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»Unregierbare Zustände«. Spaniens Docker gegen Deregulierungspläne von EU und Unternehmen – Bericht und Interviews von Gaston Kirsche
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit, auch für LeiharbeiterInnen, Tarifbindung und einen gemeinsamen Fonds, in den die Unternehmen einzahlen – diese Schutzbestimmung der spanischen Docker waren für die EU-Kommission ein »Wettbewerbshindernis«, das zu beseitigen sei. Um diese Auflage umzusetzen, erließ die Regierung der konservativen Volkspartei PP in Spanien auf Initiative des zuständigen Transportministers Inigo de la Serna am 24. Februar 2017 ein Dekret »zur Liberalisierung der Stauereiarbeit« – ohne Rücksprache mit den Gewerkschaften und ohne parlamentarische Debatte. Seitdem wehren sich die spanischen DockarbeiterInnen mit Dienst nach Vorschrift, ausgedehnten Betriebsversammlungen und Streikdrohungen gegen die Deregulierung der Hafenarbeit. Die konservative Minderheits-Regierung erlitt deswegen im Parlament am 16. März ihre erste große Abstimmungsniederlage, als sie das Dekret bestätigen lassen wollte…“ Bericht von Gaston Kirsche und Gespräche mit Aktivisten, erschienen in express, Zeitung für sozialistische Betriebs- und Gewerkschaftsarbeit, Ausgabe 4/2017
»Unregierbare Zustände«. Spaniens Docker gegen Deregulierungspläne von EU und Unternehmen
Bericht und Interviews von Gaston Kirsche
Ganz im Süden, in Algeciras, im vom Seegüterumschlag her größten Hafen Spaniens ist die Streikbereitschaft der Estibadores, wie die Stauer auf Spanisch heißen, groß. 1.850 Estibadores arbeiten hier. Im ganzen Land sind es 6.156. Sechs Prozent von ihnen sind Frauen. Auf den Versammlungen ist die Stimmung kämpferisch: »Ni un paso atras«, keinen Schritt zurück. Wer am Hafenkai oben, in 40 Meter Höhe auf den Containerbrücken arbeitet, oder bei der Einweisung auf den riesigen Frachtern, oder bei der Stückgutverladung, ist ein Estibador. Oft ist die See unruhig, hier an der Meerenge von Gibraltar weht meist ein scharfer Wind – nicht unbedingt eine Arbeitserleichterung. Gearbeitet wird Tag und Nacht, immer mehr Frachter legen hier an, am Knotenpunkt, dem Eingang zum Mittelmeer. In der Regel wird hier Fracht umgeladen auf kleinere Schiffe. Überall riecht es nach Metallabrieb, Lösungsmitteln, Maschinenöl. Wer frühmorgens von der Stadt herüberschaut, sieht den Hafen immer in Bewegung. In der Stadt sind überdurchschnittlich viele EinwohnerInnen – ein Drittel – arbeitslos, und die Arbeit im Hafen ist ein Lichtblick im Kontrast zu den sonstigen, oft prekären Jobs.
2016 war erneut ein Rekordjahr im Hafen von Algeciras. 102,8 Millionen Tonnen Handelsgüter wurden umgeschlagen, 4,7 Prozent mehr als im Jahr davor und doppelt so viel wie 2001. Darunter waren 4,76 Millionen TEU (Standardcontainer-Einheiten) – annähernd gleich viele wie im Hafen von Valencia.
Das riesige Containerterminal APM Terminals Algeciras zum Be- und Entladen von Großschiffen wird von der Maersk Line, die zur weltgrößten Reederei AP Möller aus Dänemark gehört, betrieben. Die verlangt niedrigere Gebühren für die Hafenarbeiten. »Unsere Kunden, einschließlich der Maersk Line, verlangen wettbewerbsfähigere Preise und höhere Produktivität«, erklärte Anders Kjeldsen bereits 2009 gegenüber der Zeitung El Confidencial, und verlangte »die volle Unterstützung der spanischen Regierung in Form einer Senkung der Gebühren, die Reedereien in den spanischen Häfen für den Güterumschlag bezahlen müssen.« Der Generaldirektor von APM Terminals Algeciras vergaß nicht zu erwähnen, dass es an der Meerenge von Gibraltar ja auch Konkurrenz gäbe: Direkt gegenüber an der marokkanischen Küste liegt der Hafen Tanger Med. Dort, 40 Kilometer entfernt von Algeciras, haben die Maersk Line und AP Möller ebenfalls ein großes Containerterminal aufgebaut, das seit 2008 voll in Betrieb ist. Die beiden Häfen, die beiden Staaten lassen sich hervorragend gegeneinander ausspielen: »Die Welt hat sich verändert, wir müssen uns an die neue weltweite Realität anpassen. Wir können nicht weiter unsere Geschäfte machen wie bisher«, schrieb Nils S. Andersen, der damalige Generaldirektor von AP Möller, 2009 in der MitarbeiterInnen-Zeitung der Reederei. Damals stagnierten die Umsätze kurzfristig.
