[„Quiet Quitting“] Dieser neue Arbeitstrend treibt Arbeitgeber in die Verzweiflung – keine Überstunden mehr, nur das Nötigste erledigen…
Dossier
„Noch vor wenigen Monaten waren Begriffe wie „Big Quit“ oder „The Great Resignation“ in aller Munde: Angestellte haben Anfang des Jahres 2021 en masse gekündigt oder wurden entlassen. Das aktive Geschehen wird nun von einem passiven ersetzt, welches als „Quiet Quitting“ bekannt ist. Quiet Quitting, also die leise Kündigung, liegt in den USA gerade im Trend. (…) Der Begriff wird unterschiedlich definiert. Grundsätzlich bedeutet er: Beschäftigte kündigen ihren Job nicht, tun auf der Arbeit aber lediglich das Notwendigste – und nicht mehr. Sie machen pünktlich Feierabend, widmen sich danach nur noch ihrer Familie, ihrer Freizeit oder einer Sache, die nichts mit ihrer Arbeit zu tun hat. Der Laptop bleibt jetzt auf der Arbeit, E-Mails und Nachrichten von Kollegen und Chefs werden erst zur Arbeitszeit beantwortet; keine Abrufbereitschaft. Darüber hinaus ist es üblich, keine „Zusatzaufgaben“ zu übernehmen: Einen kleinen Gefallen für den Chef, eben mal etwas kopieren oder organisieren? Das spricht gegen das Prinzip, was man als eine Art leise Protesthaltung sehen könnte…“ Beitrag der Arbeits-ABC Redaktion vom 25. August 2022 , siehe #QuietQuitting und mehr daraus/dazu:
- Work-Life-Balance: Arbeit als Lebensinhalt ist out
„Artikel über die Arbeitsunwilligkeit der Gen Z sind unverschämt. Denn keinen Bock darauf, sich kaputt zu rackern, darf kein Privileg der Jugend sein.
Das Thema ist immer noch nicht durch! Ich stoße weiter dauernd auf Artikel, in denen diskutiert wird, ob die Generation Z arbeitsunwillig ist. Oder faul. Oder einfach zu hohe Ansprüche an Berufsleben und Arbeitswelt hat. Ich finde das unverschämt. Nicht, dass der Gen Z Fleiß und Arbeitswille in Abrede gestellt werden. Sondern, dass die Artikel meist nur von ihr handeln: Keinen Bock haben sich kaputt zu rackern, das darf kein Privileg der Jugend sein. (…) Die einen haben während der Pandemie gelernt, dass das, was sie tun, entbehrlich ist. Dass sie verzichtbar sind. Und die Unverzichtbaren? Die haben gelernt, dass sie zwar „systemrelevant“ sind, aber dass selbst hohes Risiko und größte Überarbeitung nur ein Klatschen wert sind. Vor einer Weile habe ich geschrieben, wie absurd es sich angesichts der Kriege und Krisen um mich herum anfühlt, einfach am Schreibtisch zu sitzen. „Alles brennt. Ich bin im Büro.“ Und das Gefühl ist bis jetzt nicht fort. Weitermachen mit der Arbeitsroutine, so interessant und kreativ die Tätigkeit auch sein mag, wirkt deplatziert angesichts der Kriege und Krisen und der großen gesellschaftlichen Fragen, denen wir uns stellen müssen. Dass Arbeit als Lebensinhalt inzwischen einfach out ist, ist ein Mehrgenerationen-Phänomen.“ Kolumne von Simone Dede Ayivi vom 12.7.2024 in der taz online - Faul sind immer nur die Arbeiter: In Deutschland leben 800.000 Menschen allein von passivem Einkommen aus ihren Großvermögen „… Dass die Generation Z ausnahmslos aus faulen Hunden besteht und nichts im Kopf hat als das arbeitsfreie Schlaraffenland, können wir uns seit einem Jahr tagtäglich in Talkshows anhören und in Leitartikeln lesen. Die jungen Leute wagen es glatt, an Work-Life-Balance zu denken und sorgen sich nicht zuerst um ihren Arbeitgeber oder ihr Land, sondern um sich. Pfui, wie egoistisch! Wir alle kennen diese Predigten mittlerweile auswendig. Da braucht es so langsam eine neue Erzählung, um die protestantische Arbeitsmoral im Lande zu schüren – und die dürfte den deutschen Boomern gar nicht gefallen. Die Nachrichtenagentur Bloomberg erklärte nämlich vor wenigen Tagen: Ganz Deutschland droht, seine Arbeitsmoral zu verlieren. Diese These stellte der Bloomberg-Kolumnist Chris Bryant auf, und natürlich stürzten sich deutsche Medien sofort darauf, etwa der Spiegel, der alarmiert fragte: »Sind wir Deutschen einfach zu faul?