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“Die Gefahr eines Putsches ist natürlich real. Aber wäre das nicht ein Grund, die Rechte und die Positionen der Arbeiter zu stärken, statt ihnen Komplotte vorzuwerfen?”

Sutiss (Sindicato Único de Trabajadores de la Industrias Siderúrgica y Similares beim staatlichen venezuelanischen Stahlbetrieb Sidor)Ein Interview von Helmut Weiss mit Juan Pablo Sotis und Ronny Miranda, Aktivisten der Gewerkschaft Sutiss (Sindicato Único de Trabajadores de la Industrias Siderúrgica y Similares beim staatlichen venezuelanischen Stahlbetrieb Sidor), die im September und Anfang Oktober an dem Streik der Stahlarbeiter beteiligt waren und in Brasilien eine Informations-Rundreise über diesen Streik machten. Sotis (JPS im folgenden) ist 46 Jahre alt und hat sein ganzes Arbeitsleben bei Sidor verbracht Miranda (RM) ist mit seinen 24 Jahren gerade seit 7 Jahren da. Wie ansatzweise auch in anderen Gewerkschaften Venezuelas hat sich auch bei der Stahlgewerkschaft Sutiss neben den verschiedenen politischen Strömungen und ihren jeweiligen Wahllisten eine Gruppierung von unabhängigen herausgebildet, der sie angehören, die die Erfahrungen der letzten Jahre dazu gebracht hat, zu finden, dass die politischen Auseinandersetzungen innerhalb der Gewerkschaften zu regelrechten Grabenkriegen entartet sind, die der ganzen Sache und der Stärke der Gewerkschaften schaden, weswegen sie in der Regel mit genau diskutierten Sachprogrammen an die Arbeit gehen. Das Interview fand Ende Oktober 2013 nahe Rio de Janeiro statt, rund drei Wochen nach dem ebenfalls rund drei Wochen dauernden Streik bei Sidor, den die gesamte Belegschaft dieses größten Stahlwerks Südamerikas Mitte September begonnen hatte.

Warum seit ihr hierher gekommen?

JPS: Nun unser Streik ist nicht nur in Venezuela selbst sehr viel diskutiert worden, sondern eigentlich war er in ganz Südamerika Thema, vor allem unter den Linken, und dabei ist auch sehr viel an der Sachlage vorbei berichtet und diskutiert worden, weswegen wir, sozusagen die Gruppe der Unabhängigen in der Sutiss, beschlossen haben, zumindest mit einer kleinen Rundreise durch einige Länder diese Debatten zu versachlichen, und wir fangen eben damit in Brasilien, als dem wichtigsten Land Lateinamerikas an.

RM: Und auch, weil die Belegschaft von Sidor historisch, über diverse Konzerngruppierungen, mit der brasilianischen Usiminas bestimmte Verbindungen hatte, da teilweise dieselben italienisch-argentinischen Investoren in beiden Unternehmen präsent waren.

Worum ging es den also bei eurem Streik, der, soweit ich es beurteilen kann, in der Tat zumindest in Brasilien recht viele Debatten hervorgerufen hat?

RM: Das ist für Außenstehende vielleicht nicht so ganz leicht zu verstehen, weswegen ich es ein bisschen vereinfachen möchte. Es ging in erster Linie un eine Reihe von Zusagen und auch beschlossenen Schritten, die nicht eingehalten oder realisiert wurden. Dabei ging es um die Bezahlung von Prämien ebenso wie um Fragen des Freizeitausgleichs und nicht zuletzt um falsche Abrechnungen und falsche Einstufungen in diverse Lohngruppen. Das waren zum Teil Themen von bereits im Jahr 2008 abgeschlossenen Tarifverträgen, die bis heute nicht richtig implementiert wurden, da ist dann irgendwann der Geduldsfaden gerissen.

JPS: Dazu muss man als Hintergrund schon wissen – ich sage das, weil es nur so vielleicht ein bisschen kleinkariert wirkt – dass da einiges an Lohnbestandteilen zusammen kommt, das macht schon was aus, vor allem heutzutage, da wir wirklich in recht schwierigen ökonomischen Zeiten leben, mit recht hoher Inflation und wachsendem Gütermangel, Dinge, die nicht genügend da sind und deshalb erst recht teuer, grundlegende Dinge, eines der Beispiele ist immer Toilettenpapier, das immer teuere Mangelware ist.

Die Medien haben über euren Streik sehr unterschiedlich berichtet, der bürgerliche Mainstream versteckte seine Freude über euren Streik nicht, die Alternativmedien haben euch mehrheitlich eher kritisiert. Warum?