Mittlerweile verzeichnen die Betreiber der Hafenterminals aber wieder wachsende Umsätze, insbesondere im letzten Jahr in Algeciras mit 102,8 Tonnen und Valencia mit 71,3 Millionen Tonnen Seegüterumschlag. 2016 verkündeten sie entsprechend auch Rekordgewinne. Algeciras hat Hamburg überholt und ist jetzt europaweit der drittgrößte Hafen, was den Güterumschlag betrifft. Im zweitgrößten Hafen Spaniens, dem von Valencia, arbeiten 1.300 DockarbeiterInnen. In allen Häfen Spaniens sind sie eine kleine, gut organisierte Berufsgruppe. Nahezu 100 Prozent gehören einer Gewerkschaft an, die meisten der Coordinadora Estatal de Trabajadores del Mar (CETM), der landesweiten Koordination der Arbeiter des Meeres. Die heißt nur so, weil sie in allen Häfen Spaniens vertreten ist, in denen Container verladen werden, und wurde vor 32 Jahren unabhängig vom Staat gegründet.
Die Arbeit der DockarbeiterInnen ist für den Transport von Containern unverzichtbar. Die Be- und Entladung der Stahlboxen zwischen Kai und Frachter mithilfe von Portalhubwagen und den hohen Containerbrücken soll möglichst schnell und präzise abgewickelt werden. Der Zeitdruck ist enorm, gearbeitet wird Tag und Nacht, kurzfristig auf Zuruf abrufbereit. Neben Containern werden von den Estibadores auch Autos und Stückgut verladen.
2016 erlitten von den 6.156 DockarbeiterInnen 1.611 einen Arbeitsunfall – jeder Vierte, allein auf Basis der offiziellen Meldezahlen. Gegen die hohen Berufsunfallrisiken und die Schwankungen beim Arbeitsaufkommen haben die Estibadores sich im Laufe der Jahre eine gute Absicherung erkämpft. Etwa einen gesicherten Grundlohn und einen produktivitätsabhängigen Schichtlohn: Wenn viele Container gelöscht werden, wird viel verdient. Die Schichten sind sechs Stunden lang, die jährlichen Arbeitsstunden liegen mit 1.542 unter dem spanischen Durchschnitt von 1.946 Jahresarbeitsstunden.
Wenn von den Arbeitgebern bei bisherigen Tarifrunden Lohnverzicht gefordert wurde, waren die Betriebsversammlungen so gut besucht, dass die Arbeit komplett zum Erliegen kam. Ende Februar war es wieder soweit: Mehr als 100 Millionen Euro seien der Hafenwirtschaft an Schaden durch verdeckten Streik entstanden! Die »Nationale Vereinigung der Stauer-Unternehmen«, Anesco, erklärte: »Verdeckte selektive illegale Streiks« sowie »abgesprochene langsame Rhythmen« hätten einen Produktivitätsrückgang von 23 Prozent bewirkt. Alleine in Valencia hätten zwölf Containerschiffe nicht entladen werden können. »Verständlicherweise arbeiten wir nicht mit der gleichen Motivation wie sonst«, erklärte Óscar Martínez, Mitglied des Betriebsrats der Stauer im Hafen von Valencia gegenüber der Zeitung El Confidencial. Antolín Goya, der im Hafen von Teneriffa arbeitende Vorsitzende der CETM erinnert an »die große Unzufriedenheit«. Ein Beleg dafür sind die Sabotageaktionen. So wurden im Hafen von Valencia am 27. Februar zehn Überwachungskameras zerstört – niemand hat etwas gesehen.
