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[Ukraine] Referendum, Wahl und runde Tische: Es wird weiter geschossen…
Militäraufmarsch und diplomatische Hektik, ständige Polemik über was legal und was nicht sei – die Entwicklung in der Ukraine ist rasant, wie es auch das Trommelfeuer insbesondere Berliner Propaganda ist.Die aktuelle und ausführlich kommentierte umfangreiche Materialsammlung „Referendum, Wahl und runde Tische: Es wird weiter geschossen…“ vom 15. Mai 2014 versucht, alternative Positionen sozialen Kampfes aufzuspüren. Eine Materialsammlung, kommentiert und zusammengestellt von Helmut Weiss am 15. Mai 2014
Die Volksabstimmungen im Osten der Ukraine seien weder legitim noch repräsentativ, da unter Waffengewalt stattgefunden – so der Tenor der Bundesregierung, der EU und USA und, selbstverständlich, auch der entsprechenden Medien. Selbstverständlich legitim in all deren Propagandaaugen ist dagegen eine Präsidentschaftswahl, die unter den Bedingungen eines Aufmarsches der Armee, drohender Parteiverbote (gegen jene Parteien wie die Partei der Regionen und die KP der Ukraine, die die vorherige Regierung gebildet hatten, obwohl diese nun wahrlich kein bisschen „anti-oligarchisch war) und dem Wüten faschistischer Banden stattfinden soll.
Dafür gibt es dann einen runden Tisch, an dem aber nur eine Seite sitzen soll, nicht die „die Blut an den Händen haben“, sondern – nur diejenigen, die das richtige Blut an den Händen hat. Ein halbes Jahr nach Beginn der Proteste in Kiew scheint die Entwicklung immer brutaler und immer undurchsichtiger, zumindest von außen. Beim ersten (halb)runden Tisch kam dann auch nichts heraus – wie auch, wenn die Vertreter „des Ostens“ dort ohnehin weitgehend isoliert sind, wie beispielsweise – wahrscheinlich unfreiwillig, da im Tenor ganz anders – der Beitrag Crowd Boos Ukrainian Governor During Victory Day Speech von Kevin Rothrock am 10. Mai 2014 bei Global Voices Online zeigt, der Gouverneuer von Kherson musste seine Rede zum Jahrestag des Sieges 1945 aufgrund Protesten abbrechen.
Wie sich im Laufe der halbjährigen Entwicklung seit Beginn der Proteste im November 2013 die Positionen radikalisiert haben und welche Kräfte darin sich jeweils wie entwickelt haben, wird hier deutlich gemacht: „Beginnen wir mit dem Maidan. Unübersehbar ist, dass die MaidanProteste dabei sind sich zu spalten. Da ist zum einen die Entwicklung des Kiewer „EuroMaidan“, aus dessen allgemeiner sozialer und kultureller Protestmasse der „Rechte Sektor“ als radikaler bewaffneter Arm des Maidan hervorging. Im Gegenzug entstanden erste Elemente des „AntiMaidan“, anfangs noch politisch konturlos, durch die Regierung Janukowytsch´s. organisiert. In dem Zuge, in dem der „Rechte Sektor“ nach Eintritt einiger seiner Führungsfiguren in die Übergangsregierung seine Anhänger landesweit für die Fortführung der „nationalen Revolution“ im Süden und im Osten des Landes mobilisierte, erweiterte sich der „AntiMaidan“ zu einer dem Kiewer Nationalismus entgegengesetzten prorussischen Bewegung, die ihrerseits gewaltbereite Nationalisten hervorbrachte“ – so beginnt Kai Ehlers in seinem Beitrag Roter Faden durch den ukrainischen Dschungel vom 07. Mai 2014 auf seinem Blog seinen lesenswerten Überblicksversuch, wobei er, wie diese Zeilen bereits andeuten, eben nach wie vor nicht (meiner Meinung nach zu recht) davon ausgeht, dass „der Maidan“ von Beginn an ein faschistischer Putschversuch gewesen sei, eine imperialistische Aggressionstaktik oder welche Einschätzung auch immer, die die Menschen nur als Marionetten sieht.
