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„Wir haben noch einen langen Weg vor uns“: Über Taiwans Migrationsregime seit den 1990er Jahren

Migrants Empowerment Network in Taiwan (MENT)Taiwan öffnete 1989 erstmals die Grenzen für südostasiatische Wanderarbeiter und institutionalisierte deren Anwerbung drei Jahre später. Im Jahr 1999 wurde TIWA (Taiwan International Workers‘ Association) als erste lokale NRO gegründet, um die Interessen von Wanderarbeitern in Taiwan zu fördern. Im Jahr 2003 bildeten TIWA und andere Organisationen ein Bündnis, das später als MENT (Migrants Empowerment Network in Taiwan) bekannt wurde.  Es folgt ein Interview vom 6. September 2023 mit Chen Su-hsiang, Gründungsmitglied von TIWA, und Wu Jing-ru, die in den Anfangsjahren von TIWA dabei war. Su-hsiang und Jing-ru zeichnen nach, wie sich Taiwans Arbeitsmigrationspolitik im Laufe der Jahre verändert hat und welche Rolle die Forderungen der Wanderarbeiter sowie die Unterstützungsaktivitäten von TIWA und MENT bei dieser Entwicklung gespielt haben…“ engl. Interview von Samia Dinkelaker und Ralf Ruckus vom 4.3.2024 in Asian Labour Review externer Link und weitere Informationen:

  • Taiwans Industrie-Schandfleck. Die Produkte sind hochmodern, die Arbeitsrechte nicht: In der Chipfertigung werden Migranten systematisch ausgebeutet New
    „Fragt man Kim Beltrán nach seinem arbeitsamen Leben in Taiwan, spricht er zuerst vom Wohnheim, das ihm zugewiesen wurde: »Ich muss mir hier einen Raum mit zwölf Personen teilen, die aber in unterschiedlichen Schichten arbeiten!«, sagt der 30-Jährige mit aufgebrachter Stimme. »Für uns alle gibt es nur zwei Toiletten. Der Raum ist auch viel zu klein für zwölf Leute, wir haben Hochbetten.« Ärgerlich sei das, denn die Vermittler hätten Kim Beltrán und seinen Kollegen jeweils Einzelzimmer versprochen. Wenn es bloß nur das wäre, so fern von der Heimat. Kim Beltrán ist Filipino, lebt aber seit sieben Jahren in Taiwan, wo er am Rande der Hauptstadt Taipeh im Halbleitersektor arbeitet. Seinen echten Namen möchte er aus Angst, seinen Job zu verlieren, nicht verraten. Nur unter dieser Bedingung erzählt er davon, wie es Angestellten wie ihm in der für die Weltwirtschaft systemisch wichtigen Branche ergeht. Bei ASE, einem führenden Betrieb im Testen von Sensoren für Elektroprodukte, werde er ausgebeutet, sagt Beltrán. An einem Abend unter der Woche beklagt sich Kim Beltrán, kurze Haare und weite Klamotten, in einem lärmigen Café über das Leben in Taiwan. »Unsere Produkte sind für Smartphones und den Automobilsektor. Unter anderem VW und Audi nutzen sie«, berichtet der Mann, der in der Fabrik, wo er täglich zwölf Stunden verbringt, für das Be- und Entladen der Maschinen mit Metallmagazinen verantwortlich ist. »Viele von uns müssen schwere Lasten heben. Pausen und Ruhezeiten gibt es aber kaum.« Der physisch anstrengende Job ist eine typische Aufgabe für Arbeitsmigrantinnen und -migranten in Taiwan. Rund 750 000 Menschen aus Südostasien arbeiten auf der 23-Millioneninsel. Auf der Basis bilateraler Verträge kommen sie aus den Philippinen, Vietnam, Indonesien und Thailand. Weil sie im Industriestaat Taiwan bis zu 30 Prozent mehr verdienen als in der Heimat, schicken sie einen Großteil ihres Lohns zu ihren Familien. Trotz oft schlechter Arbeitsbedingungen hängen die Ausländer daher an ihren Jobs. (…) Taiwan begann, sich 1989 für Arbeitsmigration zu öffnen, warb ab 1992 Arbeitskräfte an. Japan hat in dieser Zeit ein Trainee-Programm eingeführt, bei dem gut ausgebildete Arbeitskräfte für einfache Tätigkeiten eingesetzt wurden. »Südkorea greift dagegen vor allem auf koreanischstämmige Chinesen zurück. Diese Menschen gelten zwar als Koreaner, aber nicht als ›echte Koreaner.‹ Das merkt man auch daran, dass sie in geringqualifizierten Tätigkeiten aktiv sind«, so Tseng. Für Arbeitsmigranten gilt in diesen drei Ländern, dass sie in Jobs mit den drei D arbeiten: dirty, dangerous, difficult – schmutzig, gefährlich und körperlich anspruchsvoll. Professorin Yu-Chin Tseng sagt: »Die Politik stützt sich auf Ausbeutung. Und generell haben die Menschen in diesen Ländern auch nicht sehr positive Vorstellungen von Arbeitsmigranten.« Tseng spricht von einer Mischung aus Rassismus und Klassismus. »Klassismus bedeutet hier, dass der Blick auf eine Person davon abhängt, welcher Klasse sie angehört. Menschen aus unteren Klassen werden dann diskriminiert. Und die kommen hier nun mal aus Südostasien.« (…) »Taiwan versucht, die Latte etwas anzuheben, damit sie immerhin einen akzeptablen Lohn erhalten. Ich glaube, wir müssen daran denken, dass wir auch die Arbeitsrechte schützen und nicht zu geringe Löhne haben.« Tatsache ist aber: Als Taiwan im Januar 2024 seinen Präsidenten und sein Parlament neu wählte, spielte die Lage der Arbeitsmigranten in den Wahlkampagnen kaum eine Rolle. Marcin Jerzewski vom Thinktank Taiwan NextGen glaubt, das bestehende System funktioniere für die Volkswirtschaft einfach zu gut, um es zu hinterfragen. »Ich würde sagen, den Unternehmen in Taiwan gefällt die aktuelle Ordnung. Sie brauchen billige Arbeitskräfte, die sich nach einer Zeit austauschen lassen. Da geht es auch um die bloße Gier der Unternehmen in Taiwan.« Politischen Willen, dies zu ändern, gebe es kaum. »Aber Taiwan muss hier definitiv eine Unterhaltung mit sich selbst führen.«“ Bericht aus Taiwan von Felix Lill am 2. Dezember 2024 in Neues Deutschland online externer Link

Siehe zum Thema:

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=224835
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