JPS: Die bürgerlichen Medien haben über den Streik relativ ausführlich berichtet, weil sie einfach alles unterstützen, was die Regierung schwächen könnte, das ist ja klar, das war schon immer so und wird auch weiterhin so sein. Wenn es Proteste gibt gegen eine linke Regierung, dann werden die bürgerlichen Kräfte – und keineswegs nur die Medien – immer da sein, aktiv daran arbeiten, Widersprüche zu vergrößern. Das war im übrigen bei den Juniprotesten hier in Brasilien auch nicht anders, das gilt eigentlich überall, wenn ich mich recht entsinne, war das auch damals in Ostdeutschland 1953 auch so: Erst recht, wenn es Arbeiterproteste gibt, machen sie mobil. Nur spricht das noch lange nicht gegen die Proteste, denke ich, gegen ihre Legitimität, gegen das Recht etwa auch zu streiken.

RM: Das ist ja so, das tun wir Linken ja genauso, wenn irgendwo eine Protestbewegung ist, versucht man ja auch, darauf Einfluss zu nehmen. Im konkreten Fall ist das dem Bürgertum nicht gelungen, denn was oft in der aktuellen Debatte zu Unrecht vergessen wird ist, dass die Belegschaft von Sidor eine Geschichte, eine Tradition, eine Grundhaltung hat, die für die Revolution sind. Die oftmals kritische Berichterstattung in den alternativen Medien kommt natürlich aus der gleichen Quelle: Dass die Regierung dabei geschwächt werde, das ist ihre Befürchtung.

Aber das ist ja offensichtlich nicht nur die Befürchtung der Alternativmedien oder irgendwelcher linker Gruppierungen. Präsident Maduro hat ja in einer Rede der streikenden Belegschaft öffentlich vorgeworfen, faktisch an einem Komplott gegen die Revolution beteiligt zu sein.

RM: Und ganz unrecht hat er insofern nicht, als natürlich die Rechten im Lande – von denen sich einige heute selbst als Sozialisten bezeichnen, der politischen Konjunktur folgend – dass diese Rechte Morgenluft wittert und sie alle möglichen Schritte unternehmen oder zumindest überlegen, nach dem Tod von Hugo Chavez und in einer aktuell komplizierten wirtschaftlichen Lage. Wenn die Regierung heute sagt, es besteht die Gefahr eines erneuten Putsches, dann ist das nicht erfunden. Die Frage ist doch nur, ob das dann der Grund ist, streikende Arbeiter als Helfershelfer der Putschisten oder der Putschpläne anzugreifen, ihnen Beteiligung an einem Komplott vorzuwerfen, ihnen also ihre Rechte streitig zu machen, oder ob eine solche Situation nicht gerade andersherum ein Grund wäre, die Rechte der Arbeiter, die Lage der Arbeiter zu stärken.

JPS: Ich habe diese Aussage schon als regelrechte Unverschämtheit empfunden, so hätte Chavez das nie gesagt – zumindest nicht, bevor er bei uns gewesen wäre und mit uns geredet hätte, das ist schon ein Unterschied, finde ich.

Aber ihr habt doch das Streikrecht, oder etwa nicht?

JPS: Ja, das Recht schon, im Allgemeinen. Das muss ja auch sein, eine Gesellschaft ohne Streikrecht, die sich dann auch noch irgendwie antikapitalistisch gibt, das ist ja dann die Entmündigung der Arbeiter, Papa wird es schon für dich richten, so etwa…Das Problem entsteht, sobald es real wird. Dann wird die Debatte eben sehr konkret, etwa: Ihr dürft nicht nur an Euch denken, das wurde uns oft gesagt. Als wäre das nicht nur an sich selbst denken nicht gerade ein Grund dafür gewesen, warum es so lange gedauert hat, bis man sich zu diesem Schritt, den Streik zu organisieren, entschlossen hat.

Wie war den die allgemeine Reaktion auf die Maduro-Rede unter der Belegschaft?

JPS: Das war schon eine Mischung aus Nachdenklichkeit und Ärger und dann auch Trotz. Und aber erst recht ein ziemlich Ärger über den Zustand der Gewerkschaft, über diese ganzen politischen Streitigkeiten, die Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb der Gewerkschaft, keineswegs nur über die gegenwärtig mehrheitliche Strömung, sondern über die ganze Art der Auseinandersetzung, die vor lauter Positionskämpfen die Anliegen der 14.000 Beschäftigten oft kaum noch wahrnimmt.

Wenn ihr jetzt beide sagt, dass die Kritik am Streik gerade aus der Linken kam, wie war denn die Reaktion innerhalb der Gewerkschaften, aus dem Gewerkschaftsbund?

RM: Wenn Du meine ehrliche Meinung hören willst: Es gab faktisch keine Reaktion. Ich spreche von der UNETE als Gewerkschaftsbund, da gab es nichts. Es gab die diversen Reaktionen aus den verschiedenen Strömungen, die ihre jeweiligen Genossen in deren Position unterstützten, aber eine Stellung sozusagen der Gewerkschaftsbewegung, wovon ja dann die Föderation eine Art Sprachrohr wäre, die gab es nicht.