Was andrerseits wiederum nicht ausschliesst, dass etwa die bundesdeutsche Presse so weit geht, dem Präsidentschaftskandidat der Faschisten von Kiew ein Podium zu bieten „Der Anführer des „Rechten Sektors“ in der Ukraine, Dmytro Jaroschi, gab dem Spiegel kürzlich ein Interview und bekam damit ein repäsentatives Podium, wo er der deutschsprachigen Öffentlichkeit Einblick in seine offen antisemitische und völkisch-nationalistische Utopie geben konnte“ – aus dem lesenswerten Beitrag Der „gemäßigte Ukrainer“ und die Figur Dmytro Jarosch von Herwig Lewy am 01. Mai 2014 bei telepolis, eines von vielen möglichen Beispielen ähnlicher Tendenz in bundesdeutschen Medien. Einen aktuellen und eindeutigen Gesamtüberlick gibt das Video Spoos Presseschau am 09. Mai 2014 bei weltnetz.tv.
Für die bundesdeutschen regierungsfähigen politischen Organisationen kann folgendes als eines dieser ebenfalls zahlreich möglichen Beispiele gelten: „Diese (bis auf Ausnahmen) fast bedingungslose Umarmung des „Euromaidan“ beschert den Grünen teilweise die Gesellschaft seltsamer Bettgenossen wie der Exilukrainerin Svitlana G., die als Veranstalterin der „Euromaidan Wache“ auftrat, für die die Grünen-nahe Heinrich-Böll-Stiftung Werbeplatz und Adresse hergab. G. tritt öffentlich als Verehrerin des ukrainischen Nationalisten Stepan Bandera auf, der im Zweiten Weltkrieg zeitweise zusammen mit der Wehrmacht und der SS gegen die Rote Armee kämpfte und heute bei Gruppierungen wie Swoboda und dem „Rechten Sektor“ wieder großes Ansehen genießt. Als die Zeitschrift Hintergrund den Veranstaltern kritische Fragen zu Banderas Verantwortung für getötete Juden stellte, erhielt sie die Antwort, dass „der Verlauf eines Krieges leider immer mit dem Töten verbunden“ sei“ – aus dem Beitrag Grüne Falken und eurokritische Tauben von Peter Mühlbauer am 13. Mai 2014 ebenfalls bei telepolis. Wenig überraschend, da es seit dem Kosovokrieg eine grüne Fischer Tradition ist Kriegshandlungen mit Menschenrechten zu begründen, und da waren es bombardierte Personenzüge (im Unterschied zu Hochzeitsgesellschaften in Afghanistan). Und die UCK kann, bescheiden gesagt, auch nicht eben als besonders demokratische Vereinigung betrachtet werden.
Nach Odessa
Erst recht gilt dies nach dem Massaker im Gewerkschaftshaus von Odessa: „Nach dem Massaker wurden die Anhänger des Rechten Sektors unter Polizeischutz wieder nach Charkow geleitet, während mehr als einhundert überlebende Opfer des Pogroms festgenommen wurden. Rund die Hälfte von ihnen wurde von Tausenden Demonstranten, die am Sonntag das örtliche Polizeigebäude belagerten, wieder befreit. Die restlichen Gefangenen sind nach Angaben Kiews bereits in die Zentralukraine verbracht worden. Ihnen soll der Prozess wegen „Separatismus“ gemacht werden. Weil mit der „14. Hundertschaft des Maidan“ Mitglieder der Nationalgarde an dem Pogrom beteiligt waren, trägt de facto das Regime in Kiew die politische Verantwortung. Deren „Ministerpräsident“ Arseni Jazenjuk machte allerdings in einem Gespräch mit der BBC die örtlichen Sicherheitskräfte dafür verantwortlich und beschuldigt „prorussische Demonstranten“, die Gewalt „provoziert“ zu haben“ – so werden die Folgen der Ereignisse in dem Beitrag Odessa: Keine Tragödie sondern ein gezieltes Pogrom von Sebastian Range am 05. Mai 2014 im Hintergrund bewertet. Die Kiewer Regierung des Übergangs hat sich damit eindeutig und geschlossen auf die Seite ihres faschistischen Koalitionspartners gestellt, auch dies eine endgültige Klärung durch das Verbrechen von Odessa. Wonach es im übrigen keinen europaweiten Aufschrei nach „Aufklärung“ gab, wie einst auf dem Maidan (der ja aber auch verstummt ist, seitdem klar ist, dass es so einfach nicht war…) Was auch gilt, wenn die Schuldzuweisungen, ähnlich dem Maidan nicht so eindeutig sind…
