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Amazonismus als Nachfolgemodell der Lean Production: Ein System mit mehr „Knoten“ und „Gliedern“ – aber die Anfälligkeit für Arbeitskampfmaßnahmen bleibt!

Just-in-Time-Produktion: Stramme Ketten können brechen... Fotomontage: LabourNet GermanyDreieinhalb Jahrzehnte lang wurde die Produktion und der Warenverkehr von Lean Management bestimmt. Doch jetzt stellen Logistik- und Produktionsunternehmen auf ein neues Modell um. Um unseren Einfluss zu maximieren, sollten die Arbeitnehmer es verstehen. (…) Die Produktivität des verarbeitenden Gewerbes in den USA stieg bis zur großen Rezession von 2008-2010 jährlich um etwa 4 %. Doch dann brach sie ein, was die Erschöpfung der schlanken Produktion und ihrer Technologie widerspiegelt. Der jährliche Produktivitätszuwachs im verarbeitenden Gewerbe blieb bis 2019 aus. Im Jahr 2021 stieg sie wieder an, als die Pandemie nachließ, fiel dann aber 2022 und 2023 wieder. Die „Management-by-Stress“-Methoden funktionierten nicht mehr. (…) Durch die Pandemie wurden die Lieferzeiten noch länger. Die durch Covid und das Klima ausgelöste „Lieferkettenkrise“ von 2021-2022 machte deutlich, wie störanfällig JIT ist, und veranlasste die Unternehmen schließlich, einige der wichtigsten Aspekte der schlanken Produktion zu überdenken – vor allem die Just-in-Time-Lieferung und die Abhängigkeit von nur einem einzigen Lieferanten…“ engl. Artikel von Kim Moody vom 2.5.2024 in Labornotes externer Link („The End of Lean Production… and What’s Ahead“) – und mehr daraus/dazu:

  • [Buch in Open Access] Amazonismus. Management, Eigensinn und kollektiver Widerstand im digitalen Kapitalismus New
    Zur Hannover Messe 2011 lancierten Eliten aus Wirtschaft und Wissenschaft das Schlagwort »Industrie 4.0« in die Öffentlichkeit. Dahinter steht die Vorstellung einer 4. Industriellen Revolution, die durch das Internet der Dinge ermöglicht werde (acatech 2013). Dieses Schlagwort prägt die jüngste Debatte über die Digitalisierung der Arbeit (Pfeiffer 2021: 13). Sie weist »alle Merkmale eines ›Hypes‹« auf (Hirsch-Kreinsen 2018: 13). Dennoch ist es kaum von der Hand zu weisen, dass die neuen Technologien das Potenzial besitzen, den Kapitalismus grundlegend zu verändern (Staab/Nachtwey 2016a: 458). Dem hegemonialen Diskurs zufolge wird die Digitalisierung im sozialpartnerschaftlichen Dialog umgesetzt (zum Beispiel: acatech 2013: 58; Bundesministerium für Arbeit und Soziales 2017: 11; Plattform Industrie 4.0 2019: 6). Dabei wird unterstellt, dass Unternehmen und Beschäftigte ein gemeinsames Interesse an der Einführung neuer Technologien hätten, etwa um die Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe zu erhalten oder auszubauen. In Bezug auf den wirtschaftlichen Erfolg eines   Betriebes auf dem Markt können sich die Interessen der beiden Parteien überlagern. Ansonsten treten sie jedoch allzu oft in Widerspruch zueinander. Technologien sind schließlich nicht nur Produktions-, sondern zugleich Herrschafts- und Ausbeutungsmittel (Deppe 1971: 53). (…) Auf Basis der Forschungsliteratur lassen sich fünf mögliche Entwicklungspfade unterscheiden, die der Konflikt zwischen Arbeit und Kapital in der digitalen Transformation nehmen könnte. (…) Die unterschiedlichen Entwicklungspfade der Konfliktdynamik im digitalen Kapitalismus reichen demnach von der Fortschreibung des bisherigen Systems der Industriellen Beziehungen bis zu einer radikalen  Zuspitzung der sozialen Verhältnisse, die in die Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse münden könnte. Die vorliegende Arbeit will dazu beitragen, das Konfliktpotenzial der Digitalisierung und damit die jeweilige Wahrscheinlichkeit der skizzierten möglichen Entwicklungen besser einzuschätzen. Die verschiedenen Entwicklungspfade