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Ukraine: Militär gegen Proteste
So heisst die kleine aktuelle Materialsammlung vom 16. April 2014, die mit den Unterschieden beginnt: Als die damalige Regierung ihre Polizei Maßnahmen (Schüsse) gegen den Terror auf dem Maidan ergreifen ließ, war die Empörung groß. Jetzt, wo die Armee geschickt werden soll und rechte Milizen mobilisiert ist das – voll normal. Weswegen die mangelnde Akzeptanz der Berichterstattung bundesdeutscher Medien durch die Öffentlichkeit auch ein Thema ist
Auch die Regierung Janukowitsch hatte den Einsatz von Polizeieinheiten auf dem Maidan eine Aktion gegen den Terrorismus genannt: Was in den westlichen Medien ebenso vehement kritisiert wurde, wie nun die Aktion der sogenannten Übergangsregierung als sozusagen selbstverständlich dargestellt wird, obwohl statt Polizei die Armee zum Einsatz kommt. Dieser Regierung und ihrer Armee traut aber die Rechte offenbar nicht besonders viel zu – sie wollen selbst schiessen: „Offenbar traf der Rechte Sektor mit der Mobilisierung außerhalb der staatlichen Strukturen eine Stimmung in der Westukraine. Das kann man zumindest daraus schließen, dass nun auch die Präsidentschaftskandidatin Julia Timoschenko ebenfalls eine Widerstandsbewegung aufbauen will, die allerdings unter ihrer Leitung stehen soll, also ein Konkurrenzprojekt zu den Kampfgruppen des Rechten Sektors. Damit zerfällt die staatliche Ordnung nicht nur in der Ostukraine, sondern auch in der Westukraine. Während die USA und die EU Milliarden als Hilfe in das Pleiteland pumpen, drängen US-Politiker wie John McCain, der schon früh die Maidan-Bewegung unterstützt hat, auch Waffen in die Ukraine zu liefern“ – aus dem Beitrag Auch Timoschenko will eine Volksmiliz gründen von Florian Rötzer am 15. April 2014 bei telepolis.
Die Reaktion auf den Miliäreinsatz ist wenig überraschend: „Die USA haben das militärische Eingreifen der Ukraine gegen prorussische Kräfte im Osten des Landes verteidigt. »Die ukrainische Regierung hat die Verantwortung, Recht und Ordnung herzustellen«, sagte Regierungssprecher Jay Carney am Dienstag in Washington. Die »Provokationen« prorussischer Kräfte »schaffen eine Situation, in der die Regierung handeln muss«. Er bezeichnete die Eskalation als »sehr gefährlich«. Russland stehe aber hinter dem Handeln der Separatisten. Man erwarte, dass Kiew »schrittweise und verantwortlich« vorgehe“ – aus USA verteidigen Kiews Militäreinsatz ein redaktioneller Beitrag in neues deutschland am 15. April 2014. Wobei im übrigen auffällt, dass die Formulierung „schrittweise und verantwortlich“ zumindest in der deutschen Übersetzung nahezu wörtlich jene ist, die von der Kiewer Regierung bei der Bekanntgabe des Aufmarsches benutzt wurde…
Da darf die NATO nicht fehlen: „NATO will »flexibel« agieren“ – ein redaktioneller Beitrag in der jungen welt am 16. April 2014 zitiert den Geistesbruder der Kiewer Koalition mit der Ausführung „Rasmussen machte weiter Stimmung gegen Moskau: »Rußlands Aggression zeigt, daß wir unsere Sicherheit nicht für selbstverständlich halten dürfen.«“
Vorher hatte die Kiewer Regierung noch mit späten Zugeständnissen versucht, dem Protest im Osten und Süden des Landes die politische und soziale Basis zu entziehen. Nachdem in den Tagen zuvor schon die Abschaffung der russischen Sprache als Staatssprache rückgängig gemacht werden sollte, kam zum Wochenende Kiew offen für Referendum über Föderation ein redaktioneller Artikel in neues deutschland am 14. April 2014 in dem es unter anderem heißt „Der ukrainische Übergangspräsident Alexander Turtschinow hat Unterstützung für ein nationales Referendum über eine Umwandlung des Landes in eine Föderation signalisiert. Er sei »nicht gegen« eine solche Volksbefragung, die parallel zur für den 25. Mai geplanten Präsidentschaftswahl stattfinden könnte. »Ich bin überzeugt, dass die klare Mehrheit der Ukrainer für eine unteilbare, unabhängige und demokratische Ukraine stimmen würde«, betonte er. Prorussische Kräfte im Osten der Ukraine fordern ein Referendum über die Angliederung der Region an Russland oder über eine »Föderalisierung« des Landes. Sie würde etwa russischsprachigen Regionen der Ex-Sowjetrepublik deutlich mehr Autonomie zusichern“.
Eines von zahlreichen möglichen Beispielen über die Proteste in weiten Teilend es Landes ist die mehrsprachige Dokumentationssammlung Affrontements à Харків Kharkiv et Запоріжжя Zaporizhya am 13. April 2014 bei anthropologie du présent.
