathjen senior ein. (…) Auf Anfrage, ob Ermittlungen gegen den Vater aufgenommen wurden, zum Beispiel wegen psychischer Beihilfe, teilte die Bundesanwaltschaft mit, dass sie zu keiner Zeit Ermittlungen gegen den Vater von Tobias R. geführt habe. Mit Blick auf das Anschlagsgeschehen hätten sich keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für ein strafbares Verhalten ergeben…“ Artikel von Özlem Gezer und Timofey Neshitov vom 15.12.2020 im Spiegel online - „Systemisches Rassismusproblem“: Scharfe Kritik nach Demo-Verbot in Hanau
„In rund 30 Städten haben Tausende an die Opfer des rassistisch motivierten Anschlags in Hanau gedacht. In Hanau selbst durften nur maximal 249 Personen eine kleine Kundgebung veranstalten. Die Stadt untersagte eine Großdemo wegen Corona. Im Netz hagelt es Kritik. Tausende Menschen haben am Samstag in rund 30 deutschen Städten – darunter Berlin, Hamburg, Hannover, Frankfurt am Main, Köln, Leipzig, Stuttgart und München – an die Opfer des rechtsextremistisch motivierten Anschlags vom 19. Februar in Hanau gedacht. Die zentrale Demonstration in Hanau selbst, zu der die Organisatoren bis zu 5.000 Menschen erwartet hatten, war allerdings am Abend zuvor von der Stadt untersagt worden. Lediglich eine Kundgebung „im kleinen Rahmen“ mit maximal 249 Personen war gestattet. Auf der Kundgebung auf dem Hanauer Freiheitsplatz wies Nevros Duman von der „Initiative 19. Februar Hanau“ Forderungen nach einem Zurück zur Normalität zurück. Zuvor müsse der alltägliche Rassismus überwunden werden. Duman kritisierte zugleich das Verbot der Demonstration durch die Stadt Hanau. „Wir dürfen hier nur mit 249 Menschen trauern, während um uns herum in der Fußgängerzone Tausende Menschen in aller Ruhe einkaufen oder draußen sitzen und Wein trinken“, rief sie aus…“ Meldung vom 24.08.2020 beim Migazin (der Rest nur im Abo) - Saying Their Names: Was die Familien der Opfer von Hanau zu sagen haben
„Am 19. Februar 2020 erschoss ein rechtsextremistischer Attentäter neun ihm unbekannte Menschen, tötete anschließend seine Mutter und beging dann Suizid. Die Familien der neun Opfer sind traumatisiert. Die meisten von ihnen suchten noch in der Nacht des Anschlags an den Tatorten nach ihren Kindern, Geschwistern, Cousins und Cousinen. Erst als die Polizei die Namen der Toten in den frühen Morgenstunden bekannt gab, hatte ihr Warten ein Ende. Heute, ein halbes Jahr nach dem Anschlag, fürchten die Familien, dass die Verstorbenen in Vergessenheit geraten. Und dass die Tat nie ganz aufgeklärt wird. Wir haben mit Angehörigen aus jeder Familie gesprochen. Mit Menschen, die Fragen haben. Menschen, die nach Antworten suchen. Manchen war es wichtig zu erklären, warum sie sehr wohl Deutsche sind, auch wenn das Attentat vom 19. Februar etwas anderes suggeriert. Andere fordern, Deutschland müsse endlich wach werden im Umgang mit Rassismus, sie fragen sich, wie viele Menschen noch sterben müssen, bis endlich etwas geschieht. Was alle eint, ist der Schmerz. Wir haben sie gefragt, wer der Mensch für sie war, der ihnen genommen wurde. Und wir haben sie gefragt, was Deutschland ihrer Meinung nach im Umgang mit Rassisten lernen muss. Es ist wichtig, dass wir ihnen zuhören. Die jeweils zweistündigen Gespräche haben wir zu Protokollen verdichtet und diese den Familien zur Autorisierung vorgelegt. Vom 19. August 2020 an, genau ein halbes Jahr nach dem Anschlag, werden wir jeden Tag eines der Protokolle veröffentlichen – in der Reihenfolge, in der wir die Gespräche geführt haben…“ Seit 19.08.2020 fortlaufend aktualisierte Protokolle von Franziska Bulban und Carolina Torres bei bento – unbedingt lesenswert!- Gedenkveranstaltung in Hanau: Vorwürfe an die Behörden
