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»Lehren aus dem Lehrerprotest« – Klassenkämpfe um Klassenzimmer
Artikel von Samantha Winslow, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2018
Was können wir aus dem Aufstand der LehrerInnen lernen, der die Aufmerksamkeit des Landes auf die Verwüstungen richtet, die die Haushaltskürzungen angerichtet haben? Das Ausmaß der Proteste kennt kein Vorbild, aber die am schlechtesten bezahlten LehrerInnen folgen dem gleichen Drehbuch wie jene in Chicago 2012: Aufbau von Machtressourcen am Arbeitsplatz, Themen aufgreifen, die die Mitglieder beschäftigen, große Würfe wagen.
Lohnabhängige haben oft weitaus mehr Macht, als Gewerkschaftsfunktionäre wahrnehmen. Lobbyismus bewirkt bei Weitem nicht so viel wie Streiks. Diese Lehren haben lange auf sich warten lassen. Der ökonomische Kollaps 2008 schuf eine Krise des Staates und der Kommunalverwaltungen – und für die Angestellten des öffentlichen Dienstes.
Gewerkschaftsfeindliche PolitikerInnen wussten die Krise sofort zu ihrem Vorteil zu nutzen. Demokraten und Republikaner waren sich einig: Faule, wirklichkeitsfremde Beschäftigte müssten ihre Vorteile aufgeben, um uns alle aus der Verschuldung zu holen. Die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes waren darauf nicht vorbereitet, nicht einmal in traditionell demokratischen Staaten wie Michigan und Wisconsin. Gewerkschaftsfunktionäre, die sich für die Möglichkeiten unter der neuen Obama-Regierung begeisterten, waren nicht auf den konservativen Gegenschlag vorbereitet. Die Angriffe wurden schärfer, nachdem bei den Zwischenwahlen zum Kongress 2010 viele Bundesstaaten rot (republikanisch, Anm. d. Red.) wurden.
Der Graswurzelwiderstand gegen die gewerkschaftsfeindliche Gesetzgebung des Gouverneurs von Wisconsin, Scott Walker, 2011 war sehr inspirierend: LehrerInnen feierten krank, eine Besetzung legte die Regierung des Bundesstaates lahm, Hunderttausende protestierten. Aber die Gewerkschaften entschieden sich dazu, weitreichende Konzessionen anzubieten, in der Hoffnung, dass Walker nicht aufs Ganze gehen würde – was er dennoch tat.
Wo die Gewerkschaften bereits schwach waren, legte die Legislative das Beil an die verbliebenen Rechte – so an die ausschließliche Tarifzuständigkeit oder die automatische Abführung von Mitgliedsbeiträgen – und an die öffentlichen Haushalte, insbesondere ans Budget für Schulen. Der Fokus auf parlamentarische Politik hat nicht geholfen, ebensowenig die Strategie, den Ball flach zu halten. Viele Gewerkschaften versuchten, einfach die Rezession auszusitzen – Konzessionen machen, mit Privatisierern kooperieren und hoffen, dass Wisconsin nicht Schule macht.
Wir mussten erleben, wie Lehrergewerkschaften um der Schadensbegrenzung willen Tarife aufgaben und die Einführung von abgestuften Lohngruppen als »Erfolg« feierten – so geschehen in Newark und Baltimore. Die Gewerkschaftsführung von Massachusetts scheute davor zurück, sich den privatwirtschaftlich orientierten Bildungsreformen in den Weg zu stellen und unterstützte lieber ein »kleineres Übel«, das die Möglichkeiten zur Durchsetzung kollektiver Regelungen deutlich einschränkte.
Aber die ganze Zeit über hat auch ein anderer Strang an Stärke gewonnen, wie man daran sehen kann, dass LehrerInnen im Stil Chicagos an unerwarteter Stelle für Unruhe sorgen.
Der Reformerflügel hat in mehreren Lehrergewerkschaften die Führung übernommen, einschließlich Los Angeles, Hawaii und Boston. Die LehrerInnen von Massachusetts wählten einen Vorsitzenden, der mit Wahlversammlungen arbeitete, um die Handlungsfähigkeit der Mitglieder Distrikt für Distrikt auszubauen. Als die Privatisierer eine Volksabstimmung zur Ausweitung der öffentlich finanzierten, aber privatrechtlich geführten Charter Schools initiierten, entschieden sich die Gewerkschaften für den Kampf statt für den Kompromiss – und die LehrerInnen schlugen die Privatisierungsbefürworter in der Abstimmung 2 zu 1.
Ein landesweites Netzwerk hat Gestalt angenommen. Lehrer-AktivistInnen – als Gewerkschaftsaktive oder auch als Bürgerinitiativen, wie in Baltimore, Philadelphia, New York und Denver – beheben taktische Fehler und entwickeln eine gemeinsame Vision für die Schule, die ihre SchülerInnen verdient haben. Auf der diesjährigen Labor Notes-Konferenz gab es einen regen Austausch mit LehrerInnen aus West Virginia, Arizona und Kentucky.
Nachdem die LehrerInnen Chicagos sich erhoben hatten, versuchte Bürgermeister Rahm Emanuel ein Exempel an ihnen zu statuieren. Doch ihr Widerstandsgeist breitet sich aus. LehrerInnen sind in jeder Stadt und in jedem Bundesstaat zuhause. Es fällt ihnen nicht schwer, ihre Arbeitsplatzprobleme mit den Lebensbedingungen ihrer SchülerInnen und deren Umfeld zu einem Gesamtbild zu verbinden.
LehrerInnen sind obendrein nicht einzigartig. Wir sollten nicht vergessen, dass sie vor zehn Jahren als oberste Feinde der Allgemeinheit galten. Ihr jetziger Aufstand sollte Lohnabhängige in der ganzen Breite inspirieren. Unterbezahlten LehrerInnen (und ArbeiterInnen) allerorts gibt Brittani Karbginsky aus Arizona diesen Ratschlag: »Fang damit an, deine Geschichte zu erzählen. Erzähl den Leuten, warum du wütend bist, und warum es nicht besser wird. Viele Leute schreiben uns: ›Wir haben euch im Auge. Wir schauen auf zu euch‹«, erzählt sie. »Ich sage: ›Jetzt seid ihr am Zug!‹«
Samantha Winslow
- Übersetzung: Stefan Schoppengerd
- Quelle: Labor Notes, Online-Ausgabe vom 27. April 2018
Siehe auch:
- »Sturm in der Staubglocke« – Neun Tage Streik der LehrerInnen Oklahomas
Artikel von Samantha Winslow, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2018 über Ziele und ein offenes Ende
- »Rot für die Bildung« – Riesige Beteiligung am Streik der LehrerInnen in Arizona
Artikel von Jonah Furman, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit 5/2018