Die Föderalisierung der Ukraine – eine der Forderungen, die zumindest ein großer Teil der Opposition im Ostend des Landes vertritt, was in der Regel in der Westpropaganda kaum erwähnt wird – ist eine der diskutierten Alternativen. „Die Vielgestalt der Ukraine – ethnisch, sprachlich, religiös, wirtschaftlich, geografisch und seiner aktuellen Lage zwischen Eu&EU entsprechend – fordert eine pragmatische, kooperative, plurale Gliederung relativ eigenständiger Regionen in einem verlässlichen föderalen Verbund geradezu heraus. Eine föderale Struktur kann fruchtbar für die Ukraine werden, wenn sie von einer Kultur demokratischer Selbstbestimmung an der Basis der Bevölkerung getragen wird, die sich der Verantwortung für die Fragen der vernetzten Organisation des gemeinsamen Raumes (Gas, Wasser, Elektrizität, Schienen- und Straßennetze usw.) bewusst stellt. Anders wird es aussehen, versteht sich, wenn die Föderalisierung auf einen Kampf gegen die Zwangs-Ukrainisierung und auf einen Anschluss an Russland verengt werden sollte. Ein solcher Weg kann nur in den Bürgerkrieg, im schlimmsten Falle in internationale kriegerische Verwicklungen führen, wenn Russland in diese Konflikte mit hinein gezogen würde“ – so sieht es in Globaler Maidan? – Liste häufig gestellter Fragen am 14. April 2014 in seinem Blog Kai Ehlers, einer der wenigen, die sich ernsthaft mit konkreten nichtkriegerischen, alternativen Lösungen befasst.
Die Lösungen des deutschen Bürgertums sehen anders aus. „Zweitens stellt sich die Frage, wie unter anderem Deutschland auf russische Gegenmaßnahmen reagieren wird. Auch wenn angesichts der enormen Risiken nicht damit zu rechnen ist, dass es zu einer totalen Eskalation kommen wird, so ist doch davon auszugehen, dass die Ukraine und ihre Bevölkerung noch länger unter dem Machtgerangel der Großmächte wird leiden müssen. Deutschland hat dabei maßgeblich dazu beigetragen, das Land ins Unglück zu stürzen – so sieht sie also aus, die neue, „verantwortungsbewusste“ deutsche Außenpolitik“ – aus dem Beitrag Neue deutsche Machtpolitik von Jürgen Wagner in der Ausgabe 388 vom April 2014 in der Graswurzelrevolution.
Dabei wird auch im Land selbst ohne Rücksicht auf Verluste weiter gegangen: „Zwei Machtblöcke prallen in der Ukraine derzeit aufeinander. Zugleich tobt in den deutschen Medien ein Kampf um die Deutung des Konflikts. Der Graben scheint dabei weniger zwischen einzelnen Zeitungen oder Sendern zu verlaufen, als vielmehr zwischen den Journalisten der Leitmedien insgesamt und ihren Lesern bzw. Zuschauern“ – so sieht es in Auf Kriegsfuß mit den Lesern Paul Schreyer am 15. April 2014 in telepolis.
Eine andere Sichtweise – näher an jener der oben erwähnten LeserInnen – wird auch in dem Interview »Was erwartet wird, ist der Austausch« von Peter Wolter mit Andrej Hunko am 15. April 2014 in der jungen welt vertreten, wo es zur Lage in der Westukraine und der dortigen (im konkreten Satz: außerparlamentarischen) Linken unter anderem heißt „Die ist gespalten, ein Teil ist gegen die Maidan-Bewegung, ein anderer dafür. Letzterer Flügel hatte mich für das Wochenende zu einer Konferenz eingeladen, an der auch einige Gewerkschafter teilnahmen. Zu denen, die dagegen sind, gehört die Gruppe »Borotka«, eine linke Abspaltung des Kommunistischen Jugendverbandes“.
Schliesslich ist es noch wichtig, die historische Kontinuität des Verhaltens gegenüber Russland zu sehen: „Die anti-russische Ausrichtung in der Formierung der öffentlichen Meinung hat in Deutschland eine lange Tradition. Sie begann Ende des 19. Jahrhunderts, nachdem Bismarck gegangen worden war, „feierte“ einen Höhepunkt während des Ersten Weltkrieges und wurde nach der russischen Oktoberrevolution zusätzlich anti-kommunistisch aufgeladen. Der Gipfel wurde unter der Federführung des „Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda“ erreicht. Nachdem die deutschen Herrenmenschen 1945 ihre bedingungslose Kapitulation hinnehmen mussten, blieb ein beträchtlicher Teil des Konstrukts im Kalten Krieg Bestandteil der antikommunistischen Staatspropaganda in der BRD, auch wegen des hohen Anteils der Sowjetunion an diesem Sieg. Auch als die UdSSR verabschiedet war, verschwand diese ideologische Kampflinie nicht, sondern nahm wieder ihre alte, anti-russische Gestalt an. Und mit der haben wir es bis heute zu tun“ – so beginnt der Beitrag Voraussetzungen von Erhard Crome am 14. April 2014 in Das Blättchen.
Zusammengestellt von Helmut Weiss, 16. April 2014