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Eine linke Opposition in Venezuela formiert sich: Ehemalige Chavez-Minister rufen auf. Die Rechte verliert an Einfluss
Linke Opposition in Venezuela gibt es schon lange: Ob es Strömungen sind wie Marea Socialista oder streikende Stahlarbeiter, aufmüpfige Jugendliche oder Basis-GewerkschafterInnen. Auch wenn sie im Schatten stehen der rechten Massenmobilisierungen, letztere aufgrund der Wirtschaftskrise eine Zeit lang zunehmend erfolgreicher, in letzter Zeit eher abnehmend organisierten. Während aber mit der bürgerlichen Opposition der Dialog gesucht wird, gab es bisher in der Regel – zumindest seitdem Maduro Präsident ist – für linke Oppositionelle den Knüppel. Nun haben sich erstmals aber neben kleineren Gruppierungen und lokalen Widerstandsnestern prominente Linke, nämlich 4 ehemalige Minister der Regierung Chavez, mit einem linken Oppositionsprogramm zu Wort gemeldet – in einer Situation, in der die Rechte weiterhin provoziert und die Menschen echte Probleme haben – und zunehmend „weder die Einen noch die Anderen“ vertreten. Siehe dazu unsere kommentierte Materialsammlung „Linke Opposition in Venezuela, die Gewerkschaftsbewegung und die Krise“ vom 5. Januar 2017
„Linke Opposition in Venezuela, die Gewerkschaftsbewegung und die Krise“
2016: Eine Jahr der Wende? Wie weit marschiert die Rechte in Venezuela?
Dass das Jahr 2016 in Venezuela ein Jahr der Krise war, wird nun wahrlich niemand bestreiten. Darunter litt die linke Regierung, darunter litten vor allem die Menschen im Land, die zu kämpfen hatten, um zu überleben. Die nach den Wahlen vom Dezember 2015 so siegesgewisse Rechte Opposition – in der EU und ähnlichen reaktionären Zentren gemeinhin als Demokraten bezeichnet, obwohl die führenden Gestalten bestenfalls neoliberale Fanatiker sind – aber hat ebenfalls gelitten: Nichts von ihren großmäuligen Plänen hat geklappt.
„Das Jahr 2016 in Venezuela“ ist ein Interview von Yesenia Chapeta mit Javier Biardeau am 30. Dezember 2016 bei amerika21.de (in der Übersetzung von Eva Haule) worin der Soziologe unter anderem hervorhebt: „Ich würde sagen, die Opposition hat ebenso die Fähigkeit der Regierung Maduro zur Beschwichtigung der politischen Spannungen unterschätzt wie auch die Organisations- und Mobilisierungsfähigkeit der PSUV und der Verbündeten des Großen Patriotischen Pols, die es trotz einiger interner Widersprüche schafften, einen Grad an Zusammenhalt und Einheit aufrechtzuerhalten, der eine Schwächung oder signifikante Spaltung des Chavismus, den Bruch der Einheit der politischen Führung und auch einen Bruch der zivil-militärischen Einheit verhinderte. All dies sicherte eine positive Bilanz in der politischen Stabilität, die ein zerbrechliches Gleichgewicht der Kräfte aufrechterhielt, inmitten einer brutalen Verschlechterung der ökonomischen Lage mit ihren negativen sozialen Folgen“
„Eskalation in Venezuela“ von André Scheer am 28. Oktober 2016 in der jungen welt , worin der geplante – und faktisch gescheiterte – Generalstreik so berichtet wird: „In Venezuela sucht die rechte Opposition die Machtprobe mit der Regierung. Für den heutigen Freitag haben die Gegner von Präsident Nicolás Maduro zu einem »zwölfstündigen Generalstreik« aufgerufen. Eine Eskalation droht zudem am 3. November. Für diesen Tag hat das Rechtsbündnis MUD (Tisch der demokratischen Einheit) eine Demonstration zum Präsidentenpalast Miraflores im Zentrum von Caracas angekündigt. Das weckt Erinnerungen an den 11. April 2002, als Heckenschützen das Feuer auf einen solchen Demonstrationszug eröffneten. Diese Provokation diente damals reaktionären Militärs und rechten Politikern als Vorwand für den Putsch gegen Hugo Chávez. Dieser wurde durch einen Volksaufstand und das Eingreifen loyaler Teile des Militärs innerhalb von 48 Stunden vereitelt“
