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Die Kandidatenkampagne des Bernie Sanders – und die Stärkung der US-Gewerkschaftsopposition und alternativer Gewerkschaften
Dass an der Vorwahlkampagne des parteiunabhängigen Senators von Vermont zur Präsidentschaftskandidatur für die Demokratische Partei „etwas Besonderes“ dran ist, bemerkt man spätestens, wenn seine (Massen) Versammlungen zu sehen sind: Massenhaft jüngere Menschen, die mobilisiert werden für eine Kandidatur „gegen die Reichen“. Aber: Was ist „das Besondere“? Weder er, noch seine Kampagne, noch seine UnterstützerInnen haben je behauptet, er sei Kommunist oder Ähnliches – weshalb auch Kritiken wie, beispielsweise, er sei kein neuer Eugene Debs (ein sehr bekannter Aktivist der KP der USA) nicht besonders nützlich sind. Und: Neben der Mobilisierung unter der Jugend ist vor allem eine Art „Einbruch“ in die traditionellen Beziehungen zwischen den Gewerkschaften des AfL-CIO und der Demokratischen Partei festzuhalten: Nicht nur Einzelgewerkschaften, die außerhalb der traditionellen Parteimaschinenstrategie stehen unterstützen „Labor for Bernie“ sondern sowohl – wenige – Einzelgewerkschaften innerhalb der Föderation als auch – und dies vor allem – zahlreiche gewerkschaftliche regionale Organisationen in Opposition zu ihren nationalen Verbänden – das bekannteste Beispiel etwa die Chicagoer LehrerInnen in Opposition zur AFT. LabourNet Germany versucht, in der kommentierten Materialsammlung „Die Sanders Kandidatur – und was bleiben kann“ von Helmut Weiss vom 17.4.2016 anhand Materialien von linken Gruppierungen, Gewerkschaftslinken und Gesprächen mit GewerkschafterInnen, zum Verständnis dieser Entwicklung beizutragen, wozu auch Kritiken am Vorgehen der Sanders Kampagne gehören.
Die Sanders Kandidatur – und was bleiben kann
LabourNet Germany, 17. April 2016
Wir haben für diese Unterstützung gekämpft, nicht weil wir meinen, das sei die Revolution, sondern weil es ein echter Fortschritt ist, diese ewige Verbundenheit der Gewerkschaftsführungen mit dem Establishment der Demokratischen Partei durchbrochen zu haben – und auch wenn sie spät kommt, so ist es ein wichtiges Zeichen“ – so sagt Bill Sisley, Busfahrer in Washington DC und langjähriger Gewerkschafter, heute bei der inzwischen Vereinten Transportgewerkschaft der USA und Kanadas (Amalgamated Transport Union). Die ATU hat am 14. März 2016 beschlossen, die Kandidatur von Bernie Sanders zu unterstützen. „ATU Endorses Senator Bernie Sanders for President“ am 14. März 2016 auf der ATU-Webseite ist eine Pressemitteilung über diesen Vorstandbeschluss, für den viele Gewerkschaftslokale sich lange Zeit massiv eingesetzt haben.
Jeff Hale, Hafenarbeiter im kalifornischen Oakland und Aktivist der Westküsten-Hafenarbeitergewerkschaft ILWU – von der als erste der unabhängigen Gewerkschaften die Unterstützung dieser Kampagne erwartet worden war, die auch, wenn auch später, kam, sagt zu den Gründen für diese Unterstützung: „Nun, schau Dir sein Wahlprogramm an: 15 Dollar/Stunde Mindestlohn steht da ebenso drin, wie kostenlose öffentliche Bildung, Krankenversicherung für Alle und Ablehnung von Freihandelsabkommen. Das sind zum Teil Ziele, wie die Krankenversicherung, die schon bei der Obama – Kampagne vor 8 Jahren vertreten wurden, aber aus verschiedensten Gründen nicht verwirklicht, höchste Zeit, dass sich jemand traut, das wieder aufzunehmen“. Die Presseerklärung „ILWU endorses Senator Bernie Sanders for President“ vom 24. März 2016 ist dementsprechend eindeutig.
