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Neue Pflegeformel. Kalifornische Krankenhausbeschäftigte im Streik
„Das kommt uns aus der Charité bekannt vor: Mitte März haben mehr als 1.000 Krankenschwestern in einem Krankenhaus von Kaiser Permanente in Los Angeles eine Woche gestreikt, um die Umsetzung eines verbindlichen Personalschlüssels zu erreichen. Denn so, wie sie im Moment arbeiten, sind die Arbeitsbedingungen gefährlich für die Patienten. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es allerdings in Kalifornien sogar schon eine gesetzliche Regelung für eine Personalquote. Wir lernen hier, wie der Arbeitgeber dies dennoch unterlaufen kann, wenn die Beschäftigten nicht aufpassen…“ Artikel von Mario Vasquez*, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, 4/2016
1.200 KrankenpflegerInnen, Mitglieder der Gewerkschaft California Nurses Association (CNA), die wiederum eine regionale Gliederung der National Nurses United (NNU) ist, haben eine Woche lang gestreikt für einen ersten Tarifvertrag mit ihrem Arbeitgeber, dem Kaiser Permanente Los Angeles Medical Center (LAMC). Die CNA-Mitglieder wollen, dass das Management von LAMC einem Vertrag zustimmt, der festlegt, was eine chronische Unterbesetzung auf Station ist, denn – so die KrankenpflegerInnen – diese sei lebensgefährlich für die PatientInnen.
Das LAMC ist das wichtigste Krankenhaus von Kaiser Permanente in Südkalifornien für Patienten mit Intensivpflegebedarf oder besonderen Pflegeanforderungen. Kaiser verfügt aktuell über 800 medizinische Einrichtungen im ganzen Land (die meisten davon in Kalifornien) und macht damit jährlich Milliardenprofite. Die KrankenpflegerInnen kritisieren allerdings die häufige Unterbesetzung. LAMC-KrankenpflegerInnen, die mit In These Times gesprochen haben, bestehen darauf, dass die Politik des aktuellen Managements verantwortlich ist für die gefährlichen Arbeits- und Genesungsbedingungen im Krankenhaus. (Kaiser hat auf die Bitte um einen Kommentar noch nicht geantwortet.)
Kalifornien war der erste US-Staat, der im Jahr 2004 eine Minimalquote für das Verhältnis von Pflege zu Patient festgelegt hat. Die Pflegerin und Gewerkschaftskollegin Sandra Henke glaubt allerdings, dass es immer noch durch Missmanagement verursachte Schlupflöcher gibt: »Das Problem ist, dass Kaiser uns nicht so viele Pflegekräfte zur Verfügung stellt, dass wir SpringerInnen hätten bzw. auch die Pausen besetzt wären. Wenn wir unsere gesetzlich vorgeschriebene Pause nehmen, sagt das Management: ›Du übernimmst die drei Patienten von dieser Pflegekraft und kümmerst Dich außerdem um Deine eigenen drei Patienten.‹« So drücken sie die Personalquote. »Was sie erwarten, ist: ›Übernimm den Job Deiner Freundin kurz, so dass sie Pause machen kann‹, anstatt spezielle Pflegekräfte einzustellen, die die Pausen abdecken können. Wir wollen, dass diese Quoten für eine sichere Personalbesetzung vertraglich festgehalten werden«, fügt Henke hinzu.
Studien zur Arbeitsbelastung bei Pflegekräften legen zwingend den Schluss nahe, dass weniger Patienten pro Pflegekraft mit einer signifikant niedrigeren Patienten-Mortalität einhergehen. Yazmin Gaxiola, eine streikende Gewerkschaftskollegin und Krankenschwester bei LAMC, berichtet In These Times, dass Krankenpflegerinnen auch gezwungen werden, in Bereichen zu arbeiten, für die sie nicht qualifiziert sind, und dass sie oft unter dem Druck stehen, keine Pausen nehmen zu können, weil sie dadurch riskieren, dass ihre KollegInnen noch mehr PatientInnen bekommen. »Wir sagen der Geschäftsführung, dass dies die Patientensicherheit gefährdet. Manchmal habe ich den Eindruck, dass sie darauf warten, dass entweder jemand stirbt oder etwas Schlimmes passiert, bevor sie die Probleme angehen«, meint Gaxiola. Um sich davor zu schützen, ihre Pflegelizenz zu verlieren, und um eine Datengrundlage für die Patientenvertretung zu erstellen, haben sie 800 Unfallberichte (vergleichbar mit Gefährdungsanzeigen in deutschen Krankenhäusern, die Übers.) gesammelt, die detailliert unsichere Einsätze von LAMC-KrankenpflegerInnen in der Vergangenheit dokumentieren, so die CNA. Während des Streiks haben die Krankenschwestern diese Gefährdungsanzeigen auf eine Leine gehängt, die sich durch das ganze Quartier außerhalb des Krankenhauses zog.