„Raum für vorsichtigen Optimismus in Venezuela“ von Steve Ellner am 27. Oktober 2016 in amerika21.de , worin zur Schwächung der rechten Opposition gesagt wird: „Ein Punkt ist, dass die Bemühungen der Opposition, die Barrios (ärmere Wohngebiete) zu durchdringen und Unterstützung der Bewohner für ihre Mobilisierung zu bekommen, bisher nicht erfolgreich waren. Das war sicherlich der Fall während der Guarimbas 2014, als die Opposition offensichtlich hoffte, dass die Proteste, sowohl der zivile Ungehorsam als auch gewalttätige Proteste und Mobilisierungen in von der Opposition kontrollierten Gegenden, sich weiter ausbreiten in ärmere, traditionell chavistische Viertel. Im östlichen Teil von Caracas und in anderen von der Opposition beherrschten Gemeinden im ganzen Land, waren diese Proteste stark, aber sie breiteten sich nicht in die Barrios aus. Und jetzt, im Jahr 2016 passiert dasselbe wieder. Die Opposition ist bei der Mobilisierung der Bewohner in den Barrios nicht erfolgreich gewesen“
„Los límites de la base golpista venezolana“von Marco Terrugi am 28. Oktober 2016 bei resumen Latinoamericano ist ebenfalls ein Beitrag, der von den Grenzen der rechten Opposition in Venezuela handelt – von den Klassengrenzen. Die mögen zwar bei weitem nicht so einfach sein, wie es dieser Autor darstellt, dennoch bleibt es eine Tatsache. Er hebt allerdings zu Recht hervor, dass es der organisierten rechten Opposition nicht gelungen ist die Menschen der „normalen Bevölkerung“ trotz all der Probleme, mit denen sie leben müssen, für sich zu gewinnen
„Was ist los in Venezuela ?“ von Dario Azzellini am 28. Oktober 2016 auf seiner Webseite ist ein Beitrag, in dem die komplexe Situation in Venezuela ausführlich dargestellt und analysiert wird. Zum nicht stattgefundenen Referendum über Maduro und die daraus folgenden Perspektiven schreibt er: „Entgegen aller Beschwerden von rechts und von links ist die Aussetzung der Unterschriftensammlung juristisch und verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. Dass es legal ist, heißt aber nicht es sei auch politisch günstig oder richtig. Ich denke, es ist ein politischer Fehler, das Referendum auf diese Weise weiter zu verzögern oder zu verhindern. Ein „Impeachment“, also die parlamentarische Einleitung eines Verfahrens und die Absetzung des Präsidenten (wie in Brasilien, Paraguay, Honduras) existiert in Venezuela nicht. Die von der internationalen Presse wiederholten Behauptungen der Opposition, Maduro nun mittels der Nationalversammlung seines Amtes zu entheben, sind unsinnig und illegal. Ein Blick auf die Details lässt vermuten, dass die Opposition mit der Aussetzung des Abwahlreferendums das erreicht hat, was sie wollte, und die Regierung ist in die Falle gelaufen, die die Opposition ausgelegt hat. Seit Beginn der Unterschriftensammlung liegt der Verdacht nahe, die Opposition habe kein Interesse an einem Referendum und der Übernahme der Regierung. Sie können die Ölpreise auch nicht steigen lassen und wollen kaum in einer Situation sein, in der sie für die Krise und die Unfähigkeit, sie zu lösen, verantwortlich gemacht werden – das alles zwei Jahre vor den nächsten regulären Präsidentschaftswahlen… die die Opposition gewinnen will“
„Venezuela: Economic war or government errors?“ von Marta Harnecker am 19. Oktober 2016 bei Portside dokumentiert (ursprünglich bei Links) ist ein Beitrag, in dem die Autorin im Wesentlichen die Regierung Maduro verteidigt, ihr aber empfiehlt, das Volk „besser aufzuklären“ (wie es jede Partei nach einer Wahlniederlage etwa tut). Die Schwächen und Stärken des Prozesses in Venezuela bis hin zur Aktualität werden dabei analysiert, ohne allerdings nachzufragen, ob es nicht vielleicht doch zwischen Maduro und Chavez, um die Exponenten zu nennen, Unterschiede geben könnte
„El chavismo, dueño de la calle“ von Ángel Guerra Cabrera am 22. Dezember 2016 bei rebelion.org ist ein Beitrag, in dem der Autor schon wieder Aufwind spürt: Die Regierung mobilisiert mehr auf den Straßen und macht alles richtig
„Bolívar City and Venezuela in Ruins“ am 21. Dezember 2016 bei libcom ist ein Bericht über die Unruhen und Proteste am Wochenende zuvor in Bolivar, wo als Reaktion auf den Einzug von Banknoten einem – einmal mehr – Dekret der Regierung folgend, die Menschen massenhaft zu Plünderungen übergingen und etwa 90% aller Geschäfte der Stadt geplündert, viele auch zerstört oder beschädigt wurden. Hierin scheint eine andere Perspektive dessen auf, was „weder die einen, noch die anderen“ auch bedeuten kann…
Und was macht eine linke Opposition? Und die Gewerkschaften?