« Gern wüsste ich, wer mit diesem »Wir« gemeint ist. Es gibt immerhin viele Menschen, die hierzulande ganz ohne Arbeit leben wie Gott in Frankreich. In Deutschland gibt es über 800.000 Privatiers. Das heißt: 800.000 Menschen, die nur davon leben, was ihr riesiges Vermögen abwirft, wenn wir dem Statistischen Bundesamt Glauben schenken dürfen. Dieses schrieb nämlich vor ein paar Jahren: »1 Prozent der Bevölkerung finanzierte seinen Lebensunterhalt überwiegend durch das eigene Vermögen (einschließlich Ersparnisse, Zinsen sowie Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung). Das waren rund 0,8 Millionen Personen.« (…) Würde der Spiegel-Autor diese Menschen als faul bezeichnen? Unrecht hätte er nicht, immerhin leben sie nur davon, Erwerbstätige für sich arbeiten zu lassen, und knöpfen ihnen dann auch noch horrende Mieten ab. Ich fürchte aber, diese Rentiers sind nicht gemeint. Nun, welche Faulpelze könnte man denn noch produktiv einspannen, damit die Wirtschaft ins Laufen kommt? (…) In Wahrheit handelt es sich natürlich um eine Ansage an die arbeitende Bevölkerung, die seit über fünfzig Jahren keine nennenswerte Senkung der Wochenarbeitszeit erleben durfte, die derzeit mit Reallohnverlusten zu hadern hat und im vergangenen Jahr über 700 Millionen unbezahlte Überstunden geleistet hat. Um das noch einmal zu wiederholen: In diesem Land werden 700 Millionen unbezahlte Überstunden in einem Jahr geleistet, und dennoch sind sich Kolumnisten nicht zu blöde, den Mangel an Arbeitsmoral zu beweinen. Besonders schön wird diese Predigt da, wo sie sich selbst widerspricht: Der Bloomberg-Kolumnist beklagt die geringe Arbeitslust der Deutschen und erkennt selbst die »hohen Fehl- und Krankenzeiten, die sich auch auf hohe Arbeitsbelastung zurückführen ließen«. Und was hilft bei zu hoher Arbeitsbelastung? Natürlich noch mehr Arbeit! Keine weiteren Fragen, euer Ehren.“ Kommentar von Ole Nymoen vom 2. Mai 2024 in Jacobin.de
- Gallup-Studie für 2023: Mehr als 7,3 Millionen Arbeitskräfte haben innerlich gekündigt und sich emotional von ihrem Arbeitgeber verabschiedet
„… Knapp die Hälfte der in Deutschland Beschäftigten ist auf dem Sprung: 45 Prozent von ihnen sind aktiv auf Jobsuche oder zumindest offen für einen Wechsel. Das ist das Ergebnis der Langzeitstudie »Gallup Engagement Index Deutschland«, die das Unternehmen seit 2001 jährlich erhebt. (…) Der Index misst unter anderem, wie sehr sich Mitarbeitende an ihre Arbeitgeber emotional gebunden fühlen. Und dieser Wert ist auf einem Zehn-Jahres-Tiefstand: Fast jeder Fünfte sagt, dass er sich »überhaupt nicht gebunden« fühlt. Vier von zehn Befragten, die weniger als ein Jahr im Unternehmen sind, schauen sich schon wieder nach einer neuen Stelle um. Nur 14 Prozent sind »emotional hoch gebunden« an ihre Firma und »erleben ein durch gute Führung geprägtes Arbeitsumfeld«; mehr als 7,3 Millionen Beschäftigte haben laut der Studie bereits innerlich gekündigt. (…) Nur 40 Prozent der Befragten haben uneingeschränkt Vertrauen in die finanzielle