Drei Tage zuvor, am 24. Februar, hatte die Regierung der konservativen Volkspartei PP auf Initiative des zuständigen Transportministers Inigo de la Serna ein Dekret »zur Liberalisierung der Stauereiarbeit« erlassen, gegen das die CETM, die CGT und alle anderen Gewerkschaften, in denen die Docker organisiert sind, protestiert haben. In dem Dekret wird verfügt, dass die Vergabe der Stauereiarbeitsplätze komplett dereguliert werden soll: Bislang können die Hafenbetriebe ausschließlich StauerInnen anfordern, die in einem zentralen Register gemeldet sind – so sieht es das Gesetz vor. Bei kurzfristigen Arbeitsspitzen können zwar auch nicht registrierte Arbeitskräfte beschäftigt werden – aber zum gleichen Lohn, zu den gleichen Arbeitsbedingungen. Alle Hafenbetriebe, die DockarbeiterInnen beschäftigen wollen, müssen Kapital in die Gesellschaft einzahlen, bei der die Estibadores angestellt sind – und den kollektiven Arbeitsvertrag akzeptieren.
Gegen EU und Regierung …
Gegen diese rechtliche Absicherung hat die Europäische Kommission erfolgreich vor dem Europäischen Gerichtshof gegen Spanien geklagt und eine Deregulierung eingefordert. Die konservative Regierung erklärte nun, diesem Urteil nachzukommen und übertrifft dabei die Kommissionsforderung noch. Während die Gewerkschaften aber auf die Regelung in Belgien verweisen, wo es ein mit EU-Recht konformes Register für die Stauereien gibt, das nur etwas anders als das Spanische funktioniert, und woran ohne soziale Entgarantierung angeknüpft werden könnte, wählte die konservative Regierung den Weg der Konfrontation.
Ob sie damit durchkommt, ist fraglich. Das Dekret der Regierung hätte nach einem Monat vom Parlament gebilligt werden müssen. Dafür war die konservative PP mit ihrer Minderheitenregierung auf die Zustimmung der Sozialdemokraten (PSOE) und der rechtsliberalen »Ciudadanos« angewiesen. Diese haben nach den Protesten der Gewerkschaften jedoch ebenso wie alle anderen Oppositionsfraktionen bis auf die PNV, die Baskisch-Nationale Partei, ihre Unterstützung für das Dekret zurückgezogen. Deshalb wurde die für den 9. März angesetzte Abstimmung kurzfristig um eine Woche verschoben. Ab dem 10. März hatten CETM und andere Gewerkschaften zu nadelstichartigen, jeweils eintägigen Streiks aufgerufen. Die wurden ausgesetzt bis zum 17. März. Am Tag zuvor fand die Abstimmung im Parlament statt. Die Fraktion der konservativen Volkspartei hat 137 Sitze. Nur die fünf Abgeordneten der konservativen baskischen PNV stimmten mit ihr für das Dekret »zur Liberalisierung der Stauerarbeit«. Damit fehlten der Regierung 34 Stimmen zur Mehrheit. Es war die erste große Niederlage der seit einem halben Jahr amtierenden Regierung. Ministerpräsident Mariano Rajoy erklärte, Spanien drohe die Unregierbarkeit, es dürfe nicht wieder zu solch einer Abstimmungsniederlage kommen – die sozialdemokratische Partei PSOE müsse sich ebenso wie die Liberalen ihrer staatstragenden Verantwortung bewusst werden.
Die Geschlossenheit der Estibadores ist groß, die Streikbereitschaft auch. Auf Videos von Betriebsversammlungen ist zu sehen, wie die Beschäftigten mit geballter Faust gemeinsam »Kein Schritt zurück!« skandieren. Auch Containerbrücken können stillstehen. Das wissen die Docker. Wenn sie streiken, wie etwa 2006, stehen ganze Häfen still.