„Der Gedenkkundgebung in Hanau wurde eine Höchstgrenze von 249 Personen verordnet. Der Stream der Veranstaltung wurde in 50 Städten gezeigt…“ Bericht von Christian Jakob vom 22.8.2020 in der taz online - Sechs Monate nach Hanau: Eine Frage des Vertrauens
„Ohne Vertrauen kann eine Demokratie nicht funktionieren. Aber was, wenn man es verloren hat – so wie unsere Autorin nach dem Anschlag von Hanau?…“ Artikel von Lin Hierse vom 22.8.2020 in der taz online - 140 qm in Hanau gegen das Vergessen – Spendensammlung der Initiative bei betterplace.org
- Gedenkveranstaltung in Hanau: Vorwürfe an die Behörden
- Absage der Demonstration in Hanau und Aufruf zu dezentralen Übertragung der Kundgebung! Live-Stream ab 15 Uhr
„Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky hat uns eben mitgeteilt, dass die morgige Demonstration aufgrund der Entwicklungen der Corona-Zahlen von der Stadt Hanau verboten wird. Wir bedauern diese Entscheidung, weil wir wochenlang ein Hygiene-Konzept gemeinsam mit Stadt und Ordnungsamt entwickelt haben und den erwarteten Teilnehmer*innen ein verantwortungsvolles Verhalten zugetraut hätten. Die Absage am Freitag Abend lässt uns keine rechtlichen Möglichkeiten, die Entscheidung prüfen zu lassen. Dennoch sind wir keine Corona-Rebellen und folgen der Entscheidung. Wir werden morgen nicht gegen eine Corona-Verfügung mobilisieren. Die Mobilisierung nach Hanau ist abgesagt. Aber morgen soll es trotzdem nicht ruhig bleiben. Wir werden morgen unsere geplante Kundgebung – das Zentrum der geplanten Veranstaltung – mit Angehörigen, Freund*innen, Jugendlichen aus Kesselstadt und Betroffenen von Rassismus und Antisemitismus durchführen. Die Kundgebung wird morgen wie geplant von 15 Uhr bis ca. 17.30 Uhr auf dem Freiheitsplatz in Hanau stattfinden.Wir werden die Kundgebung streamen und das ganze Land soll sie hören. Audio oder Video. Der Link dazu folgt! Die Initiative ruft alle dazu auf, den Stream zu verbreiten und lokal zu unterstützen.Wir rufen alle dazu auf ihre Kanäle bereit zu halte, die Boxen aufs Fensterbrett zu stellen und kleine Veranstaltungen anzumelden…“ Pressemitteilung und Statement der Hanau der Initiative 19. Februar Hanau vom 21.08.20 22:40 , siehe dazu:- Wir fordern: Erinnerung, Gerechtigkeit, Aufklärung, Konsequenzen! LIVE-STREAM, ab 22.8. ab 15 Uhr bei youtube
- Verfolge für aktuelle Meldungen bei Twitter den Account der Initiative 19. Februar Hanau und #hu2208
- Letzte Informationen zur Anreise und Teilnahme an der Demonstration am 22. August in Hanau / Esther Bejarano mobilisiert im Video / „Schande“: Hamburger Polizei verhindert würdiges Gedenken an die Toten von Hanau
- SECHS MONATE NACH DEM 19. FEBRUAR: ERINNERUNG – GERECHTIGKEIT – AUFKLÄRUNG – KONSEQUENZEN!