Zukunft ihres Arbeitgebers. Das war in den Coronajahren anders: 2020 lag der Wert bei 55 Prozent, der höchste im Rahmen der Studie je gemessene – seither geht es abwärts, auch mit der Überzeugung, die eigene Geschäftsführung könne künftige Herausforderungen erfolgreich meistern. Nur noch ein Viertel glaubt, dass die Chefinnen und Chefs zukunftssicher unterwegs sind – auch dieser Wert liegt mittlerweile auf Vor-Pandemie-Niveau. (…) Innere Kündigung ist der Studie zufolge auch ein volkswirtschaftliches Problem: Die Autoren beziffern die dadurch entstehenden Kosten aufgrund von Produktivitätseinbußen auf eine Summe zwischen 132,6 und 167,2 Milliarden Euro. Bei geringer Bindung nehmen auch die Fehlzeiten zu: Beschäftigte, die sich emotional von ihrem Arbeitgeber verabschiedet haben, waren 2023 im Schnitt gut neun Tage krank, hoch gebundene Mitarbeitende kamen nur auf knapp fünf Tage. (…) Der entscheidende Faktor für Wechselwilligkeit, so die Studie, sei die erlebte Führung. Nur gut ein Fünftel ist uneingeschränkt mit dem oder der direkten Vorgesetzten zufrieden. Darüber hinaus haben Beschäftigte nicht das Gefühl, dass ihre Führungskräfte ihre Stärken wahrnehmen und wertschätzen. Nur gut ein Viertel gibt an, dass diese in ihrem Arbeitsalltag im Mittelpunkt stehen…“ Artikel von Maren Hoffmann vom 14. März 2024 im Spiegel online („Mehr als 7,3 Millionen Beschäftigte haben laut neuer Studie innerlich gekündigt“) über den- Bericht zum Engagement Index Deutschland 2023 : So steht es um Deutschlands Arbeitsplätze (Download nach Anmeldung)
- siehe auch die Pressemitteilung vom 14.3.24 bei Gallup : „Negativer Trend setzt sich fort: über 7,3 Millionen Beschäftigte in Deutschland haben innerlich gekündigt
– Nur 14 Prozent der Arbeitnehmenden emotional hoch gebunden
– Mehr Beschäftigte denn je (45 %) aktiv auf Jobsuche oder offen für Neues
– Vier von zehn Befragten mit weniger als zwölf Monaten Unternehmenszugehörigkeit schauen sich bereits wieder um
– Nur 40 Prozent haben uneingeschränkt Vertrauen in die finanzielle Zukunft ihres Arbeitgebers
– Studienleiter Marco Nink: „Schlechte Führung wird zum Risikofaktor für den Unternehmenserfolg“…“
- HDI-Berufe-Studie 2022: Teilzeit und 4-Tage-Woche stehen hoch im Kurs – Nachlassende Berufsbindung und Traum von der Flucht aus dem Arbeitsleben
„Fast 50 Prozent aller Beschäftigten strebt Teilzeit-Arbeit an und sogar 76 Prozent befürworten die 4-Tage-Woche – Personalpotentiale in Deutschland könnten dadurch weiter sinken – Bindungen zum Beruf lassen insgesamt nach – Jeder Dritte sieht sich im angestrebten „Traumberuf“
Deutschlands Berufstätige streben deutlich veränderte Arbeitsmodelle an. Fast jeder zweite Vollzeit-Beschäftigte will zur Teilzeit-Arbeit wechseln, wenn er dazu die Möglichkeit vom Arbeitgeber bekommt (48 Prozent). Am stärksten ist der Wunsch nach kürzerer Arbeitszeit bei den Beschäftigten unter 40 Jahren. Drei Viertel aller Beschäftigten plädieren zudem für die Einführung der 4-Tage-Woche in ihren Unternehmen (76 Prozent). Besonders stark ist das in der Industrie der Fall (86 Prozent). Hier wäre sogar jeder Vierte (24 Prozent) auch bereit, dafür auf einen Teil des Lohns zu verzichten, insgesamt sind das aber nur 14 Prozent aller Beschäftigten. Zugleich sehen 41 Prozent aller Berufstätigen in Deutschland durch mobiles Arbeiten qualitativ verbesserte Ergebnisse, nur 29 Prozent bestreiten das. Ein Treiber dieser Entwicklungen scheint die massive Digitalisierung der Arbeitswelt