In der Erklärung AWU-Kiev Statement on the Odessa Tragedy vom 05. Mai 2014 sieht die anarchosyndikalistische AWU das Drama des vorherrschenden Nationalismus auf beiden Seiten und versucht dies anhand einer detaillierten Berichterstattung nachzuweisen – ein Beitrag, der auch deswegen interessant ist, weil in den zahlreichen Kommentaren, die dazu publiziert wurden, verschiedenste politische Positionen zutage treten, vor allem, was die Debatte um die Rolle von Borotba betrifft. In Ukraine: Anarchismus im Kontext von Bürgerkrieg von Antti Rautiainen (in deutscher Übersetzung am 12. Mai 2014 bei contrainfo) werden auch die inhaltlichen Spaltungen des Anarchismus in der Ukraine behandelt, wo es denn auch Gruppierungen oder Strömungen gibt, die durch die Kraft der Ereignisse und der nationalistischen Ideologien mit politischen Strömungen zusammengepresst werden, mit denen sie nun wirklich nicht zu tun haben – wollten. Zumindest ähnliches könnte man nun ja Borotba auch zubilligen, aber die kleine ukrainische Linke ist nun wahrlich nicht etwa einig…doppelte Ähnlichkeit mit Verhältnissen hierzulande.
In dem Beitrag Ukraine: The Tragedy of Odessa – “we cannot allow the death of these people to be used as a justification for military intervention or further killings” sieht Autor ILYAS Suhail am 07. Mai 2014 bei europe solidaire das Massaker als den Punkt, an dem endgültig der Nationalismus die Oberhand gewonnen habe – auf beiden Seiten, was anhand der je vertretenen politischen Perspektiven deutlich werde und jeweils andere Kräfte marginalisiere.
Von der anderen Seite her betrachtet, also von der internationalen Konstellation: „Wer sich hier an die Zeiten des Kalten Krieges erinnert fühlt, täuscht sich. Damals war die Medienhetze gegen die Sowjetunion dem Systemgegensatz geschuldet – eine einige freie Welt, in der Kapital und Marktwirtschaft blühten, stand einer anderen gegenüber, die Eigentum und Profitmacherei geringschätzte und keinen freien Lauf ließ. Heute jedoch handelt es sich um einfachen Nationalismus, der sich das imperialistische Anliegen des eigenen Staates bzw. Staatenbundes auf die Fahnen schreibt und unter Anrufung aller möglicher aus dem Ärmel geschüttelter Werte gegen eine andere imperiale Macht zu Felde zieht. Es ist die ganz einfache primitive Kriegshetze, die das, was dem eigenen Staat zugestanden wird, beim feindlichen als „Provokation“ verteufelt, die Aggression des eigenen Staates als bloße „Reaktion“ verharmlost und bei allen Akten des Angriffs und der Einmischung der eigenen Seite nur von „Verteidigung“ spricht, während die andere, feindliche Seite ständig Verträge und Völkerrecht „bricht““ – so sieht es in dem Beitrag Vorläufige Bilanz der Ereignisse in der und rund um die Ukraine Amelie Lanier, der bereits im März verfasst worden war und im Mai 2014 bei sopos gespiegelt.
Dass die nationalistische Argumentation und Denkweise auch auf der Seite der Opposition existiert, machen Aussagen wie diese deutlich: „Unsere Region ist ein Teil des historischen Russ. Wir sind nicht allein. Wir werden Russland um Hilfe bitten. Außerdem ist Donbass eine sehr internationale Region. Hier leben etwa 150 Ethnien“ aus dem Interview „Wir bezahlen mit unserem Blut für die Wirtschaftskrise Europas“ von Susann Witt-Stahl mit Vladimir Ivanovich Markovich, Sprecher der Volksrepublik Donezk am 10. Mai 2014 ebenfalls im Hintergrund. In diesem Interview wird zwar einerseits deutlich, dass hier soziale Argumente vorgetragen werden (wenn auch nicht sehr im Mittelpunkt steht, was für eine Rolle ostukrainische Kapitalisten bei der Ausbeutung des Donbass spielen), im Kern aber läuft es eben auch auf eine nationalistische Sichtweise hinaus, wie immer, wenn diese oder jene historische Zugehörigkeit bemüht wird und gar auf gesellschaftliche Formationen lange vor der Konstruktion von Nationen zurückgegriffen.