Demonstration und Kundgebung in Hanau Samstag, 22. August 2020 / 13 Uhr Kesselstadt
„Sechs Monate nach den rassistischen Anschlägen findet in Hanau am Samstag, den 22.8.20 die Demonstration „Erinnerung – Gerechtigkeit – Aufklärung – Konsequenzen!“ statt. Das Motto verdeutlicht die Forderungen der Familienangehörigen, der Überlebenden und der Initiative 19. Februar Hanau. Newroz Duman von der Initiative 19. Februar führt dazu aus: „Wir fordern Aufklärung, weil die zuständigen Behörden seit Jahrzehnten auf den Rassismus nicht reagieren und eine Mitschuld tragen; Konsequenzen, damit die Rassisten entwaffnet und die Behörden grundlegend entnazifiziert werden; Gerechtigkeit, damit das Leid der Familien und Überlebenden anerkannt wird und sie die notwendige Unterstützung erhalten; Erinnerung, damit die Ermordeten niemals vergessen werden und so etwas nie wieder passiert.“ Serpil Unvar, die ihren Sohn Ferhat Unvar verloren hat: „Wir fordern Gerechtigkeit, weil es eine Entschädigung und Unterstützung für Familien und Überlebende geben muss. Wir haben nicht einmal Hilfen für einen Umzug bekommen – seit sechs Monaten müssen wir jeden Tag an der Wohnung des Täters und einem der Tatorte vorbeigehen. Ein Denkmal für unsere Kinder wird nicht ausreichen. Es muss eine Auseinandersetzung von klein auf, in Schulen und allen Institutionen mit Rassismus geben!“ Bereits am vergangenen Mittwoch, den 19.8. fanden in über 30 Städten Veranstaltungen und Kundgebungen zum Gedenken an die Ermordeten statt. Nun werden auch zur Demonstration am Samstag Busse und Bahnreisegruppen aus über 30 Städten erwartet…“ Pressemitteilung vom 21.08.2020 bei der Initiative 19. Februar Hanau - „Esther Bejarano, Auschwitzüberlebende und unermüdliche Aktivistin formuliert, warum sie es wichtig findet, am Samstag in #Hanau zu unserer Demonstration zu kommen. „Wir müssen aufstehen und alle gemeinsam gegen Rassismus kämpfen.“ #hu2208“ Tweet mit Video der Initiative 19. Februar Hanau am 20.8.
- „Schande“: Hamburger Polizei verhindert würdiges Gedenken an die Toten von Hanau
„Hamburger Polizei verhindert würdiges Gedenken an die Toten von Hanau / Veranstalter*innen widersprechen der Darstellung der Polizei scharf / „Schande“ und „ein besonders schäbiges Kapitel“ der Geschichte der Polizei Hamburg / Auch Schlagstöcke und Pfefferspray wurde gegen Demonstrant*innen eingesetzt
Die Hamburger Polizei hat gestern Nacht eine Gedenkdemonstration für die Toten des rechtsterroristischen Anschlags in Hanau weitgehend verhindert. Die Veranstalter*innen kritisieren den Polizeisatz scharf und widersprechen deutlich der bisherigen Berichterstattung. Die Gedenkdemonstration sollte um 18:00 Uhr am S-Bahnhof Veddel beginnen. Um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, teilten sich die Teilnehmenden in Blöcke zu je 50 Personen auf, hielten 1,5 Meter Abstand zueinander und trugen Mund-Nasen-Schutz. Doch die Hamburger Polizei ließ die Demonstration über Stunden nicht beginnen, da statt der 500 angemeldeten Teilnehmer*innen 800 gekommen waren. Das Abstands- und Hygienekonzept wurde weiterhin eingehalten. Zeitgleich nahmen an der Gedenkdemonstration in Berlin mindestens 2500 Menschen teil. Nach stundenlanger Verzögerung verließen zahlreiche Teilnehmer*innen die Versammlung. Dennoch verweigerte die Polizei weiterhin das Loslaufen. Den Veranstalter*innen blieb daraufhin keine andere Möglichkeit, als die Versammlung aufzulösen…“ Pressemitteilung vom 20.08.2020 vom Initiativkreis „Sechs Monate nach den rassistischen Morden von Hanau“
- SECHS MONATE NACH DEM 19. FEBRUAR: ERINNERUNG – GERECHTIGKEIT – AUFKLÄRUNG – KONSEQUENZEN!