seit 2019 zu sein, die durch die Corona-Pandemie deutlich beschleunigt wurde. So loben heute 60 Prozent aller Beschäftigten, das sind fast ein Drittel mehr als vor der Corona-Zeit, die Digitalisierung im Beruf als hilfreich. Zugleich geht die Sorge vor Jobverlusten durch die Digitalisierung in Deutschland weiter zurück. Allerdings nimmt auch die Bindung zum Job und Unternehmen gerade bei jungen Beschäftigten signifikant ab – zugunsten einer angestrebten verbesserten Work-Life-Balance. War etwa 2020 für 69 Prozent der Berufstätigen unter 25 Jahren „ein Leben ohne Beruf nicht vorstellbar“, sind es jetzt 58 Prozent. (…) „Ich würde so schnell wie möglich mit meinem beruflichen Arbeiten aufhören, wenn ich es finanziell nicht mehr nötig hätte.“ In der ersten HDI Berufe-Studie 2019 stimmte dieser Aussage rund jeder dritte Berufstätige in Deutschland zu. Drei Jahre später und nach den Corona-Erfahrungen liegt die Zustimmung jetzt bei 56 Prozent – mehr als ein Drittel höher. Deutlich gestiegen ist dabei gerade der Anteil junger Berufstätiger, die sich auch „ein Leben ohne Beruf“ vorstellen können. Nur etwa jeder dritte Beschäftigte (37 Prozent) gibt aktuell an, heute in dem Beruf zu arbeiten, den er sich immer gewünscht und angestrebt habe. Unter Lehrern und Ausbildern erreicht diese Quote mit 59 Prozent den höchsten Wert unter allen Berufsgruppen. Auch unter Medizinern und IT-Kräften arbeiten mit jeweils 44 Prozent überdurchschnittlich viele in ihrem „Traumberuf“. Bei Beschäftigten im Sicherheits- und Reinigungsgewerbe ist das hingegen nur zu 20 Prozent der Fall, sie bilden damit das Schlusslicht unter allen Berufsgruppen…“ HDI-Pressemitteilung vom 27.09.2022 und alle Informationen zur HDI Berufe-Studie 2022- Die Wirtschaftswoche online sorgt sich aus der Arbeitgebersicht, siehe den Artikel von Dominik Reintjes vom 27. September 2022 : „Teilzeit, 4-Tage-Woche, Kündigung Diese 5 Grafiken zeigen, wie den Deutschen der Spaß an der Arbeit vergeht. Beschäftigte legen immer weniger Wert auf ihren Beruf, wollen weniger arbeiten und am liebsten sogar ganz aufhören, zeigt eine aktuelle Umfrage. Vor allem die junge Generation macht den Führungskräften das Leben schwer…“
- Quiet Quitting: Helden der Arbeitsverweigerung müssen sich organisieren
„… Man hört also wieder von ihm, von Bartleby, dem Schreiber. Als Vorbild der Arbeitsaufständischen wird die Figur aus Herman Melvilles 1853 veröffentlichter Erzählung gerne für Feuilleton-Debatten über die Arbeitswelt herangezogen; seine Anti-Normalitäts-Einstellung passt ja auch gut zum Geist der Zeit. „Es ist, als wären wir alle zu Bartleby geworden“, schrieb eine CNN-Autorin schon vergangenen Sommer: Millionen von Menschen hatten in den USA in der Pandemie ihre Jobs gekündigt, so viele wie lange nicht zuvor. Viele Expert*innen zeigten sich begeistert: „Die Great Resignation könnte der Beginn einer bedeutsamen Veränderung der Arbeitsbedingungen in diesem Land sein“, schrieb etwa die Historikerin Abigail Susik in der New York Times. Von einer „wunderbaren Entwicklung“ schwärmte der Journalist Timothy Noah. Manche Linke sahen sogar die Vorboten eines lang ersehnten Generalstreiks. Auch jetzt, knapp ein Jahr später, wird wieder über die vielen neuen Bartlebys diskutiert: Aber statt hinzuschmeißen, würden sich nun immer mehr Menschen dafür entscheiden, nur noch das Nötigste auf der Arbeit zu tun. „Quiet Quitting“ (stille Kündigung) nennt sich das (früher sprach man vielleicht