„UE General Executive Board Statement on Bernie Sanders Presidential Campaign“ bereits vom 29. Mai 2015 ist die Erklärung der unabhängigen Gewerkschaft der Elektriker mit knapp 40.000 Mitgliedern, die als erste landesweite Gewerkschaft die Kampagne von Bernie Sanders unterstützte – nicht zuletzt, neben seinem Programm, weil er im Bundesstaat Vermont, dessen Senator er ist, immer die Kämpfe der UE unterstützt habe. Und nicht nur der UE, sondern aller Gewerkschaften, wird in der Erklärung unterstrichen, weswegen auch etwa der Vorstand des Gewerkschaftsbundes AfL-CIO von Vermont sich dafür stark gemacht habe, dass diese Kandidatur unterstützt werde.
Die Entwicklung der Debatte um die Kandidaturkampagne in der Gewerkschaftsbewegung
„Labor for Bernie Activists Take the Political Revolution into Their Unions“ von Rand Wilson und Dan DiMaggio am 17. März 2016 bei den Labornotes ist ein Artikel, der einen Überblick über die bisherigen Debatten in den Gewerkschaften – und ihre Ergebnisse – über die Frage „wen unterstützen“ gibt. Darin wird hervorgehoben dass – neben der bereits angeführten ATU – weitere nationale Verbände aus dem AfL – CIO die Sanderskampagne unterstützen, was alleine schon ein bisher nicht da gewesenes Ergebnis bedeutete: Die Postgewerkschaft (APWU) und die Kommunikationsgewerkschaft (CWA). Auch die 2009 gegründete Krankenschwestergewerkschaft National Nurses United mit ihren mehr als 180.000 Mitgliedern unterstützt die Kampagne von Sanders – ganz aktuell führen CWA und führte die NNU Arbeitskämpfe bei denen, was ebenfalls ein Novem darstellte, das nicht auf Wahlkampftaktik reduziert werden kann, Sanders vor Ort seine Solidarität ausdrückte, wie er es auch an anderen Orten getan hatte, was ihm beispielsweise eine heftige Attacke des Vorstandes von GE einbrachte – die er als Auszeichnung annahm. Insgesamt haben die nationalen Verbände, die Sanders unterstützen rund 1,5 Millionen Mitglieder.
“List of Bernie Sanders presidential campaign endorsements, 2016” seit dem 01. Januar 2016 bei Wikipedia ist eben die – wachsende – gesamte Liste der UnterstützerInnen der Kampagne. Hier neben den “üblichen” Prominenten (Danny Glover, Susan Sarandon, Harry Belafonte, Michael Keaton) aus Hollywood und sonstigen Kulturbereichen eben auch und vor allem die zahlreichen lokalen und regionalen Gewerkschaftsorganisationen die sich, auch im Gegensatz zu ihren Gesamtverbänden, für Sanders ausgesprochen haben – und auch für ihn mobilisieren. Dabei wird deutlich, dass die meisten Ortsverbände bzw regionale Gliederungen die Sanders entgegen ihres Verbandes unterstützen, aus der International Brotherhood of Electrical Workers kommen, sowie aus der American Federation of Teachers. Aber auch einige, was aber trotzdem wichtig ist, von den Teamsters und der Stahlarbeitergewerkschaft.
Jeff Hale erzählt über eine pro – Sanders Demonstration im Januar 2016 in Oakland: “Das war irgendwie völlig ungewohnt – zum Teufel, es waren so viele und die meisten kannte man gar nicht. Normal ist, dass so etwas vielleicht 2-300 Leute mitmachen, die man im wesentlichen kennt, diesmal waren es mehrere Tausend, fast alles ganz Junge und Du kanntest keinen und keine. Jetzt ist ja Oakland zumindest in Kalifornien bekannt als linke Ecke, woran unsere Gewerkschaft nicht unbeteiligt ist, aber so viele Leute, von denen ganz viele ausdrücklich auf verschiedene Weise betonten, dass sie gegen den Kapitalismus sind – ey, Mann, das war ein Erlebnis!”
„CORE votes to endorse Bernie Sanders… Caucus leading the Chicago Teachers Union rejects earlier Clinton ‚endorsement‘ by the American Federation of Teachers leadership…“ am 22. Februar 2016 bei den Substance News ist ein Bericht darüber, wie die lokale Gewerkschaftskonferenz der Chicago Union of Teachers sich für Sanders aussprach – mit der Besonderheit, dass das pro Clinton Statement des nationalen Lehrerverbandes AFT ausdrücklich und ausführlich kritisiert wurde.