wurden auf der Basis von Studien entworfen, die mit Fall- oder Branchenstudien die Ursachen und Formen von Konflikten um die Digitalisierung der Arbeit untersuchen. (…) Die allgemeine Frage nach dem Konfliktpotenzial der Digitalisierung konkretisiert sich in Bezug auf das Logistikzentrum von Amazon in Leipzig in der Frage, welche Strategien und digitale Technologien das Management einsetzt und wie sie sich auf die Arbeit auswirken. Daran schließen sich die Fragen an, warum und wofür die Streikenden kämpfen sowie welche Aktionsformen und Organisationsstrukturen sie nutzen. Die Untersuchung orientiert sich in einem besonderen Maße an den theoretischen Überlegungen von Michael Burawoy (1979; 1985; 2012) zum kapitalistischen Arbeitsprozess, mit denen er die Reproduktion der Herrschaft wie die Entstehung von Arbeits- und Klassenkämpfen im Kapitalismus erklärt. Auf Basis der Fallstudie zu Amazon lassen sich die Charakteristika eines neuen Geschäftsmodells und einer neuen Form der betrieblichen Herrschaft im digitalen Kapitalismus herausarbeiten: Amazonismus. Sein Geschäftsmodell setzt auf die Monopolisierung des Zugangs zu den Kunden durch einen »proprietären Markt« (Staab 2019: 27), um sich Anteile der Wertschöpfung von Produzenten und Händler anzueignen. Auf betrieblicher Ebene setzt Amazonismus auf den massenhaften Einsatz von Einfacharbeit, die mit digitaler Arbeitssteuerung und -überwachung im Rahmen eines despotischen Arbeitsregimes kontrolliert wird. Verbunden wird dies mit der Ablehnung von Gewerkschaften als Verhandlungspartner. Dieser betrieblichen Herrschaft stellen die Streikenden in Leipzig ihren Eigensinn entgegen. Sie kämpfen für die Teilhabe an Entscheidungen, eine respektvolle Behandlung, Gesundheitsschutz und höhere Löhne. Ihr Kampf für die Beschränkung der Verfügungsgewalt des Managements wird dabei durch das duale System der Industriellen Beziehungen in Deutschland strukturiert. (…)
    Ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung ist die Analyse des spezifischen Akkumulations- und Produktionsregimes Amazonismus. Mit dem despotischen Arbeitsregime und der Ablehnung der Gewerkschaften steht dieser für die Offensive vieler Unternehmen gegen kollektive Interessenvertretung. Er ist zutiefst konfliktträchtig und tendiert dazu, überall dort heftigen Widerstand der Beschäftigten zu provozieren, wo diese ausreichend Gegenmacht aufbauen können. Es ist jedoch davon auszugehen, dass diese Kämpfe weitgehend innerhalb der etablierten Institutionen und Organisationen der Industriellen Beziehungen ausgetragen werden. Die Entwicklung des Konfliktpotenzials der digitalen Transformation ist weiter zu beobachten. Dafür ist es insbesondere wichtig, in weiteren Unternehmen und Branchen zu untersuchen, wie sich die jeweiligen Produktionsregime auf die Machtressourcen und den Eigensinn der Beschäftigten auswirken
    .“ Aus der Einleitung zur Dissertation von Georg Barthel im Campus-Verlag externer Link (Erscheinungstermin: 19.06.2024, ISBN 9783593519043) auch in Open Access externer Link – siehe hier weiter unten seinen ersten Artikel zum Thema
  • „The End of Lean Production… and What’s Ahead“
    Weiter aus dem engl. Artikel von Kim Moody vom 2.5.2024 in Labornotes externer Link (maschinenübersetzt): „… Die Bedeutung von JIT bestand darin, dass es kostspielige Lagerbestände reduzierte, sei es von Teilen oder von fertigen Produkten. Jetzt, da die Produktivität sinkt und die Lieferzeiten steigen, steigen die Lagerbestände von 2010 bis 2019 um durchschnittlich 4,3 Prozent jährlich und von 2019 bis 2022 sogar um 7,1 Prozent jährlich, da die Unternehmen auf Just-in-Case umstellen. Dies schadet den Gewinnraten und der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen, sowohl im Inland als auch international.
