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Neue Verhaftungswelle in der Türkei, Offensive des Regimes gegen die Frauenbewegung und ein neuer Schauprozess – all das stößt auf neuen Widerstand
„… In den späten Abendstunden am Donnerstag wurden drei prominente Abgeordnete der türkischen Opposition verhaftet. Es handelt sich um einen Abgeordneten der sozialdemokratisch-kemalistischen CHP, Enis Berberoğlu, und die beiden kurdisch-linken HDP-Parlamentarier Leyla Güven und Musa Farisoğulları. Allen drei war am Nachmittag im Parlament auf Anordnung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan die Immunität aberkannt worden. Das Parlament wurde dabei komplett überrumpelt. Selbst Abgeordnete der Regierungspartei AKP wussten nicht Bescheid, als der stellvertretende Parlamentspräsident Sürreyya Sadi Bilgiç nach Sitzungseröffnung bekanntgab, er habe die Immunität der drei Abgeordneten aufgehoben. Zur Begründung hieß es: Gegen die drei Abgeordneten waren Gerichtsverfahren in Gang, die in den vergangenen Wochen, in denen das Parlament aufgrund der Coronapandemie pausierte, in letzter Instanz mit einer Verurteilung geendet hätten. Bilgiç verlas die Urteile von Berufungsgerichten, in denen Verurteilungen aus der Vorinstanz bestätigt wurden. Normalerweise hätte das Parlament mit einer Zweidrittelmehrheit einer Aufhebung der Immunität zustimmen müssen, doch in der „neuen Ordnung“ der Türkei Erdoğans genügte dafür eine Anweisung des Präsidenten an den amtierenden Parlamentspräsidenten. Dessen Entscheidung sorgte für erheblichen Aufruhr im Parlament…“ – aus dem Bericht „Erdoğan geht gegen Abgeordnete vor“ von Jürgen Gottschlich am 05. Juni 2020 in der taz online über die nächste Verfolgungswelle gegen jegliche Opposition in der Türkei. Siehe dazu zwei weitere Beiträge zu aktuellen Repressionsversuchen in der Türkei und eine Meldung über den verstärkten Widerstand demokratischer Kräfte gegen das AKP-Regime, sowie ein Statement aus der BRD:
- „Türkei: Zerschlagung der Frauenbewegung“ von Elke Dangeleit am 08. Juni 2020 bei telepolis zum Vorgehen gegen Kräfte, die beispielsweise Widerstand geleistet haben (und es weiterhin tun) gegen die „Eheschließung mit Minderjährigen“ (im Volksmund Kinderficker genannt) unter anderem einleitend: „… Eine der aktivsten zivilgesellschaftlichen Bewegungen in der Türkei ist die Frauenbewegung. Vor allem in den Metropolen Istanbul, Ankara und Izmir gibt es zahlreiche Organisationen, die sich für Frauenrechte einsetzen. Trotz aller Repressionen stellen sich die verschiedenen Frauenprojekte gegen die rückschrittliche Frauenpolitik der Regierung Erdogan und kämpfen für die Gleichstellung der Frauen. Die AKP-Regierung versucht seit 2014 gegen die emanzipatorische Frauenbewegung eine eigene, konservative Frauenbewegung zu schaffen. Das Jahr 2014 zeigt in vieler Hinsicht eine radikale Wende der türkischen Politik auf. Während Erdogan in den Jahren davor versuchte, den moderaten, um Demokratie bemühten Landesvater für die westliche Welt zu repräsentieren, zeigte die Regierung Erdogan ab 2014, worum es eigentlich geht: Keine Akzeptanz von ethnischen Minderheiten, andere Religionen als der (fundamentalistische) Islam werden nur mit erheblichen Einschränkungen geduldet. Emanzipatorische Bewegungen wie die Frauenbewegung oder gar eine demokratische linke Partei wie die HDP sind bis heute für ihn inakzeptabel. Von Anbeginn seiner politischen Laufbahn verfolgte Erdogan im Hintergrund seines Agierens den Weg der Muslimbruderschaft und eines autokratischen Staates...“
- „Unterstützung für Turgut Öker vor Prozesstermin“ am 09. Juni 2020 bei der ANF meldet über den neuen Schauprozess: „… Der Kölner Turgut Öker, seit über zwanzig Jahren deutscher Staatsangehöriger, ist in der Türkei wegen Präsidentenbeleidigung und Terrorpropaganda angeklagt und darf das Land nicht verlassen. Der Prozess gegen ihn wird am 18. Juni in Istanbul fortgesetzt. In Köln und weiteren Städten in Europa finden am Samstag Unterstützungsaktionen statt, um eine Öffentlichkeit für den Fall zu schaffen. Organisiert werden die zeitgleich zwischen 14 und 16 Uhr stattfindenden Mahnwachen von der Föderation der alevitischen Gemeinden in Europa (AABK). Der Treffpunkt in Köln ist der Hauptbahnhof. Der ehemalige HDP-Abgeordnete Turgut Öker ist gemeldet in Köln, befindet sich aber in der Türkei, das Gericht hat ein Ausreiseverbot gegen ihn verhängt. Er ist Vorsitzender der Alevitischen Union Europa (AABK) und Ehrenvorsitzender der Alevitischen Gemeinde Deutschland (AABF) mit Sitz in Köln, welche er von 1999 bis 2012 als Bundesvorsitzender vertrat. Gegen seine erneute Kandidatur als Abgeordneter der HDP bei den Parlamentswahlen in der Türkei vor zwei Jahren hatte der Wahlausschuss wegen einer Vorstrafe ein Veto eingelegt. Ihm wird vorgeworfen, sich als Redner unter anderem auf dem Kölner Neumarkt und in den sozialen Medien kritisch gegenüber der türkischen Regierung und Präsident Erdoğan geäußert zu haben“. Wie das geht, diesen Typen beleidigen, sollen seine handverlesenen Regime-Richter mal erklären…