Was keineswegs bedeutet, dass die bundesdeutsche Propagandamaschine recht hat, wenn sie täglich trommelt, alles im Osten der Ukraine sei „von Russland gesteuert“. Was trotz anderer Schwerpunkte (der die Bewegung im Osten denn doch relativ kritikfrei betrachtet) auch in dem Beitrag The logic of a revolt von Boris Kagarlitzky am 01. Mai 2014 bei links deutlich wird. Teilweise übersetzt in der Linken Zeitung am 14. Mai 2014 unter dem Titel Russlands Probleme mit der Volksrepublik Donetsk , worin es unter anderem heisst „Der hauptsächliche Auslöser der Revolte waren jedoch nicht prorussische Sympathien der lokalen Bevölkerung oder gar die Absicht der Kiewer Junta das Gesetz zur Gleichstellung der russischen Sprache aufzuheben. Unzufriedenheit hatte sich lange zuvor schon im Südosten aufgestaut und der letzte Tropfen, der das Faß zu überlaufen brachte, war die sich dramatisch verschlechternde wirtschaftliche Krise, die dem Machtwechsel in Kiew folgte. Nach der Unterzeichnung des Abkommens mit dem IWF verordneten die Autoritäten in Kiew erhebliche Preisanstiege für Gas und Medizin; eine soziale Explosion wurde unvermeidlich. Im Westen des Landes und in der Hauptstadt überlagerten nationalistische Rhetorik und antirussische Propaganda zunächst wachsende Unzufriedenheit. Im Osten bewirkte es den umgekehrten Effekt. Im Versuch das Feuer im Westen zu löschen goss man Öl in die Flammen im Osten“. Die Rolle des IWF kann man auch so zusammenfassen: „Der IWF hat einen Kredit von 17 Milliarden Dollar an die Ukraine genehmigt. Die erste Tranche in Höhe von $ 3.2 Milliarden kam Mittwoch an. Es ist wichtig, die Bedingungen dieses “Darlehens“ im Mafia-Stil zu identifizieren. Nichts ist im Spiel, das die ukrainische Wirtschaft wiederbelebte. Die Regelung ist untrennbar mit der berüchtigten, auf alle angewandte “Strukturanpassungs”-Politik des IWF verbunden, wie sie Hunderten von Millionen von Menschen in Lateinamerika über Südostasien bis hin nach Südeuropa bekannt ist. Die Regime-Wechsler in Kiew haben pflichtgemäß stattgegeben, damit das unvermeidliche Sparpaket startend – von Steuererhöhungen und eingefrorenen Renten bis hin zu einem steifen, über 50 prozentigen Preisanstieg für das Erdgas, das ukrainische Häuser heizt. Das “ukrainische Volk” wird nicht in der Lage sein, im kommenden Winter seine Stromrechnungen bezahlen zu können“ – so beginnt DAS WANDERNDE AUGE: Der IWF zieht in der Ukraine in den Krieg von Pepe Escobar, ursprünglich in Asia Times Online, hier in der autorisierten Übersetzung von Lars Scholl auf dessen Blog am 10. Mai 2014. Wie lange das die EU Begeisterung größerer Teile der Bevölkerung im Westen des Landes leben lässt, muss dahingestellt bleiben.
Dass die russische Regierung keinesfalls der unumschränkte Macher der Opposition ist, wird auch in der folgenden Passage deutlich: „Die russische Regierung hat derweil die Kräfte im Osten der Ukraine zur Zusammenarbeit mit der OSZE aufgefordert. Sollte Kiew gemäß dem OSZE-Fahrplan seine Truppen aus den Krisenregionen zurückziehen, erwarte Moskau »von den Anführern der Selbstverteidigungskräfte, angemessen zu reagieren«, erklärte das russische Außenministerium am Dienstag vor den geplanten OSZE-Vermittlungsgesprächen am runden Tisch. Es sei »äußerst wichtig«, den Fahrplan zur Beilegung der Krise rasch in die Tat umzusetzen“ – in dem redaktionellen Artikel Kiew sieht Probleme: Faire Wahlen nicht überall am 13. Mai 2014 in neues deutschland.