Und Barbara Chavez, Aktivistin der “Fight for 15$” Mindestlohnkampagne in New York sagt – vor den Primaries am Dienstag – “Ich war noch nie auf einer Vorwahlkundgebung, aber jetzt: Unbedingt. Und es waren so viele Leute, so viele junge Leute bei dem alten Mann, das ist völliger Wahnsinn. Und als er sagte “Lasst uns die Macht der Konzerne brechen” da haben sie gejubelt, als ob Mexico ein Tor im Fußball – Endspiel geschossen hätte”.
Bill Sisley zum selben Phänomen: “Ich habe jetzt hier in der Gegend über 40 Versammlungen gehabt zur Unterstützung der Sanders – Kampagne. Und ich sage Dir eines: Ich bin mir noch nie so alt vorgekommen. Das sind fast alles ganz junge Leute, von denen man uns gesagt hat, von denen wir gelesen haben, sie seien unpolitisch, desinteressiert, nur auf Konsum und Karriere aus. Der Höhepunkt für mich persönlich war in Lexington (Virginia) – das ist so grob 250 Km von Washington weg, da in der Gegend wohnt ein Teil meiner Familie – da waren plötzlich ein Neffe und eine Nichte von mir auf der Versammlung, da war ich richtig gerührt”
Unabhängig vom Ausgang der Kampagne: Was kann bleiben?
„Lieber Bernie: Lass uns eine Bewegung werden!“ von Erik Forman am 12. April 2016 in neues deutschland ist ein Bericht über einen Offenen Brief linker US – Intellektueller an Sanders, in dem es unter anderem heißt: „Für viele von uns ist das eine sehr belastete Thematik. Wir wurden schon einmal verletzt und betrogen. Die meisten von uns haben daher ein tiefes und gesundes Misstrauen zur »großen« Politik der Präsidentschaftswahlen entwickelt und uns eher auf Organisierung am Arbeitsplatz oder in der Community konzentriert. Dafür gibt es einen Grund: Einige von uns legten all ihre Leidenschaft in die Kampagnen der »Regenbogen-Koalition« (ein Anfang der Nuller Jahre zuerst in Massachusetts gegründetes, dann bundesweit agierendes, pluralistisches Bündnis mit Schwerpunkt auf Sozial- und Umweltpolitik und dem Ziel, die faktische Zwei-Parteien-Herrschaft in den USA herauszufordern, Anm. d. Ü.) oder von Ralph Nader (fünfmaliger Präsidentschaftskandidat mit Schwerpunkt Verbraucher- und Umweltschutz, zuerst für die Amerikanischen Grünen, dann als Einzelperson, Anm. d. Ü.) und anderen Politikerinnen und Politiker der amerikanischen Grünen. Viele von uns taten alles daran, um Obama mittels der bis dahin größten basisdemokratischen Bewegung in der Geschichte der US-Präsidentschaftswahlen ins Weiße Haus zu wählen. Egal, ob die jeweiligen Kandidaten gewonnen oder verloren haben – all diese Kampagnen hinterließen letztendlich nicht mehr als gebrochene Herzen und, im letzten und bemerkenswertesten Fall, gebrochene Versprechen“
Was also weder bei Jesse Jacksons Regenbogen – Koalition, noch, erst recht, bei Obamas „Yes, we can“ Komitees passiert ist – und auch nicht passieren konnte – ist für viele jetzt eine Hoffnung.