    AMAZONIFIZIERUNG
    Wie können Unternehmen die Vorteile des „Just-in-Case“-Ansatzes nutzen, ohne die hohen Lagerkosten in Kauf nehmen zu müssen? Die Antwort liegt in dem Mittel, das Amazons schnelles Wachstum vorangetrieben hat: Die Lagerbestände werden relativ niedrig gehalten, indem Millionen von Produkten schnell an Tausende von Standorten geliefert werden. Während sich der Umsatz des Unternehmens von 2015 bis 2022 verfünffachte, sank das Verhältnis von Lagerbestand zu Umsatz von 9,3 Prozent auf 6,7 Prozent. Die beiden Erfolgsgeheimnisse waren ein brutaler Arbeitsprozess, bei dem Aufgaben und Tempo von Algorithmen gesteuert werden, und ein immer dichteres Logistiksystem. Im Jahr 2023 stufte die Zeitschrift Transport Topics Amazon als die Nummer eins unter den globalen Frachtunternehmen ein.
    Amazons Trick besteht darin, die Zahlungen der Kunden, meist per Kreditkarte, zu erhalten, bevor es die Händler, deren Produkte es verkauft, bezahlt. Die Einnahmen, die in dieser Zeitspanne erzielt werden, nennt Amazon seinen „freien Cashflow“, eine verschleierte Form von ansonsten steuerpflichtigen Gewinnen, denn während Amazon dieses Geld hält, kann es damit mehr Waren kaufen und seine Einrichtungen erweitern, um noch mehr Geld zu verdienen. Im Jahr 2022 erwirtschaftete Amazon 12 Milliarden Dollar an „Betriebseinnahmen“ (ausgewiesene Gewinne), aber auch 11,6 Milliarden Dollar an „freiem Cashflow“.
    Aber damit das funktioniert, muss das Unternehmen die Dinge schnell und kontinuierlich bewegen. Das ist weder just-in-time noch just-in-case.
    Amazon hat ein dichtes Logistiksystem entwickelt, das die Geschwindigkeit maximiert, mit der sich alle Produkte ständig innerhalb und zwischen den Standorten bewegen. Neben den Fulfillment-Zentren kamen 2014 die Prime Hubs und Sortierzentren hinzu, und 2016 die Lieferstationen. (…)
    DICHT, SCHNELL, ANFÄLLIG
    Dieses hochgradig orchestrierte und optimierte Modell prägt nun die Logistik für die gesamte US-Wirtschaft. Unternehmen wie Target folgen dem Beispiel von Amazon und versuchen, ihre Lagerbestände zu kontrollieren und ihre Konkurrenten zu überholen, indem sie dichte Netze von Einrichtungen schaffen und zusätzliche Fahrzeuge einsetzen. In den gesamten USA nimmt die Zahl der Lastwagen, der Lager- und Speditionseinrichtungen und der Beschäftigten in diesen Bereichen immer schneller zu. Die Anlagen konzentrieren sich auf die großen Städte. (…)
    Diese regionalen Systeme sind durch Eisenbahnlinien und Autobahnen miteinander verbunden. Um sie besser koordinieren zu können, so CITI GPS im Jahr 2023, streben die Unternehmen eine „Kontrollturm“-Transparenz über ihre Lieferketten an und verstärken die digitale Überwachung, Streckenführung und Verfolgung von Waren und Arbeitskräften. All diese Veränderungen erhöhen den Druck auf die Arbeitnehmer. Aber auch ein System mit mehr „Knoten“ und „Gliedern“ – Punkten der Verbindung, des Transfers oder des Austauschs, die durch menschliche Arbeit sowohl innerhalb als auch zwischen Werken, Lagern und anderen Einrichtungen aktiviert werden – nimmt Gestalt an, da Unternehmen schlanke Methoden zugunsten digitaler Technologie aufgeben.