vom „Bummelstreik“). Der Arbeitskräftemangel, mehr als eine Million offene Stellen gibt es etwa in Deutschland, könnte die Hoffnung stärken: Entwickelt sich mit dem neuen Selbstbewusstsein der Arbeitenden auch eine neue Arbeitsmacht gegenüber den Unternehmen? Es lohnt ein Blick zurück in die USA, denn dort scheint der Glaube an das transformative Potenzial der Great Resignation bereits wieder verflogen. Während die Gehaltszuwächse, die in einigen Branchen erreicht wurden, von der Inflation weitestgehend kassiert wurden, häufen sich die Berichte von „Boomerang-Angestellten“, die inzwischen wieder zurück beim alten Arbeitgeber gelandet sind, und von Menschen, die es ganz bereuen, ihren Job aufgegeben zu haben. Wieso ist die Great Resignation aus linker Sicht verpufft? Vermutlich aus dem gleichen Grund, aus dem Bartleby mit seiner Ich-Verweigerung keinen Aufstand angezettelt hat. Das Problem ist die Vereinzelung. (…) Damit Proteste nachhaltig wirken, brauchen sie Druckmittel. Und die entstehen allermeist dadurch, dass man sich im Kollektiv organisiert. So nachvollziehbar das Auflehnen, Entziehen, Resignieren, so wenig baut sich dadurch wirkliche Macht für die Mehrheit der Lohnabhängigen auf. Ähnlich verhält es sich, wenn Leute einer Wahl fernbleiben, um der Politik „eine Lehre zu erteilen“. Individualisiertes Nicht-Wählen streichelt höchstens die Statistik, jucken tut es leider kaum. Chris Smalls, Präsident der ersten Amazon-Gewerkschaft, formulierte es neulich so: „Wenn du deinen Job kündigst, rate mal, was passiert? Sie stellen jemanden anderen ein. Man springt also von einem Feuer ins nächste und das System wird dadurch nicht besser.“ (…) Im Vergleich zu früheren Arbeiter*innenbewegungen ist die jetzige immer noch klein, sie steht am Anfang eines langwierigen Aufbaus. Im besten Fall. Alleine muss sich aber niemand mehr fühlen. Da wären wir wieder bei Bartleby, dem rätselhaften Aus-der-Welt-Steiger, der einfach nicht in Ruhe gelassen wird. Man stelle sich vor, Millionen von Menschen würden das machen, was Bartleby gemacht hat – aber nicht als Einzelgänger, sondern solidarisch geplant und mit konkreten Forderungen verknüpft. Das wäre ein Generalstreik.“ Artikel von Lukas Hermsmeier vom 14. September 2022 im Freitag 37/2022- Anm.: Als Diskussionsbeitrag vielleicht wichtig. Allerdings hat da Lukas einen logischen Denkfehler in seiner Kritik. Denn Quiet Quitting lässt sich auch organisiert betreiben. Dass Bartleby ein „einsamer Einzelkämpfer“ blieb, kann ja auch daran liegen, dass er zu wenig ernst genommen wurde mit seinem Verweigerungskonzept. Mensch muss eben nicht unbedingt „konkrete Forderungen“ aufstellen, um den Gang der kapitalistischen Arbeit zu boykottieren, wie Lukas zum Schluss Bartelby uminterpretiert. Was Lukas – trotz aller Hinweise auf aktuelle Kämpfe – unterschätzt, ist der schlichte Umstand, dass konkrete Forderungen eben aus antikapitalistischer Sicht, viel weniger radikal sein können, als der innere Abschied vom kapitalistischen Arbeitsethos (mit mehr Lohn, bessere Ausbeutungsbedingungen usw.). Es gibt in der Tat kritikwürdige Aspekte beim Quiet Quitting (wer kann es überhaupt betreiben?). Aber dies als Waffe im gewerkschaftlichen Kampf völlig auszuklammern, halte ich für falsch. Statt unbezahlte Überstunden z.B. wäre Quiet Quitting sehr begrüßenswert, d.h. wenn wenigstens innerlich das Ausbeutungsverhältnis gekündigt wird. Und kann solche innere Kündigung nicht auch eine Vorstufe für eine äußere Kündigung sein als der Kampf um „gerechtere“ Ausbeitung? (vgl. dazu auch Marx zum Grundsatz der Lohnarbeit)