… gegen Kapital- und Unternehmensberatungen
Auch die Plattform der Investoren in Spaniens Häfen, PIPE, in der sich die kapitalkräftigen Besitzer der großen Hafenterminals zusammengeschlossen haben, fordert die Deregulierung der Stauerei und der Arbeitsbedingungen. Wenn es nach ihnen ginge, sollten die Löhne um 60 Prozent sinken, von 67.800 Euro auf 26.934 Euro brutto jährlich, die Jahresarbeitszeit soll um 334 Stunden steigen: auf 1.876 statt wie jetzt 1.542. All das ist vergleichbar mit den Verhältnissen im sonstigen Transportgewerbe. »Vorwärts zu einem wettbewerbsfähigeren Hafenmodell« ist der Titel des Konzepts, das die Beraterfirma PwC im Auftrag der PIPE geschrieben hat. Die Zeitung El Confidencial zitiert daraus den Vizepräsidenten der PIPE, José Luis Almazán: »Das aktuelle Modell der Stauerei ist einengend und unzugänglich, es entspricht nicht den Anforderungen des 21. Jahrhunderts, es verhindert die Wettbewerbsfähigkeit auf einem globalen Markt und beeinträchtigt das wirtschaftliche Wachstum stark«. Gerade auch für das Gros der zu schlechteren Konditionen Arbeitenden, der Prekären, der Arbeitslosen in ganz Spanien wäre es ein fatales Signal, wenn die Arbeitsbedingungen der Estibadores dereguliert würden.
Vertreter der konservativen Regierungspartei PP haben sich am 6. April nun doch zu Verhandlungen mit den Gewerkschaftsvertretern der Estibadores zusammengesetzt, ohne aber wirklich von ihrem Plan abzulassen, die Arbeitsrechte auf den Docks zu deregulieren. Antolín Goya, der gewerkschaftliche Verhandlungsführer, erwartet keine kurzfristigen Ergebnisse. Er hat eine starke Position, weil die Estibadoras und Estibadores Anfang April erneut ihre Streikbereitschaft bekundet haben.
»Verdichtung und Zeitdruck«
Antolin Goya, seit zwölf Jahren Sprecher der Coordinadora Estatal de Trabajadores del Mar (CETM), der spanienweiten Koordination der Arbeiter des Meeres, arbeitet als Dockarbeiter im Hafen von Santa Cruz auf Teneriffa. Gaston Kirsche sprach am 9. März dieses Jahres mit ihm über Veränderungen in der Hafenarbeit.
Wie steht es um die Arbeitsbedingungen in den Häfen: Haben sie sich in den letzten Jahren verbessert oder verschlechtert?
Der ganze Hafensektor ist technisch sehr modernisiert worden – und damit auch die Arbeitsabläufe. Das hat dazu geführt, dass bei vielen Aufgaben, die früher unter sehr schweren Bedingungen und mit hohem körperlichem Einsatz erledigt werden mussten, jetzt Erleichterungen möglich sind. Auch wenn sich die Bedingungen mit den Jahren tatsächlich verbessert haben, darf nicht vergessen werden, dass diese Technisierung verbunden ist mit erhöhten Anforderungen an die Ausbildung der Arbeiter und Arbeiterinnen.
Die Dockarbeit existiert nicht losgelöst von diesen Veränderungen – mit all den Vorteilen und Nachteilen, die dies mit sich bringt. Aber es gibt Aspekte, die haben sich nicht verändert: Hafenarbeit bleibt weiterhin eine gefährliche Arbeit, die eine hohe Qualifikation erfordert und bei der du 365 Tage im Jahr und 24 Stunden am Tag einsatzbereit sein musst. Als Estibador ist es sehr kompliziert, Pläne jenseits des Hafens zu machen und Deinen Berufsalltag mit Deinem Familienleben zu vereinbaren. Man darf dabei auch nicht vergessen, dass die Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht nur durch den technischen Fortschritt oder die verbesserte Organisation in den Häfen erreicht wurde, sondern durch den kontinuierlichen Kampf der HafenarbeiterInnen für ihr Recht auf würdige Arbeits- und Lebensbedingungen, für Arbeitssicherheit.
Inwiefern ist die Arbeit gefährlich?
Bei der Arbeit bist Du umgeben von schweren Maschinen und von schwebender Ladung, die in Bewegung ist. Die ArbeiterInnen auf den Schiffen, von den Hafenunternehmen und von externen Betrieben müssen dabei ihre eigenen Aktivitäten perfekt mit denen der anderen koordinieren. Wir haben außerdem einen hohen Grad an Arbeitsverdichtung und Zeitdruck bei der Dockarbeit: Der Warenumschlag soll maximiert werden, es geht um schnellstmögliche Abfertigung der Schiffe – das bildet einen perfekten Hintergrund dafür, dass sich bei der kleinsten Unaufmerksamkeit ein Unfall ereignet.