Die LAMC-Krankenschwestern beklagen auch, dass sie die am schlechtesten bezahlten Kranwkenschwestern bei Kaiser in ganz Kalifornien sind und in den letzten sechs Jahren keine Lohnerhöhung zum Ausgleich gestiegener Lebenshaltungskosten oder darüber hinaus erhalten haben. Im Juni 2015 haben sie sich daher entschlossen, der CNA-NNU beizutreten, um diesen Trend umzukehren und einen Tarifvertrag zu erreichen, wie ihn die CNA für 18.000 Kaiser-Pflegekräfte in Nord- und Zentral-Kalifornien ausgehandelt hat.
»Ich kümmere mich um schwerstkranke Patienten … und immer noch werde ich so schlecht bezahlt. Was wir von Kaiser verlangen, ist Gleichheit – zahlt uns das Gleiche (wie den Krankenschwestern in anderen Kaiser-Häusern) und kümmert Euch um unsere Sozialleistungen. Ich finde nicht, dass ich deshalb gierig bin«, meint Gaxiola.
Vor Kurzem hat Kaiser in einer Stellungnahme behauptet, dass das letzte Vertragsangebot des Unternehmens »exzellent« gewesen sei. Doch Gewerkschaftsmitglieder entgegnen, dass hunderte Krankenschwestern sich nach Durchsicht des Verhandlungsangebots »missachtet« fühlten, so die für Kaiser zuständige CNA-Sekretärin, Karen Chan. Letzten Monat haben 1.100 von 1.200 Krankenschwestern beim LAMC eine Petition für einen Streik unterzeichnet, der dann der längste Streik bei LAMC seit 1990 wurde. »Das Angebot war kein Ausgleich für die komplexe Funktion, die sie in der Krankenversorgung innehaben«, sagt Chan.
Während die Forderungen nach angemessener Entlohnung für die Pflegenden, die an vorderster Front für die PatientInnen zuständig sind, im LAMC schwer durchzusetzen sind, scheint Kaiser California viel williger, eine Kompensation für Führungskräfte auf der höchsten Ebene zu zahlen, und das alles, während sie gleichzeitig von staatlicher Unterstützung profitieren. Das Institute for Health and Socio-Economic Policy (IHSP) hat im Jahr 2012 eine Studie mit dem Titel »Profitieren von der gemeinnützigen Pflege: Kalifornische Non-Profit-Krankenhäuser« veröffentlicht, in der herausgefunden wurde, dass 17 Vorstandsmitglieder in den privaten, aber nicht profitorientierten Kaiser-Krankenhäusern über eine Million US-Dollar im Jahr verdienen, zusammen 32,3 Millionen US-Dollar. Über diese Spitzenverdienste der Führungskräfte hinaus ist es Kaiser möglich, durch Steuerbefreiungen wegen des non-profit-Status jedes Jahr Millionen zu sparen (789 Millionen US-Dollar in 2010 gemäß der Analyse von IHSP), was den Etat für Wohltätigkeitsmaßnahmen des Unternehmens im Gesundheitsbereich deutlich übersteigt.
Die gewerkschaftlich organisierten Krankenschwestern bei LAMC haben einen Verbündeten in der Sache: Präsidentschaftskandidat Senator Bernie Sanders von Vermont, der einen offenen Brief an William Grice, den Geschäftsführer des LAMC geschrieben hat. »Ich schreibe Ihnen, um Sie dringend aufzufordern, mit den Kaiser Los Angeles Medical Center-Krankenschwestern über einen fairen Vertrag zu verhandeln, der ihre Rolle bei der Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Krankenpflege würdigt«, so Senator Sanders. Im August 2015 sprach sich die NNU für Sanders’ als Präsident aus und bezog sich dabei zustimmend auf seinen Vorschlag, ein Medicare-System für alle einzuführen.[1]
»So lassen wir Kaiser wissen, dass wir einen vertraglich festgelegten Personalschlüssel brauchen, wir brauchen vertraglich festgelegte Quoten für bezahltes Personal – wir müssen sie zwingen, auf die Krankenschwestern zu hören«, sagt Henke.
* Mario Vasquez lebt in Süd-Kalifornien und schreibt regelmäßig für »Working In These Times«.
Quelle: Working In These Times, 22. März 2016, in: http://inthesetimes.org
Übersetzung: Nadja Rakowitz
Anmerkung:
1 Medicare ist eine der wenigen gesetzlichen Sozialversicherungen in den USA. Sie beinhaltet eine Pflichtversicherung für RentnerInnen und bestimmte Personengruppen mit chronischen Krankheiten bzw. Einschränkungen, übernimmt allerdings nur Teile der Behandlungs- und Medikamentenkosten und setzt voraus, dass während des Erwerbslebens in die Versicherung eingezahlt wurde.