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Widerstand gegen die Übernahme der ungarischen Universitäten durch christlich-nationale Kulturfeinde

Dossier

Soliplakat mit der Unibesetzung in Budapest im September 2020„… Die Menschenkette, zu der die Studierendenvertretung der Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE) aufgerufen hatte, zog sich von der Hochschule bis zum Parlament am Donauufer, begleitet von Theater- und musikalischen Darbietungen. Die Menschen reichten eine  Charta der Studenten mit den Forderungen für eine freie Universität von Hand zu Hand bis zum Parlament weiter. Dort wurde der Text verlesen. Die vor dem Parlamentsgebäude Versammelten riefen: „Ungarn – freie Universität“. Die rechtsnationale Regierung hatte der Hochschule am Montag die Selbständigkeit entzogen und die Leitung einem Gremium aus Vertrauten von Ministerpräsident Victor Orbán übertragen. Daraufhin traten die Professoren und die gesamte gewählte Leitung der Hochschule zurück. Rund 250 Studenten besetzten daraufhin die Einrichtung. Sie fordern den Rücktritt der neuen Kuratoriumsspitze und die Rückgabe der Leitungsbefugnisse an die gewählten Gremien. Treibender Motor der Machtübernahme an der Theater-Uni ist Attila Vidnyanszky, der das neue Führungskuratorium der Hochschule leitet. Der Theater- und Filmregisseur ist zugleich Intendant des Nationaltheaters und genießt das Vertrauen Orbáns. Ihm schwebt die Schaffung einer christlich-nationalen Kultur vor...“ – aus der Meldung „Menschenkette für die Universitätsautonomie“ am 06. September 2020 bei der Deutschen Welle externer Link über die jüngste Aktion an diesem Wochenende im Rahmen des Widerstandes gegen die rechtsradikale Übernahme an der Theateruni. Siehe dazu weitere Beiträge zu dieser Widerstandsbewegung, darunter auch ein Videobericht von der Besetzung – samt einer ganze Reihe von Solidaritätserklärungen aus anderen ungarischen Einrichtungen:

  • Die Besetzung der Budapester Kultur-Universität geht weiter: Gegen christlich-nationalistische Gleichschaltung New
    „… Es ist schwer vorauszusagen, wie der Streit um die SZFE gelöst werden kann. Die ungarische Regierung hat im Frühjahr den Lockdown genutzt und ohne jegliche Absprache unangekündigt die Umstrukturierung einiger Universitäten auf den Weg gebracht. Der Senat der SZFE hat aus den Medien erfahren, dass auch seine Universität binnen drei Monaten aus der staatlichen Verwaltung in den Besitz einer neu gegründeten Stiftung gelangen soll. In Zukunft sind dann die DozentInnen keine staatlichen Angestellten mehr, was höhere Gehälter, aber auch eine leichtere Kündigung ermöglicht. Die drei Gebäude der Uni werden zum Stiftungseigentum erklärt, darunter ein innerstädtischer Palast und ein Prachtkino im Herzen von Budapest. Finanziert werden soll die Universität durch einen Langzeitvertrag mit dem Staat. Hinter den WächterInnen ragt das Haus Nummer 2 in der Vas utca empor (wörtlich übersetzt ist es die Eisenstraße). Es ist wie geschaffen für ihren Protest. Es gibt Proberäume, wo die StudentInnen in Gruppen ihre Aktionen erarbeiten und ihre Plakate oder gelbe Masken selbst herstellen können. Es gibt ein Buffet, im Nebenraum lagern sie die Zuwendungen ihrer UnterstützerInnen. Lebensmittel, Decken, Matratzen und Hygienesachen werden gespendet, sympathisierende Restaurants bringen manchmal warmes Essen gleich für 80 Personen vorbei. Im Wohnheim der Universität können viele schlafen, andere haben ihre Zelte im Flur aufgestellt. Sie haben sich verständigt aufzupassen, sodass sich alle ausruhen können. Sie brauchen ja ihre Kräfte für einen Kampf, der noch sehr lange dauern kann, erzählt Mihány Csernai, der Vorsitzende der Studentenvereinigung der Universität, in einem Radiointerview. Verliert er seinen Optimismus, so geht er ins Zimmer mit den Sachspenden, um seelisch aufzutanken. Dort fühlt er die breite Unterstützung im Land…“ aus dem Beitrag „Wache stehen für die Freiheit“ von Gergely Marton am 24. September 2020 in der taz online externer Link über die andauernde Besetzung in Budapest. Siehe dazu auch einen weitern aktuellen Beitrag: 