- [Quiet Quitting] Erwachet! Neues aus der Extrameile
„Ich bin eine glühende Verfechterin der Idee von Quiet Quitting: sich nicht mehr für die Arbeit verausgaben zu wollen, sondern bloss zu machen, wofür du bezahlt wirst. Nicht «the extra mile» zu gehen, die schon lang als selbstverständlich erwartet wird. Stattdessen keine Überstunden mehr, keine Mails am Feierabend, kein Zoom am Wochenende. Entgrenzter Arbeit Grenzen setzen: Der Trend, nicht mehr zu machen als nötig, ist die logische und effektive Gegenwehr in einer deregulierten Arbeitswelt, die Massen in Burn-out und Depressionen treibt. Ich sage «Idee», weil mir die Umsetzung sehr schwerfällt. Irgendwo in meiner arbeitsmoralischen Sozialisation wurde die Verausgabung als Qualität tief eingepflanzt. (…) Das schlechte Gewissen um das Privileg der elitären Kopfarbeit redet mir ein, dass die Ausübung meiner Tätigkeiten wenigstens mit einem hohen Stresslevel einhergehen muss – als würden sie dadurch an Berechtigung gewinnen. Gleichzeitig wäre es Romantisierung zu behaupten, dass es mit weniger easy gehen würde – Geld ist nicht alles, aber für warme Miete muss es schon reichen. Für Freischaffende gibt es kein Quiet Quitting; hinter jedem Weniger-Machen lauern Existenzängste. Oder? Und wie sieht es in anderen Berufen aus? Was soll das überhaupt bedeuten: «nur das Nötigste machen»? Geht dabei nicht auch etwas verloren? Das klingt doch verdächtig nach noch einer neoliberalen Tugend, nach der bösen Stiefschwester der fröhlichen Ausschweifung: Ist das nicht einfach schlecht verhüllte Effizienz? Dieselbe, mit der sämtliche Sparprogramme erklärt und gerechtfertigt werden – gerade in sogenannt systemrelevanten Berufen? Wo will ein:e Pfleger:in quiet quitten, wenn sie eh schon nur noch Zeit für das Allernötigste hat? Ganz zu schweigen von allen Berufen, in denen die Konkurrenz so gross ist, dass Quiet Quitting keine Option ist? (…) Langfristig müssen wir die Lösung wohl anderswo suchen. In höheren Löhnen zum Beispiel. In besserer Altersvorsorge (natürlich zwei Mal Nein). Warum nicht gleich in einem anständigen Grundeinkommen? Der Club of Rome erklärt es gerade wieder: Umverteilung ist das Einzige, was uns noch retten kann. Die Extrameilen der Privatjets direkt in die AHV.“ Kolumne von Michelle Steinbeck aus der WOZ Nr. 37 vom 15. September 2022 - „Quiet Quitting“ hält unserer Arbeitsmoral einen genialen Spiegel vor
„… Früher konnte man in der Schule Extrapunkte sammeln und so trotz fehlenden Wissens an anderer Stelle eine gute Note bekommen. In der Arbeitswelt von heute gilt diese Logik nicht mehr. Die Eins gibt es nur bei Übererfüllung, volle Punktzahl plus Extrapunkte. Durch Überstunden zum Beispiel, die Übernahme von mehr Verantwortung, mehr Projekte und mehr Eigeninitiative. Mehr, mehr, mehr. Das will aber niemand. Nicht mehr. Auf diesem Nährboden hat sich jüngst die Idee des Quiet Quitting rasant ausgebreitet (Englisch für „stilles Kündigen“). Die Idee dahinter ist, dass man nur so viel arbeitet, wie man tatsächlich bezahlt bekommt. Es handelt sich dabei nicht um eine Kündigung im formalen Sinn. Man verabschiedet sich eher von der Idee, dass man den Anforderungen des Jobs nur dann genügt, wenn man stets und ständig zu viel gibt. Volle Leistung, ohne Extrapunkte. Sosehr das einleuchten mag: Warum heißt es „Quiet Quitting“ statt „gesunde