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Spaniens Regierung verlängert Ausnahmezustand: Massenhafte Strafen gegen Verstöße (nach dem „Maulkorb-Gesetz“, das sie einst abschaffen wollte). Andererseits: Keine Strafen für private Gesundheitsunternehmen…

Ley Mordaza: Spanien wird PolizeistaatsmonarchieBeinahe 600.000 Vorfälle meldet das Innenministerium Spaniens, in denen Verstöße gegen die diversen aktuellen Epidemie-Auflagen von der Polizei festgehalten und zur Anzeige gebracht wurden. Ganz offiziell: Unter Anwendung der sogenannten „Ley Mordaza“ (des Maulkorbgesetzes) der konservativen Vorgänger-Regierung, das die Koalition aus Sozialdemokratie und Podemos eigentlich – eigentlich eben – abschaffen wollte. Was von nicht wenigen kritischen Medien als ein Schritt bewertet wird, wie eben in Spanien unter dem „Nebel der Epidemie-Bekämpfung“ polizeistaatliche Maßnahmen eingeführt bzw. wie in diesem Fall, aus der Kritik genommen und endgültig etabliert werden. In dem Artikel „Ya son casi 600.000 las propuestas de sanción por la ‘ley mordaza’ durante el estado de alarma“ am 19. April 2020 bei kaosenlared externer Link wird berichtet, dass zahlreiche demokratische Organisationen und Gruppierungen diese massenhafte Anwendung des erzreaktionären Gesetzes sowohl dokumentiert haben, als auch entschieden kritisieren. Das Innenministerium selbst habe die Behörden angewiesen, bei solchen Anzeigen entsprechend Artikel 36.6 des Gesetzes 4/2015 vorzugehen – das eben das erwähnte Maulkorbgesetz ist und für „Ungehorsam gegenüber staatlichen Anweisungen“ Geldstrafen vorsieht, die von knapp 600 bis rund 10.000 Euro reichen – und umso höher sind, wenn sie mit Missachtung der Behörden verbunden sind, was die Behörden selbst festlegen. Mit anderen Worten: Die Polizei. Siehe zur aktuellen Entwicklung in Spanien – und insbesondere zum „Wirken“ privater Gesundheits- und Pflege-Unternehmen, das von niemand irgendwie verfolgt wird – sechs weitere aktuelle Beiträge sowie zwei Beiträge zu den rechtsradikalen Verteidigern der Profitjagd:

„Eine tödliche Rezeptur“ von Thorsten Mense am 09. April 2020 in der jungle world externer Link (Ausgabe 15/2020) unterstreicht zum Zustand des Gesundheitswesens in Spanien unter anderem: „… Dass Spanien eine so hohe Todesrate hat und das dortige Gesundheitssystem zumindest regional in so kurzer Zeit zusammengebrochen ist, liegt auch daran, dass die Pandemie nach Italien nun das zweite Land Europas ­erwischt hat, das von der Finanzkrise ab 2007 und der daraufhin von der EU erzwungenen Austeritätspolitik besonders hart getroffen wurde. Während Milliarden Euro in die Bankenrettung gesteckt wurden, versuchte man zugleich, durch Privatisierungen und drastische Einschnitte in den Sozialstaat die Staatsverschuldung zu mindern, wie es die europäischen Geld­geber verlangt hatten. Die Folge waren ein enormer Anstieg der Armut und Arbeitslosigkeit. Noch vergangenes Jahr wurden 54 000 Wohnungen wegen Miet- oder Hypothekenschulden geräumt, das sind fast 150 Räumungen pro Tag. »Austerität tötet« – der Slogan der jahrelangen Proteste gegen die Sparpolitik wird in Spanien jetzt auf brutale Weise wahr. In Madrid, wo aufgrund fehlender Behandlungsmöglichkeiten Patienten im Krankenhausflur sterben, wurden im Zuge der Eurokrise 4.000 Stellen im Gesundheitswesen und 3.000 Krankenhausbetten gestrichen, während die Bevölkerung der Stadt um eine halbe Million angewachsen ist. Die Folgen dieser Politik sind nicht erst seit Ausbruch der Coronakrise tödlich. Amnesty International hat 2018 unter dem Titel »Das falsche Rezept« einen Bericht veröffentlicht, der darstellt, wie die Austeritätspolitik das Gesundheitssystem Spaniens über Jahre kaputtgespart und vor allem Menschen in prekärer Lage den Zugang zur Grundversorgung erschwert oder gar unmöglich gemacht hat. Die staatlichen Gesundheitsausgaben wurden allein von 2009 bis 2013 um über zwölf Prozent gekürzt, in derselben Zeit stieg die Arbeitslosigkeit auf fast 27 Prozent an. Mit gerade mal drei Krankenhausbetten pro tausend Einwohner liegt Spanien auf Platz 25 aller EU-Staaten. Damit einher ging auch eine enorme Verschlech­terung der Arbeitsbedingungen des medizinischen Personals, die jetzt zur lebensbedrohlichen ­Gefahr wird. Aufgrund mangelnder Schutzausrüstung haben sich über 12.000 Gesundheitsmitarbeiter mit dem neuartigen Coronavirus infiziert. Krankenpfleger und Ärztinnen basteln sich mittlerweile ihre Schutzkleidung selbst, aus Müllsäcken und Taucherbrillen…“

„Imprescindible. Esta es la crónica del proceso de privatización de la Sanidad Pública en Madrid“ am 19. April 2020 bei kaosenlared externer Link ist eine ausführliche Chronik der Privatisierung des Gesundheitswesens in der Region und Stadt Madrid – die im Jahr 1997 beginnt. Veröffentlicht wurde sie von der Koordination gegen die Privatisierung des Gesundheitswesens CAS – und umfasst insgesamt nicht weniger als 16 entsprechende Schritte im Zeitraum von knapp 20 Jahren. Was in den ersten Jahren – zumindest bis zur Bildung der CAS im Jahr 2004 – nur auf unorganisierten Widerstand und Protest traf, da – beispielsweise – die regionalen Comisiones Obreras diese Maßnahmen zunächst unterstützten…

„Madrid: Redes de apoyo mutuo en los lugares más castigados por el coronavirus“ am 14. April 2020 ebenfalls bei kaosenlared externer Link ist eine Dokumentation der Aktivitäten selbstorganisierter Solidarität in den ärmeren Stadtteilen Madrids, wie etwa Leganes oder Vallecas. Wie etwa nachbarschaftliche Vereinigungen aktiv werden, wenn eine Situation eintritt, dass auf einer Krankenhaus-Station, die für 90 Menschen vorgesehen ist, bereits 360 (irgendwie) „liegen“ wird in diesem Beitrag ebenso berichtet, wie darüber, wie solche Gruppierungen für andere Krankenhäuserdas „weggesparte“ Material beschaffen, weil es ja sonst niemand tut…

„Residencias de mayores: un negocio de casi 5.000 millones, engordado con dinero público“ von Vicente Clavero am 17. April 2020 bei Publico externer Link ist ein Beitrag über die Geschäftemacherei mit Alten-Pflegeheimen – eine Branche, die in Spanien runde 5 Milliarden Umsatz macht und in bedeutendem Maße aus Steuergeldern finanziert werde. Der Beitrag untersucht konkret die Arbeitsweise verschiedener Unternehmen, deren größtes in Spanien über 20.000 Betten verfügt und rund 21.000 Beschäftigte hat.

„La residencia Vitalia Leganés donde han fallecido 96 personas tiene unos beneficios anuales de un millón de euros“ von Manuel Rico am 18. April 2020 bei Infolibre externer Link ist eine Reportage über das Altenheim der Vitalia-Kette im Madrider Stadtteil (Vorortbezirk) Leganés, das den traurigen Rekord an Todesfällen hält. Die Kette, vom CVC-Fonds beherrscht, betreibt insgesamt 51 Heime in Spanien – und das von Leganes hält noch einen weiteren Rekord: Es steuert jährlich eine Million Euro zum Gewinn des Unternehmens bei, mehr als jedes andere der sonstigen 50 Heime. Und erhält dabei über 4 Millionen Euro jährlich von der Stadt Madrid…