    • „Harter Lockdown gegen Orbán“ von Christian-Zsolt Varga am 17. September 2020 in der jungle world externer Link (Ausgabe 38/2020) zur aktuellen Entwicklung unter anderem über die Rechten, die von der Orbban-Regierung zur Umsetzung ihres antikuturellen Kurses ausgesucht wurden: „… Seit 2011 lehrt Vidnyánszky an der Schauspielakademie in der südungarischen Stadt Kaposvár. Dort beklagten sich Studierende immer wieder über seinen von rechter Ideologie geprägten Unterricht. Als die Regierung ihn 2013 zum Intendanten des ungarischen ­Nationaltheaters ernannte, löste er dort Róbert Alföldi ab, der aufgrund seiner Homosexualität und seines progressiven Stils eine Hassfigur der ungarischen Rechten darstellte. Obwohl Alföldi das Haus zu einem erfolgreichen Publikumstheater gemacht hatte, wurde sein Vertrag nicht verlängert. Bereits seit längerem versucht die Regierung unter Ministerpräsident Viktor Orbán (Fidesz), ihre nationalistische Politik auch den kulturellen Institutionen des Landes aufzuzwingen (Jungle World 40/2013). Als der rechtsextreme Schauspieler György Dörner 2012 zum Direktor des Neuen Theaters in Budapest ernannt wurde, sollte das erst der Anfang gewesen sein. Die Veränderungen an der SZFE deuteten sich bereits Ende vorigen Jahres an, als das zuständige Ministerium für Innovation und Technologie den vom Senat der Universität vorgeschlagenen Rektor ablehnte. Im Juli verabschie­dete das ungarische Parlament ein Gesetz, wonach die Universität an eine private Stiftung übergeben werden soll. Das Ministerium argumentierte, dies sei nötig, um aus der SZFE »eine wettbewerbsfähigere Institution zu machen, die besser auf die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Herausforderungen« reagieren könne. Bálint Barcsai hat an der SZFE Regie studiert. Er hat sich freiwillig zum Wachehalten vor dem Gebäude gemeldet. In dem im Juli verabschiedeten Gesetz sieht er eine feindliche Übernahme: »Sie übernehmen aus ideologischen Gründen eine Uni und geben sie in private Hände. Aber das ist nur ein Vorwand, das Geld kommt trotzdem vom Staat, nur mit dem Unterschied, dass jetzt regierungsfreundliche Menschen die Schule führen. Niemand an der Universität wollte das. Das wurde uns von oben autoritär aufgedrückt.« Tatsächlich hat die Regierung auch die vom bisherigen Senat für das neue Kuratorium vorgeschlagenen Kandidaten sowie eigene Vorschläge für eine Reform der SZFE ignoriert. Vidnyánszky bleibt derweil hartnäckig. Er sagt, er suche den Dialog, und drückt in regierungsnahen Medien sein Bedauern darüber aus, dass die protestierenden Studierenden von der Opposition ­manipuliert worden seien…“
  • „Ungarn: Studenten besetzen Theater- und Filmuniversität“ am 02. September 2020 ebenfalls bei der Deutschen Welle externer Link meldete (inklusive Video) die Besetzungsaktion so: „… Mit der Besetzung ihrer Universität wehren sich die Budapester Studenten gegen die neue Universitätsleitung, eine Stiftung, die der rechtsnationalen Regierung von Premierminister Viktor Orbán nahesteht. Gegen deren offiziellen Amtsantritt am Dienstag protestierten bereits am Montagabend Hunderte vor dem Gebäude der 1865 gegründeten Hochschule. Zuvor war die gesamte Universitätsleitung aus Protest zurückgetreten, darunter László Bagossy, Leiter des Theaterinstituts der SZFE. Die Übernahme der Universität durch die regierungsnahe „Stiftung für Theater und Filmkunst“ bedeute „die Zerstörung unserer Autonomie“, so der Professor im Gespräch mit der DW. Er selbst beteilige sich nicht an der Besetzung der Universität, allerdings seine zwei Kinder, die an der SZFE studieren. „Für die Studenten ist es der letzte Ausweg“, sagt Bagossy. Bereits Ende Mai hatte die ungarische Regierung angekündigt, die staatliche Theater- und Filmuniversität unter die Leitung einer privaten Stiftung zu stellen. Dadurch würde die Qualität der Lehre gesteigert und die Unabhängigkeit der Universität sichergestellt, hieß es. Tatsächlich besteht der Stiftungsvorstand ausschließlich aus Personen, die als regierungsnah gelten. Alle Personalvorschläge der bisherigen Universitätsleitung wurden abgelehnt. Vor allem der Vorsitzende der neuen Stiftung, Attila Vidnyánszky, ist bekennender Unterstützer von Viktor Orbán. Schließlich ernannte dessen Fidesz-Regierung ihn 2013 zum Intendanten des Budapester Nationaltheaters. Vidnyánszky, der seinen Arbeitsplatz einst als „sakralen Ort“ bezeichnete, setzte anschließend radikale, teils ideologisch gefärbte Veränderungen im Programm des Theaters durch. Dadurch habe nicht nur die Qualität des Theaters gelitten, sagt László Bagossy. Auch die Zuschauer seien immer mehr fern geblieben...“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=177646
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