Gibt es denn viele Unfälle in der Hafenarbeit?
Genaue Statistiken zu bekommen, ist schwierig, denn die Dockarbeiten werden unter das maritime und landgebundene Transportgewerbe subsummiert. Deshalb gibt es keine differenzierten Angaben zu landesweiten Arbeitsunfällen auf den Docks. Sicher ist, dass im Jahr 2016 vier Personen bei Arbeitsunfällen in spanischen Häfen gestorben sind. Und alleine im Hafen von Valencia kam es zu mehr als 320 Unfällen mit dadurch bedingten Krankheitstagen. Es ist mehr als offensichtlich, dass das Risiko für die, die auf den Docks arbeiten, sehr hoch ist. Bei der Verbesserung der Arbeitssicherheit ist es ähnlich wie mit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen: Sie ist abhängig von der Tätigkeit, die jahrelang und Tag für Tag von den Arbeitsschutzbeauftragten in den Häfen geleistet wird, insbesondere durch VertreterInnen der Arbeiter im Arbeitsschutz (die Arbeiter haben eigene Delegierte für den Arbeitsschutz, Anm. d.Red.).
Beeinflussen der Abbau des Arbeitsrechtes und die Austeritätspolitik der Regierung die Arbeit im Hafen?
Klar, sicher tun sie das. Wir sind nicht unberührt geblieben von der ökonomischen und politischen Situation der letzten Jahre. Auch die Hafenarbeiter sind von der Krise betroffen. Denk’ mal daran, dass 80 Prozent unseres Lohnes unmittelbar abhängig sind von der Produktivität. Der Rückgang des internationalen Warenverkehrs hat sich daher direkt auf unser Einkommen ausgewirkt: keine Schiffe – keine produktivitätsabhängige Bezahlung. Aber trotz dieser Bedingungen, die in einigen Häfen sehr schwierig waren, hat unser Manteltarifvertrag, den wir mit viel Engagement und unter vielen Opfern verteidigt haben, uns einigermaßen würdige und stabile Arbeitsbedingungen garantiert.
Wie sieht es denn aus mit prekärer Arbeit und Zeitarbeitsverträgen in den Häfen?
Die aktuelle, spanienweite Mantel-Vereinbarung zur Organisation der Dockarbeit erlaubt es, je nach Bedarf in den Häfen zusätzlich zu den fest in der SAGEP (s. Kasten) angestellten Beschäftigten Aushilfsarbeiter einzustellen. Generell haben diese ArbeiterInnen Verträge mit Leiharbeitsfirmen. Allerdings sieht diese Rahmenvereinbarung auch vor, dass alle auf den Docks Beschäftigten »würdige« Arbeitsbedingungen haben – also auch die Leiharbeitskräfte. Das ist genau unser Anspruch als Gewerkschaft: zu garantieren, dass alle, die in diesem Bereich arbeiten, unabhängig von der Art ihres Anstellungsvertrages auf die gleichen Bedingungen bei Arbeit, Ausbildung und Sicherheit zurückgreifen können.
Vielen Dank und alles Gute!
Die Sagep, Sociedad Anónima de Gestión de Estibadores Portuarios, ist die Verwaltungsgesellschaft, über die in Spanien Hafenarbeit aussschließlich abgewickelt wird. Firmen, die in den Häfen Be- und Entladeaufträge annehmen, müssen sich mit Kapitaleinlagen an der SAGEP beteiligen und dürfen nur die dort angestellten Docker anheuern: insgesamt 6.156 Beschäftigte, von denen 3.890 in den drei großen Häfen von Algeciras, Valencia und Barcelona arbeiten. In Rahmenvereinbarungen und Tarifverträgen sind Bezahlung und Arbeitsbedingungen festgeschrieben. So bestimmen die Gewerkschaften der DockarbeiterInnen auch beim Arbeitsschutz und beim Personalschlüssel mit. Diesen Einfluss der Gewerkschaften möchte die Regierung durch Deregulierung zurückdrängen. Red.
»Rechte, nicht Privilegien«
Enric Tarrida Martinez, Koordinator für den Bereich Meer und Häfen der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft CGT (Confederación General del Trabajo), erläutert im Gespräch mit Gaston Kirsche, welche gesellschaftliche Bedeutung dem Widerstand der Docker gegen die Deregulierungspläne zukommt.
Wie ist die Position der CGT zum aktuellen Konflikt um das Dekret zur Liberalisierung der Dockarbeit in den Häfen Spaniens?
Die CGT solidarisiert sich mit den DockarbeiterInnen. Wir verurteilen das Vorgehen der spanischen Regierung, die sich den wirtschaftlich Mächtigen unterordnet, während sie die Keule gegen die ArbeiterInnen schwingt. Wir wenden uns gegen die provokative Haltung dieser Regierung und ihr Dekret, mit dem sie in den Häfen ein Pulverfass entzündet, anstatt auf dem Verhandlungsweg eine Lösung zu suchen, die für alle Beteiligten zufriedenstellend wäre.
Wir verurteilen die Unverantwortlichkeit der Regierung und eines Teils der Unternehmerschaft, die bereit sind, den bewährten Arbeitsabläufen großen Schaden zuzufügen, nur um die Gier von Risikoanlagefonds nach schnellem Profit zu befriedigen. Wir verurteilen auch die Dreistigkeit der Hafenunternehmer, den Einsatz der Armee in den Häfen zu verlangen, falls das Grundrecht auf Streik wahrgenommen wird. Das offenbart ein merkwürdiges Demokratieverständnis, zeugt von fehlendem Respekt vor den Estibadores im Besonderen und den arbeitenden Menschen im Allgemeinen. Es ist ein provokatives Vorgehen der Regierung, wenn sie ein enormes Polizeiaufgebot in die Häfen beordert, wodurch das Gegenteil einer Beruhigung unter den HafenarbeiterInnen befördert wird.
Wie haben sich die Arbeitsbedingungen in den Häfen im Laufe der letzten Jahre verändert?
Ich kann hier nur aus meiner beschränkten Sicht der Dinge antworten, genauer: als Koordinator des Sektors Häfen und Meer und als Matrose im Hafen von Valencia. Die Hafenarbeit ist nicht unbeeinflusst von den Kürzungen und den Verschlechterungen der allgemeinen Arbeitsbedingungen, aber die Realitäten sind unterschiedlich. Einige Beschäftigtengruppen haben der Krise besser widerstanden als andere – je nach den Kräfteverhältnissen und Gegebenheiten in der jeweiligen Branche bzw. in den Unternehmen. Die Estibadores, die Stauer haben ihre für andere Sektoren ungewöhnliche Stärke beibehalten. Sie haben sich auch erfolgreich gegen eine Auslagerung von Tätigkeiten aus ihrer Zuständigkeit gewehrt, die es in anderen Bereichen in den Häfen gab. Die Situation ist dabei allerdings von Hafen zu Hafen unterschiedlich. Während etwa die Schlepperbesatzungen im Hafen von Valencia relativ entspannt ihre Arbeiten erledigen können, haben die Unternehmen im Hafen von Barcelona versucht, den Manteltarifvertrag aufzukündigen und die Arbeitsbelastung der Schlepper-Besatzungen massiv zu erhöhen – allerdings ohne Erfolg, dank des entschlossenen Einsatzes unserer dortigen Genossen von der CGT.
Spielen prekäre Verträge und Zeitarbeit denn eine Rolle in den Häfen?
Zweifellos, aber weniger als in anderen Bereichen. Nicht vergleichbar zum Beispiel mit der Situation der Fischer oder der Matrosen in der Handelsschifffahrt: Das sind Beschäftigtengruppen, welche als Vorhut der sogenannten Globalisierung erscheinen und wo in vielen Fällen Bedingungen herrschen, die schon als halbe Sklaverei bezeichnet werden können. Ich habe keinen Zweifel: Wenn sich die Regierung gegenüber den Estibadores durchsetzt, wäre das sicher auch ein Debakel für die anderen Beschäftigtengruppen. Sie versuchen die maximale Prekarisierung aller Lohnarbeitsverhältnisse, ohne Ausnahme. Und die Besitzenden wollen die Umverteilung der Arbeitseinkommen in ihre Taschen verstärken.