Ein diskussionswürdiger Einwand zur russischen Politik von linker russischer Seite ist auch „Man sollte sich auch daran erinnern, dass es nicht nur in der Ukraine russischsprachige Bevölkerungsteile gibt, sondern auch in anderen ehemaligen Sowjetrepubliken wie in Kasachstan, in Usbekistan, in Moldawien. In diesen Ländern stehen die russischsprachigen Minderheiten viel mehr im Konflikt zu den nationalistischen Regimes als in der Ukraine. Allerdings hat Putin beispielsweise kein Problem mit den Herrschenden in Kasachstan. Dort ist ein autoritäres Regime an der Macht, mit dem Putin gut umgehen kann und das näher an seinem Politikverständnis liegt. Die sieben Millionen russischsprachigen Menschen in Kasachstan werden also auch in Zukunft von niemandem gefragt, was sie mit ihrem Selbstbestimmungsrecht anfangen wollen. Das, was in der Ukraine passiert, ist ein zynisches Ausnutzen wirklicher nationaler oder sprachlicher Widersprüche“ – aus dem Interview Der russische Staat ist schwach von Anton Thun mit Ilya Budraitskis bereits am 20. April 2014 bei marx21.
Eine eigene Rolle der ArbeiterInnen?
Wie ursprünglich beim Maidan, wie immer, so sind auch im Osten der Ukraine verschiedene politische Strömungen und soziale Kräfte wirksam – auch wenn die Frage Nimmt die Protestbewegung eine andere Richtung? , wie sie am 08. Mai 2014 bei marx21 aus Anlaß des Bergarbeiterstreiks in den Zechen des Herrn Achmetow gestellt wurde, etwas übereilt wirkt. Dennoch ein wichtiges Signal: „Die wirkliche Rolle Russlands ist vielen »Anti-Maidan«-Protestierenden mittlerweile klar geworden. Seine Intervention köchelt vor sich hin gerade genug, um die Proteste halbwegs am Leben zu erhalten und sie in den Dienst seiner geopolitischen Ziele zu stellen. Die Proteste im Südosten benutzt Russland als Faustpfand in seinen Verhandlungen mit dem Westen und als Druckmittel gegen die geschwächte Regierung Kiews. Aber die Bergarbeiter Krasnadons haben erkannt, wer ihr eigentlicher Feind ist. Nur noch wenige setzen ihre Hoffnungen in eine Vereinigung mit Russland. Auch der Führer der Unabhängigen Gewerkschaft der Donbas-Bergarbeiter, Nikolai Volynko, verurteilte die separatistische Bewegung im Südosten der Ukraine“.
Wie überhaupt alle beteiligten Kräfte sich jeweils zunehmend auf „die Bergarbeiter“ berufen, was auch als Indiz gelten kann. Peinlich eher, um es bescheiden auszudrücken, die Stellungnahme des Gewerkschaftsbundes KVPU Statement on the situation in the Eastern Ukraine vom 08. Mai 2014, in der die Bergarbeiter angeblich voller Begeisterung für den EU-Kurs der Kiewer Übergangsregierung dargestellt werden und von pro-Russen daran gehindert feste zu arbeiten…das gilt auch dann, wenn es tatsächlich so ist, dass die Arbeiterschaft sich zu den ganzen Auseinandersetzungen eher distanziert verhält.
