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Nicht nur Azadî kritisiert – wiederholt – deutsche Verfolgungshilfe für türkische Justiz

Dossier

Turkey up in arms against Erdoğan!„… Unlängst erschienene Medienberichte zu deutscher Rechtshilfe für die Verfolgungsbehörden in der Türkei im Fall eines Kurden werfen grundsätzliche Fragen nach der Zusammenarbeit deutsch-türkischer Justizbehörden auf, stellt der Kölner Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. externer Link fest. Ausgangspunkt der Recherchen von Redaktionsnetzwerk Deutschland externer Link (RND) und Deutsche Welle externer Link (DW) war eine morgendliche Hausdurchsuchung bei dem Hamburger Ali. A. am 21. Januar (…) Unterfüttert von einer dicken Anklageschrift wurde Ali A. Propaganda für die „Terrororganisation PKK“ vorgeworfen. (…) Die Ermittlungen ergaben aber bald, dass es sich um eine Personenverwechselung handelte. (…) Anstatt den Fall nun ruhen zu lassen, reichte die Mainzer Staatsanwaltschaft die Sache an die in Hamburg zuständigen Kollegen weiter. (…) Eine Auskunft des Bundesministeriums für Justiz auf eine Kleine Anfrage von Hunos Fraktion nannte im Jahr 2019 270, 2020 303 und 2021 416 solcher Ersuchen seitens der Türkei…“ Meldung vom 4. März 2022 von und bei ANF externer Link und dazu:

  • [„Islamismusbekämpfung“ nach Solingen] Der kurdische Aktivist Kenan Ayaz in Hamburg zu über vier Jahren Haft verurteilt New
    „Der kurdische Aktivist Kenan Ayaz ist in Hamburg zu vier Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Cansu Özdemir (Die Linke) spricht von einem fatalen Signal für den Rechtstaat und die Opposition in Kurdistan und der Türkei.
    Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat heute den kurdischen Politiker und Aktivisten Kenan Ayaz wegen des Vorwurfs der „Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung“ gemäß § 129b StGB zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Kenan Ayaz (Behördenname Ayas) wurde vorgeworfen, sich als „Gebietsverantwortlicher“ der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) betätigt zu haben. Dabei soll er lediglich an der Organisation von „Propagandaveranstaltungen und Versammlungen“ wie Demonstrationen und Festivals beteiligt und in Spendensammlungen eingebunden gewesen sein. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
    Kenan Ayaz saß aufgrund seines Engagements gegen die Unterdrückung der kurdischen Bevölkerung bereits zwölf Jahre in der Türkei im Gefängnis. Seit 2013 lebte er als anerkannter Flüchtling auf Zypern. Im März vergangenen Jahres wurde er aufgrund eines von der deutschen Justiz erwirkten europäischen Haftbefehls in Zypern festgenommen und nach Deutschland überstellt. Seit Juni befindet er sich im Hamburger Untersuchungsgefängnis Holstenglacis. Das Verfahren gegen Ayaz hatte im November vergangenen Jahres begonnen. Die Bundesanwaltschaft hatte eine Haftstrafe von viereinhalb Jahren gefordert, die Verteidigung forderte hingegen einen Freispruch.
    Letztes Wort von Kenan Ayaz
    Begonnen hatte der Gerichtstag mit einer Kundgebung vor dem OLG von Unterstützer:innen des Bündnisses #FreeKenan. Die Teilnehmenden forderten den Freispruch von Kenan Ayaz und eine Beendigung der Verfolgung von Kurdinnen und Kurden.
    Im Gerichtssaal verlas Kenan Ayaz den letzten Abschnitt seiner Erklärung. Am 3. August 2014, als der sogenannte „Islamische Staat“ (IS) Şengal angegriffen habe, seien sowohl die irakische Armee als auch die Peschmerga geflohen. „Es war die kurdische Freiheitsguerilla, die Şengal erreichte und einen größeren Völkermord verhinderte“, erklärte Ayaz. „Die Auftraggeber des IS, allen voran Erdoğan, wollen verhindern, dass die Kurd:innen ein wesentlicher und mächtiger Akteur in dem neuen System werden, das an die Stelle der zusammengebrochenen despotischen Regime im Irak und in Syrien treten soll. Sie wollen nicht, dass das kurdische Volk einen Status mit eigener Identität, Sprache, Kultur und Freiheit in dem neu gestalteten Nahen Osten erhält. Sie wollen keine freie kurdische Verwaltung in Rojava, genauso wenig wie sie eine freie Verwaltung in Südkurdistan wollen“, so Ayaz. (…)
    Solingen ist eine Folge der Unterstützung des IS durch das AKP-Regime
    An dieser Stelle unterbrach Kenan Ayaz seine vorbereitete Rede und kommentierte die Ereignisse von Solingen. Er sprach den Opfern von Solingen sein Beileid aus und wünschte den Verletzten baldige Genesung. Er wies auf die Drohungen hin, die Erdoğan gegen Europa ausgesprochen hatte, und die darauffolgenden Anschläge in Paris und Brüssel durch den IS. Dieser habe nicht nur Waffen an den IS geliefert, sondern auch mit der Besatzung von Teilen Nordsyriens dem IS eine neue Basis geschaffen, der wiederum eine Bedrohung für die ganze Welt sei.