Weniger auffallen zunächst – und sei es nur, weil sie natürlich in der „westlichen Presse“ keinen Platz findet. In vielen linken Medien auch nicht. Aber es gibt sie – und sie wird stärker, auch wenn sie immer wieder in den Knast wandern. Im Wesentlichen hat sich die immer noch kleine linke Opposition immer wieder mit Übergriffen staatlicher Repressionsorgane auseinanderzusetzen
„Detienen a Freiman Páez García, del Colectivo Pueblo Rebelde“ von Roland Denis am 18. Dezember 2016 bei Clajadep-LaHaine ist ein – einer von durchaus vielen möglichen – Bericht über die Festnahme eines linken oppositionellen Aktivisten in Venezuela. Paez Garcia ist seit Jahrzehnten ein linker Aktivist (vielleicht ja auch, schön dummdämlich: Schon immer Agent oder so was Ähnliches…), der in dem Bundesstaat Apure auch schon Abgeordneter war und verhaftet wurde, warum auch sonst, weil er mit der rechten Opposition zusammengearbeitet habe (mit der man ja, abgesehen davon, auch verhandelt…)
„Izquierda chavista, incluyendo 4 ministros de Chávez y un mayor general del ejército, rompen con el nacional-populismo de Maduro y Cabello para levantar nuevo referente“ am 19. Dezember 2016 bei Clajadep-LaHaine ist ein Bericht über eine Pressekonferenz eines neues linken Bündnisses in Venezuela – beileibe nicht dem ersten – das sich besonders dadurch auszeichnet, dass gleich vier ehemalige Minister der Chavez-Regierungen daran beteiligt sind. In der – im Rahmen des Berichtes dokumentierten – Erklärung zur Gründung dieses Netzwerkes wird vor allem unterstrichen, dass es ein Kennzeichen bürgerlicher Politik sei, die Krisenlasten auf die arbeitenden und erwerbslosen Menschen abzuwälzen – und genau dies tue die Regierung Maduro
„Venezuela’s Communes Form the Front Line of a Difficult Revolutionary Struggle“ von Tamara Pearson am 02. November 2016 bei Venezuelanalysis ist eine Buchbesprechung von „Building the Commune“ von George Ciccariello-Maher, der über die Rolle kommunaler Organisationen und Basisnetzwerken schreibt und in seinem Buch die These vertritt, dass es diese Vereinigungen sind, die nicht nur die Machtübernahme der Rechten verhindert haben und weiterhin verhindern – und nicht die Repressionskräfte – und dass sie es auch sind, die positive Perspektiven verkörpern,obwohl – oder gerade weil – sie intern heftigste Debatten haben
„UNETE exige prórroga de circulación del billete de Bs 100“ am 27. Dezember 2016 bei aporrea ist ein kurzer Bericht über die Erklärung des Gewerkschaftsbundes UNETE zur Währungsreform, bei der die Gewerkschaft fordert, die 100 Bolivares Noten nicht jetzt aus dem Verkehr zu ziehen, weil darunter jene leiden würden, die ein schmales Einkommen haben
„Marcela Máspero cuestionó detenciones de trabajadores por parte del Sebin sin acusación debida del MP“ am 05. Dezember 2016 bei aporrea ist ein Bericht über eine Pressekonferenz der Sprecherin des Gewerkschaftsbundes UNETE, in der sie die Festnahmen – wegen angeblicher Medikmentenweitergabe – von Beschäftigten des Gesundheitssektors kritisiert, die ohne irgendeine Anzeige oder Anweisung des Innenministeriums vollzogen würden
„Venezuela. Crecen los “ni ni” ante falta de soluciones a crisis“ von Yesibeth Rincón am 03. Januar 2017 bei kaosenlared ist ein Beitrag über aktuelle politische Entwicklungen im Lande, in dem die Autorin feststellt, dass die Zahl jener Menschen, die weder die eine noch die andere Seite der offiziellen Auseinandersetzung unterstützen. Das ganze basiert auf einer Meinungsumfrage Ende 2016 bei der 51% der – sehr vielen – Befragten erklärten, weder Chavist noch MUD AnhängerIn zu sein, sondern nach Lösungen für die Alltagsprobleme zu suchen