Und natürlich agiert auch die „andere Seite“, die andere Klasse, wenn auch nicht gerade auf der Straße: „Auffällig schnell ließ auch der reichste Mann der Ukraine, Renat Achmetow, zwei Tage nach dem Attentat auf Kernes verbreiten, er sei nicht bereit, seinen Konzern zu verkaufen, und werde weiter in Donezk bleiben. »Ich werde alles dafür tun, was in meinen Kräften steht, damit der Donbass und die Ukraine zusammenbleiben«, ließ er über den Pressedienst seines Konzerns System Capital Management verbreiten, ohne Putin oder Russland zu erwähnen. Unklar ist aber, wen er wirklich unterstützt“ – so heisst es in dem Beitrag Wer bleibt Millionär? von Andreas Stein am 08. Mai 2014 in der jungle world, ein Beitrag der ansonsten die These von der russischen Machtzentrale im Osten der Ukraine durchaus teilt…und Zweifel an Realisierung der geplanten Präsidentschaftswahlen äußert.
Wenn die sozialen Proteste es aufgrund unterschiedlicher Umstände schwer haben, sich gegen eine zunehmend nationalistische Konfrontation zu behaupten, hat das nahe liegender weise auch mit der Schwäche der Linken in der Ukraine zu tun. „Die linken Organisationen waren nicht in der Lage, ein eigenes Programm der Arbeiterklasse zu entwickeln. Sie waren auch nicht in der Lage, eine Massenbewegung anzuführen, sie distanzierten sich nicht von der brudermörderischen Gewalt und den nationalistischen Parolen. Diese Linken tappten in die Falle der unkritischen Unterstützung einer relativ großen Bewegung, die inzwischen fast vollständig ihre sozialen und wirtschaftlichen Forderungen gegen ein rein nationalistisches Programm getauscht hat. Jetzt hat die Frage, ob der ukrainische Staat bestehen bleibt oder nicht, mehr Bedeutung für sie gewonnen als die Rechte der ukrainischen Arbeiterinnen und Arbeiter unabhängig von ihrer Nationalität. Statt einer Strategie, wie die kapitalistischen Oligarchen in der Ukraine und in Russland zu stürzen sind, gibt es Diskussionen darüber, ob die Schaffung eines ukrainischen Staats ein »Irrtum« oder ein »historischer Fehler« gewesen sei“ – so radikal sieht das die (eher trotzkistisch orientierte) Gruppe Linke Opposition in dem Beitrag »Für eine unabhängige soziale Bewegung! Für eine freie Ukraine« am 12. Mai 2014 bei marx21. Und setzt dem entgegen: „Gleichzeitig gibt es eine organisierte Massenbewegung der Arbeiter in der Ukraine. Sie zeigte sich in Krywyj Rih: Die Selbstverteidigungsbrigaden der Bergarbeiter verhinderten eine Eskalation der Gewalt in der Stadt, als die »Tituschki« (Schläger, die von Behörden und Unternehmern angeworben wurden), den lokalen Maidan anzugreifen versuchten. Die Arbeiter intervenierten auch in Cherwonohrad, Lwiw-Oblast, in den politischen Prozess und verstaatlichten faktisch das örtliche Kraftwerk, das dem ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow gehört“.
„Bei den Spannungen in der Ostukraine geht es nicht nur um die Sprache, die Angst vor den ukrainischen Nationalisten, das Verhältnis zu Russland oder dessen Politik. Die Menschen im Osten reden viel über Arbeitslosigkeit, die Einkommen und die steigenden Preise. Einige fordern Verstaatlichungen, andere eine angemessene Bezahlung für ihre Arbeitskraft. Es geht also sehr stark um soziale Missstände. Und zu diesem Zeitpunkt gibt es keine starke Kraft, die diesen Protest führen oder diese Inhalte transportieren könnte. Die ukrainischen Nationalisten können es nicht, weil sie gegen diesen Protest sind und nicht differenzieren zwischen Separatisten, bewaffneten Gruppen, die womöglich von Russland gesteuert werden, und der Masse der Protestierenden, die sich gar nicht so begierig Russland anschließen will. Die Meinungen gehen weit auseinander: In der Ukraine bleiben? In einer förderalisierten Ukraine bleiben? Oder sich Russland anschließen? Die Frage ist jetzt: Gibt es eine Möglichkeit, die progressiven Teile der Maidan- sowie der Anti-Maidan-Bewegung zu vereinen? Um eine gemeinsame Plattform für soziale Gerechtigkeit zu schaffen – ungeachtet ideologischer Differenzen und regionaler Identitäten. Für linke Kräfte wäre dies viel einfacher als für rechtsextreme Kräfte – wenn wir denn eine starke Linke hätten“ – so sieht es der ukrainische Soziologe Volodymyr Ishchenko in dem Interview Die ukrainische Linke spielt keine signifikante Rolle mit Jan-Niklas Kniewel am 08. Mai 2014 in der jungle world.