Work-Life-Balance“? (…) In der Arbeitsforschung wird seit jeher das Sinnstiftungspotenzial von Arbeit betont. Das kann durch viele verschiedene Faktoren gestört werden, man denke an die Entfremdung bei Marx oder an die fehlende soziale Bedeutung von Arbeit im Großunternehmen. Der Anthropologe David Graeber ist der Auffassung, dass im 21. Jahrhundert immer mehr Menschen Schwierigkeiten haben, in ihren Berufen sinnvolle Tätigkeiten zu sehen, die die Welt wirklich braucht. Gleichzeitig wächst die Branche der Unternehmenskulturbildung exponentiell. Firmen verlangen von ihren Mitarbeiterinnen vollen Einsatz, uneingeschränkte Loyalität, die Verkörperung der Unternehmenswerte im Büro und privat. Ob man will oder nicht, dieses Spiel muss man mitspielen. Die eigene Arbeit für unsinnig halten, aber dem Arbeitgeber gegenüber so tun, als wäre sie wertvoll: Das ist die Bürde unserer Zeit. David Graeber nennt dieses Phänomen „Bullshit Jobs“. Bei Bullshit Jobs gebe es immer „eine Lücke zwischen Anschein und Realität“, schreibt er. Der deutsche Soziologe Stefan Kühl spricht von einer der Organisationswissenschaft bekannten „Heuchelei“ am Arbeitsplatz. Doch in dieser Heuchel-Lücke vermehrt sich der Keim der Unzufriedenheit. Denn dort wird Schlechtes mit guten Worten getarnt. Burn-out heißt dort „voller Einsatz“ und „Karriere machen“. Überlastungsinnovation schaffen heißt „Leader werden“. Quiet Quitting zeigt, wie unsinnig diese Unaufrichtigkeit ist, indem es das Gleiche macht, nur umgekehrt. Es spielt mit einem negativ konnotierten Begriff, der eigentlich etwas Gutes, Gesundes, Vernünftiges bedeutet. Ein Extrapunkt für das Anprangern von Heuchelei.“ Artikel von Agatha Frischmuth vom 7. September 2022 aus Der Freitag Ausgabe 36/2022 - Weiter im Beitrag der Arbeits-ABC Redaktion vom 25. August 2022 („Quiet Quitting: Dieser neue Arbeitstrend treibt Arbeitgeber in die Verzweiflung“): „… Dabei geht es für einige darum, persönliche Grenzen aufzuzeigen. Andere möchten weniger Arbeitsstress verspüren oder mehr Entspannung und Freizeit haben, um etwas für ihre mentale Gesundheit zu tun. Nicht der Job ist Mittelpunkt des Lebens, sondern alles, was außerhalb des Jobs wichtig ist. Eine Umfrage der Seite „resumebuilder.com“ zeigt, wie ernst es um Arbeitnehmer steht: Schon jetzt betiteln 21 Prozent der Beschäftigten in den USA sich selbst als Quiet Quitter. Unter den Befragten gaben einige Angestellte an, dass sie noch vor einem halben Jahr mehr gearbeitet haben und dies mittlerweile nicht mehr tun. (…) Viele Arbeitgeber fürchten sich vor diesem Trend. Quiet Quitter könnten ein Risiko für sie darstellen – denn plötzlich ergibt sich eine „Lücke“, die zuvor nicht existent war. Sie zeigt sich in Form der fehlenden Beschäftigten, die länger bleiben, um weitere Aufgaben zu erledigen, die Motivierten, die Multi-Tasking-Talente, die Überstundenschieber. (…) Die gute Nachricht: Der Trend „Quiet Quitting“ zeigt eine aktuelle Tendenz, die zunimmt. Immer mehr Beschäftigte setzen sich für ihre Grenzen ein und kämpfen um mehr Rechte und Selbstverständlichkeiten in der Arbeitswelt. Bezahlte Überstunden, eine faire Entlohnung, ein gesundes Arbeitsklima und eine wertschätzende Pausenkultur gehören dazu.“
- Anm.: Übrigens auch aus rechtlicher Sicht vielleicht hilfreich: So hatte die BAG-Entscheidung zu nicht bezahlten Überstunden (Thema „Zeiterfassung“) zur Basis, dass Überstunden ohne Protest einfach gemacht wurden…
- Siehe im LabourNet zu „Great Resignation“: