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Zum zweiten Jahrestag des Beginns der Proteste in Sudan faktisch zwei Großdemonstrationen: Die eine fordert Einhaltung der Vereinbarungen – die andere den Rücktritt der Übergangsregierung

Auch nach dem Millionenmarsch am 30.6 wurde im Sudan jeden Tag weiter demonstriert - hier in Port Sudan am 3.7.2019„… Die Demonstranten zogen in der Hauptstadt Khartum vor den Präsidentenpalast. Sie riefen „Gerechtigkeit“, schwenkten sudanesische Flaggen und hielten Fotos getöteter Demonstranten hoch. Über dem Stadtbezirk Al-Sahafa im Süden der Hauptstadt stieg schwarzer Rauch von brennenden Autoreifen auf. Vor dem Präsidentenpalast setzte die Polizei Tränengas ein, um hunderte Demonstranten zu vertreiben. Proteste gab es auch in mehreren anderen Städten. Insgesamt beteiligten sich nach Schätzungen von Journalisten mehrere tausend Menschen an den Demonstrationen. Im Sudan hatten am 19. Dezember 2018 Massenproteste gegen den fast 30 Jahre lang autoritär herrschenden Omar al-Baschir begonnen. Fast 130 Menschen sollen bei den Protesten getötet worden sein, viele werden bis heute vermisst. Nach monatelangen Kundgebungen setzte die sudanesische Armee Baschir im April 2019 ab. Nach seiner Absetzung regierte zunächst ein Militärrat. Nach weiteren monatelangen Unruhen einigte sich der Militärrat mit der Protestbewegung dann schließlich auf die Einsetzung eines Souveränen Rats, in dem sich Militärs und Zivilisten nun die Macht teilen…“ – aus der Meldung „Sudanesen fordern weitere Reformen ein“ am 20. Dezember 2020 bei der Deutschen Welle externer Link – die zwar mit der absoluten Fehlinformation beginnt, es sei die erste große Demonstration seit Bildung der Übergangsregierung gewesen und damit alles, was bereits seit Oktober 2020 immer wieder stattgefunden hat, übersieht (von den Zwischenzeiten ganz zu schweigen) – aber neben den Forderungen der Demonstration in der Hauptstadt auch den Einsatz von Tränengas durch die Polizei berichtet und damit eine direkte Befehlsverweigerung gegenüber anderslautenden Anweisungen der Regierung (siehe unten). Siehe dazu vier weitere aktuelle Meldungen – die die Position vor allem des Gewerkschaftsbundes SPA und der Widerstands bzw. Nachbarschaftskomitees deutlich machen, die den Rücktritt der Regierung fordern, sowie den Hinweis auf unseren bisher letzten Beitrag zur neuen Protestwelle im Sudan:

  • „Sudanese to mark December Revolution with contrasting slogans“ am 19. Dezember 2020 in der Sudan Tribune externer Link berichtet am Morgen des Jahrestages, dass es – faktisch – zwei Demonstrationen geben werde: Die eine, die weiterhin eine konsequente Fortsetzung des Kurses auf demokratische Veränderung einfordert – und eine andere Strömung, die diesbezüglich keine Hoffnung mehr auf diese Übergangsregierung setzt und ihren Rücktritt fordert. Die zweite Strömung fordert eine Wiederherstellung der Bestimmungen der ursprünglichen Übergangsvereinbarung, die die Regierung nicht befolge und wird im wesentlichen gebildet von der KP Sudan, der Gewerkschaftsföderation SPA und einer Reihe von Nachbarschaftskomitees vor allem aus der Hauptstadt.
  • „March of Millions: Protestors call for revolution course correction“ am 19. Dezember 2020 bei Radio Dabanga externer Link meldet ebenfalls die Existenz dieser beiden politischen Strömungen (und ihre Zusammensetzung) und lässt aber zusätzlich noch den Sprecher der Koordination der Widerstandskomitees zu Wort kommen, der die Gründe für diese Entwicklung hin zur Rücktrittsforderung ausführlich erläutert und nachzeichnet. Die vor allem – wenn auch nicht nur – darin bestehen, dass nichts geschehe, um die (auch wirtschaftliche) Macht des Militärs zurück zu drängen…
  • „Mit Wut im Gesicht“ von Philip Malzahn am 20. Dezember 2020 in nd online externer Link hebt zu den nicht so neuen Protesten neue Beteiligte und Bedingungen hervor: „… »Das ist unsere erste Demo«, sagen die beiden Freunde Farid und Abdo. Ein Bekannter von ihnen ist am Massaker des 30. Juni 2019 gestorben. Damals, in der chaotischen Phase nach dem Sturz Al-Baschirs und vor der Bildung des Übergangsrats, eröffnete das Militär das Feuer auf Demonstranten. Auf denselben Straßen, auf denen das Blutbad stattfand, wollen die beiden nun für Gerechtigkeit kämpfen. Sie kommen aus einem armen Teil der Hauptstadt und nehmen nun zum ersten Mal die Gelegenheit wahr, ihre Unzufriedenheit öffentlichkeitswirksam zum Ausdruck zu bringen. »Seit der Revolution geht das«, wissen sie zu schätzen. Denn tatsächlich hat sich seit dem Sturz Omar Al-Baschirs einiges verändert. Polizei und Militär halten sich an diesem 19. Dezember weitgehend zurück, sie wehren sich eigentlich nur bei Angriffen aus der Demonstration heraus. Doch über gewisse politische Freiheiten hinaus hat sich die Situation noch nicht entwickelt. Das soll sie aber: »Deshalb ist der 19. Dezember ein wichtiger Tag. Wichtig vor allem, um der unfähigen Übergangsregierung und dem Militär, das daran arbeitet, die Macht vollständig zu übernehmen, zu zeigen, dass wir noch da sind!«, sagt die 33-jährige Womda. Sie ist seit Anfang der 2000er Jahre gemeinsam mit ihrem Mann Mitglied in der unter Al-Baschir noch verbotenen Kommunistischen Partei des Sudans. Ihre politischen Überzeugungen stehen jedoch bei den Protesten nicht im Vordergrund. »Den gewöhnlichen Sudanesen interessiert es nicht, welche Partei ihn regiert, solange er sich nicht darum sorgen muss, dass er trotz Zwölf-Stunden-Arbeitstag verhungert.« Neben politischer Freiheit sei es eben auch soziale Gerechtigkeit, die die Menschen anstreben. Doch dass die jetzigen Machthaber es nicht hinkriegen, die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken, sieht Womda auch als eine Chance, die Revolution weiterzuführen. An der Übergangsregierung halten vor allem das Militär und jene etablierten Parteien fest, die durch Ministerialposten oder Mitglieder in anderen hohen Positionen profitieren. Viele der Gewerkschaften und Syndikate wollen zumindest Neuverhandlungen über die Aufgaben der Übergangsregierung; andere wollen einen kompletten Umbruch…“
Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=183578
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