    Wie John Womack in seinem kürzlich erschienenen Buch Labor Power and Strategy schreibt, „durchläuft jedes Produkt, das sich heute bewegt, jeder, der sich bewegt, mehr Verbindungen in Ketten und Netzwerken als noch vor einer Generation“. Jeder dieser Punkte ist anfällig für Arbeitskampfmaßnahmen – eine Unterbrechung kostet Einnahmen und führt zu kostspieligen Lagerbestandsaufstockungen. Arbeiter, die an solchen Punkten stationiert sind, haben das, was Womack „Positionsmacht“ nennt.
    Dies gilt für den „Picker“ im Amazon-Fulfillment-Center, der automatische Förderbänder beschickt; das Team, das einen LKW belädt; den Fahrer eines LKW oder Zugs; die Fließbandarbeiter, deren Geschwindigkeit die Geschwindigkeit derer hinter ihnen bestimmt; die Wartungsarbeiter, die mechanische oder digitale Geräte in Betrieb halten, und so weiter durch die Belegschaft.
    Die Ausübung von Positionsmacht kann die Geschwindigkeit von Lagerbeständen, Waren und Einnahmen bremsen, um Streiks und Arbeitskampfmaßnahmen effektiver zu machen. Der Trick besteht darin, die Schwachstellen zu finden, eine Aufgabe, die eine kollektive Entscheidungsfindung und Koordination zwischen den Arbeitnehmern erfordert.
    Diese Idee ist nicht wirklich neu. Der Sitzstreik in Flint, der General Motors 1937 in die Knie zwang, brachte der United Auto Workers Anerkennung ein, weil die Arbeiter das wichtige Chevy-4-Motorenwerk besetzten, das die anderen Werke in Flint und darüber hinaus belieferte. Angesichts der heutigen Verknappung der Lieferketten und der Zunahme von Schwachstellen in der Produktion und im Transportwesen kann diese Art des strategischen Denkens und Handelns nicht nur dazu beitragen, Gewinne für die Gewerkschaftsmitglieder zu erzielen, sondern auch dazu, die nicht organisierten Arbeitnehmer zu organisieren.
    Das ist wichtig, denn die neu gestalteten Produktions- und Logistikbeschäftigten sind größtenteils nicht gewerkschaftlich organisiert und häufig befristet oder in Teilzeit beschäftigt. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der Gewerkschaftsmitglieder in der Privatwirtschaft um 191.000, von denen 70 Prozent in der verarbeitenden Industrie oder im Transport- und Lagerwesen tätig waren.
    Viele Beschäftigte in diesen Sektoren sind farbig, und die große Mehrheit derjenigen, die sich gewerkschaftlich organisierten, waren Schwarze oder Latinos und junge Beschäftigte, die tendenziell eher gewerkschaftsfreundlich sind. Die Zahl der Arbeitnehmer, die im Rahmen von durch die Nationale Arbeitsbeziehungsbehörde überwachten Wahlen Gewerkschaften gründen, nimmt zwar zu, ist aber immer noch viel zu langsam, um das Machtgleichgewicht im Herzen der Wirtschaft zu verändern. Das kollektive Bewusstsein und der koordinierte Einsatz von Positionsmacht bieten einen mächtigen alternativen Weg – und ein zusätzliches Organisierungsinstrument.“

Der (leider nur maschinenübersetzte) Artikel bezieht sich zwar auf die USamerikanische Wirtschaft, hat aber hinsichtlich der Unternehmensstrategien und ihrer Bedeutung für Gewerkschaftsstrategien internationale Relevanz.

Siehe zum Thema auch:

Siehe von Kim Moody u.a. auch:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=220352
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