„Ein Gespräch über das Comeback des Sozialismus in den USA“ in der Ausgabe April 2016 der SoZ – Online zwischen Alan Maass und Bashar Sunkara, in dem es heißt: „Wir müssen die Leute wissen lassen, dass wir die Dinge, die sie wollen, auch wollen. Auch wenn wir Kritik an Sanders’ Programm haben und meinen, dass es nicht weit genug geht – zweifellos sehen die meisten Sozialisten in diesem Land, dass Sanders’ Positionen zur Außenpolitik und anderen Fragen viel zu wünschen übrig lassen –, so ist doch sein Programm im Kern ein breites sozialdemokratisches, das wir als Sofortforderung unterstützen. Es ist wichtig, dass wir uns mit Sanders’ Anhängern auseinandersetzen, damit die Leute uns nicht als Außenstehende betrachten, die heimlich eine eigene Agenda verfolgen, sondern verstehen, dass wir kurzfristig für dieselben Dinge eintreten, für die auch Sanders steht: die Stärkung der amerikanischen Werktätigen und die Aufstellung breiter Forderungen, die die Arbeit gegenüber dem Kapital stärken“
Bill Sisley sagt dazu: „Wäre doch toll, wäre was Neues, wenn von einer solchen Kampagne was übrig bliebe. Gab es bisher – auf der Linken – noch nicht. Auf der Rechten schon: Die Trump – Fans sind oftmals Leute aus Palins Tea Party. Ich meine klar, dass Alles ist ziemlich sozialdemokratisch, in Wirklichkeit. Nicht die Blair – Sozialdemokratie, die verkommene, oder, wenn ich mit einem Deutschen rede, nicht dieselbe Schröder Sozialdemokratie, aber eben ein Punkt, von dem aus sich etwas entwickeln kann. Mehr jedenfalls als bei jenen, die das jetzt kritisieren, weil es nicht links genug ist. Das sind ja oft selbst erklärte Vorhutparteien, die seit 20 Jahren mit Tausend Leuten arbeiten, Verlierer also.“
„Labor for Bernie and Beyond Plans for the Primaries and the Future“ von Dan la Botz am 03. April 2016 dokumentiert bei Portside ist ein Beitrag über den früheren Vorsitzenden der Kommunikationsgewerkschaft CWA, der gleichzeitig Berater der Sanders – Kampagne ist, der darin dem Autor auch seine Sicht der Dinge darlegt, der ebenfalls darauf abzielt, wie etwas Bleibendes bei der Kampagne passieren kann. Eine Diskussion, die offensichtlich gerade an sehr vielen Orten stattfindet.
Barbara Chavez sagt dazu: „Wir haben das hier im Big Apple diskutiert und meinen, dass es schon anders als früher ist – also diejenigen, die früher schon dabei waren, bei Jesse Jackson, bei Ralph Nader oder auch Barack Obama, die meinen, dass es anders ist, ich bin dafür ja noch zu jung – und es haben sich so viele Diskussionsgruppen gebildet, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass davon nichts übrig bleibt“. Der Beitrag „Sanders‘ Political Revolution Draws Nearly 30,000 to New York City Rally“ von Nika Knight am 14. April 2016 bei Common Dreams macht zumindest deutlich, wie stark die Mobiliseerung auch und gerade in New York war – und ist.
Jeff Hale, der unter anderem in den Netzwerken von „Black Lives Matter“ aktiv ist, meint: „Klar gibt es auch in dieser Kampagne Defizite. Da gibt es die ganzen Kritiken von BLM an der Kampagne, da ist sehr viel Richtiges dran. Aber: Es gibt keine andere, die solche Sachen überhaupt zum Thema macht, keine. Bei den Republikanern ist Rassismus positiv besetztes Thema, bei Clinton geht es, wie immer, um die Wohlfahrt der Konzerne. Aber wenn Sanders vom Mindestlohn redet – beispielsweise – dann betrifft das eben schon vor allem Afroamerikaner und Latinos, so ist die Sachlage“
„Labor for Bernie“ ist der Blog, in dem die AktivistInnen aus der Gewerkschaftsbewegung der USA – bisher über 10.000, die an diesem Blog teilnehmen – ihre Meinungen und Erfahrungen zu dieser Kampagne veröffentlichen.
Und Bill Sisley meint zur Wirkung in den Gewerkschaften: „Ist mir auch klar, dass viele der Kritiken, dies oder jenes sei zu wenig, oder fehle – dass viele davon zutreffen. Ich will ja jetzt nicht Mitglied der Demokratischen Partei werden oder sowas. Und über Außenpolitik beispielsweise, wo es sehr viel zu kritisieren gäbe, denken hier kaum welche nach: Es geht schon darum, sagen wir mal, ein linkssozialdemokratisches Programm zu popularisieren, was eben für die USA der Trump und Clinton und betonierten Gewerkschaftszenztralen schon ein deutlicher Schritt nach Vorne wäre“.
Barbara Chavez schließlich: „Ich sehe das Ergebnis bisher einfach so: Ich treffe jetzt – und erst jetzt – in den Bereichen, wo ich herumkomme, also in meine Fastfood – Bereich oder aber auch unter Reinigungsbeschäftigten zum ersten Mal Viele Latinos und Latinas, die von sich sagen, sie seien Links. Ich weiß nicht, wieviele es sind, ich habe sie nicht gezählt und kann sie nicht zählen, ich erlebe aber jeden Tag hier in New York, dass es eben sehr Viele sind, und höre hin und wieder, anderswo sei es auch so. Das ist das Ergebnis der Sanders – Kampagne, wie ich es sehe und für wichtig empfinde“.