Wozu die Deregulierung des Arbeitsgesetzes und die Austeritätspolitik der Regierung sicher beitragen?
Ja, das ist zweifellos der Fall. Aber die Durchsetzung dieser Politik wird im Bereich der Häfen dadurch gebremst, dass die spanischen Häfen ungeachtet der Krise enorme Gewinne erwirtschaften – und dafür ist der reibungslose Ablauf der Arbeitsprozesse unerlässlich.
Was bedeutet die Konkurrenz zwischen den verschiedenen Häfen für die Arbeitenden?
Die Konkurrenz ist grundsätzlich eine Ausrede, um die Arbeitsbedingungen nicht zu verbessern, wenn nicht sogar, um sie zu verschlechtern. Gleichzeitig begünstigt sie die Spaltung zwischen den Arbeitenden, in der Absicht, die einen gegen die anderen auszuspielen, auch um Misstrauen zu säen, das dazu beiträgt, die Konflikte und Probleme zu individualisieren.
Gibt es denn Solidarität zwischen den Beschäftigten unterschiedlicher Berufsgruppen im Hafen?
Im Allgemeinen respektieren sich alle gegenseitig – und besonders dann, wenn die Dinge wirklich hässlich werden, überwiegt die Solidarität. Außerdem sorgt sich jede Person, die im Hafen arbeitet und bei Verstand ist, um die Genossen in den Stauereien, und ich bin mir sicher, sie unterstützen diese Gruppe ohne Einschränkung. Denn niemand kann glauben, dass die sogenannten Liberalisierungen bei den Stauereien und den DockarbeiterInnen enden. Heute mehr als früher muss es deswegen aus Solidarität und auch aus eigenem Interesse eine absolute Einheit geben.
Dagegen heißt es in vielen Medien, die DockarbeiterInnen seien »privilegiert«. Was sagst Du als Angehöriger einer anderen Berufsgruppe dazu?
Warum privilegiert? Sie haben die Bedingungen, zu denen sie arbeiten, weil sie zu kämpfen wissen – das sind keine Privilegien, das sind Rechte. Ich rege mich nicht darüber auf, was andere verdienen, und die Arbeit der Docker hat sehr spezifische und harte Bedingungen, die es schwer machen, ein normales Leben zu führen. Eine ganz andere Sache ist, dass die Mehrheit der arbeitenden Menschen mehr Geld verdienen sollte, würdige Löhne, die es ihnen ermöglichen, ein würdiges Leben zu führen – ein wichtiges Ziel der Arbeit, was wir nicht vergessen sollten. Und genau das wird nicht dadurch erreicht, dass die Rechte der DockarbeiterInnen beschnitten werden. Wenn die Regierung und ihre Herren sich durchsetzen, wäre dies eine Niederlage für die gesamte Arbeiterklasse, die dazu dienen würde, das Niveau in der Arbeitswelt noch weiter abzusenken.
Du meinst, wenn das neue Dekret zur sogenannten Liberalisierung Bestand hätte?
Wenn dieses Dekret sich durchsetzt, werden die HafenarbeiterInnen einen steilen Absturz erfahren in Bezug auf die Arbeitsbedingungen, die Verlässlichkeit der Beschäftigung, die Löhne usw. Die Unfallwahrscheinlichkeit und die Anzahl der tödlichen Arbeitsunfälle werden steigen, die Häfen werden an Sicherheit einbüßen.
Wir sollten nicht vergessen, dass viele der Aktivitäten in den Häfen eine hohe professionelle Qualifikation und Erfahrung erfordern: Schiffsbewegungen, Umfüllung von Treibstoffen, Passagiere, Beladung und Entladung von Schiffen, der Gebrauch schwerer und sehr spezialisierter Maschinerie, der Umgang mit den Containern, eine enorme Menge an Fahrzeugen, die umherfahren, um die verschiedensten Transporte und zum Teil sich ergänzende Arbeiten auszuführen usw. Ich glaube, dass sie wirklich mit dem Feuer spielen, sie demonstrieren ein totales Fehlen von Verantwortungsbewusstsein, für das wir alle bezahlen müssen.
Vielen Dank und viel Erfolg!