- Sechs Monate nach rassistischem Anschlag in Hanau: Gedenken und Demonstrationen am Mittwoch, den 19.8.20. in Hanau und bundesweit
Am Mittwoch, den 19.8.20, 6 Monate nach den rassistischen Anschlägen und am Samstag, den 22.8.20 finden in Hanau und vielen Städten Gedenken und Demonstrationen statt. Die Übersicht der Initiative 19. Februar Hanau wird fortlaufend aktualisiert, siehe auch:- Sechs Monate nach rassistischem Anschlag Gemeinsames Erinnern in Hanau: Es ist schwer, es gibt Kraft
„Der rassistische Anschlag in Hanau erschütterte die Republik. Freiwillige und Angehörige erinnern an die neun Opfer in der „Initiative 19. Februar“ – aktuell bereiten sie die Großdemo am Samstag vor…“ Artikel von Heiko Schneider vom 19.08.2020 bei hessenschau.de
- Sechs Monate nach rassistischem Anschlag Gemeinsames Erinnern in Hanau: Es ist schwer, es gibt Kraft
- Am 22. August 2020 nach Hanau! Unterstützungsaufruf zur Demonstration gegen Rassismus und Rechtsextremismus
„Die Angehörigen der Opfer des rassistischen Terroranschlags vom 19. Februar in Hanau, Überlebende und UnterstützerInnen rufen für den 22. August 2020, sechs Monate nach dem gewaltsamen Tod von neun Menschen, zur Demonstration und Kundgebung nach Hanau auf. Die Hinterbliebenen, Verletzten und Überlebenden fordern: ein würdevolles, von ihnen gestaltetes Gedenken und Erinnern im öffentlichen Raum; Gerechtigkeit und Entschädigung; lückenlose Aufklärung der Tat und der Verantwortung staatlicher Behörden für das Attentat; dringend notwendige politische Konsequenzen in Hessen ebenso wie bundesweit.
Als Unterzeichner*innen dieses Aufrufs teilen wir diese berechtigten Forderungen der Betroffenen und rufen zur Teilnahme an dieser Demonstration auf.
Wir unterstützen den Gedenk- und Aktionstag in Hanau auch, weil uns die Situation und Auseinandersetzung dort, mitten in Hessen, exemplarisch erscheint. Zentrale Fragen der Angehörigen zum Vorgehen der Polizei und anderer staatlicher Institutionen vor, während und nach der Tatnacht bleiben unbeantwortet und auch ein halbes Jahr danach sind keinerlei politische Konsequenzen zu erkennen. Im Gegenteil: Der aktuelle Skandal um die Todesdrohungen des NSU 2.0 mit Informationen aus hessischen Polizeicomputern zeigt, dass mörderischer Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus weiter zunehmen und von Polizisten, Soldaten und Behörden toleriert oder gar unterstützt werden. Weder in Hanau noch in Halle oder in Kassel waren Einzeltäter am Werk, sondern Mörder, die sich durch rassistische Hetze ermutigt und bestätigt fühlen.
Wir wollen, dass die Forderung der Angehörigen und Überlebenden von Hanau überall gehört werden: „Wir wollen, dass Hanau keine Station von vielen ist, sondern die Endstation. Wir sagen ein halbes Jahr danach: Es muss sich endlich nicht nur etwas, sondern vieles in diesem Land ändern… Dass durch Taten und nicht nur Worte oder Kränze gezeigt, ja bewiesen wird, dass dieser Anschlag und dass Rassismus und Rechtsextremismus in diesem Land nicht geduldet, toleriert und akzeptiert werden.“ Wir schließen uns diesen Worten der Angehörigen aus Hanau an und rufen mit Ihnen dazu auf, sich am 19. August an dezentralen Gedenkaktionen zu beteiligen und dann am 22. August nach Hanau zu kommen.“ Unterstützungsaufruf , den das LabourNet Germany selbstverständlich bereits unterschrieben hat! - Demonstration und Kundgebung in Hanau finden statt am Samstag, 22. August 2020 / 13 Uhr Kesselstadt > 14 Uhr Freiheitsplatz
- Mobi-Video
- Siehe unter vielen anderen Beiträgen zu Hanau im LabourNet: Petition “Erklärung zu den Morden in Hanau” und Aufruf an die Gewerkschaften zu einer zehn-minütigen Arbeitsniederlegung für den 4. März 2020 um 11:50