    Die Terrorismuslüge
    Im Folgenden ging Ayaz auf die engen Beziehungen zwischen Erdoğan und dem deutschen Staat ein. Grundlage der historischen Beziehungen sei die geostrategische Lage der Türkei. Diese habe die Türkei immer vermarktet. Deutschland habe die NATO dazu gebracht, sich aktiv an die Seite der Türkei in Bezug auf den Völkermord an den Kurd:innen stellen. (…)
    Verteidiger Kuhn: Verschärfte Verfolgungspraxis gegen kurdische Bewegung
    Das zahlreich erschienene Publikum stand auf und klatschte. Nach einer Pause von zweieinhalb Stunden verlas die Richterin Wende-Spohrs ihr Urteil. Erwartungsgemäß verurteilte sie Kenan Ayaz zu vier Jahren und drei Monaten, indem sie behauptete, der kurdische Befreiungskampf sei nicht legitim und Kenan Ayaz sei ein Terrorist, obwohl er sich nur demokratischer Mittel bedient habe. Der Verteidiger von Kenan Ayaz, Rechtsanwalt Stephan Kuhn aus Frankfurt am Main, kommentierte das Urteil folgendermaßen: „Leider reiht sich das heutige Urteil nahtlos in die verschärfte Verfolgungspraxis des deutschen Staates gegen die kurdische Freiheitsbewegung ein. Immer deutlicher werden dabei vermeintliche geopolitische Interessen über Grund- und Menschenrechte gestellt, immer maßloser Menschen für ihr gewaltfreies politisches Engagement bestraft. Es ist bitter zu sehen, dass das türkische Regime auch vom deutschen Staat für seine völker- und menschenrechtsverachtende Politik belohnt wird, während der Glaube an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie eine weitere Enttäuschung erfährt…“ umfangreicher Bericht von KIM RIGA vom 2. September 2024 bei ANF Deutsch externer Link
  • Kurdischer Aktivist Haci A.  wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der PKK in München verhaftet, ihm werden keine individuellen Straftaten vorgeworfen
    Der fünfzigjährige Kurde Haci A. ist im Großraum München festgenommen und wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der PKK verhaftet worden. Nach Angaben von AZADÎ e.V. werden ihm keine individuellen Straftaten vorgeworfen.
    Vor zwei Tagen ist ein weiterer Kurde in Deutschland wegen vermeintlicher Mitgliedschaft in der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verhaftet worden. Wie der Rechtshilfefonds AZADÎ e.V. mitteilt, wurde Haci A. am 22. Mai 2024 auf Betreiben der Generalstaatsanwaltschaft München im bayerischen Fürstenfeldbruck festgenommen und am selben Tag nach §§ 129a/b verhaftet. Der Fünfzigjährige befindet sich in der JVA Kempten.
    „Haci A. ist vor der Verfolgung in seiner Heimat Nordkurdistan durch den türkischen Staat geflohen und lebt seit zwei Jahren in der Bundesrepublik, wo er als Asylsuchender anerkannt wurde“, so AZADÎ e.V.. Die Generalstaatsanwaltschaft gehe davon aus, dass er von Anfang 2021 bis Anfang 2023 PKK-Verantwortlicher für den „Raum München“ gewesen sein soll. Er soll Spenden gesammelt, Veranstaltungen und/oder Fahrten zu kurdischen Veranstaltungen organisiert, öffentliche Aufklärung betrieben und Kontakt zu anderen Personen gehalten, Anweisungen gegeben sowie Streit geschlichtet haben. „Dies alles sind an sich keine strafbaren Tätigkeiten, sondern durchaus sozial erwünschtes Verhalten“, betont AZADÎ. Eine individuelle Straftat werfe ihm die Behörde wie in den meisten 129b-Verfahren gegen Kurd:innen nicht vor. Der umstrittenen Strafnorm nach solle jedoch allein die mitgliedschaftliche Betätigung in einer Organisation ausreichen, um sich selbst als „Terrorist:in“ strafbar zu machen. (…)
    Haci A. ist einer von aktuell zwölf Kurden, die sich wegen Mitgliedschaft in der PKK in deutscher Untersuchungs- oder Strafhaft befinden. „Ihnen wird das gleiche politische Engagement vorgeworfen, aufgrund dessen die meisten von ihnen bereits in der Türkei verfolgt wurden und in Deutschland Asyl erhalten hatten. Mit der Kriminalisierung der kurdischen Bewegung im Inland macht die Bundesregierung sich und ihr Lippenbekenntnis zu Demokratie und Menschenrechten in der Türkei und dem Mittleren Osten unglaubwürdig“, so der Rechtshilfefonds AZADÎ