- „HDP kündigt „Demokratiemarsch gegen Putsch” an“ ebenfalls am 09. Juni 2020 bei der ANF zum Widerstand gegen die neue Repressionswelle: „… Die Demokratische Partei der Völker (HDP) wird ihren „demokratischen Aufbruch” am 15. Juni mit einem fünftägigen Sternmarsch auf Ankara einleiten. Das hat der zentrale Exekutivrat der Partei am Wochenende bei einer außerordentliche Sitzung in Ankara beschlossen. Anfang letzter Woche hatte die HDP ihre mit Spannung erwartete Roadmap mit strategischen Richtlinien gegen den autoritär-autokratischen Staats- und Regierungskurs unter Recep Tayyip Erdoğan vorgelegt und an alle demokratischen Kräfte im Land appelliert, gemeinsame Synergien zu finden. Mit dem Mandatsentzug von den HDP-Abgeordneten Leyla Güven und Musa Farisoğulları und ihrer anschließenden Inhaftierung in der vergangenen Woche hat sich die Umsetzung des Fahrplans beschleunigt. Der Sternmarsch auf Ankara steht unter dem Motto „Demokratiemarsch gegen den Putsch”. Losgelaufen wird an zwei Startpunkten: Edirne, der westlichsten Großstadt der Türkei, wo der frühere Ko-Vorsitzende Selahattin Demirtaş inhaftiert ist, und Colemêrg (türk. Hakkari), dem Wahlkreis von Leyla Güven und der südöstlichsten Stadt in der Nähe des Dreiländerecks Türkei-Irak-Iran. Auf der Route liegen Metropolen wie Istanbul, Wan (Van), Amed (Diyarbakir) und Adana, in allen Städten sind tägliche Zusammenkünfte mit der Bevölkerung, zivilgesellschaftlichen Organisationen und Einrichtungen geplant. Die HDP beschränkt sich allerdings nicht nur auf die kurdischen Städte oder den kurdischen Bevölkerungsteil, sondern wird auch die Schwarzmeerregion ansteuern und dort mit verschiedenen Initiativen zusammenkommen. Auch in der an Syrien angrenzenden Provinz Hatay im Süden des Landes sind vor dem Hintergrund des seit neun Jahren andauernden Konflikts Aktivitäten und Treffen geplant. In einer Zeit, in der die AKP/MHP-Regierung sie zu unterdrücken versuche und andere Oppositionsparteien sie „als Ass im Ärmel“ auf die eigene Ersatzbank manövrieren wollten, werde die HDP versuchen, ein zukunftsfähiges Bündel von Demokratiekräften entwickeln, das darauf gerichtet ist, die demokratische Entwicklung des Landes nachhaltig zu fördern und zu gestalten…“
- „Akbulut und Özdemir: „Gemeinsam gegen den AKP-Faschismus!““ am 09. Juni 2020 bei Yeni Özgür Politika ist eine Erklärung zur Repression gegen die Abgeordneten in der Türkei, worin es unter anderem heißt: „… Wenige Stunden nach dem Entzug der Mandate wurden alle drei verhaftet. Keine 24 Stunden danach wurde Berberoğlu bereits wegen der Corona-Pandemie „amnestiert“. Für Leyla Güven und Musa Farisoğulları greift die Regelung nicht. Als politische Gefangene aus sogenannten „Terrorverfahren“ werden sie von einem Straferlass explizit ausgenommen. Da die Fälle noch beim Verfassungsgericht anhängig sind, liegt nicht nur in der Verhaftung eine besondere Schwere des Rechtsverstoßes vor. Auch der Mandatsentzug ist rechtswidrig. Dazu erklären Gökay Akbulut, Mitglied des Deutschen Bundestags und Cansu Özdemir, Mitglied der Hamburgischen Bürgerschaft: „Erneut erleben wir einen Putsch gegen die Opposition. Erneut erleben wir, dass die AKP Feind der Demokratie ist. Während gefährliche, ultranationalistische Mafiabosse entlassen werden, sitzen mittlerweile zehntausende Oppositionelle zu Unrecht in den Gefängnissen der türkischen Diktatur. Mit einem weiteren Putsch versucht Erdoğan seine politischen Gegner weiter zu schwächen und Neuwahlen vorzubereiten. Anstatt die Politik des türkischen Diktators zu verurteilen, will Außenminister Heiko Maas mit seinen türkischen Amtskollegen die Möglichkeit von Urlaubsreisen in die Türkei besprechen. Die Bundesregierung muss dem diktatorischen Regime der AKP endlich seine Unterstützung entziehen…“