JPS: Auch deshalb, weil es faktisch keine Gewerkschaftsföderation mehr gibt, gerade die ist vom ziemlich blinden Streit der politischen Fraktionen nicht nur zerrieben, sondern auch gespalten worden, und dass die der PSUV nahestehenden Strömungen oder auch Organisationen den Streik unterstützen würden, war kaum zu erwarten.

Gut, das ist jetzt ein Eindruck, den man allerdings auch aus der Ferne bekommen kann, wenn man die Entwicklung in Venezuela ein bisschen verfolgt. Aber wie ist es den mit den Einrichtungen oder Organen der Arbeiterkontrolle, das sollte doch gerade in eurer Provinz besonders vorangetrieben werden, wenn ich die Geschichte richtig in Erinnerung habe.

RM: Sollte ja, gibt es auch jede Menge Beschlüsse, Konferenzen und alles moegliche, was so gemacht wird. Die Realität ist aber so, dass alle – ich sage nicht die Mehrheit, ich sage nicht Viele, ich sage alle – dass alle Direktoren von staatlichen Betrieben mit Arbeiterkontrolle, dass alle diese Direktoren Offiziere sind. Ich sage gar nichts grundsätzlich dagegen, das kann ja durchaus sein, das seine Belegschaft einen für seine Haltung bekannten Offizier haben will, warum nicht, aber alle, alle? Natürlich gibt es in Venezuela aufgrund der konkreten Geschichte einen bedeutenden Anteil an Offizieren, die fortschrittlich oder auch revolutionär eingestellt sind, das ist schlicht Tatsache. Dennoch bleibt bestehen, dass das Menschen sind – Männer – die in einer Kultur aufgewachsen sind oder gewohnt sind sich zu bewegen, die weitaus mehr vom Kommando bestimmt ist, als von der Debatte, das ist ebenfalls Tatsache und da kann das Problem beginnen. Das ist dann schon ganz nahe am Avantgardedenken, wo sie wissen, was zu tun ist und der Rest ist Pädagogik. Und wenn die nicht funktioniert, dann hast Du das Grundproblem dieser Denkweise: Was tun, wenn meine Schüler nicht so wollen, wie ich?

JPS: Es ist ja nicht umsonst so, dass vielmals in der Linken der Klassenkampf in Begriffen militärischen Denkens konzipiert wurde – wo dann der Begriff der Disziplin ganz groß geschrieben wurde und noch wird, das hatten wir erst gestern hier, als wir mit CTB Genossen gesprochen haben, die dem Partidão (KP Brasiliens – hrw) angehören, ich denke und sehr viele von unserer Belegschaft – da gibt es übrigens natürlich auch reaktionär gesinnte Arbeiter, so ist es ja nicht – denken das auch, dass Emanzipation anders geht, eher ein Gegensatz zu Disziplin.

Und was verhindert dann den blanken Individualismus?

JPS: Ich denke, da kommen dann eben Kategorien hinzu, die das abrunden, einpassen müssen – etwa die hier in Südamerika überall vorhandene Begrifflichkeit des Respekts, der ja immer der Respekt vor anderen ist.

Und wie beurteilt ihr jetzt das Ergebnis von runden drei Wochen Streik, wie die Debatte um die Fortsetzung des Streiks?

RM: Ich denke, wir haben bekommen, was wir gebraucht haben – wenn es denn alles so wird, wie abgesprochen, die Unsicherheiten, auch der teilweise vorhandene Wille der Fortsetzung des Streiks, auf den die eine oder andere Strömung gebaut haben mag, kommen ja gerade daher, dass das meiste schon einmal abgesprochen war und nichts richtig passierte, ich denke, diesmal ist es anders. Und verstehe mich richtig, ich habe gesagt, was wir gebraucht haben und nicht etwa, was wir gewollt haben.

JPS: So sehe ich das auch und ich sehe und höre auch, dass viele Arbeiter von Sidor die ganze Auseinandersetzung so verarbeitet haben, dass sie schon sehen, so wie es ist, ist es die richtige Basis, um besser zu werden – um an das, was wir vorhin angesprochen haben, anzuknüpfen, dass die Wahrnehmung unseres Streikrechts eben nicht zum Ergebnis hatte, die Rechte zu stärken, sondern gerade das Ergebnis hatte, die Arbeiter zu stärken, das sehe ich so und das scheint mir auch das zu sein, was anderswo von größerem Interesse sein kann, diese Grundsatzfrage eben.

Und warum seid gerade ihr so in die gesellschaftliche Debatte geraten – ich meine, Streiks gibt es doch öfter?

JPS: Das ist halt einfach so, wenn der zweitwichtigste Betrieb im Land betroffen ist und das sind wir ja nach der PDVSA (Staatliche Ölgesellschaft -hrw), das wird ja dann emblematisch. Wir haben ja auch immer eine Rolle in den großen gesellschaftlichen Auseinandersetzungen gespielt, nicht nur in der Provinz, sondern im ganzen Land. Und diesmal eben auch, wenn halt auch andersherum.

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