Und was macht die Bevölkerung? Kämpft ums Leben und ihre Rechte
Es ist immer wieder schwer, Streiks oder andere Proteste zu organisieren bei einer linken Regierung, die von rechts unter Druck ist. Noch die am meisten abgenutzten Argumente stalinistischer Ideologie werden da bemüht, um solche Aktionen als reaktionär, im Dienste des Imperialismus oder sonstwas zu denunzieren – wie auch in verschiedenen der folgenden Fälle…
„Con promesas de revisión de hoja de cálculo Sindicato de Ferrominera levanta huelga“ am 08. Dezember 2016 bei La Izquierda Diario ist ein Bericht über die Beendigung eines dreiwöchigen Streiks der Belegschaft von Ferrominera Orinoco, nachdem die Geschäftsleitung sich bereit erklärt hatte nachzugeben und eine neue Form der Abrechnung gemeinsam mit der Gewerkschaft und zuständigen Behörden auszuarbeiten, anstatt sie wie zunächst geplant, zu diktieren. Da dies die zentrale – aber keineswegs die einzige – Forderung des Streiks war, wurde er danach beendet. Wichtig hierbei auch, dass in der Chronologie, die zu diesem Artikel gehört, mehrmals von Übergriffen und Angriffen der Polizei berichtet wird, da die Geschäftsleitung zunächst – von den Behörden unwidersprochen – den Streik als illegal bezeichnet hatte…
„Workers Protest Alleged Privatization of Venezuelan State Fishing Company“ von Lucas Koerner am 03. Oktober 2016 bei Venezuelanalysis ist ein Bericht über den Protest und Widerstand der Belegschaft des staatlichen Fischereiunternehmens gegen den Beschluss der Regierung, das Unternehmen zu privatisieren. Ein Report des Fischereiministeriums hatte das 2010 gegründete Unternehmen als faktisch nicht lebensfähig bezeichnet – was Gewerkschaft und Belegschaft rundweg anders sehen, weswegen sie eine Petition erarbeitet haben, die Regierung solle eine gemeinsame Evaluation mit der Belegschaft vornehmen, anstatt auf kontraktierte „Experten“ zu vertrauen, was eigentlich selbstverständlich sein müsste…
„LLamado desesperado de los trabajadores de Supra Caracas al Presidente Maduro“ am 28. Dezember 2016 bei kaosenlared ist einer der – durchaus vielen möglichen – Beiträge in denen die Belegschaft eines Betriebes sich nicht nur über die fehlende Anwendung von Arbeitsgesetzen empört, sondern auch über Sonderabgaben die sie bezahlen sollten, ohne zu wissen wofür. Die Belegschaft der Müllverwertung von Caracas Sistema Urbano de Procesamiento, Recolección y Aseo de Caracas richtet – nicht die erste, offensichtlich – eine Petition an den Präsidenten, er möge sozusagen dem zuständigen Bürgermeister auf die Finger sehen und jemand benennen, der als Mediator fungieren kann
„Class Struggle in the Bolivarian Process – Workers’ Control and Workers’ Councils“ von Darion Azzellini in der Ausgabe Januar 2017 von Latin American Perspectives ist ein ausführlicher Beitrag, in dem eben diese Art Auseinandersetzungen, wie in den kommentierten Links zuvor angedeutet, einer theoretischen Analyse unterzogen werden. Die Analyse geht dabei aus von der Feststellung, dass es vor allem ab 2013 eine massive Zunahme von Auseinandersetzungen in staatlichen Unternehmen und Einrichtungen gibt, die sich zumeist um Fragen von Arbeitsbedingungen und betriebliche Demokratie drehen.
Zusammengestellt und kommentiert von Helmut Weiss am 05. Januar 2017