„Im Angesicht der Heiligen Familie des Kapitals, lasst uns unser Leben durch sozialen Antagonismus verteidigen“ von der Gruppe Barbaria am 19. April 2020 bei de.indymedia externer Link in deutscher Übersetzung hält angesichts solch menschenfeindlicher Zustände dagegen fest: „… Wir alle haben die Widersprüche erkennen können, in die der Alarmzustand der PSOE-Podemos-Regierung eintritt. Man sagt uns, dass sie sich um die Gesundheit der Menschen sorgen, und doch gehen Millionen von Menschen jeden Tag zur Arbeit. Und Tatsache ist, dass es die Bedürfnisse des Kapitals sind, die die Bedürfnisse der Gesellschaft, in der wir leben, kennzeichnen. Die Nützlichkeit der Dinge wird durch ihren Preis gekennzeichnet, durch die wirtschaftliche Rentabilität, die sie für die Unternehmen erzeugen. Es gibt keinen menschlichen Nutzen bei der Herstellung von Autos, aber es gibt einen sozialen Nutzen, der in erster Linie regiert, nämlich den des Kapitals. Wenn keine Autos hergestellt werden, sinkt der Gewinn dieser Unternehmen, und sie werden zur Schließung gezwungen. Dies erhöht die Arbeitslosigkeit und die Schwierigkeiten der Proletarier, die gezwungen sind, ihre Arbeitskraft und ihr Leben zu reproduzieren. Was wollen wir hiermit hervorheben? Dass wir in einer Welt leben, die von dem Kapital und Wert dem beherrscht wird. Und das entspricht ganz und gar der Art und Weise, wie mit der gegenwärtigen Krise umgegangen wird. Wenn wir sagen, dass das Kapital die Wurzel der Krise ist, dann sagen wir damit nicht etwas Oberflächliches. Was wir damit sagen wollen, ist, dass die unpersönliche Maschine, die Wert ist, mit ihrer allesfressenden Logik die Geburt von immer mehr Viren fördert, weil sie dazu neigt, immer mehr Ecken des Planeten zu besiedeln, und wie sie die intensive Fleischindustrie entwickelt. Gleichzeitig sieht sie sich mit der Ausbreitung dieser Epidemien aus ihrer Logik heraus konfrontiert, so dass sie versucht, das Skelett der Produktion und Reproduktion der wirtschaftlichen Aktivitäten so weit wie möglich zu erhalten. Was wäre ein angemessener Weg, um uns gegen diese Art von Virus zu schützen? Der Versuch, die soziale Produktion drastisch zu reduzieren, diesen grenzenlosen Megalopolen, die die Städte heute sind, ein Ende zu setzen, eine Kontrolle des Konsums, die die menschlichen Grundbedürfnisse befriedigt, das Ende der Schule als Instrument der Indoktrination und der sozialen Disziplin, das Ende der Unterwerfung der Menschen unter die Maschinen, die Abschaffung der Unternehmen usw. Wir listen einige der Maßnahmen auf, die in dem von Bordiga auf der Forlí-Konferenz 1952 entwickelten Revolutionären Sofortprogramm festgelegt sind, Maßnahmen, die während des revolutionären Prozesses für den Übergang zum umfassenden Kommunismus angewendet werden sollen. Sie sind diejenigen, die wir als Menschheit anwenden müssten, um nicht nur die Krise des Coronavirus zu bewältigen, sondern ganz allgemein die immer brutalere Katastrophe, auf die uns die Erschöpfung der kapitalistischen Gesellschaft zusteuert. Letztlich handelt es sich um Maßnahmen, die die soziale Mobilität, d.h. die Mobilität von Kapital und Gütern-Waren, stoppen werden. Wir brauchen einen Plan zur Verteidigung der Spezies: Diesen Plan, dieses Programm zur Verteidigung der Spezies, sowie die wirkliche Bewegung, die dazu neigt, ihn durch die Abschaffung der gegenwärtigen Situation durchzusetzen, nennen wir Kommunismus...“

„Obszöne Kampagnen“ von Eckart Leiser am 16. April 2020 im Freitag-Blog externer Link zu den gemeinsamen Kampagnen von Faschisten und Konservativen gegen die Regierung, die eine ganz andere Zielsetzung verfolgen als jene, die Solidarität selbst organisieren: „… Parallel dazu führt Vox, von 3,6 Millionen Spaniern gewählt, eine unerbittliche Schlacht gegen die „sozialistisch-kommunistische“ Regierung in Madrid, und das mit allen Mitteln. In einer jüngsten Erklärung verkündete Macarena Olona, parlamentarische Generalsekretärin von Vox im Kongress, die Regierung verfolge mit ihrer Handhabung der Coronakrise eine Art Euthanasie-Strategie. Zuvor hatte Santiago Abascal, der „Führer“ von Vox, ein manipuliertes Foto gepostet, auf dem die Gran Vía im Zentrum Madrids mit Särgen übersät zu sehen ist. Sogar der Polizei ist nicht entgangen, dass es inzwischen eineinhalb Millionen Konten in sozialen Netzwerken gibt, die systematisch Desinformation in Bezug auf das Coronavirus betreiben. Jüngst erschien, die Regierung anklagend, ein Video mit in Säcken verpackten Leichen mitten auf einer Straße. Kommentar: „Auf den Boden geworfen. In Säcken. Wie Hunde.“ Wie bald festgestellt wurde, stammte das Video aus Guayaquil (Ecuador). So viel zur Welt der extremen Rechten. Die Kampagne des Partido Popular (PP) liegt auf der gleichen Linie, auch wenn man dort ein weniger „obszönes“ Image zu pflegen versucht. Die Sprecherin der Partei im Kongress, Álvarez de Toledo, trägt nicht umsonst den Titel „XIII Marquesa de Casa Fuerte“ (Marquise von Casa Fuerte), Aristokratin vom Feinsten also. Sie begnügt sich damit, die Regierung „tödlicher“ Entscheidungen zu bezichtigen…“

„El personal de enfermería se rebela contra la “ley del silencio” impuesta en Andalucía a los sanitarios que luchan contra el coronavirus“ von Natalio Blanco am 14. April 2020 bei Diario16 externer Link berichtet vom Widerstand der Beschäftigten im andalusischen Gesundheitsbereich (wo ja die erste rechtsradikale Regionalregierung unter faschistischer Beteiligung wirkt) gegen das „Gesetz des Schweigens“ das diese allen aufzwingen will, um die von ihr zu verantwortenden Mißstände nicht ans Tageslicht kommen zu lassen…

Kurzlink: https://www.labournet.de/?p=170745
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