    .“ Meldung vom 24 Mai 2024 von ANF externer Link („Kurdischer Aktivist in München verhaftet“)
  • März 2024: Der in der Türkei gesuchte kurdische Flüchtling Sekvan Tangüner soll bis zum 2. Mai 2024 an seine Verfolger abgeschoben werden
  • Juli 2023: BAMF will einen Kurden in die Haft in die Türkei abschieben, obwohl es Belege für seine Folter gibt
  • April 2023: Politische Aktivist*innen von Abschiebung bedroht: Bayerns Geschenk an das Erdoğan-Regime
  • März 2023: [18. März – Tag der politischen Gefangenen] In Isolationshaft ohne individuelle Straftat: §129b gegen kurdische Aktivist*innen in Deutschland
  • Februar 2023: Erdogan lässt weiter Kritiker in Deutschland ausspionieren
  • Oktober 2022: Saarbrücken: Hausdurchsuchungen bei kurdischen Personen, Razzia im kurdischen Verein
  • Juli 2022: Auch 2020 die bundesdeutschen Behörden im Dienste Erdogans: Der kurdische Aktivist Mustafa Çelik ist erneut verhaftet
  • Dürfen die Daten kurdischer Vereine automatisch an Sicherheitsbehörden weitergeleitet werden? Ein Gutachten des Bundestags sagt klar Nein.
    „Die automatische Weiterleitung der Daten kurdischer Vereine an den Verfassungsschutz und das Bundeskriminalamt ist rechtswidrig. Zu diesem Schluss kommt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags. Ein Gutachten dazu, das der taz vorliegt, hatte die Abgeordnete Gökay Akbulut (Linke) in Auftrag gegeben. (…) So wäre eine Weitergabe der Daten an den Verfassungsschutz nur möglich, wenn „in jedem Einzelfall vor der Übermittlung der Daten“ festgestellt würde, dass ein kurdischer Verein verdächtige Bestrebungen verfolgt. Es genüge nicht, dass erst die Empfänger im Verfassungsschutz anhand der Daten entsprechende Bestrebungen entdecken könnten. Auch für die Weitergabe der Daten an das BKA reiche ein „allgemeiner Gefahrenverdacht“ nicht aus, kritisierte der Wissenschaftliche Dienst die Praxis des Bundesverwaltungsamts. Außerdem, so das Gutachten, genügten die angegebenen Rechtsgrundlagen im Bundesverfassungsschutzgesetz (Paragraf 18 Absatz 1) und im BKA-Gesetz (Paragraf 9 Absatz 4) nicht den Anforderungen des Bundesverfassungsgerichts. Danach müsse schon bei der Schaffung eines Datenpools, wie dem des Ausländervereinsregisters, präzise geregelt sein, an welche andere Behörden und zu welchen Zwecken die Daten weitergegeben werden dürfen. (…) Die illegale Weitergabe der Daten kurdischer Vereine an die Sicherheitsbehörden wurde bisher auch nicht gestoppt. Die Abgeordnete Akbulut fordert nun: „Bis zu einer gesetzlichen Neuregelung sollte das Bundesinnenministerium die Aussetzung der Datensammlung verfügen.“ Ziel müsse es sein, „die diskriminierenden Sonderregeln für Migrantenorganisationen im Vereinsrecht komplett abzuschaffen.“ Die Datenweitergabe an die Sicherheitsbehörden ist vor allem deshalb brisant, weil der Verfassungsschutz die Daten zumindest teilweise an einen ausländischen – vermutlich den türkischen – Geheimdienst weiterleitet. „Die Bundesregierung muss daher sofort offenlegen, welche Vereine von dieser Praxis betroffen sind“, fordert die Abgeordnete Akbulut, „damit deren Mitglieder vor einer möglichen Reise in die Türkei gewarnt sind.“ Es drohten schließlich Repressionen bis hin zu Verhaftungen. Mahmut Özdemir (SPD), parlamentarischer Staatssekretär des Bundesinnenministeriums, lehnte dies jedoch mit der Begründung ab, dass dem ausländischen Geheimdienst Vertraulichkeit zugesagt worden sei.“ Artikel von Christian Rath vom 3. Juli 2022 in der taz online externer Link („Allgemeiner Verdacht reicht nicht“)

Siehe auch im LabourNet:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=198549
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