Gegen den Krieg – gegen jeden Nationalismus
Es gibt dazu keine Alternative – und der Hauptfeind steht dabei wo? Genau. Zwei der Positionen, denen ich mich anschließen könnte – unabhängig davon, was sie sonst formulieren, seien hier zum Abschluss angeführt.
„Gerade beim aktuellen Konflikt in der Ukraine können wir gut feststellen, wie nationalistische Ideologien auf beiden Seiten zum Anheizen des Konfliktes beitragen. Da ist auf der einen Seite der ukrainische Nationalismus, der sich auf profaschistische, antisemitische Gruppen beruft, die zumindest zeitweise mit dem Nationalsozialismus kooperierten. Dieser ukrainische Nationalismus speist sich aus einem antirussischen Nationalismus und kooperiert heute mit der EU. Da sind anderseits die Kräfte vor allem in der Ostukraine, die sich auf den russischen Nationalismus berufen. Beide Strömungen sind reaktionär und bedeuten für die Mehrheit der Lohnabhängigen, den Gürtel weiter enger zu schnallen, noch mehr Opfer zu ertragen. Während sich der ukrainische Nationalismus zurzeit auf westliche Werte beruft, geriert sich der russische Nationalismus als Wiedergänger der Roten Armee im Kampf gegen den NS. Auch in Deutschland positionieren sich unterschiedliche Gruppen der Linken auf Seiten der unterschiedlichen Nationalismen. Da werden auf der einen Seite die Maidan-Proteste hochgelobt und der Anteil der Nationalist_innen und Antisemit_innen ignoriert, andere träumen nostalgisch von der ehemaligen Sowjetunion, die sie jetzt in einem Russland unter Putin imaginieren, wo noch konservative Familienwerte hochgehalten und eine besonders autoritäre Form der bürgerlichen Demokratie praktiziert wird. In beiden Lager finden sich die verschiedenen Spielarten von Nationalist_innen und Faschist_innen“ – heisst es beispielsweise in der Erklärung der Internationalen KommunistInnen Klassenkampf statt Nationalismus – Deutschland in den Rücken fallen vom Mai 2014.
„So wenig wie sich die Bevölkerung der Ukraine auf Dauer damit begnügen kann, bei der nächsten Wahl nur zwischen der „Gasprinzessin“ Timoschenko und dem „Schokoladen-König“ Poroschenko – der im Übrigen auch Automobilfabriken und Rüstungsbetriebe sein Eigen nennt wählen zu dürfen, oder sich nur entscheiden zu dürfen, ob sie von ukrainischen oder russischen Oligarchen ausgebeutet werden soll – oder von westlichen Transnationalen Konzernen; so wenig dürfen wir uns eine Parteinahme für eine der beiden Seiten aufdrängen lassen.
Unsere Partner sind diejenigen Kräfte, die sich dem Projekt der Kolonisierung der Ukraine durch den globalen Kapitalismus widersetzen, die aber dabei nicht auf den Nationalismus der einen Seite mit Nationalismus der anderen antworten – auch nicht mit einem vorgeblich „progressiven“ – anstelle eines chauvinistischen – Nationalismus; sondern die stattdessen für ein ökonomisches, soziales und politisches Modell arbeiten, das von den Interessen der Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung ausgeht und das ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht.
Die sich für eine friedliche, demokratische Lösung des Konflikts, für eine bündnisfreie Ukraine und für den Aufbau eines Systems der gegenseitigen Sicherheit einsetzen. Denn sinnvoll gestaltete Sicherheit kann es für die Ukraine und für ganz Europa nur mit, aber nicht gegen Russland geben. Und wir betonen: Es gibt kein Recht auf eine „humanitäre Interventionen“! Durch niemanden! Hände weg von der Ukraine! – das sind drei Hände: die EU, die NATO und Russland“ so fasst es in seiner Ostermarschrede vom 19. April 2014 Leo Mayer vom isw München zusammen